Boom! Zong! Schluck! Dekonstruier!

von Elisabeth Maier

Heidelberg, 12. Oktober 2013. Im atemlosen Redaktionsalltag eines Comicverlags lässt die Autorin Rebekka Kricheldorf den amerikanischen Helden Sergeant Superpower sterben. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York weiß der Kämpfer, der in früheren Jahrzehnten brutale Nazischergen in die Flucht geschlagen hat, nicht weiter. Klar umrissene Feindbilder gibt es in der zerfallenden Welt nicht mehr. So genügt ein gezielter Schuss, um die Identifikationsfigur ganzer Generationen ins Jenseits zu befördern. Denn als Zweifler, der die Welt hinterfragt, wird sie nicht mehr gebraucht. Im 21. Jahrhundert jagen Jugendliche platte Cyberhelden wie Super Mario über die Computerbildschirme. Längst ist die Zeit der Sprechblasen vorbei. "Sergeant Superpower rettet Amerika" lautet der Titel der Zeitreise durch die Welt der Medienkonstrukte, die am Theater Heidelberg uraufgeführt wurde.

Der ironische Zugriff, mit dem Rebekka Kricheldorf politische Themen und Zeitgeist-Stoffe angeht, macht auch den Reiz dieser Uraufführung aus. Souverän spielt die Autorin in dem vierteiligen Stück mit Klischees, um sie am Ende in der Luft zu zerfetzen. Comicfloskeln wie "Boom" und "Zong" schweben in Gregor Müllers schlicht ausgestattetem Bühnenraum über dem Redaktionsbüro, das im Lauf der Jahrzehnte zur knallhart geführten Denkfabrik wird.

Sprachloser Comicheld

Erich Sidlers mitunter etwas zaghafte Inszenierung verheddert sich in den starken Bildern, mit denen auch die Dramatikerin nicht geizt. Viel zu detailverliebt kostet der designierte Intendant des Deutschen Theaters Göttingen jede zeitgeschichtliche Anspielung aus. Wenn der schmierige Herausgeber Pete Feldmann, von Andreas Seifert grob karikiert, zum wiederholten Male US-amerikanische Ignoranz zur Schau trägt, wirkt das schnell ausgelutscht. Ebenso plump inszeniert Christina Rubruck ihre historischen Figuren von Adolf Hitler über Osama Bin Laden. Das bremst Kricheldorfs federleichte Filmschnitt-Dramaturgie aus, die Regiearbeit wirkt dann langatmig.sergeant superpower3 560 wolfgang runkel uHaben die Superhelden ausgedient? © Wolfgang Runkel

Großartig hingegen gelingt Sidler und dem Ensemble die Dekonstruktion des Superhelden, den Kostümbildnerin Bettina Latscha in ein stilgerechtes Kostüm mit königsblauen Strumpfhosen und Sternenbanner gehüllt hat. Der junge Bertram Maxim Gärtner meistert den schwierigen Spagat, blitzschnell vom jüdischen Comiczeichner Moshe Silberstein zur umjubelten Kultfigur zu mutieren. Virtuos jongliert er mit den Widersprüchen seiner Figuren. Sprachlos und einsam sitzt der einstige Kriegsuntaugliche, der durch ein Super-Soldaten-Serum zum Helden wurde, am Ende auf der leeren Bühne. Längst sind die globalen Netzwerke des Terrors für ihn undurchschaubar geworden.

Virtuose Sprachspiele, filmische Leichtigkeit

Aus Kricheldorfs Materialfülle, die ihre Stücke so anspruchsvoll und komplex macht, entwickelt Gärtner einen verletzlichen Menschen, der die Welt nicht mehr begreift. Auch Florian Mania als sein Texter Josef Katz legt die Wunden bewusst offen, die das Leben seiner Figur geschlagen hat. Spielerisch leicht legt Lisa Förster ihre Rolle als Gespielin des erfolgreichen Zeichners Moshe an. Sie übernimmt auch den Part des farblosen Texters Johnny Field, der am Ende noch eine steile Karriere als Herausgeber hinlegt. Olaf Weißenberg macht als kapitalistisch kalter Herausgeber Stuart Mill wie als bösartiger Gegenspieler des Helden eine starke Figur: Gnadenlos fährt er das einst erfolgreiche Unternehmen an die Wand. Und wenn er am Ende als Anti-Held auf der Couch des Psychiaters liegt und seine bösen Triebe abstreifen will, gelingen dem Schauspieler wunderbar tragikomische Momente.

Die bemerkenswerte Gabe der Dramatikerin Kricheldorf, bleischwere Theaterdialoge in filmischer Leichtigkeit aufzulösen, kommt in Sidlers Heidelberger Uraufführung nicht immer zum Tragen. Dass die gut zweistündige Inszenierung dennoch immer wieder zu einer mitreißenden Dynamik zurückfindet, liegt nicht zuletzt an der Musik von Jakob Dinkelacker und Philipp Stangl. Mit wunderbaren Kompositionen, die sacht zwischen nostalgischer Filmmusik und schriller Comic-Klangkulisse hin- und hergleiten, entführen sie die Zuhörer in das faszinierende Universum der gezeichneten Bilder. In dieser surrealen Welt lassen sich die Heidelberger Schauspieler virtuos auf die Sprachspiele der Autorin ein, die den Spagat zwischen zeitkritischer Tiefe und bezaubernd komischen Augenblicken genießt.

 

Sergeant Superpower rettet Amerika (UA)
von Rebekka Kricheldorf
Regie: Erich Sidler, Bühne: Gregor Müller, Kostüme: Bettina Lascha, Musik: Philipp Stangl, Jakob Dinkelacker, Dramaturgie: Jürgen Popig.
Mit: Lisa Förster, Bertram Maxim Gärtner, Florian Mania, Christina Rubruck, Andreas Seifert, Olaf Weißenberg, Jakob Dinkelacker.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theaterheidelberg.de

 

Kritikenrundschau

 

Erich Sidler bringe das Stationendrama in flottem, revueartigem Aufriss auf die Bühne, schreibt Heribert Vogt in der Rhein Neckar Zeitung (14.10.2013). Wie hier rund siebzig Jahre US-Historie miterzählt werden, das erinnert den Rezensenten an Robert Zemeckis' Kinofilm "Forrest Gump" nach dem gleichnamigen Roman von Winston Groom, dessen Protagonist ebenfalls durch die amerikanische Zeitgeschichte reist. "Die häufigen sowie raschen Wechsel von Nachdenklichkeit und Irrwitz, tragischen Ereignissen und Situationskomik lassen den Zuschauer die Comic-Story wie einen Rausch erleben." Das bewirkten vor allem die Schauspieler mit ihrem ebenso markanten wie temporeichen Spiel. Trotz aller comichafter Typisierung während des quirligen, gut zweistündigen Theaterabends weise die Aufführung doch oft auch Tiefenschärfe auf, besonders bei häufigen Differenzierungen der amerikanischen Gesellschaft. "Und die deutliche Kritik an den zahlreichen von den USA geführten Kriegen kommt vor allem auch deshalb glaubwürdig daher, weil latent stets – wenn auch in karikierter Form – die deutsche Geschichte bis in die Gegenwart immer wieder mitschwingt."

Erich Sidler setze auf Action über schnelle Kostümwechsel, hitzige Dialogführung und Bewegungstempo, schreibt Eckhard Britsch im Mannheimer Morgen (14.10.2013). "Die sechs Darsteller haben in viele Rollen zu schlüpfen und dabei überraschende Häutungen zu vollführen." Das habe alles Sinn, Verstand, und oft genug auch Witz; allerdings könne Rebekka Kricheldorf mit ihrer rasanten Fahrt durch Zeitgeschichte auf der Folie des Comic-(Un)Wesens nicht verheimlichen, dass das große Panorama einer durchaus ernüchternden Weltsicht im Kleinklein einer lockeren, etwas schematischen Szenenfolge gefangen bleibe. "So wirken zwei durchgespielte Stunden zwischen Verleger-Hickhack und optischen Zitaten mit den Superhelden manchmal auch ermüdend."

Rebekka Kricheldorf nutze ihren "Sergeant Superpower" in erster Linie als Ideenträger, und so bleibe er als Figur, als Charakter recht blutleer. "Sie instrumentalisiert ihn für eine Geschichtsstunde, für einen stellenweisen amüsanten, aber insgesamt doch eher spröden Volkshochschulkurs in US-Historie", schreibt Tobias Becker auf Spiegel online (14.10.2013). Das Stück sei überzeichnet, aber nicht überzeichnet genug, es sei grell, aber nicht grell genug. "Es ist, das muss man so hart sagen, zu lahm für den doch recht banalen, vor allem aber bekannten Inhalt." Auch Erich Sidler vermöge es mit seiner Inszenierung nicht rauszureißen. "Ihm fehlt es an Mut und an Übermut: an dem Mut, auch mal eine der Passagen zu streichen, in denen Kricheldorf allzu pseudo-dialogisch Zeitgeschichte nacherzählt, und an dem Übermut, das Stück häufiger in den Gagaismus zurückzutreiben, in den albernen Kosmos des Comics, aus dem es entwachsen ist."

 

 

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