Geil animiert!

von Julia Stephan

Zürich, 13. Oktober 2013. Schweizer Städte sind beim Theaterkollektiv 400asa derzeit riesige Spielwiesen. Die Gruppe um den findigen Regisseur Samuel Schwarz hat ein Fantasy-Computerspiel kreiert, das im öffentlichen Raum spielt und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt. Es heißt "Der Polder" und hat inzwischen so viele Versionen, dass einem davon schwindlig wird.

Auch der szenische Spaziergang "Zarathustra 1.2" gehört zu diesem Story-Universum. Das Vorgängerprojekt "Zarathustra 1.1" hatte im Juli Zuschauer und Nietzsche-Experten mit einem Bus von Zürich nach Sils Maria befördert. In jenes Engadiner Alpidyll also, von dem sich der wandernde Philosoph Friedrich Nietzsche zu seinem Hauptwerk "Also sprach Zarathustra" (1883-1885) inspirieren ließ. Im August folgte in Sils Maria "Zarathustra 1.2." Von  einer  Smartphone-App geleitet, spazierte man durch die Landschaft – und begegnete Schauspielern, die einen mit Nietzsche-Zitaten aus den ersten beiden Zarathustra-Büchern konfrontierten.

Im Gänsemarsch hinter Zarathustra her
In der Zürcher Adaption von "Zarathustra 1.2" sollte alles noch realistischer werden. Wer am Sonntagnachmittag beim Theaterhaus Rote Fabrik auf den Beginn des Stückes wartete und damit rechnete, dass er sich mit einem Smartphone auf einen Sonntagsspaziergang machen dürfe, wurde enttäuscht. Eine Lautsprecherstimme erklärte die Wartenden gleich selbst zu Avataren – so werden Game-Figuren im Fachsprech genannt – und den Zürcher Stadtteil Wollishofen zu einer virtuellen Welt.

zarathustra2 280h julian gruenthal xZarathustra auf astigen Wegen © Julian Grünthal Und die war so unsäglich gut programmiert, dass man meinen könnte, sie wäre echt. Bewegungsschauspieler Sebastian Kläy alias Zarathustra nimmt das Zuschauergrüppchen in den Schlepptau und berührt auf dem Weg zum Bahnhof Wollishofen Mauervorsprünge und Wasserspeier, schnuppert an Ziersträuchern und Nadelbäumen und murmelt in verzücktem Berndeutsch: "Geil animiert." Zarathustra-Kläy ist da, und dann wieder ganz woanders. Immerzu sieht er Dinge, die wir nicht sehen, deutet auf etwas, und geht dann zielstrebig weiter. Nur wohin? Wir laufen durch eine Unterführung, wo ihn ein Plakat mit christlicher Botschaft "Gott ist tot" brüllen lässt. In der Tageshelle angekommen, streckt er seinen Arm zum Himmel, ruft: "Seht ihr die zwei identischen Wolken da? Die haben die Wolken kopiert." Ein cleverer Programmiertrick. So eine Animation bedeutet schließlich verdammt viel Arbeit. Da darf man auch mal schummeln.

Am Bahnhof Wollishofen kommt unsere Online-Community mit Offline-Wollishofen in Berührung: Zarathustra-Kläy setzt sich in einen Fotoautomaten, und flucht über die schlechte Programmierung, während wir im Halbkreis um ihn herumstehen. Drei Teenager wagen es nicht, die Szene zu stören, ein Senioren-Pärchen ergreift verstört die Flucht.

Wirklichkeit mit Pixelfehlern
Auch wenn man Zarathustras "Lehrweg" etwas verwirrt hinterher stiefelt, erkennt man doch bald, auf was 400asa mit ihrem virtuellen Experiment abzielen: "Die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind (...)", schrieb Nietzsche 1873 in der Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne". In der virtuellen Matrix des Polder-Games findet dieser Gedanke seine Entsprechung. Wir beginnen die Wirklichkeit im gepflegte Stadtviertel Wollishofen mit seinen sauberen Rasenflächen auf Pixelfehler abzusuchen.

Einen köstlichen Höhepunkt hat dieses Spiel vorm Museum Rietberg. Während die Zürcher auf den sonnigen Stufen der ehemaligen Villa an ihrem Kaffee nippen, bricht aus der bislang ruhigen Zuschauerin Charlotte Engelbert der Zorn: "Was bitte ist Jim Knopf ohne Neger?", echauffiert sich die Schauspielerin, und hinterfragt Debatten zur political correctness, wie sie in demokratischen Gesellschaften so gerne geführt werden. In bester Nietzsche-Tradition stellt sie damit die Gleichmacherei des Ungleichen an den Pranger. Und auch der nette Tourist aus Wiesbaden (Philippe Graber) schreit plötzlich seinen Zorn heraus. Die sonnenbebrillten Zürcher verziehen keine Miene. Als Graber nach seiner großartigen Einzeldarbietung, nunmehr als Zarathustra, in geistiger Umnachtung halbnackt im Parkbrunnen steht, lockt ihn Sebastian Kläy mit Esshäppchen auf eine Bank. Zärtlich streichelt Kläy ihm über den Kopf und sammelt Grabers Klamotten zusammen. Nach zwei Stunden Fussmarsch ist der Zorn verpufft, Zarathustra zum Kind geworden.  

Zarathustra 1.2
Von 400asa/stadttheater.tv & Churer Ensemble
Regie: Samuel Schwarz und Julian Grünthal.
Mit: Philippe Graber, Charlotte Engelbert, Sebastian Kläy.
Eine Koproduktion von 400asa/stadttheater.tv, Churer Ensemble und Theater Chur in Zusammenarbeit mit dem BOBOK Theatre und der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur, Bachelorstudiengang Multimedia Production.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.rotefabrik.ch
www.derpolder.com

 

Kritikenrundschau

Realität und virtuelle Welt würden so unerschrocken vermischt, dass sich laufend Überraschungsmomente mit Improvisationsmöglichkeiten für alle Beteiligten ergeben, schreibt Julia Fauth im Zürcher Tages-Anzeiger (15.10.2013). Dabei gehe allerdings das Zarathustra-Thema angesichts urbaner Nebengeräusche zwischen Tankstelle und Bahnhofsunterführung leider etwas unter. Trotzdem: "Wenn am Ende Philippe Graber vor dem Museum Rietberg in eine Baum- krone und dann ins Wasserbassin klet- tert, denkt man an den Untertitel des Zarathustra – das ist etwas für alle und keinen. Und eine Theatererfahrung, die man nicht verpassen sollte."

Kommentare  
Zarathustra, Zürich: Bachelor-Test?
wie bitte? zarathustra zum kind? pixelfehler auf rasenflächen? war das jetzt ein nachtkritik-bachelor-test? auch eine misslungene performance verdient eine kritik, in der (nicht nur) sie selbst sich wiedererkennt.
Zarathustra, Zürich: Augmented Reality Freaks
@Maillard: Lesen sie bitte den Zarathustra, lieber Maillard, anstatt hier neidisch rumzustänkern... die Verwandlung von Zarathustra vom Kamel zum Löwen zum Kind sollte man als Bildungsbürger kennen (und sie erscheinen mir wie einer) Und die Visionen der Transhumanisten sind durchaus sehr durchdrungen von Nietzanischem Denken, sowie auch ganz wichtig für CGI Programmierer und Augmented Reality Freaks. Waren sie denn an einer der Performances dabei? In Sils Maria vielleicht? Ich vermute nicht.
Zarathustra, Zürich: der Zeit voraus
Wer 400 ASA kennt, weiss, dass sie mit ihren Theaterformen der Zeit jeweils mindestens 5 Jahre voraus sind. Agumented Reality ist eine Zukunft. Das Polder Game vom 24.10. in Zürich West, über das schon im Vorfeld gemunkelt und debatiert wird, dürfte ein weiterer Höhepunkt sein und das Rote Buch ist ja noch nicht mal lanciert...
Zarathustra, Zürich: virtuelle Ebene
sorry, ich hatte nicht die absicht rumzustänkern, und schon gar nicht neidisch, es hat sich mir nur aus der rezension überhaupt nicht erschlossen, wie dieser „stoff“ von level 1 auf level 7 oder 8 herauf- bzw. heruntergebrochen wurde. kann ja sein, dass mir dazu nur die kenntnis des einen oder anderen computerspiels abgeht…? anders gefragt: welche virtuelle ebene ist mit welcher theatral(isch)en überhaupt vermittelbar? oder bei belieben umgekehrt.
Zarathustra 1.2, Zürich: Theater im Hirn
Lieber Maillard, wenn sie je ein Pen and Paper Rollenspiel gespielt haben oder auch ein Textadventure, dann ist die Verbindung von antikem Theater und Gamedesign offensichtlich. Die Maske, die Marionette, der beseelte Ton und Gips hat viel mit beseelten Bytes und Bits zu tun. Theater findet im Hirn statt. Ebenso gutes Gamedesign. Gestern hatte Google Friedrich Nietzsche als antike Büste mit Game-Diamanten auf der Start-Site. Theaterdesign und Gamedesign sind sehr verwandt. Ohnehin führt das Theater seit 2500 Jahren die Virtualitätsdiskussionen der Sciene Fiction Kultur von heute.
Zarathustra 1.2., Zürich: Haben Avatare Gefühle?
DIE Diskussion kenne ich doch irgendwoher. Es gibt neben 400 ASA auch andere Theaterfreaks (...), welche mal meinten, die inzwischen auch längst wieder dem Vergessen anheimgegebene Welt des Second Life bzw. der Avatare (Stichwort: Reines Profit- bzw. Firmeninteresse von Linden Lab!) hätte irgendetwas mit Theater zu tun. Ich würde immer dagegen sprechen. Der echte, historische Nietzsche ist mir nach wie vor lieber. Denn es geht um Geschichte, und Geschichte wird von Menschen gemacht, niemals von Avataren. Haben Avatare eigentlich Gefühle?

"Vielleicht weiß ich am besten, warum der Mensch allein lacht: er allein leidet so tief, daß er das Lachen erfinden MUSSTE." (F. Nietzsche)
Zarathustra 1.2., Zürich: Antike und Gamedesign
@Inga. Second Life? Hä? Heute geht es um GTA 5 oder World of Warcraft (die von Second Life ganz viel profitieren konnten). Und ganz sicher haben die amerikanischen Gamedesigner den Sophokles und Euripides in und auswendig drauf). Sophokles Oedipus ist der Ur-Stoff aller Heldenreisen... Basisfutter für jeden Storyteller, der pseudo-Multiple Choice Stories erzählen muss (denn Oedipus ist die beste Pseudo-Multiple-Choice Geschichte des Storytellings: sein Schicksal ist vordeteminiert wie das Schicksal von Game-Charakteren). Deswegen sind diese Filme und Games aus Amerika trotz Marktinteresse eben immer so viel tierschürfender als unsere deutsche Pseudo-Tiefgründigkeit. Das traurige unserer deutschen Kultur ist, dass sie es nicht schafft, den kapitalistischen Produkten irgendetwas entgegenzustellen. Die Amis und ihr Storytelling ist einfach besser als unser aktuelles Theater - und tiefschürfender als solche - auf Marktkritik zielende Voten wie die ihre, die viel Arroganz beinhalten und Nicht-Wissen.
Zarathustra 1.2., Zürich: so viel zur Physis
der vertipper „tierschürfender“ hier von Kuchisake Onna (@7) ist ein hübsch freudscher: die mir von einem gamedesigner zugewiesene maske erzählt mir doch (fast) nichts im gegensatz zu der, die ich einem lebendigen schauspieler am liebsten direkt vom gesicht weggerissen mit nach hause nehmen möchte! soviel zur physis. es gibt ja viele szenarien. clemens mayer hat kürzlich mal einen netz-zusammenbruch visioniert: „Irgendwann sitzen wir alle in den Ruinen und singen Lieder und erzählen uns Geschichten, und das ist doch auch ganz schön.“ ein bisschen pathetisch, aber da sitzen wir dann, und nicht unsere avatare. so gott will.
Zarathustra 1.2, Zürich: Partizipationssimulation
Das ist natürlich schön gesagt von Clemens Mayer ( ist das Clemens Meyer? ): Nur, ob das nun wirklich "wir" sind - die da singen würde - und nicht unsere Avatare ist natürlich nicht ganz sicher. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es wirklich eine messbaren Unterschied gibt zwischen dem Schauspieler, der 15 Meter von mir entfernt auf der Bühne eine Maske trägt ( die ich ja nie wegzureissen wagen würde ) und der digitalen Maske des Avatars...... wenn er mir die Maske überreichen würde und ich sie auch tragen dürfte, das wäre was anderes, das wäre dann kultisch....aber so sitzenderweise in meiner Partzipationssimulation im Stadttheater.... ich sehe da nicht wirklich einen grossen Unterschied...
die Lektüre von Sophokles Oedipus zuhause im Lehnstuhl ist übrigens auch eine intimistische Erfahrung.....genau wie jene vor dem Bildschirm....ich würde auch diese intimistische Erfahrung nicht geringer schätzen als das "reale" Erlebnis im Theater.
Zarathustra 1.2, Zürich: Smartphone und Theater?
@ Kuchisake Onna: Was ist GTA 5? Eine Massenvernichtungswaffe? Und was hat World of Warcraft bzw. ein Smartphone mit dem Theaterspielen zu tun? (…) Und Ihre Sprache klingt auch schon ziemlich deformiert.
Zarathustra1.2., Zürich: Gegenwelt der Games
Es gibt keine Schönheit abseits der Deformation, liebe Inga. GTA 5 ist ein sehr wichtiges Computerspiel, das als ebenso wichtiger Input verhandelt wird wie Quentin Tarantino und Heiner Müller. Dies hinsichtlich katharsischer Effekte, sowie auch Komplexität der ermöglichten Interaktivität. GTA 5 nicht zu kennen kann man etwa gleichsetzen mit "Psycho" nicht zu kennen, oder "Die wunderbare Welt der Amelie". Ich persönlich mag GTA 5 überhaupt nicht, trotzdem nehme ich es wahr. Smartphone und Theater stehen in keinem Zusammenhang. Das hat niemand hier behauptet. Das verhandelte Theaterstück ist sogar eine explizite Offline-Erfahrung in der Natur und in Parks wie dem Rieter-Park, wo Wagners "Tristan&Isolde" entstand. Zusammenhänge gibt es zwischen den eskapistischen Gegenwelten solcher Games und den Gegenwelten Wagners. Nietzsche sprach von den "Hinterwelten", wenn er diesen Eskapismus kritisierte. Um Wagner überhaupt kritisieren zu können muss man aber genau so Wagner-Nerd gewesen sein, wie man mal Game-Nerd sein musste um Games zu kritisieren. Ihre Ignoranz gegenüber diesen Phänomenen ist aber beispielhaft. Wegen Leuten wie ihnen ist Theater kein Teil der themensetzenden Kulturwelt. GTA 5 nicht zu kennen, Himmel, öffnen sie ihre Augen! Raus aus der Kantine!
Zarathustra 1.2, Zürich: reale Wolke vs. Cloud
@ Kuchisoka Onna: Warum nennen Sie mich "liebe Inga"? Sollten Sie mich kennen, sollten Sie auch nicht zu feige sein, hier über ein offenes Visier mit mir zu kommunizieren. Mich interessieren Computerspiele einfach nicht. Das meint keine Abwertung, sondern ist ein Fakt. Und der Begriff Massenvernichtungswaffe war natürlich ironisch gemeint. Ich kenne den Diskurs um angeblich "gewaltverherrlichende" PC-Games und die Frage, ob das einen Menschen abstumpft oder im Gegenteil kathartisch reinigt von der aggressiven Energie. Allerdings frage ich mich trotzdem, was eigentlich passiert, wenn ein Mensch plötzlich nur noch in PC-Games lebt - ich kannte da mal so einen - und die Fiktion mit der Realität verwechselt. Ein realer Mensch steht nämlich bekanntlich nicht mehr so leicht auf wie ein Avatar mit mehreren Leben. Also heul nicht, sondern klär die Dinge auf. Dass Zarathustra 1.2 nun aber eine Kritik an der Verwechslung von fiktiven/virtuellen und realen Welten ist, ist klar. Eine reale Wolke ist tatsächlich weitaus schöner als jede virtuelle cloud.
Zarathustra 1.2, Zürich: Google-Glass-Transhumanisten
Sorry, das "liebe Inga" sollte nicht despektierlich gemeint sein, ich weiss nicht, wer hinter ihrem Namen steckt. Ich finde auch ganz schlimm, wenn jemand nur noch in PC-Games lebt, genauso schlimm finde ich es aber, wenn jemand nur noch in der Welt von Staatstheatern, Nachtkritik-Online-Kämpfen steckt.. das kann genauso eskapistisch und ungesund sein ( damit will ich nun nicht sagen, sie seien so eine Person ). Da steht man unter Umständen auch nicht mehr auf. Mich interessieren Computerspiele als Einzelphänomen auch nicht. Aber der Zusammenhang, die Zusammenhänge von uralten Techniken wie Bunraku ( beseeltes Holz, bei dem man sogar den Puppenspieler noch sieht ) und aktueller Puppenspieler-Diskussion bez Avataren ist schon relevant. Und eben auch Nietzsches Dramentheorie in Bezug auf heutige Verhältnisse in dieser Kunstform. Dass die Google Glass-Transhumanisten dann auch noch die ganze Zeit Nietzsche zitieren, kommt noch als passender Fakt dazu. Ich denke aber es ist kein Thema, bei dem man sich zu früh auf eine Meinung einschiessen sollte. Deshalb finde ich nach wie vor: Als theaterinteressierte Person müssen sie ja nicht "gamen", aber die Phänomene sollten sie nicht ignorieren. Nun aber Schluss mit dieser Moralhuberei von mir.
Zarathustra 1.2, Zürich: Fehler in der Matrix
@ Kuchisake Onna: Ein Puppenspieler und ein Gamer, welcher (s)einen Avatar spielt, sind Ihnen nach also als ähnlich zu betrachten? Verstehe ich ganz und gar nicht. Ausser vielleicht, dass beide - Puppe und Avatar - kein eigenes Bewusstsein haben, sondern über das Bewusstsein des Puppenspielers bzw. Gamers gesteuert werden. Und da liegt der Fehler in der Matrix. Wenn Menschen andere Menschen als Maschinen benutzen. Wo ist da dann noch - und jetzt wird's gewollt kitschig - das unendliche Bewusstsein darüber, dass alles zusammenhängt, dass wir uns für das Menschliche entscheiden können? Auch ohne Gott kann frau so denken.
Zarathustra 1.2, Zürich: gegen das Sklaventheater
Da sehen sie es. Die Theateravantgardisten, insbesondere Wsewolod Meyerhold und Gordon E. Craig erfanden anfangs des 20.Jahrhunderts - inspiriert von der Idee der Kleist'schen Marionette - das moderne Regietheater. Hier wurde - insbesondere in der Idee des Craig'schen Schiff ( Regisseur = Kapitän und Schauspieler=Matrose, der bedingungslos gehorchen muss ) die Idee des heutigen Staatstheaters erfunden. Hier ist das Material eben der Schauspielerkörper. Die Befreiung des Schauspielers aus dieser Unmündigkeit findet nun wieder statt, in der Loslösung der Schauspieler von der Idee des puppenführenden Regisseurs. Und hier ist die Aufzeichnungstechnik, inkl Motion Capturing-Verfahren, eine FreundIn der SchauspielerIn. Wir kommen dem Thema langsam näher, Inga. Nur denke ich nicht, dass wir bezüglich Regietheater die gleichen Meinung haben. Sie wirken mir eine stramme Anhängerin des Staatstheaters und der damit verbundenen Idee des Regietheaters. Ich bin eine grausame Vernichterin der Idee dieses Sklaventheaters, das - wie an der Burg zu sehen - sich nicht einmal schämt, den militärisch-industriellen Aufpasser-Komplex in sich zu integrieren. Vielleicht täusche ich mich aber auch in ihnen. Aber es "menschelt" mir bei ihnen sehr, grad in diesem gewollt-Kitschigen...
Zarathustra 1.2, Zürich: mit der Maschine verwachsen
@ Kuchisake Onna: Meyerhold ist tatsächlich out. Weil verbunden mit dem Aufkommen des Fordismus bzw. der Industrialisierung. Der Fordismus wurde damals ja tatsächlich noch als positiv betrachtet: Biomechankik = Der Körper als Maschine im Verbund mit der Erfindung von Maschinen/Robotern diente als Arbeitsinstrument und zugleich der Arbeitserleichterung. Inzwischen hat sich das aber längst ins Gegenteil verkehrt, und der - ich assoziiere und zitiere hier einfach mal wild drauflos - Maschinenwinter ist eingebrochen. Die Menschen und ihre Gesten sind mit den Maschinen verwachsen, sie gehören ihnen nicht mehr. Und auch das Produkt ihrer Arbeit gehört nicht mehr ihnen, sondern dient allein der Profitakkumulation des Kapitals.

Craig würde ich erstmal durchaus als weiterhin aktuell und wichtig betrachten, insofern er alle Bühnenmittel als gleich wichtig erachtet, sprich: Die dramatische Literatur steht nicht im Mittelpunkt einer Inszenierung, sondern es geht gleichwertig um Bewegung/Schauspiel, um die Sprache/Stück, um den Bühnenraum und Licht sowie um Rhythmus/Tanz/Musik. So ist das für mich erstmal okay. Wenn nun aber allein der/die RegisseurIn das alles konzipieren und ordnen soll - wie Craig es wollte -, anstatt es über alle am Probenprozess Beteiligten erst entstehen zu lassen, dann sehe auch ich genau darin das Problem. Ein Schauspieler als Über-Marionette des Regisseurs, einer Statue gleich, welche absolut planbar und handhabbar ist? Nein, danke! Leben ist nunmal unberechenbar. Und ausserdem, wo bleibe ich da als Mensch? Brüll, Schrei!

Aber im Ernst: Ich sehe Ihre Kritik, frage mich aber trotzdem, warum man jetzt gleich alles Regietheater in die Tonne schmeissen soll. Oder anders formuliert: Im Grunde müssten Sie dann auch die Institution des Staatstheaters gleich mit in die Tonne schmeissen. Denn dort gibt es in den meisten Fällen doch gar keine andere Möglichkeit ausser diesen regietheater-zentrierten Betrieb. Kollektive Prozesse gibt es da doch kaum (noch). Die Strukturen sind erstarrt. Warum darf ich da also nicht gewollt kitschig menscheln? Geht es Ihnen denn gut damit, dass Sie nur vernichten wollen?

Und noch eine Frage: Was genau heisst "Motion Capturing-Verfahren"?
Zarathustra 1.2, Zürich: Avatare als Vertreter I
Na, das ist doch einmal eine interessante Diskussion! – Den mit der HTW in Chur kooperierenden Truppen und Samuel Schwarz sowie Julia Stephan und nachtkritik sollte gedankt sein, dass sie ermöglicht wird! Nun sind ja Avatare keine Ersatzmenschen, sondern entweder Ersatz-Ersatzmenschen, d.h. dem Menschen so ähnlich wie möglich gemachte Roboter ODER grafische Stellvertreter von Figuren einer – gleich wie sehr der Realität angenähert - erfundenen Welt. ODER religiös sachgerecht z.B. im Hinduismus bezeichnete Götter, die als Inkarnationen herabgestiegen sind in die irdische Welt, als die wir unsere Realität mit den Sinnen durchmessen und durchleben, mithilfe des Verstandes bedenken und mit Sprache beschreiben um ein kommunikatives Gedächtnis von kollektiver Erfahrung mit Realität zu entwickeln. Das uns dazu dient uns unserer/s Selbst zu versichern. Ist doch schön. Avatare können also auf gar keinen Fall Menschen ersetzen, sondern nur Roboter als Handlungsvertreter von Menschen menschlicher aussehen lassen. Das Problem für uns und unsere Wahrnehmung ist eher, dass die Handlungsvertreter zunehmend menschlicher aussehen. Und dass wir, wenn wir vergessen, dass es nur Vertreter sind, vergessen können, selber zu handeln, weil wir denken, die machen das schon. Is nich so schön… Muss man lernen, genauer hinzugucken und nicht nur schauen, sondern auch riechen, hören, anfassen, kosten, also versuchen zu essen... (spätestens hier ist ja digital von analog ganz leicht zu unterscheiden, so eine PC-Taste als herumlaufender Avatar schmeckt echt scheiße) Alles gleichzeitig! Macht Arbeit, geb ich zu. Arbeit macht aber Spaß. Müsste nur besser oder überhaupt bezahlt werden. Geb ich auch zu. Avatare als grafische Vertreter von Figuren im Spiel einer erfundenen Welt haben nun allerdings m.E. sehr viel mit Theater und eventuell mit Ersatz-Theater zu tun! Und da könnten sich das Stadttheater und Regietheater-RegisseurInnen und Nacht-KritikerInnen eventuell wirklich bedroht fühlen durch vermeintlich herannahenden Ersatz...
Ende Teil 1 – D. Rust
Zarathustra 1.2., Zürich: Avatare als Vertreter II
Die spielbaren grafischen Vertreter wären für Kleist ein interessanter Fall, nehme ich an, würde er die heutige technische Entwicklung verfolgen können. Er müsste seine Ausführungen über das Marionettentheater nur unwesentlich ändern.
Auch für Kant wär das interessant. Sogar Hegel könnte noch seine Freude an grafischen Vertretern von Menschen haben! Ich vermute sogar, dass er selbst welche hatte, ohne sich selbst richtig darüber im Klaren gewesen zu sein, weil er vielleicht sonst seine Dialektik nicht hätte denken und schreiben können… Traurig ist, dass nicht nur grafische Vertreter mehr oder weniger menschenähnlich aussehen und bewegt werden können, sondern auch virtuelle Welten größer oder kleiner ausfallen können. In jeder Hinsicht! Für einen Kosmologen z.B. ist ja die virtuelle Welt ziemlich groß und vieldimensional heutzutage. Ein GTA 5-Player hat auch dann eine ziemlich winzige, zweidimensionale Welt (und zwar auch dann, wenn er die zwei Dimensionen so ins Bild setzt, dass die Illusion von drei Dimensionen entstehen kann!), wenn er fest davon überzeugt ist, dass die riesig ist, solange er sich die Welt eines z.B. Kosmologen nicht vorstellen kann. Das kann einem doch leidtun! Nicht leidtun hingegen müssen einem Schauspieler, die dem Regisseur folgen, der die Puppen tanzen lassen möchte. Erstens, weil ein Regisseur ein weitsichtiger und gleichzeitig spontaner, einfühlsamer und gleichzeitig streng Prioritäten setzender, fantasie- und gleichzeitig verstandesbegabter Organisator eines mehrdimensionalen Bühnengeschehens ist und gewiss nicht lange einer bliebe, wenn es ihm nur darum ginge, Schauspieler wie Puppen oder Sklaven zu behandeln. Zweitens, weil der Schauspielberuf ein Beruf ist, den man sich berufen fühlen kann sich schwer zu erarbeiten und auszuüben und weil man, wenn man das fühlt undoder tut, um die Regiefunktion und ihre Wichtigkeit für die professionelle Inszenierung einer dreidimensionierten Welt in der Handlungen, Figuren und Gefühle als Handlungsmotive als real möglich dargestellt werden, weiß. Ebenso weiß, wie um die eigenen notwendigen, immer wieder neu durch den eigenen Körper mit einschließlich allem was in ihm ist, ins Schauspiel einzubringenden Qualitäten. Da kann dann von Sklaverei keine Rede sein.
Ende Teil 2 – D. Rust
Zarathustra 1.2, Zürich: Avatare als Vertreter III
Das Verdienst der besprochenen Inszenierung ist also, dass es den Mangel einer virtuellen Computerwelt mit Avataren als grafischen Vertretern erweitert um eine Verlebendigung durch die Schaffung einer weiteren Raum-Dimension für den Spiel-Inhalt zum einen und die Darstellung/Versinnbildlichung eines grafischen Menschen-Vertreters durch einen dazu berufenen Menschen. Das wäre also normalerweise ein Lehrstück von computergame-affinen rechner-gestützten Nerds, die nicht mehr so unter sich bleiben wollen, weil sie sich sonst ganz menschlich irgendwie auf Dauer einsam fühlen. Extra gemacht für computergame-abgetörnte Theaterspiel-Fans, die manchmal interessante Sachen sagen und schreiben, weil sie irgendwie mehrdimensionierter angelegt und denk-trainiert sind und man sich deshalb mit ihnen auch als Nerd manchmal besser unterhalten kann als mit errechneten Bild-Avataren. So lernt jeder von jedem und lange war es vielleicht nicht so interessant in diesem Forum. Samuel Schwarz und die Seinen wird es freuen und solange es keiner richtig merkt, haben sie Zeit, einen Harry Potter-Effekt auf dem Theater zu installieren. Unterhaltsame Endlosschleife: erst Zarathdingsda, dann die Gefährten, Zarathustra Begins u.s.w. Mit dem Inhalt muss man sich natürlich eher religionswissenschaftlich befassen, vielleicht lernt man dann Nietzsche neu undoder besser verstehen. Das könnte ein Gewinn sein. Für alle und jeden. Religion aus der Avatar-Perspektive betrachtet wäre ja auch ganz lehrreich. Da wäre dann Jesus Christus z.B. der Avatar seines Vaters des Heiligen Geistes… Vielleicht liest sich ja ein Religionswissenschaftler hier rein und guckt sich das an, um was Ordentliches darüber zu sagen… Danke jedenfalls für den anregenden Streit –
Ende - D.Rust
Zarathustra, Zürich: Nerd-Performance
@ D. Rust: Oh, Gott. Geht's Ihnen gut? "Jesus Christus als der Avatar seines Vaters, des Heiligen Geistes"? Wie soll ich mir das vorstellen? Übrigens, etwas kürzer, präziser und weniger in der Nerd-Sprache formuliert, würde ihr Text mehr zum wechselseitigen Verständnis beitragen. Auch im Hinblick darauf, was Ihr Text jetzt nochmal mit der Inszenierung von Samuel Schwarz und Julian Grünthal zu tun hat. Genau das empfinde ich nämlich immer als so schade bei diesen "Nerd-Performances". Wenn sie nur noch Nerds ansprechen (sollen?). Die Rezension der Nachtkritikerin liest sich da viel besser.
Zarathustra 1.2, Zürich: Zeitgenossen von Nerds
Inga: Danke der Nachfrage, mir geht es ganz ausgezeichnet...
1. Sie sollen sich das nicht vorstellen, Sie dürfen sich das vorstellen. Und zwar genauso: z.B. - bitte das "z.B." nicht als überflüssig betrachten - JCh als in die irdische Welt herabgestiegene Inkarnation eines Vaters, der aus nix als Geist besteht, weshalb wir sowas Phänomenologisches mit menschlich leichtem Sinn als heilig benamsen. Is doch ganz einfach. Kann man durch die allermeisten Religionen durchspielen, als Denk-Spiel. Auch durch den Zoroastrismus, dessen Prophet Zaratusthra war...
2. Die von Ihnen so genannten Nerd-Performances sollen aus meiner Sicht gar nicht explizit Nerds ansprechen, sondern zahlendes Publikum. Sie bedienen sich eher der nahezu unkaputtbaren Wiederaufnahme-Serien-Idee als der Inhalte aus Computerspielen, um bezahlte Theaterarbeit zu sichern. Sie holen sich Nerds dafür zu Hilfe, um digital erstellte, virtuelle Wirklichkeit in analoge Wirklichkeit zu übersetzen, was ja durchaus ein ehrbares dramaturgisches Anliegen ist. Und die so genannten Nerds nehmen das gern an, so nehme ich an, dabei zu helfen, weil man Bildschirm-Avatare nicht essen kann z.B. Jedenfalls nicht so, dass es schmeckt. Das sollte man als Zeitgenosse von Nerds vielleicht verstehen: um verdienter Nerd zu werden, muss man ziemlich lange und besessen, beseelt von AI (Artifizielle Intelligenz) und seinen Möglichkeiten, ziemlich allein vor sich hinarbeiten. Wenn man es endlich geschafft hat, verdienter Nerd zu sein, kann man sich in aller Regel nur noch mit ähnlich Ausgebildeten verständigen und muss sich außerdem pausenlos weiterbilden. Man kann also die Nerds ignorieren und ihre Sprache oder ihr Inselwissen verachten oder sich in ihre Arbeit respektvoll und arbeitsreich hineindenken, ohne deshalb selbst ein AI-Nerd zu werden oder in Nerd-Sprache zu verfallen. Mich würde - aus sprachwissenschaftlicher Sicht - interessieren, was genau Sie an meinem Text in Nerd-Sprache verfasst fanden. Die geht ja eigentlich mathematisch und ich habe mich doch hoffentlich in Worten ausgedrückt und es sogar extra meine Sekretärin schreiben lassen, weil mir die Sache aus dramaturgischer Sicht wichtig scheint. Bei meiner Sekretärin muss ich nur wenige Fehler dulden, während ich bei mir weniger wichtigen Inhalten selbst tippe und mir Fehler erlaube. Das ist das Einzige, was ich mir von der Nerd-Notschrift-Sprache als vorbildlich für meine Fach-Kommunikation abgeschaut habe.
3. Das sollte aus meiner Sicht auch so sein, dass sich eine Rezension besser liest, als Kommentare dazu. Sonst könnten die Nachtkritiker ja einpacken. - D.Rust
Zarathustra, Zürich: Jesus-like
@ D. Rust: Okay, dann hab ich noch eine Frage: Ist der Geist jetzt männlich oder weiblich? Ansonsten kann ich leider nichts anfangen mit Ihrem komischen Jesus Christus-Quatsch. Ich kann es aber psychologisch verstehen. Wo es keinen Vater aus Fleisch und Blut gibt, kriegt Jesus ne Krise. Weil er nach Autoritäten sucht und sie nicht findet? Der autoritäre Charakter nach Adorno? Nee nee nee, das ist aber nun wirklich nicht jesus-like.

Mein Problem mit Ihrer Sprachwahl ist eher, dass ich mir darunter oft nichts bzw. nichts Reales vorstellen kann. Was z.B. meinen Sie damit, dass die Nerd-Sprache "mathematisch" geht? Sprache ohne Referenten? Nach Wittgenstein: "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache"?
Zarathustra 1.2, Zürich: Jesus und Nerds
JessesMaria-Was ist Geist?
Inga: Ich bin sehr irritiert. Warum müssen Sie wissen, ob Geist männlich oder weiblich ist? Das ist wie mit der PC-Taste, die man versuchen kann zu essen, wenn man Avatare auf dem Bildschirm nicht mehr von Menschen-Vertretern unterscheiden kann und deshalb Angst bekommt vor ihnen. Weil es sie nun einmal inzwischen als grafische Menschen-Vertreter, sehr ähnlich den Marionetten, gibt. Bis in das Theater als Kulturtempel hinein! Wie z.B. in der oben besprochenen Inszenierung. Wenn man also Angst vor existierendem Geist hat, weil man ihn weder als männlich noch weiblich klassifizieren kann, hilft auch hier verlässlich der Gebrauch der Sinne: Geist ist da. Okay. Kann man ihn f…? – Na also. Eindeutig Geist und nich Fleisch. Jesus hat garantiert keine Krise bekommen, weil er mit Josef als Stief nicht so viel anfangen konnte und sich deshalb lieber ... ach, ich hab irgendwie keine Lust, das mit Ihnen zu erörtern. Die Krise mit Jesus gewaltfreier, selbst gemachter Vater-Befreiung haben jedenfalls eher seine Zeitgenossen bekommen. Weshalb sie ihn sogar gekillt haben –
Zum Nerd-Begriff: sehr wahrscheinlich verstehen Sie und ich nicht das gleiche unter dem Begriff Nerd. Da hilft auch Wittgenstein nicht und Adorno schon gar nicht. Und es gibt selbstverständlich Referenten der mathematischen Sprache, die eine Formelsprache ist, die aber leider nur von dieser Sprache mächtigen Zuhörern/Zuschauern verstanden werden kann. Mehr oder weniger gut. So wie auch die Notensprache ihre Referenten hat, die erfreulicherweise universal verstanden werden können. Auch wenn mal mehr, mal weniger erfreut. Ich persönlich mag es – aus dramaturgischen und literaturwissenschaftlichen und philosophischen Gründen – nicht, wenn die Verfechter der schönen Kulturtechnik des Rechnens, zu denen die vermeintlichen Nerds gehören, unsinnig den Verfechtern der schönen Kulturtechnik des Lesens, wozu u.a. die Theaterliebhaber gehören, einander mit gegenseitiger Verachtung begegnen. Ich sage dann, ganz einfach – hoffentlich auch Inga-like - gesprochen: Freunde, nicht diese Töne…
Ende Teil I:
Zarathustra 1.2, Zürich: nicht der Aufregung wert
Erinnert euch der schönen Kulturtechnik des Denkens! Vor allem des Selberdenkens! Ihr GTA5-Nerds braucht euch nix einbilden auf eure menschenähnlichen Avatare und auch nicht auf die aller- allerschönsten produzierten Texte oder hochgeladenen Bilder oder sonstwas, weil das alles alles nur errechnet ist von Programmier-Programmierern, die euch die nette IIlusion verschaffen, dass Text und Bild ohne Denken, nur so mit Gefühl fürs Schöne und Unterhaltsame, geht. Und ihr Theater-Nerds braucht euch auf eure Belegstellenhudelei und dieses weinerliche zahnlose Kultur-und Kunstspaziergängertum mit selbstgewissem bildungsbürgerlichen Impetus auch nichts einbilden, solange ihr nicht mal denken könnt, dass auch der menschlichste PC-Ersatzmensch nur gerechnet ist und das alles deshalb nicht der Aufregung wert ist. Weil die ablenkt vom effektiven Handeln in Theater und Gesellschaft in unserer Zeit. Durch Kultur- und Kunst-Ausgänge in diese vorhandene Landschaft hat noch keiner seine Einsamkeit nachhaltig beseitigt, weshalb man sich mit derartigen Empfehlungen – ich las, man empfahl Ihnen solche Rausgänge - besser zurückhält. Und radikale selbsternannte Staatstheater-Vernichterinnen sind ebenfalls nicht besonders konstruktiv, weil – alle Philosophie beginnt mit der Kritik der Sprache – man ein Staatstheater logisch nicht vernichten kann, ohne den Staat zu vernichten. Ohne den es dann aber auch kein Staatstheater mehr gäbe. Ein Dilemma auf das der Text von Ostermeier „Zur Zukunft des Theaters“ verweist mit gewiss gewissen Schwächen aber dafür mit absolut sicherem Gespür für die Problemlage des aktuellen Theaters zumindest in Deutschland. Es gäbe übrigens ohne den Staat und sein Staatstheater auch kein Freies Theater. Weil Freiheit in Beliebigkeit nicht sichtbar gemacht werden kann und es sich selbst nicht bemerken könnte. Weder sich noch die Utopie der Freiheit. Es wird also aus dramaturgischer Sicht dem Staatstheater hier und heute nichts anderes übrig bleiben, als sich sehr eingehend mit der fünften Schwierigkeit beim Zeigen der Wahrheit zu befassen. Da Sie ja sehr belesen sind, Inga, werden Sie diese Anspielung gewiss verstehen.
Ende – D.Rust
Zarathustra, Zürich: Angst sells?
@ D.Rust: Sie schreiben: "wenn man Avatare auf dem Bildschirm nicht mehr von Menschen-Vertretern unterscheiden kann und deshalb Angst bekommt vor ihnen". Hä?! Warum soll ich vor so hässlichen, künstlich/künstlerisch produzierten Avataren denn jetzt Angst bekommen? Haben Sie sich das ausgedacht? Vielleicht geht es ja um ganz andere Fragen als um Angst. Ich würde sogar sagen, es geht immer um ganz andere Fragen als um Angst. Denn "Angst SELLS", das sollte uns zu denken geben. Vielleicht sollten wir aber auch wirklich offen miteinander reden. Anstatt wie hier nur über eine PC-Maske.

Es war eine ironische Frage, und das nervt mich irgendwann auch mal, diese permanente Ironie, aber es war trotzdem eine ironische Frage, ob Geist männlich oder weiblich ist. Weil gemeinhin davon ausgegangen wird, der heilige Geist sei männlich und inkarniere sich im Papst. Voll daneben. Denn wenn überhaupt, dann inkarniert er sich in JEDEM Menschen, und zwar über seine Hände/Hand-lungen.

Und wenn's Ihnen hier nur ums F..... geht, dann haben Sie offenbar nur sehr wenig Geist bzw. nichts verstanden. Oder Sie sind "sexsüchtig" (eine Werbung der Schaubühne im Übrigen, und keiner weiss, warum). Belesen oder nicht belesen, ich will mit Ihnen gemeinsam die Dinge klären. Und wenn Sie sich dem entziehen, dann sind Sie genauso nichts weiter als ein armer, einsamer Repräsentant der Macht wie Ostermeier. Was ist denn jetzt bitte das "deutsche Staatstheater"? Muss es, wenn es vom Staat finanziert wird, schon ein williger Repräsentant desselben sein? Gibt es überhaupt "die deutsche Kultur"? Warum denken wir einen Menschen immer gleich im Begriff von Staaten? Dieser Staat repräsentiert uns Menschen doch sowieso schon längst nicht mehr! Und wenn dann auch noch das Theater zum Repräsentanten des Staates wird, na dann gute Nacht für die Freiheit der Kunst. Für Bewegung in den Häusern, für flüssige Hierarchien anstatt frontaler Belehrung! Entschult die Schulen wie die Theater! Bildung für alle!
Zarathustra, Zürich: mehr Diversität
@ D.Rust, Ich möchte keineswegs die "Vernichtung des Staatstheaters", im Gegenteil, das wäre ja furchtbar. Aber die "Vernichtung" des Craigschen Theatermodells, das den Vergleich von Schiffskapitän und ( explizit uninformiert zu lassenden ) Matrosen-Schauspielern vorsieht. Dieses Modell sehe ich als Vorbild wirksam im deutschen Stadttheater-System. Ein Staatstheater mit expliziterem Forschungsauftrag, das wäre zeitgemässer für mich. Die Erforschung von Schauspieltechnik von Avataren gehörte dazu, die Gemeinkeiten von Bunraku und digital animierten Wesen mit oder ohne Motion Capturin

@inga: Motion Capturing ist ein Verfahren, wie man Bewegungen eines Schauspielers scannt und im digitalen Raum reproduzieren kann. Mit der Weiterentwicklung der Hologramm-Technik werden wir sicher auch im Theater bald intensiviert damit konfrontiert werden

@inga. Problematisch finde ich an den Staatstheatern schon die oft sehr einheitliche ideologische Prägung die durch die konformen Aufbau-Strukturen sich an jedem Staatstheater gleichen. Es braucht mehr Diversität, sonst droht der Totalitarismus an diesen Staatstheatern. Totalitarismus der einen einseitigen Theaterbegriff prägt
Zarathustra 1.2, Zürich: Menschen sind keine Maschinen
Kuchisoka Onna: Hi – danke für die Versachlichung. MC interessiert mich für Adaption in Schauspielarbeit, seit Andy Serkis den Golom im Film gemacht hat, weil ich das Glück hatte, ihn Jahre zuvor beim Proben zu erleben und dessen außerordentliche Qualitäten im Theater-Schauspiel kennengelernt habe. Es gibt zu MC gute Arbeiten inzwischen im Bereich der Filmwissenschaften, von denen die Theaterwissenschaft lernen könnte. Ich versuche die Bewegung in die Dramatik und damit in Schauspiel hineinzudenken. Seit Jahren. Kapiert aber keiner.
Ich glaube, man muss sich über Craig und seinen Vergleich nicht aufregen, weil sich seine Schiffe und die Matrosen, die Sie so verärgern, ja auch geändert haben inzwischen. Möglich, dass das Theater das weiß und deshalb Craig in das Bewusstsein seiner eigenen Geschichte integriert hat, ohne das nach außen genügend deutlich zu machen. Theater ist ein Ort der Praxis und kann es nur sein. Der wichtigste praktische Arbeitsvorgang ist nun einmal das Probieren. Bis in die Probe hinein. Menschen sind nun einmal keine Maschinen. Auch nicht die im Staatstheater tätigen. Sie könn(t)en Avatare darstellen, sind aber keine. Sie haben unterschiedliche Bildung und individuelle künstlerische Präferenzen. Sie werden oft gehindert, ihren künstlerischen Instinkten zu folgen. Von den Staatsstrukturen. Die bis ins Theater hineinragen. Ich erwähnte die Schaubühne, weil sie innerhalb des deutschen Theaterbetrieb das Theater ist, welches eine um Filmwissenschaft bemühte geschulte Dramaturgie verfügt und in dessen Gedächtnis eine andere Arbeitsstruktur beheimatet ist als im Rest des deutschen Staatstheaters. Dass die Struktur verloren gegangen ist, ist nicht Ostermeiers schuld, denke ich. Dass sie so spät verloren gegangen ist, sein Verdienst. Gedächtnis ist unkaputtbar. Es geht immer irgendwo hin… Das macht die Weiterbildung am Theater zäh. Man bildet sich weiter am Neuen, wenn man neugierig auf seine Zeit und den Moment sein kann. Man kann aber nicht neugierig sein auf den Moment, wenn man seine Geschichte nicht verinnerlicht hat und beherrscht. Das gilt für jedes Fach und auch für fachübergreifende Trans- und Interdisziplinarität. Was neu ist und mit den vorhandenen ästhetischen Kategorien beschrieben werden kann, ist nicht aber neu, sondern parasitär. Eigentlich müsste also aussortiert werden, was im Theater mit dem vorhandenen dramaturgischen, philosophischen, theater- und literaturwissenschaftlichen Instrumentarium beschrieben werden kann, wenn man auf der Höhe der Zeit bleiben bzw. ankommen möchte. Ich rede vom deutschen Theater, weil ich mir nicht anmaßen würde, von anderen Staaten als Deutschland ein anderes deutsches Staatstheater einzufordern.
Inga: das Problem ist, dass ich immer ohne Maske und zwar unterschiedliche Medien möglichst kreativ nutzend, mich öffentlich verständlich zu machen suche. Und dass ich aber der Verständigung mit Ihnen persönlich mich entziehe ab sofort und es mir völlig egal ist, ob Sie mich deshalb für geistlos, sexsüchtig, für eine Schaubühnen-Werbung oder einen armen, einsamen Repräsentanten eines Theaters halten, das keine, zumindest nicht Ihre persönliche, Ironie versteht. Weil ich glaube, dass Sie mit mir allein gar nichts klären können und ich deshalb mit Ihnen persönlich irgendetwas zu klären gar keine Lust habe. Vielleicht sollten sie eine Partei gründen. - D. Rust
Zarathustra 1.2, Zürich: Negativ-Effekt des Netzes
Das mit der Schaubühne hat was. Die echte und tiefe Auseinandersetzung mit Meyerhold noch in der internetlosen Barackenzeit grundierte ein tieferes Interesse an den wirklichen Bedingungen des Mediums Theaters - und löste damals bei mir ein wichtiges Gefühl der "Fremdheit" aus, wenn man diese Truppe besuchte. Das wirkte lange lange nach und immer noch ist die Schaubühne - nebst der Volksbühne - das einzige Theater, das wirklich regelmässig wirklich relevante Beiträge liefert, die auch in die anderen Künste hineinstrahlen.....Ob diese Schaubühnen-Magie nun ganz verblasst ist, weiss ich nicht mal. Die Texte von Ostermeier zumindest sind immer noch inspirierend.... ich bin gespannt, ob es bald mal eine junge Truppe geben wird, die in einem wieder dieses Gefühl der "Fremdheit" auszulösen vermag wie damals die Ostermeier-Truppe. Vielleicht hat dieses anscheinende Gefühl aber auch mit Nostalgie zu tun, weil man damals noch jünger war.... und offener für das "Fremde".. und natürlich: Damals gab es noch kein Internet, das sofort jeden Impuls dieser Stadttheater in alle anderen hineinkommuniziert und gleich Klone entstehen lässt von jeder guten, lebendigen, fremden Idee. Die Theaterszene ist in den letzten 20 Jahren eher zum mentalen Dorf geschrumpft als grösser geworden, auch so ein Negativ-Effekt, den das Netz haben kann... wir besuchen mittlerweile überall das gleiche Staatstheater mit dem gleichen "Sprech" und den gleichen Vorlieben für diese bescheuerte Ironie.
Zarathustra 1.2., Zürich: weit vom Bild weg
Kuchisoka Onna: Ja, interessanter Gedanke! - das Internet als Provinzialisierungsbeschleuniger! von interdisziplinär agierenden Fachbereichen. (Das trifft meiner Erfahrung nach auch in den Wissenschaften zu, nicht nur im Theater.) Die Baracke fand ich damals gut, weil sie einem jungen Team eine Chance an einem Staatstheater gegeben hat, kenne aber nur die MesserinHennen-Inszenierung und da hatte mich das vermittelte Frauen-Bild gerührt und genervt. Das ist aber eine ost-west-deutsche Frage… Ich sehe Theater anders als andere. Ich besuche keine Inszenierungen und war seit ungefähr 12 Jahren nicht mehr in einem Theater. Weil ich dem Theater unbezahlt so viel gegeben habe, dass es mich und meine Hingabe überstrapaziert hat und ich deshalb seit Ende der Neunziger nicht einmal mehr in eine Busfahrt investieren oder auch nur in Vorkasse gehen würde, um zu einem zu gelangen… Der zweite Grund ist eben der Staat und die Erfahrung im Betrachten von Bildern: wenn ich Bilder beurteilen und genießen will, muss ich dicht rangehen, um Farbzusammensetzung, Auftragsandruck, Farbdichte und –dicke, Richtungswechsel des Farbauftrag usw. zu sehen. Ich seh dann Handschrift. Wenn ich sehen will, was ein konkretes Theater für ein Bild von Staat und Gesellschaft gibt, lese ich Kritiken wie Debatten und beobachte die kulturpolitischen Machtkämpfe und aus der Ferne Entwicklungen einzelner Regiehandschriften. Wenn man sehen will – und das will ich, weil ich das für meine Arbeit brauche – was DAS Theater eines Staates für ein Bild von Staat und Gesellschaft, also auch das Menschenbild, produziert, muss man weit weg gehen von dem Bild. Die Bilder sind ja sehr groß. Noch größer ist das Staats-Bild vom Theater als solchem. Und dann muss man sehr weit weggehen. So weit, dass es ziemlich wehtut, wenn man Theater liebt.
Was mir über die Geschichte der Schaubühne hinaus an ihr gefällt, ist folgendes: Sie ist nicht abgeschlossen. Sie bringt in die Gesellschaft eine NEUE Debatte, nicht das Wissen oder die Überzeugung davon, sondern die Debatte!, die man einkürzen könnte auf die Frage: Kann man Gefühle konsumieren oder nicht. Damit ist sie aus meiner Sicht im Moment das einzige auf Zeithöhe suchende, debattenrelevante Theater überhaupt in Deutschland. Das wird damit zu tun haben, dass der konkrete Regisseur Ostermeier das Haus führt. Das Haus hat Mut zur Unschärfe im Diskurs, da ist eine Suchbewegung drin. Und Ostermeier ist ein unabgeschlossener Regisseur. Immer erkennbar und offen unvollendet gehalten gleichzeitig. Da ist immer die Anstrengung des Augenblicks vor dem Absprung. (hier benutze ich ein Jelinek-Bild für eine bestimmte Grundspannung, aus einem Schriftverkehr über Schreiben) Während andere Regisseure und mittlerweile auch viele sehr gute Regisseurinnen daran arbeiten, immer schneller erkennbar zu sein um zu gefallen und Feuilleton-Unterstützung für die Theater-Kasse einzufahren. Das ist auch okay. Aber ich persönlich will so nicht arbeiten im Schauspiel. Pollesch interessiert mich nicht in seiner Endlosduplizierung seiner einmalig inszenierten Originalität. Castorf hätte durch ein langes, originäres Künstlerleben mehr als verdient, sich noch einmal ändern und ein Alterswerk entwickeln zu dürfen, dass seiner künstlerischen Intelligenz und menschlichen Leidenschaft entspricht. Es ist ihm nicht gestattet von den Strukturen, die sind wie sie sind. Er wählt aber als Intendant gute Platzhalter. Andrea Breth ergeht sich in Sprachpflege und ekelt sich vor der Alltagssprache der Zeit, in der doch alle Bewegungen sich immer zuerst abspielen. Das ist instinktlos und reaktionär. Usw. usw. – ich muss an meine Arbeit und möchte keine weiteren Beispiele geben. Nur eins noch – dem Theater Zürich haben wir wohl jetzt nicht nur unsere kleine Nerd- und Marionettentheater-Randdebatte zu verdanken, sondern endlich auch diese über eine fachlich und sachlich sinnvolle Theaterkritik und die wirklich sinnvolle, ästhetisch fordernde und fördernde Kritik der Kritiker unter Zürich: Physiker.- Ich danke Ihnen für das Gespräch, Kuchisoka Onna – D.Rust
Zarathustra 1.2, Zürich: Verantwortung, nicht Schuld
@ D.Rust: Sie schreiben: "Dass die Struktur verloren gegangen ist, ist nicht Ostermeiers schuld, denke ich. Dass sie so spät verloren gegangen ist, sein Verdienst." Es geht doch gar nicht um Schuld, schon gar nicht in dieser Performance von Samuel Schwarz. Die klingt nicht nach dem Schuld-Diskurs. Sondern es geht um Verantwortung. Der moralische Diskurs bringt uns nicht weiter. Es geht nicht um den Ursprung der Moral, sondern um die Genealogie der Moral. Und weiterdenken. Es geht auch nicht um noch eine neue Partei, sondern immer und zuallererst um das Zwischen-den-Menschen. Warum bzw. inwiefern muss es dann weh tun, wenn man Theater liebt? Aus Leid & Schmerz lernen? Genau das ist doch so widerlich und menschenfeindlich!
Zarathustra 1.2, Zürich: Wer lernen will, kann lernen
Inga: Okay, ich will‘s nochmal mit Ihnen versuchen… Wieso aus Leid und Schmerz lernen? Ich sagte: es tut weh – mit Schmerz also, nicht aus ihm. Obwohl man auch das kann. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die aus Schmerzen gelernt haben, was Leben und Liebe ist. Von ihnen hab ich gelernt: Wenn man den Schmerz akzeptiert, hält sich das Leiden an ihm in Grenzen und: Arbeit lenkt ja auch ab und zeitigt tröstliche Ergebnisse. Ich verstehe immer Ihren Eifer nicht, Inga – egal in welchem Thread: Bildung für alle is ja zu haben. Alles da: Bibliotheken, andere Menschen von denen man lernen kann, Natur, wenn auch in Resten… Manche kostet Bildung nur mehr als andere. Hat aber noch keiner gelernt, nur weil sich andere in nahezu sektiererischem Eifer einsetzen dafür, dass er das darf. Und ist auch noch keiner doof geblieben, der unter allen Umständen lernen wollte. Ich habe übrigens viele Menschen kennengelernt, die super gebildet und sehr intelligent waren und dabei gleichzeitig strohdumm. Das Gute: ich habe auch sehr viele Menschen kennengelernt, die nicht sehr gebildet waren und nie eine Belegstelle im vollen Munde führten, weil für sie immer erst das Fressen und dann die Moral kam. Von denen hab ich irgendwie immer am meisten gelernt. Und von Sterbenden und Toten. Ach ja, und von Kindern. Auch und gerade das Zwischen-den-Menschen. Alles andere kann man ja selber nachsehen. Wenn Sie auf Verantwortung statt Schuld bestehen: gut, Ostermeier trägt von mir aus, wenn es Ihnen lieber ist, nicht die Verantwortung dafür, dass die Strukturen usw. w.o. Tut mir total leid, wenn ich Ihnen so widerlich und menschenfeindlich bin oder wenn meine Ansichten Ihnen so widerlich und menschenfeindlich sind. Sind ja wirklich keine schönen Gefühle für eine Ästhetin, Ekel und so. Ich hoffe, Sie leiden nicht zu sehr unter ihnen… Ich hoffe, Sie finden keinen Fehler im Text wie das Haar in der Suppe, meine Sekretärin – leider, hat heute früh Feierabend gemacht - D. Rust
Zarathustra 1.2, Zürich: Liebe, Bildung, Moral
@ D.Rust: Sie schreiben: "Ich habe viele Menschen kennengelernt, die aus Schmerzen gelernt haben, was Leben und Liebe ist." Das ist doch Quatsch. Oder besser frage ich Sie: Heisst das im Umkehrschluss dann auch, dass man Menschen benutzen/instrumentalisieren/manipulieren darf, nur damit sie lernen, was Leben und Liebe ist? Das können Sie sonstwem erzählen, wenn Sie wollen, aber mir bitte nicht. Ich bin nämlich keine christliche Masochistin.

Zum Thema Bildung. Sie schreiben: "Hat aber noch keiner gelernt, nur weil sich andere in nahezu sektiererischem Eifer einsetzen dafür, dass er das darf." Ich empfinde die Forderung der Bildung für alle nicht sektiererisch. Im Gegenteil, es geht mir allein darum, dass wir nicht auf politische "Experten" vertrauen, sondern uns vielmehr bilden sollten, um selbst zu Experten werden.

Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral? An sowas glaub ich ja gar nicht. Setzen Sie das mal einem Finanzmanager vor, da wird gefressen und nach dem Dax gegiert ohne Ende, aber die Moral, besser: die Ethik des Gemeinsamen bleibt aus. Sprich: Es reicht nicht, Menschen nur etwas zum Essen zu geben, sondern es geht auch darum, gemeinsam mit Ihnen für eine Veränderung der Verhältnisse hin zu mehr Demokratie von unten zu kämpfen.

Übrigens, ich bin sicher keine Ästhetin im Kierkegaardschen Sinne. Ich ekele mich auch nicht vor dem Hässlichen, was allein die Bedingung der Möglichkeit der Wahrnehmung des Schönen ist. Und Ihre Sekretärin interessiert mich nicht als Fehlersuchtippse, sondern als Mensch. Hierarchien abbauen und stattdessen horizontal, plural und prozessorientiert arbeiten, auch das wäre ein Aspekt hin zum Prinzip des Gemeinsamen.

Das mit den Belegstellen verstehe ich nicht. Ich führe keine Belegstelle "im vollen Mund" (wie kommen Sie eigentlich darauf?), nur um darüber mit meinem Wissen zu prahlen. Sondern es geht doch vielmehr darum, dass ich mir etwas, das ich gelesen habe, aneigne, weil es meinem eigenen Denken und meinen eigenen Überzeugungen entspricht. Und dann muss ich das meines Erachtens auch nicht mehr unbedingt alles belegen.
Zarathustra 1.2, Zürich: Schmerzen, Kaugummi, Sekretärin
Inga: Genau: Besser. Sie fragen besser nach dem Umkehrschluss. Und meine Antwort ist: Nein, heißt es meiner Ansicht nach nicht. Aber es ist dies eine Frage, die ich sehr gern provoziere. Dafür gibt es Zeugen. In der Tat sollte sich die Moralphilosophie heute und hier damit beschäftigen, ob es menschenwürdig ist, Menschen absichtlich in schmerzhafte Lagen zu bringen unter dem Vorwand, sie könnten daraus lernen. Wenn nein, warum konkret nicht. Wenn ja, unter welchen konkreten Bedingungen. Das ist auch eine theaterwissenschaftlich relevante Frage. Auch eine wichtige Frage in der Psychotherapie z.B. Es geht natürlich bei den vielen Menschen, die ich ansprach und von denen ich gelernt habe, ohne dass ich mir das als exemplarische Schule aussuchen konnte, um Schmerzen die niemand herbeigeführt hat und schon gar nicht absichtlich. Woher nehmen Sie das aus meinen Worten?
Wir sind freie Menschen, denke ich. Deshalb scheint mir die Forderung nach Bildung für alle unsinnig. Mit diesem mir fanatisch vorkommenden Impetus noch unsinniger. Auch egoistisch. Der Mensch ist frei zu lernen. Und auch frei, nicht lernen zu wollen. Bildung ist nicht immer Garant für Befriedung von Gesellschaft. Es sind große Verbrechen von sehr gebildeten Menschen verübt worden in der Geschichte der Menschheit.
Ach, die Finanzer – ich stell mir die allenfalls kaugummikauend vor, wenn die richtig was essen, müssen sie vom Rechner, schon wieder Kohle weg – vielleicht würden die aber wenigstens überlegen, wie sie aus dem, wie ich finde sehr weisen, Brecht-Song einen Nutzen ziehen können, jedenfalls die Finanzmanager, die ich persönlich kennengelernt habe, das macht sie mir sympathisch – das Problem ist: Proletariate müssen sich selber helfen. Auch das Unten, das heute die Proletariate ersetzt. Es gibt keine Revolution von oben. Immer wenn die Revolutionsführer von oben kamen, sind die Revolutionen gescheitert. Ich weiß auch nicht, wie Sie das mit der gemeinschaftlichen Arbeit am besseren Leben für alle bewerkstelligen wollen, wenn Sie schon konkrete Menschen beleidigen müssen, bloß weil die aus Schmerzen gelernt haben, was Leben und Liebe ist und einem konkreten und auch anderen konkreten Menschen davon erzählt haben oder die diese Menschen bei ihrem Lernen aus ihren Schmerzen beobachten konnten. Oder mussten. Oder die Ehre hatten, es zu dürfen. Ich hab ja den Verdacht allmählich, dass der Mensch für Sie was ganz Tolles, Bewahrenswertes und Beschützenswertes ist, aber Menschen, wenn sie konkret werden, ihrem Menschenbild irgendwie nicht so in den Kram passen.
Meine Sekretärin glaubt Ihnen auch nicht, dass Sie sich für Sie als Mensch interessieren, denn sie liebt mich, meistens jedenfalls, und tippt gern für mich und ich liebe sie auch, weil sie ein unglaublich unverschämtes Lächeln hinlegt, wenn Sie mir meine Fehler findet und sich freut, dass sie sie mir unter die Nase reiben kann. Dann haben wir immer was zu lachen.- D. Rust
Zarathustra, Zürich: Prinzip des Gemeinsamen
@ D.Rust: Sie schreiben: "Wir sind freie Menschen, denke ich. Deshalb scheint mir die Forderung nach Bildung für alle unsinnig. Mit diesem mir fanatisch vorkommenden Impetus noch unsinniger. Auch egoistisch." Das verstehe ich gar nicht. Wenn wir freie Menschen sind, dann sind wir vor allem frei, uns selbst zu bilden. Wir können nicht in den Zustand der Unschuld zurück, auch wenn sich so manch einer das wohl wünscht, um von der Veränderung der Verhältnisse abzulenken.

Und was meinen Sie mit "wenn Sie schon konkrete Menschen beleidigen müssen, bloß weil die aus Schmerzen gelernt haben, was Leben und Liebe ist und einem konkreten und auch anderen konkreten Menschen davon erzählt haben oder die diese Menschen bei ihrem Lernen aus ihren Schmerzen beobachten konnten. Oder mussten. Oder die Ehre hatten, es zu dürfen." Wenn Sie hier nicht auch mal konkret werden, dann kommen wir nicht weiter. Tja. Genau das meine ich mit dem Prinzip des Gemeinsamen.
Zarathustra 1.2, Zürich: Selbstbildung, Brecht, Haltung
Inga: Sie brauchen nicht immer zu wiederholen, was ich schrieb, ich weiß ja was ich geschrieben habe. Ja, wir sind so frei, uns bilden oder nicht bilden zu wollen. Wobei letzteres eigentlich nicht geht, weiß aber nicht jeder. Wir sind nicht vor allem frei, uns selbst zu bilden, sondern selbstverständlich bilden wir selbst uns nur selbst, wenn wir uns bilden. Weil das Hirn so funktioniert. Lehrer z.B. können lehren, bilden tun sich die Lernenden aber selbst. Leider wissen das Lehrer nicht immer, was vielen Lernenden das Lernen in Schulen oder ähnlichen Einrichtungen verleidet; aus meiner persönlichen Erfahrung…
Ich meine, ich hatte geschrieben, ich persönlich hätte kennengelernt. Ich schrieb also von persönlichen Erfahrungen mit konkreten Menschen, die ich verallgemeinere, weil es sich eben um sehr viele Menschen aus allen sozialen Schichten handelte und Sie nennen das Quatsch. Obwohl Sie sich doch nach eigener Aussage für Menschen interessieren. Sie nennen meine Sekretärin eine Fehlersuchtippse, obwohl konkret ich die liebe und der Beruf der Sekretärin allgemein ein ehrbarer Beruf ist, der besonders heute bei der technischen Ausrüstung von Büros und der Internationalisierung der Schriftverkehre erhebliche Qualifikation verlangt. Sie sucht, findet und korrigiert konkret meine Fehler. Sie ist nicht hier Mensch, der interessant ist und da Beruf, der mit ihr als Mensch nichts zu tun hat…
Ich konkret mache Fehler, auch öffentlich, und kann darüber lachen und freue mich, wenn jemand mit mir gemeinsam über sie lachen kann.
Ich habe nicht geschrieben, dass konkret Sie eine Belegstelle im vollen Munde führen, sondern, dass Menschen, für die zuerst das Fressen und dann die Moral kommt, sich zumeist in sozialen Lagen befinden, in denen sie eben vor allem essen müssen und denen es dann völlig wurscht ist, ob sie klug und würdevoll dabei rüberkommen. Oder ob z.B. Sie ihnen lieber Bildung geben wollen oder den durchaus christlich moralisierenden Gedanken eingeben, dass Bildung wichtiger sein könne als Essen. Das ist ein Denken aus Sattheit, das Sie vertreten aus meiner Sicht. Das weit verbreitete moralische Paradoxon, dass die Satten die Moral für die in jeder Hinsicht Hungrigen predigen, hatte, ob Sie es glauben oder nicht, Brecht nun schon vor langer Zeit nicht nur erkannt, sondern auch unvergleichlich prägnant beschrieben in seinem Song Denn wovon lebt der Mensch? Der Song existiert nun mal. Ganz unabhängig davon, ob Sie das glauben. Und ich zitiere ihn nicht, sondern benutzte ihn zu einer Anspielung, die mir helfen soll, eine nach meiner konkreten, persönlichen Erfahrung tiefe Wahrheit in eine kurze literarische Formulierung zu packen. Solche Formulierungen unterlaufen mir wie Fehler, weil sie mein konkreter Alltag sind und deshalb auch in Thraeds Eingang finden, was will man da machen… Sie schreiben, es ginge (Ihnen) darum, für eine Demokratie von unten zu kämpfen. Und das ist nun aus meiner Sicht, mit Verlaub, unlogisch. Eine Demokratie, die eine wirkliche Demokratie nach unserem modernen Verständnis, also nicht-antike, Demokratie sein will, wie sie der Staat ja behauptet, würde die Möglichkeit der Unterscheidung von unten und oben weder erfordern noch bieten. Das heißt konkret: auch für Sie konkret führte damit logisch an einer Revolution kein Weg in die wirkliche Demokratie nach modernem Verständnis, also in horizontales, plurales und prozessorientiertes Arbeiten nach Ihrer Ansicht, vorbei. Und was ich von einer Revolution von oben halte, hab ich ja wohl geschrieben. Und ansonsten freue ich mich, dass Sie weniger als noch vor zwei Wochen mit Belegstellen umsichwerfen, sondern Ihr eigenes Denken konkreter hier in diesem Forum sichtbar wird. Denn nur das nützt hier irgendwem außer Ihnen selbst vielleicht etwas. Gelesen und studiert, Erfahrungen mit Theater, Kulturpolitik und Wissen von Philosophie haben hier alle ziemlich viel. Hier geht’s um Theater. Und im Theater geht es immer nur um Haltungen. Das ist der Vorgang jeder Probe, jedenfalls jeder bei der ich anwesend war, bin oder sein werde: das Ringen um Haltungen zu jeder einzelnen Figur in jedem einzelnen Spielvorgang, bei jedem Aufeinandertreffen von Figuren, die es darzustellen gilt. Ich habe Sie andernorts schon mit mehr Gründlichkeit vermisst, wie Sie unter Stückemarkt nachlesen können… Hier sollte doch jetzt aber Schluss sein mit diesem irrelevanten Nebenschauplatz-Hin- und Her.
-D. Rust

(Liebe/r D. Rust, liebe Inga,
ja, ich möchte mich dem gern anschließen: Es sollte jetzt "Schluss sein mit diesem irrelevanten Nebenschauplatz-Hin-und-Her". Bitte kommen Sie auch für andere Leser erkennbar zum Theater und zur Zürcher Inszenierung zurück; ansonsten behalten wir uns vor, Ihre Kommentare in diesem Thread nicht mehr zu veröffentlichen.
Vielen Dank und beste Grüße,
Anne Peter / Redaktion)
Zarathustra 1.2, Zürich: Nietzsche tanzt und hat Kopfschmerzen
Friedrich Nietzsche würde sich entweder tanzenderweise freuen über diese Diskurssucht von Inga und D. Rust - oder er bekäme Kopfschmerzen. Die Redaktion meint, eher Kopfschmerzen, also besinnt euch, geht spazieren, wandern, schaut die Ziehwolken an, die farbigen Blätter und konserviert eure Kräfte für eine echte Diskussion im Wald. Und macht Platz für neuen Diskurs. Wenn es die Sekretärin wirklich gibt: Nehmt sie auch mit in den Wald.
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