Eine Seefahrt, die ist lustig

von Eva Biringer

Berlin, 2. Oktober 2013. Wie schrecklich so eine Schifffahrt sein kann, wissen wir spätestens seit David Foster Wallace' Roman Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich. Er berichtet darin von seinen Erlebnissen auf einem Kreuzfahrtschiff zwischen Bingo, Gesellschaftsspielen und Alleinunterhalter, eine Bespaßungsmaschinerie, aus der es kein Entkommen gibt.

Als Besucher des "Ding Dong Doms", dem neuesten Projekt des Performancekollektivs Showcase Beat Le Mot, wähnt man sich auf einem ähnlichen Trip. Mit dem Unterschied, dass es hier um nichts weniger gehen soll als die Zukunft des Theaters.

Die Leute kucken schon

Der kryptische Ankündigungstext verspricht einen "Dom aus Pflanzen und Licht (...) als neue Heimat für das künstlerische Subproletariat". Ausgangspunkt der Exkursion ist das Berliner HAU. Auf der Bühne stehen die vier Performer, schauen bedröppelt drein und dozieren abwechselnd über das Wesen des Theaters. Es fallen die Namen Newton und Einstein, freilich ohne erkennbaren Zusammenhang. Dieser erste Teil des Abends ("Ding") dient allem, außer dem Erkenntnisgewinn. Vom Rang aus musiziert ein Mandolinenquartett.

Begleitet von dissonanten Trompetenklängen pilgert das Theatervolk den Performern hinterher, erst ins Foyer, dann hinaus auf die Stresemannstraße, ohne Rücksicht auf die Straßenverkehrsordnung. So eine Inbesitznahme des öffentlichen Raums ist immer lustig, besonders wenn sich der Vorsatz "die Leute kucken schon" so mustergültig erfüllt wie hier. Herrlich, wie wenig Verständnis für die Kunst der tiefergelegte Golf zeigt, der angesichts des nicht abreißenden Fußgängerstroms an der Ampel aufheult.

Auf einem Seitenarm der Spree schaukelt die "MS Stralau", die das Theatervolk zu besagtem Ding Dong Dom bringen soll. Das Schöne an dieser Überfahrt mit Loungeatmosphäre (indirektes Licht!), die den zweiten Teil ("Dong") des Abends markiert: Es steht einem frei, sich von den Sitzbänken nach draußen auf den "Rauchbalkon" zu bewegen, zur Bar und wieder zurück – im Theater keine Selbstverständlichkeit! Anders als erwartet, schippern wir jedoch nicht nach Osten in Richtung Holzmarktgelände, wo das Theater der Zukunft stattfinden soll, sondern nach Westen. Bald ist klar: Dieses (einmalig stattfindende) Unternehmen ist ein selbstgenügsames. Abgesehen von den Einlagen des Mandolinenquartetts, das momentweise das Hammondorgelgedudel aus dem Off ablöst, passiert nicht viel. Genau genommen passiert gar nichts.

Zum Zwecke der Volltrunkenheit

Wohin also mit der Erwartungshaltung? Und wann gibt es endlich etwas zu essen? Wie immer bei Veranstaltungen dieser Art sind einige Teilnehmer offenbar nur deswegen hier. Alle um einen herum bechern ordentlich, schließlich ist morgen Feiertag. Man selbst ist fest entschlossen, den Blick des objektiven (also nüchternen!) Kritikers zu wahren, aber schnell wird klar, dass der ausschließliche Zweck dieser Überfahrt die Volltrunkenheit seiner Passagiere ist. Die Performer kommen kaum mit dem Ausschank seltsamer Drinks nach und empfehlen, sich mit den "Alkoholika eine Grundlage" für den permanent in Aussicht gestellten Imbiss zu schaffen. Wer sich über die exorbitanten Preise beschwert, wird schroff darauf hingewiesen, man befinde sich schließlich auf einem Schiff.

Kaffeefahrtfeeling. Die Stadt zieht als Kulisse vorbei. Je mehr das Schiff sich dem Holzmarktgelände nähert – oder sich davon entfernt – desto inbrünstiger schmettert das Orchester seine Hymnen. Auf Höhe des S-Bahnhofs Friedrichsstraße geht der Wein zur Neige, ein Umstand, zu dem man sich angesichts der kichernden Nebensitzer beglückwünschen muss. Nach sagenhaften dreieinhalb Stunden legt das Schiff an. "Schon da!", kommentiert einer der Showcaseler lakonisch.

Platon-Update zwischen Grümpel

Was bietet nun dieses als "Paralleluniversum" angepriesene Gelände am Ufer der Spree? Zwischen Sperrholz und Gerümpel spannt sich ein Leintuch von mehreren Metern Durchmesser. Dahinter brennt ein Lagerfeuer, um das herum Menschen in gebückter Haltung tanzen. Haben wir es hier mit einem Update von Platons Höhlengleichnis zu tun? Dann wären wir nichts weiter als Zaungäste des wahren Lebens, denn zu den Tanzenden dringen wir nicht durch. Dahinter ragt ein Feuer speiender Turm in den Nachthimmel, möglicherweise der titelgebende Dom.

dingdongdom 560 -copyright showcase beat le mot uIst das die Zukunft des Theaters? © Showcase Beat Le Mot

Wir sehen ferner: Eine zu Wasser gelassenen Bretterbude, mit Discokugel und Tischfeuerwerk, deren Besatzung mit Taucherbrille, Leopardenmaske und Lamettaperücke stark an die Knallchargen der ehemaligen Bar 25 erinnert. Zur Erinnerung: Nachdem der von Proteststürmen begleiteten Schließung des Technoclubs soll auf diesem Teil des Spreeufers der Mörchenpark entstehen, eine kommunal genutzte Freizeitfläche, deren Fortschritte mittlerweile selbst von der Berliner Regierung recht wohlwollend begleitet werden. Welche Bretterbauten nun eigens für die HAU-Produktion aus dem Spreeuferboden gestampft wurden, vermag der Quartalsbesucher nicht zu sagen.

Zittern für den Kichererbsenburger

Momentan übt der Holzverschlag mit dem Schild "Organic Food" neben der Spanferkeltheke den größten Reiz auf die Besucher aus. Hier gibt es endlich den versprochenen Imbiss. Alle, die hier zitternd vor Kälte auf einen Kichererbsenburger warten, hatten sich das "Theater der Zukunft" anders vorgestellt. Immerhin: Der mündliche Austausch über das Erlebte gehört zum produktiveren Teil dieses viereinhalbstündigen Ausflugs.

Eine ernsthafte Perspektive, was Theater sein könnte, bleiben Showcase Beat Le Mot uns schuldig. Die versprochene Flut bleibt aus, dieses Schiff dümpelt eher in seichten Gewässern. Bei Schifffahrten dieser Art heißt es: in Zukunft ohne mich.

 

Ding Dong Dom. Auszug aus der Blackbox
von: Showcase Beat Le Mot
Mit: Showcase Beat Le Mot (Nikola Duric, Dariusz Kostyra, Thorsten Eibeler und Veit Sprenger), Kapaikos Wagner Bar, All White People, Tempo Masimo Laboratorion und Otti's Fitnesstreff.
Dauer: 4 Stunden 30 Minuten, dauernd Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

In ihrer Erwartungshaltung gefoppt wurden Berliner Theaterbesucher jüngst auch bei der Eröffnung des 12-Spartenhauses von Vegard Vinge / Ida Müller im Mai 2013, bei der man nur ins Foyer vorgelassen wurde.

 

Kritikenrundschau

"Ein wirklich neues Theater also steht am Ende dieser Nacht und die kleinen Schiffsgespräche mit den Initiatoren der Truppe Showcase Beat Le Mot entfalten schon mal reiche Vorstellung davon", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (4.10.2013). Dieses "Theater der Zukunft" solle "auf der Höhe wissenschaftlicher Erkenntnisse" sein, Raum und Zeit seien "keine fixen Rahmen mehr darin (...). Ein Theater der Multiperspektive und Bewegung", "jenseits fester Regelwerke und Genehmigungen, rhizomatisch wachsend aus den Ideen und Engagements aller Interessierten". Gerade "aus dem Sinn fürs Unmögliche, aus der aufgeklärten Ungewissheit" bauten Showcase Beat Le Mot seit 16 Jahren ihr "Welt-Theater, das mit jeder Produktion ein bisschen radikaler wurde, weil realer". Für diesmal bleibe das "Theater der Zukunft" aufgrund fehlender Baugenehmigungen tatsächlich noch ganz zukünftig, im Dezember werde es wohl greifbarer.

Das Spanferkel war für den ironisch gestimmten René Hamann von der taz (4.10.2013) "der krönende Abschluss; Publikum und Künstler haben in jedem Sinne darauf hin gehungert". Das Theaterstück selbst habe "im Grunde nur knappe zehn Minuten gedauert", danach: "Auszug aus dem Haus, weil Haus gleich Theaterlangeweile". "Vielleicht", dachte sich der Kritiker auf der folgenden Schiffsreise, "ist das HAU (...) auch von einer Art Selbsthass getrieben: Immer geht es irgendwie raus; es wird in Markthallen, selbstgebauten Kneipen, in Krankensälen, auf verwitterten Funkstationen und sonst wo Theater gespielt, nur in den Häusern nicht". Am Holzmarkt angekommen, "durfte man einer Doppel- und Dreifachperformance zuschauen (während man wegen Hunger und Kälte eigentlich nur noch runterwollte vom Schiff)".

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