"Die Widersprüche müssen untersucht werden"

Wien, 18. Oktober 2013. Auf dem Jubiläumskongress des Wiener Burgtheaters "Von welchem Theater träumen wir?" protestierte der Billeteur Christian Diaz gegen seine Arbeitsbedingungen, indem er sich spontan nach einer Pause auf der Bühne Gehör zu verschaffen und das Publikum darüber zu informieren suchte, dass die Billeteure nicht beim Burgtheater, sondern bei dem britisch-dänischen Securityunternehmen G4S angestellt seien (hier der Videomitschnitt). Wir haben bei Intendant Matthias Hartmann, dessen Zeitzeugen-Projekt "Die letzten Zeugen" übermorgen Premiere hat, noch einmal nachgefragt. Die Fragen stellte Christian Rakow per E-Mail.

 

Die Rede des Billeteurs Christian Diaz hat das Outsourcing von Dienstleistungen am Burgtheater kritisiert. Inwieweit macht der Kostendruck auf das Theater ein solches Outsourcing von Diensten notwendig?

Aus seinem Flugblatt geht hervor, dass es dem Billeteur weniger um das Thema Outsourcing ging als konkret um Menschrechtsverletzungen seines Arbeitgebers "außerhalb von Österreich".

Die Ausgliederung unseres Publikumsdienstes fand bereits 1996 statt, vorgenommen vom damaligen Bundestheaterverband. Im Vordergrund stand unseres Wissens weniger eine Kostenersparnis als die Erhöhung der Flexibilität: mit Staatsoper und Volksoper kann das Burgtheater somit auf einen großen einsetzbaren Pool an Billeteuren und Billeteurinnen und Feuerwehrmännern zurückgreifen.

 

Welche Bereiche des Theaters sind noch betroffen?

Ausgelagert wurden die gesamten Werkstätten, das heißt Bühnenwerkstatt und Kostümwerkstatt, die jetzt als eigene GesmbH arbeiten. Und auch das Reinigungspersonal wird von einer externen, österreichischen Firma gestellt.

 

Ist das Burgtheater darüber informiert, ob dem Billeteur Christian Diaz in Reaktion auf seine Protestaktion gekündigt wurde?

Wir haben jetzt erfahren, dass Christian Diaz, der ja nicht zum ständigen Publikumsdienst gehörte, sondern sich extra für den Kongress für das Burgtheater einteilen ließ, von G4S gekündigt wurde. Der Betriebsrat der Firma hat eine Aussendung über OTS verschickt (OTS0178: Zentralbetriebsrat zu Burgtheater-Aktion gegen G4S).

 

Wie wirken sich ökonomische Sachzwänge auf die gesellschafspolitischen Fragestellungen des Burgtheaters aus? Lassen sich neoliberale Geschäftspraxis und utopisches Moment des Theaters, wie es jüngst auf dem Jubiläumskongress untersucht wurde, vereinbaren?

Wenn der Staat, der den Kulturauftrag vergibt, seiner Aufgabe nachkommt, sollte es eigentlich für das Theater wenig Sachzwänge geben. Doch in der tatsächlichen Praxis werden die Theater durch festgefrorene Budgets zu immer weiteren Einsparungen gezwungen, vor allem im Personalbereich, und zur Akquirierung von Sponsorgeldern aufgefordert. Die von Ihnen angesprochenen Widersprüche bestehen also und müssen untersucht werden. Das Dilemma der Abhängigkeit von Kunst ist ja nicht neu, siehe Goethes "Tasso", auch müssen wir Theatermacher uns selbst immer wieder fragen, wie der Machtdiskurs bei uns intern geführt wird. Darum greifen wir den Anstoß unseres Billeteurs gern auf.

 

Das Burgtheater schaut als politisch interessiertes Haus auch über die Ländergrenzen hinaus, wie aktuell in Fragen der ungarischen Regierungspolitik. Wie verhält sich das Burgtheater zu den Vorwürfen von Diaz zur Unternehmenspraxis von G4S außerhalb Österreichs?

Tatsächlich haben wir nur in die Geschäftsgebarung der Firma innerhalb Österreichs einen Einblick. Wir nehmen aber seine Vorwürfe ernst und recherchieren wie gesagt in der Angelegenheit.

 

matthias-hartmann reinhard-wernerMatthias Hartmann, 1963 in Osnabrück geboren, ist Regisseur und Intendant des Wiener Burgtheaters. Von 1990 bis 1993 war Hartmann fester Regisseur am Niedersächsischen Staatstheater Hannover. Seine 1992 dort erarbeitete "Emilia Galotti" wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Von 1993 bis 1999 war er Hausregisseur am Bayerischen Staatsschauspiel München, ehe er 2000 als Intendant ans Schauspielhaus Bochum wechselte. 2005 wurde er Intendant des Zürcher Schauspielhauses, 2009 wechselte er ans Burgtheater.

 

 


Erwiderung des Billeteurs

von Christian Diaz

Wien, 18. Oktober 2013, 22:54 Uhr. Ich war zwei Jahre hintereinander als Billeteur tätig. Diese Theatersaison wechselte ich ans Akademietheater, welches Teil des Burgtheaters ist. Wie zwei Drittel der anderen Billeteure der Häuser des Burgtheaters, hatte ich einen Vertrag als "geringfügiger Dienstnehmer". Dieser Vertrag beginnt und endet mit jeder Saison des Theaterjahres. Jedes Jahr ist man aufs Neue im ersten Monat auf Probe angestellt, in der der Subunternehmer das Recht hat, das Dienstverhältnis jeder Zeit zu kündigen. Von diesem Vertragsdetail machte G4S gestern Gebrauch. Mit der Begründung "fehlender Identifikation mit dem Unternehmensleitbild" und dem Vorwurf von "Imageschädigung" wurde mir fristlos gekündigt. Während des Kongresses "Von welchem Theater träumen wir?" war ich nicht im Dienst.

Es ist meines Wissens nicht richtig, dass das Burgtheater die Auslagerung des Publikumsdienstes nicht aus Kostengründen vorgenommen hat. Sie ist, so wie ich während eines Dienstes mitbekam, ein Bilanztrick, wodurch die Billeteure aus der Personalbilanz des Hauses verschwinden.

Mit meiner Intervention hatte ich nicht vor, die Menschenrechtsverletzungen meines ehemaligen Arbeitgebers "außerhalb Österreichs" in den Fokus zu rücken. Meine Absicht war es, mit dem konkreten Fall meines Arbeitgebers und seiner Verbindung zu meinem Arbeitsort auf eine allgemeine Problematik hinzuweisen: Es reicht heute nicht mehr aus, neoliberale Ausbeutungsverhältnisse und die Prekarisierung von Arbeit in einem nationalen Rahmen zu begreifen. Outsourcing ist ein globales Phänomen.

Sicherlich, das Burgtheater ist ein Ort der Repräsentation des Staates Österreich, welcher sich in den "globalisierten Märkten" als Standort profilieren will. Andererseits ist es aber auch ein Ort der Kultur, in dem diese Welt der "globalisierten Märkte" reflektiert und kritisiert werden kann. Das Burgtheater hat als ein solcher Ort die Chance, mit seiner Position in dieser Welt kritisch ins Gericht zu gehen und damit ein Zeichen zu setzen. Das tut es, indem es Prekarisierung und Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen (die de facto Folgen von Outsourcing sind!) nicht weiter unhinterfragt hinnimmt.

Mit der Beauftragung eines Unternehmens wie G4S, dessen Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen und neoliberale Ausbeutungsstrategien auf globaler Ebene im Internet gut dokumentiert sind, trägt das Burgtheater zur Normalisierung dieser inakzeptablen Praktiken bei und untergräbt damit seine kritische Glaubwürdigkeit.

Utopisches Theater:

 

 

Presseschau

 

22. Oktober 2013. Nachdem Matthias Hartmann bereits der Kronen-Zeitung (online: 19.10.2013, 16:00) im Interview in Sachen Billeteur versichert hatte, dass er "Sympathie mit diesem Mann" habe und "mit ihm reden" werde, da "sein Anliegen" wichtig sei, beteuert er jetzt auch gegenüber dem Spiegel (21.10.2013): "Das Burgtheater schätzt die Arbeit der Platzanweiser, die seit vielen Jahren das Gesicht des Hauses prägen." Bezüglich der Aktion von Christian Diaz sei man allerdings "lieber vorher gefragt worden". Dennoch sei man "zu jedem Dialog bereit". Befragt nach dem Problem des Outsourcings, variiert Hartmann die erste Burgtheater-Stellungnahme zur Causa: "Wer nach der Gerechtigkeit in einer globalisierten Wirtschaft fragt, muss wie bei Albert Camus als 'Mensch in der Revolte' dauernd sein Gewissen befragen, auch beim Tanken und beim Kleidungskauf." Er würde, so erklärt Hartmann, "die G4S gern bitten, das Dienstverhältnis mit dem wortgewandten Aktivisten zu verlängern". Dieser sei allerdings "nicht auffindbar". Man müsse davon ausgehen, "dass er sich nur für diese Aktion hat anstellen und einteilen lassen".

(Anm. der Redaktion/ape:
nachtkritik.de hatte keine Schwierigkeiten, Christian Diaz per E-Mail zu kontaktieren, eine extra eingerichtete Adresse ist auf dem Tumblr-Blog burg4s hinterlassen. Des Weiteren stellte Christian Diaz bereits am vergangenen Freitag gegenüber nachtkritik.de klar, dass er – entgegen der Mutmaßung Hartmanns – bereits "zwei Jahre hintereinander als Billeteur tätig" war, mit Beginn dieser Saison lediglich ans Akademietheater wechselte und während des Kongresses "nicht im Dienst" war. Am Nachmittag teilte er mit, das Burgtheater habe ihn am Montag, den 21.10., kontaktiert und einen Termin für ein Gespräch vereinbart.)

 

23. Oktober 2013. Im Zürcher Tages-Anzeiger (online 22.10.2013, 18:33 Uhr) kritisiert Bernhard Odehnal den Burgtheater-Intendanten Matthias Hartmann für seinen ausweichenden Umgang mit dem Protest des Billeteurs Christian Diaz. Er erinnert an Hartmanns selbst erklärten Anspruch, im Theater "die grossen Fragen des Lebens" zu verhandeln, und führt insbesondere die kritischen Stellungnahmen des Burgtheaters zur Regierungspolitik in Ungarn an. "Die Intellektuellen schweigen auf nicht nachvollziehbare Weise; ihre Aktionen dienen allenfalls der Beruhigung des eigenen Gewissens", zitiert Odehnal aus der Ungarn-Protestnote Stiftet Aufruhr, die Hartmann vor nicht einmal einem halben Jahr mitunterschrieb, und pointiert: "Aber da ging es um Ungarn, nicht um das eigene Haus." Aktuelle Erkenntnis nach den als "sehr zurückhaltend" beschriebenen Reaktionen des Burgtheaters auf die Rede des Billeteurs: "Wenn es um Zivilcourage im eigenen Haus geht, ist Hartmann gar nicht mehr so laut."

 

 

Presseschau – Hinweise


Leserkommentar von Markus Karner
auf standard.de (15.10.2013, 21:36h)

Kommentar von Birgit Walter in der Berliner Zeitung (16.10.2013)

Meldung auf kurier.at (16.10.2013, 14:01h)

Community-Blogbeitrag von asansörpress35 auf freitag.de (16.10.2013, 18:33h)

Meldung auf nachrichten.at (18.10.2013, 9:18h)

 

 

Mehr zum Jubiläumskongress des Wiener Burgtheaters "Von welchem Theater träumen wir?":

Eva Maria Klinger gibt einen Überblick über die dreitägige Veranstaltung.

Reinhard Urbach wirft einen Blick auf die Geschichte des Hauses.

Andrea Breth über das Nationaltheater als (H)ort kultureller Identitätsbewahrung.

Johann Simons entwirft sein Theater der Nationen.

Björn Bicker plädiert für ein offenes Theater der Teilhabe.

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