Buntes Begehren im Batikhemd

von Christian Rakow

Bielefeld, 5. Januar 2008. Wenn unsere Jungdramatik ihre eigene Generation im Theater präsentieren will, dann führt sie gern Leute mit ultimativen Macken vor: Ob in Rebekka Kricheldorfs "Ballade vom Nadelbaumkiller" ein Junior zum Flamingo sammelnden Dandy mutiert oder ob Philipp Löhle in "Genannt Gospodin" einen Lama-Besitzer in den Windmühlenkampf gegen die kapitalistische Geldwirtschaft schickt. Gern werden eigentümlichste Spleens bemüht, um einer Zeit, die – so die stets mitschwingende Behauptung – im Grunde kein Anliegen, keine ethischen Einstellungen und damit gewissermaßen auch kein Drama kennt, dennoch etwas Bühnenfähiges hinzustellen.

Jan Liedtke (Jahrgang 1977 und Absolvent des Studiengangs Szenisches Schreiben an der Berliner UdK) reiht sich mit seinem 2005 in Heidelberg uraufgeführten und 2006 mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis prämierten Drei-Personen-Stück "Kamikaze Pictures" in diese Riege ein, und doch geht es bei ihm einen entscheidenden Dreh weiter.

Bitte nur nichts Echtes!

Andy, die Hauptfigur des Stückes, hat auf der Berliner Love Parade ein Mädchen namens Linda getroffen. Da anschließend ihre Verabredung platzt, beginnt Andy, unterstützt von seinem drogensüchtigen Künstlerfreund Henry, die gesamte Stadt mit Linda-Plakaten zuzukleistern. Diese exzessiv gelebte Sehnsuchtsfantasie wird von der Presse schnell als Aktionskunst eingestuft. Was wiederum dazu führt, dass Andy und Henry, beseelt von Romantik und Kunstbegehren, Linda-Videofilme drehen. Nebenbei erstattet Andy in einem Multimediatagebuch sich und uns von den Aktivitäten Bericht.

Die spleenige Suchaktion entlarvt sich also zunehmend als selbstbezüglicher Tick einer Bohème, die ihre Fühlung mit dem Draußen längst aufgegeben hat. Nicht von ungefähr wird Linda, als sie tatsächlich auftaucht, von den Künstlerfreunden (bewusst) verkannt und nurmehr als Muse und Video-Model für die Beschwörung des abwesenden Idols eingespannt. Das Echte hat keinen guten Stand, wo jedes Interesse dem Aparten, Verstiegenen und Unerfüllbaren gilt. Vorderhand als Dreiecksgeschichte daherkommend, liefert Liedtkes Stück damit eine klarsichtige Diagnose des gegenwärtigen Kunst- und Medienbetriebs.

Orazio Zambellettis Bielefelder Aufführung ruft den Künstlerkontext über eine erlesene Musikauswahl mit neuerem britischen Lad-Rock von The Libertines bis Art Brut auf. Für die Kostüme (von Grit Groß) dürfte die Indie-Ikone Pete Doherty Pate gestanden haben. Man trägt ausgewaschene Batikhemden, Wollmäntel und Hüte. Bühnenbildner Jürgen Höth versetzt uns in ein Keller-Atelier, in dem ein weißes Sofa und ein flacher Kühlschrank schon beinah zuviel des Luxus sind. Mehrere Fernsehschirme hängen herum und öffnen medial das Fenster für Stadtimpressionen und gelegentliche Monologe im Close up.

Kuchenessen statt Kamikaze

Etwas zu wohlbehalten kommen Nils Zapfe (Andy), Ingo Tomi (Henry) und Monika Wegener (Linda) durch den Abend. Das häufige Bemühen um Interaktion mit dem Publikum bis hin zum Verteilen von Marmorkuchen verhindert, dass jene Bereitschaft zur Selbstzerstörung ("Kamikaze") aufkommt, die die Figuren in ihrem Kunst- und Liebesunterfangen antreibt. Über seine ideale Linda sagt Andy: "Sie tanzt / Ausgelassen / Ohne die Massen zu registrieren / Augen zu / Und dann spürt sie was." Dieses Absehen von allem, in dem der Reiz des Ästhetischen wohnen soll, liegt nicht im Interesse der Bielefelder.

So bleiben die Verwicklungen der Liebesgeschichte und alles hoffnungslos Romantische und Ungelöste daran übrig. Was für ein Jugendstück allemal viel ist. Wo die Akteure das Tempo der Dialoge aufnehmen, wo Tomi seinem Henry das Clowneske abstreift und Zapfes Andy an Aggressivität zulegt, wo Monika Wegener, wenn ihre Linda einmal länger ins Reden kommt, nicht mehr nur dekorativ und kokett erscheint, sondern für Augenblicke voller Kalkül, da entfaltet sich eine veritable Menage à trois, die schon wegen des Soundtracks reichlich Publikumszuspruch finden sollte.

 

Kamikaze Pictures
von Jan Liedtke
Regie: Orazio Zambelletti, Bühne: Jürgen Höth, Kostüme: Grit Groß, Video: Jan Lehmann.
Mit: Ingo Tomi, Monika Wegener, Nils Zapfe.

www.theater-bielefeld.de

Kommentar schreiben