Die Physiker - Herbert Fritsch teilchenbeschleunigt Friedrich Dürrenmatts apokalyptische Komödie am Uraufführungsort in Zürich
Die Slapstickformel
von Christoph Fellmann
Zürich, 19. Oktober 2013. Er schaffe im Theater den Sinn ab, damit er in Ruhe sterben könne. Das hat Herbert Fritsch früher in diesem Jahr in einem Interview mit der Berliner Zeitung gesagt. Da klingt es wie eine Fügung des Weltspielplans, dass der Regisseur am Schauspielhaus in Zürich nun auf Friedrich Dürrenmatt trifft. Genauer, auf die "Physiker", 1962 an gleicher Stelle uraufgeführt. Da versteckt sich Möbius (Milian Zerzawy) in einem Irrenhaus, auf dass die von ihm gefundene Weltformel nicht dem Sinn, dem Krieg und der allgemeinen Habgier anheimfalle. Er wolle das Eintrittsgeld zurück, rief Fritsch im gleichen Gespräch, für all die Abende, "an denen mir irgendwelche Fundamentalisten und Fanatiker, irgendwelche verhinderten Oberlehrer und Schwachmaten die Welt erklärt haben".
"Ist das noch Max Frisch?"
Nun versteckt sich Herbert Fritsch allerdings im Theater vor dem Theater, und da liegt es nahe, die Wahrheit durch die Wahrheit zu vertuschen. Also spiegelt Fritsch das plüschige Parkett der Pfauenbühne mit einer grell-grünen Gummizelle und lässt darin einen Feuerwehrmann (Benedict Fellmer) auftreten, der zur Belustigung der herbeigeströmten Insassen sehr komisch mit dem falschen Feuervorhang kämpft. Nur in einem besonderen Moment bricht eine wahrhaftige Not aus ihm heraus, und er stellt stellvertretend die bange Frage: "Ist das noch Max Frisch?"
Hundert Wege aus der Gummizelle: Milian Zerzawy als Möbius (in violetter Hose) und die
Zürcher Kletterkünstler © Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
Dabei bringt Fritsch seine "Physiker" doch recht texttreu auf die Bühne. Nur ersetzt er, wie angedeutet, den Sinn sehr konsequent durch Spaß. Kaum zufällig erinnert die irre Sanatoriumsleiterin Zahnd (Corinna Harfouch) mit ihrer Frisur an Elfriede Jelinek, eine der großen politischen Theaterautorinnen unserer Zeit. Der radioaktive Fall-out von Hiroshima oder Fukushima jedenfalls, der über Dürrenmatts gestrenger Parabel auf die Verantwortung der Wissenschaft niedergeht, verduftet hier schon in der ersten Szene im pantomimisch dargestellten Zigarettenrauch. Wenn die Welt aussieht, als sei sie irr, sagte Dürrenmatt, dann hat das seinen ganz vernünftigen Grund. Und wenn das Theater aussieht, als sei es ein Kalauer, sagt Fritsch (nicht Frisch), dann hat auch das seine Ordnung.
Elfriede Jelinek auf Speed? Nein, Corinna
Harfouch! © Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
Akrobatik und Flugshow
Der Weg zur Selbsterkenntnis führt über den Slapstick. Bis in die wie gewohnt hübsch choreografierte Applausordnung lässt Fritsch seinen volkstheaterhaften Stil spielen, der derb und grob alles vergrößert, was gesagt wird, bloß dass das hier alles nochmals derber und größer ist, und dabei natürlich höchst virtuos und präzis: Das Ensemble zeigt eine Parforce-Tour. Sie ist Akrobatik und Flugshow, Pantomime und Turnerabend. Klar klemmen laufend Finger in Türen, die nicht aufgehen, und stehen sich die Irrenhäusler hochnotkomisch auf ihren Zwangsjackenärmeln rum. Zur Autopsie der ermordeten Pflegerinnen reicht dem Kriminalinspektor (Jean-Pierre Cornu) ein Blick in deren Schoß. Und ein Higgs ist das kleinste bekannte Teilchen eines Schluckaufs. Weiter gibt es eine Luftpenismassage, ein ekstatisches Blockflöten-, pardon: Blödflocken-Trio, und nach hundert Minuten hat man mindestens auch hundert Varianten gesehen, über die Wand einer Gummizelle zu klettern.
Das ist manchmal lustig und manchmal doof, hat aber insgesamt ein ernstes Problem: Die Komik hat an diesem Abend keinen Widerstand. Es gibt bei Dürrenmatt nun mal keine Psychologie und keinen Sinn, der zu exorzieren wäre. Es gibt nur eine Versuchsanordnung, durch die er Menschenteilchen schießt. Beim Aufprall entsteht Komik. Und die ist es, die Herbert Fritsch nimmt und nochmals in irrem Tempo durch die Anlage jagt. Von einem Aufprall ist nicht zu berichten.
Die Physiker
von Friedrich Dürrenmatt
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Licht: Ginster Eheberg, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Corinna Harfouch, Wolfram Koch, Gottfried Breitfuss, Milian Zerzawy, Jean-Pierre Cornu, Friederike Wagner, Jan Bluthardt, Miriam Maertens, Julia Kreusch, Susanne-Marie Wrage, Joel Eggimann, Michel Stuber, Benedict Fellmer, Marc Baumann, Leandro Bärlocher, Cyrill Birchler, Alex Eastman, Leo Thomas.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.ch
Mehr neuere Nachtkritiken zu Friedrich Dürrenmatt: Die Ehe des Herrn Mississippi lief im April 2013 am Hamburger Thalia Theater, sein Klassiker Der Besuch der alten Dame 2012 in Braunschweig und in Schwerin. In Zürich sah man 2012 Das Versprechen.
Der "Generation Youtube", die sich "durch Videos von gleichaltrigen Selbstdarstellern" samt "Grimassen, Verrenkungen und kraftmeierischen Unflätigkeiten diverser Art" klicke, habe Herbert Fritsch nun eine Aufführung beschert: "Ein Affentheater! Schrill und grell, wie es das Label Fritsch verlangt", schreibt Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (21.10.2013). "Dürrenmatts hochkonstruiertes, wenn auch nicht eigentlich sinnfreies Parabel-Paradox" diene Fritsch "einzig und allein als Trampolin für seine Akrobaten." Schon beim Zuschauen werde einem "schwindlig; und ob all dieser Physis wird der Geist müde und matt."
Fritsch inszeniere Dürrenmatt "erstaunlich textgetreu, sieht man einmal von einigen Freudschen Versprechern auf Kosten des Bildungsbürgertums ab", befindet Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen (21.10.2013). Dürrenmatts Text sei "für Fritsch Partitur, Trampolin und Klettergerüst für allerlei Kopfstände und sprachliche Purzelbäume", der Regisseur jage den Autor "so lange durch die Nebelkammern und Teilchenbeschleuniger seiner hochtourigen Farce, bis ihm die Hicks- und Higgs-Teilchen glucksend um die Ohren fliegen." Er bringe "den 'Mut zum letzten Übermut' auf, den Friedrich Luft 1962 vermisste, aber er rennt mit Mummenschanz und Tourette-Gekasper nur offene Türen ein."
Herbert Fritsch habe sich "mit dieser Inszenierung selbst übertroffen", meint Alexandra Kedves im Tages-Anzeiger (21.10.2013). "Er hat sein Anti-Schlaumeier-Theater, sein Pro-Schaurausch-Theater mit grosser, ja gargantuesker Kelle angerichtet; er hat jede Sinnsuche mit Sinnlichkeit ausgebootet – und das bei einem Stück, das seine Botschaft so klar vor sich herträgt wie kaum eins." Das Ensemble agiere dabei "schlichtweg hinreissend", wobei Wolfram Koch "beinah so etwas wie der Primus inter Pares in diesem Schauspielerfest" sei: "Sein Faible für knallharte Komik ist kaum zu toppen."
"Ist es besonders intelligent oder originell, ein Stück, das im Irrenhaus spielt, völlig irre zu inszenieren?" fragt sich Christian Gampert auf der Website des Deutschlandfunks (20.10.2013) und findet das wohl nur "mäßig interessant". Fritsch bemühe "sich nach Kräften, Dürrenmatts Dramentheorie gerecht zu werden – nach der der Zufall Regie führt und der Theaterabend die schlimmstmögliche Wendung zu nehmen habe." Diese Forderungen würden "vorbildlich erfüllt: Keine Pointe wird ausgelassen. Rein sprachlich heißt das, zum Beispiel, dass aus dem Planeten Uranus der Ur-anus wird. Und körperlich, dass das Publikum mit Veitstänzen beglückt wird und mit persiflierter Sexualität, die sich in Geröchel und aufgeklappten Schenkeln äußert."
So turbulent sich die Inszenierung auch gebe, die Zeichen, die Regisseur Herbert Fritsch aussendet, weisen aus Sicht von Peter Kümmel in der Zeit (24.10.2013) zum Horrorfilm: "Es sind nicht Akrobaten, Clowns, Kaskadeure, die sich da verausgaben, sondern Untote". Gezeigt werde die Welt nach ihrem Ende. In Dürrenmatts Stück werde gesagt, was einmal gedacht worden sei, könne nicht mehr zurückgenommen werden, "und so hält es Fritsch in seiner Inszenierung: Seine Figuren haben die Vernichtung gedacht, also sind sie selber der Vernichtung anheimgefallen."
"Diese intelligente Respektlosigkeit ist vielleicht das Beste, was Dürrenmatts Holzschnitt-Parabel passieren konnte", schwärmt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (25.10.2013). Fritschs Inszenierung beschleunige Dürrenmatts klappernde Komödienmaschine und entkerne sie gleichzeitig von der didaktischen Thesenhaftigkeit. So löse sich Dürrenmatts Parabel "in Equilibristik mit beeindruckenden artistischen Einlagen auf. Die Figuren werden zu Knallchargen - aber weil wir bei Fritsch sind, knallt es dann wenigstens richtig."
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so ein quatsch. und warum soll ein spieler das nicht lesen müssen? es ist ja nicht grundsätzlich ein regisseur der einem etwas überstülpt.
...ist ja mal wieder die alt bekante frage wer aus dem theater hier die kommentare schreibt und denkt dabei menschen zu schützen....das dürfte man dann nicht lesen müssen. eltlarvt sich einfach immer!
mir ging es ähnlich wie "stefan"...wenn ich einem schauspieler vor allem dabei zu schaue wie er als recht braver statdttheater spieler das alles brav und fein herstellen möchte...ja dann ist es bei frisch eben eher peinlich...
(Sehr geehrte/r Hoppla, nach Rücksprache mit Kollegen schien es angemessen, den kritischen Kommentar Nr. 1 zur Spielweise des Hauptdarstellers, der durch den Vergleich mit Corinna Harfouchs Auftritt nachvollziehbar perspektiviert ist, zu veröffentlichen. Nr. 2 erläutert, dass man den Spielstil sehr wohl auch anders deuten kann. Nr. 3 äußert sich generell zur Berechtigung von Schauspielerkritik. Damit sind exemplarische Positionen angerissen. In der Tat haben Sie aber Recht, dass es hilfreich wäre - wie jetzt auch Nr. 5 vorschlägt -, die Frage von der Einzelleistung abzulösen und die Inszenierung im Ganzen in den Blick zu nehmen, vor deren Hintergrund der Schauspieler ja seine Angebote entwickelt. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Unfassbare Detektivarbeit die Sie hier leisten - Chapeau !
Kommentatoren einer möglichen Theater-Zugehörigkeit zu entlarven... Beeindruckend, wirklich !!!
Wer hätte auch gedacht das die sich hier tummeln, die Theaterinternen !
Wirklich es ist enorm scharfsinnig von Ihnen Erna und macht den Max'schen Kommentar so gesehen auch wert-und sinnlos - denn wer hier angeblich 'zum-Theater-gehörend' und deshalb schändlicherweise 'Menschen schützen' will, anstatt knallharte Ansagen zu machen wer auf der Bühne was taugt und wer nicht - der, bzw dessen Meinung - ist selbstverständlich nicht ernst zu nehmen...
Aber seien wir ehrlich Erna; im Grunde ist doch jede Wertschätzung, des von ihnen eben nicht so sehr geschätzten Schauspielers indiskutabel und nur niederen Beweggründen zu zu ordnen - wie zum Beispiel "Menschen schützen" !
Sie, Erna, Sie wissen glücklicherweise mehr - wenn nicht gar alles, über mutiges Spiel von mutigen (Nicht-Stadttheater) Schauspielern - Ihnen kann man künstlerisch kein X für ein U vormachen.
(Der Regisseur heißt übrigens Fritsch nicht Frisch - und falls Sie den Autor meinten: Der heißt Dürrenmatt !)
Und apropos "Menschen schützen" liebe Erna, lieber Stefan: Was für eine wunderbare große Tugend das doch ist !
Wie ungleich wunderbarer und respektvoller als Menschen zu verletzen !
Wie brav und tapfer zugleich !
Und wie ungleich mutiger als anonym Schauspieler zu bashen !
(Sehr geehrte Diskutanten, auf ihr Einverständnis hoffend, würden wir den Streit über den Kommentar der Spielweise, der jetzt zum Streit über Kommentatoren und das Kommentarwesen im Internet überhaupt wird, gern beenden - im Dienste einer Auseinandersetzung mit der Inszenierung. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
«Es ist manchmal sinnvoll, zu fragen, für wen dieses Kasperltheater eigentlich veranstaltet wird. Nun, einerseits natürlich für die Kritiker, die den Marktwert des Züricher Theaters bestimmen sollen. Also: Zürich ist ganz toller Zirkus und er wird aufgeführt. Zweitens für die oberen Zehntausend, die im Foyer ihren Sekt trinken und dann wieder in ihre Banken in der Bahnhofstraße gehen, um die Welt zum Irrenhaus zu machen. So hat in Zürich alles seine Ordnung.
Und wer falsch parkt, zahlt 40 Franken Buße.»
Ist die Welt wirklich so einfach? Was hat es in der Kritik verloren, wenn der gute Herr Gampert statt mit dem Zug mit dem Auto angereist ist und seine Parkgebühr nicht bezahlt hat?
Ist dieses Schweizer Bankenbashing nicht mittlerweile etwas langweilig geworden?
Was soll das ?
Habe nix mit beschimpftem Schauspieler zu tun, aber könnte einfach nur kotzen wenn ich sowas lese.
(...)
Habe die Inszenierung gesehen - und finde wirklich auch einiges an dem Abend ärgerlich - aber das steht in keinem Verhältnis zu dem Ärgernis dieser "Null-Runde" hier (...)
Bitte beendet doch den Mist.....
bei einer theaterinszenierung zeigen sich menschen mit namen, herz, gesicht und körper. sie müssen gefahr laufen, dass ihre arbeit, ihre kunst kritisch diskutiert werden kann oder eben nicht gefällt. so weit so gut! was hier allerdings abläuft, ist - meines erachtens - von feigheit gezeichnet und firmiert lediglich vermeintlich als produktive oder professionelle diskussion über schauspielkunst. in jeder (tages-) zeitung, in der sie beispielsweise einen leserbrief veröffentlicht haben wollen, können sie dies unter verwendung ihres namens und ihrer adresse gerne tun. hier aber kann aus dunklen ecken geschossen werden, ohne namen, ohne herz, (ohne gesicht und körper ja ohnehin). das ist persönlich motiviertes heckenschützentum - würde ich vermuten. wenn dem nicht so ist, möchte ich rufen: schreiberlinge aller nachtkritiken zeigt euch. nennt eure namen. habt den mut, euch mit euren beiträgen zu verbinden und identifizieren oder schweigt für immer!
ihre
sabrina zwach
(dramaturgin der inszenierung "die physiker")
von binsenweisheiten über die funktionsweise von internetforen und die daraus hervorgehende anonymität derselben bitte ich als antworten abzusehen.
Selbstverständlich kann man sich auf den Pathos der Internetanonymität berufen - wie es hier auch laufend getan wird.
Es scheint aber so, als gäbe es für diese hier im Forum immer wieder nur einen relativ prosaischen Grund:
Unerkannt zu bleiben bei Kommentaren, die einem im echten Leben nicht über die Lippen gehen würden (und dass ja gerade das tolle oder besondere sein soll, sehe ich nicht ein. Was genau ist dann der Mehrwert des Mediums: Die Möglichkeit in ihm zu entgleisen?)
Anonymität - okay. Aber wo bleibt die Debatte über den Kommentarethos - ohne den diese, doch nur Mittel zum niederen Zweck ist.
Für eben jene möchte ich in diesem Kontext noch mal werben.
Denn viele die hier posten erkennen - und ich sage das bei allem Herzblut das ich für die freie Äußerung von Kritik empfinde - nicht ihre Verantwortung, und stellen sich eben dieser durch das Nichtnennen ihres Klarnamens auch nicht -
Liebe Grüße
(Lieber Samuel Schwarz,
wie sollte eine Aufhebung der Anonymität technisch funktionieren? Man könnte zwar eine verpflichtende Registrierung einführen, aber wer sich mit welcher E-Mailadresse unter welchem Namen registriert, ist ja auch nicht zu kontrollieren.
Die Öffnung in Gesrpächsdiskussionen halten wir auch für interessant, deshalb haben wir u.a. die Konferenz "Theater und Netz" veranstaltet.
mw für die Redaktion)
Der Burgbilleteur hat doch gezeigt, was passieren kann, wenn man als No-Name öffentlich sein Maul aufreißt: Entlassung, Aus, Ende. Respekt vor dem Mut, aber es soll keiner sagen, dass Meinungsäußerung bei uns in dem Sinne frei sei, dass man danach nichts zu befürchten habe. Das Ende der Anonymität fordern immer nur die, die schon oben sind.
Warum überhaupt jemand (jenseits aller konstruktiven Kritik), seine Meinung über zB. gute oder schlechte Schauspielkunst in den Äther bläst und der Meinung ist, Theaterschaffende, respektive Schauspieler, haben das auszuhalten, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.
Warum mitunter so wahnsinnig herzlos auf Theater und die, die das tun geschaut wird - ein Rätsel.
Warum Fantum für die einen, unbedingt mit Verachtung für die anderen einhergehen muss - ein verdammtes Rätsel !
Es wäre großartig wenn es Euch in der Redaktion gelänge diesen merkwürdig motzigen bis bösartigen Kommentaren noch weniger Raum zu geben.
@Müller: Hören sie mit dem Opfermythos. Wer hier Pseudo-Zivilcourage zeigt, indem er stammtischmässig seine Meinung raushaut, hat meiner Meinung nach nicht wirklich was zu sagen. Weil er/sie feige ist. Der Burg-Kontrolleur hat was zu sagen. Deshalb macht er es nicht anonym. Der anonyme Hetzer bestätigt die Mächtigen -egal wie "wahr" es ist, was er sagt. Seine Meinung ist mir nicht viel wert. Er gehört zum Digital-Rauschen, ist affirmativ allem Seienden.
das ist doch ein Schmarren, dass der Anonyme per se affirmatives Digital-Rauschen absondert. Der Billeteur agierte nicht anonym, natürlich ist das überaus ehrenwert, mutig und begrüßenswert. Es verleiht seinen Argumenten auch zusätzliches Gewicht. Aber er bekam entsprechend auch die Folgen zu spüren: Er verlor seinen Job.
Ähnlich würde es wohl dem Regieassistenten ergehen, der in diesem Forum etwa eine Diskriminierung durch den Regisseur oder Intendanten publik machte. Oder der jungen Schauspielerin, die den Sexismus eines Kollegen beklagte. Oder dem Dramaturgieassistenten, den die Inszenierung des Großregisseurs am eigenen Haus nicht überzeugt hat. Oder dem Dramatiker, der Argumente gegen die Strategie des Uraufführungsregisseurs vorzubringen hat. Oder oder oder. Muss es nicht möglich sein, Unbehagen, aber auch Lob unerkannt äußern zu können und vor allem Missstände anonym anzuprangern, so dass man nicht gleich um die eigene Stellung im Betrieb fürchten muss?
keiner wird gezwungen, sich auf ne bühne zu stellen.
isso.
@marlene s.: Ja, diese Nezzkontrolle ist in jedem Fall gruselig, anderseits ist eine gegenseitige Kontrolle, die die Leute daran hindert, anonym extrem bösartig zu sein, nicht zwingend gleich "Stasi und NSA".
@Schroffenstein ( Kommentar von vorher )
aber ist es nicht doch eine ziemlich privilegierte Position, aus der Sie da sprechen? Sie sagen vielleicht: Schauspielhaus Zürich – pah, auf die Gunst von Barbarar Frey bin ich doch nicht angewiesen. Aber der Regieassistent, die Schauspielanfängerin, der Hospitant etc., die sind vielleicht abhängiger, existentiell gefährdet, wenn sie Kritik übten. Ja, selbst ein arriviertes Ensemblemitglied oder ein fester Dramaturg am Haus wird sich in vielen Fällen kaum trauen, Kritik am Kollegen zu äußern oder dessen Arbeit auch nur ansatzweise kritisch zu analysieren.
Das ist ja übrigens auch ein Kurzschluss: Dass alles Anonyme erst recht für die Argumentlosigkeit anfällig wäre. In vielen Fällen ist es doch sogar eher umgekehrt: Da der Anonyme nicht qua seines Namens / seiner Position wirken kann, kann er dies nur übers Argument. Nicht?
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wenn ich Matthias Müller heiße und das der nachtkritik-Redaktion auch glaubhaft machen kann, und dann schreibe ich im Forum: "Samuel Schwarz ist ein unfähiger Stiesel", was zugegeben kein sehr gehaltvolles Argument wäre, also angenommen ich schriebe das: Was wäre damit gewonnen? Da ich kein Big Player bin und einen Allerweltsnamen habe, bleibe ich anonym. Kurz darauf würden Sie oder andere fordern: Diese No-Name-Heckenschützen sollten nichts mehr sagen dürfen, denn wir wissen nicht, wer sie sind.
Solche Diskussionen kriegen erst übrigens erst ihren relevanten Biss, wenn es eben "menschelt". Es muss ja nicht gleich unsachlich werden, nur weil plötzlich konkret wird durch Beispiele. Ja, ich würde gerne mit der Schauspielhaus Zürich Leitung einmal öffentlich diskutieren, warum - so meine ich - Arbeitsverbote ausgesprochen werden über einen ganzen Stab von Menschen ( ich spreche hier von sicher mehr als 20 SchauspielerInnen, die Arbeitsverbot zu haben scheinen, an der Qualität ihrer Arbeit kann es nicht liegen ). Diese Frage geht mich als Zürcher Steuerzahler durch was an. Warum werden sehr begabte Menschen nur deshalb nie engagiert, weil ihr angeblicher "Boss" mal was kritisches über den Schauspielhaus-Boss gesagt hat? Und damit ein grosser und wichtiger Teil der freie Szene Protagonisten von sehr relevanten und überlebenswichtigen Geldern ferngehalten. Die freie Szene braucht die Gelder der Stadttheater zwingend, wenn auch indirekt. Nur wenn die SchauspielerInnen ab und zu an den Staatstheatern was dazu-verdienen können, können sie in künstlerisch spannenderen und mutigeren Produktionen mitmachen ( und finanziell überleben ). Auch wenn ich nicht engagiert werde (und das auch gar nicht mehr zwingend will ) vom Schauspielhaus Zürich bin ich daran interessiert, dass "freie" Schauspieler/Bühnenbildner/Musiker etc dort manchmal spielen können. Ich bin nicht interessiert an Kollektivstrafen, die wirksam sind ( wie ich der Meinung bin ), nur weil "ich" an dieser Nachtkritik-Stelle in Opposition gegangen bin zu der Ästhetik dieses Hauses. ( "Ich" in Anführungszeichen, weil das ein politisches "Ich" war.. ein Funktionsträger-Oeffentlichkeits- "Ich" - ohne Affekte und Groll)
Das ist nicht das Haupt-Thema hier. Dass ich mit dem "menschelnden" Beispiel gekommen bin, dient aber der Veranschaulichung und Versinnlichung von Matthias Müller Auffassung, dass man durchaus etwas verlieren kann, wenn die Anonymität an dieser Stelle aufgehoben würde. Sowas - liebe QuakEB - nennt man emphatische Diskussion. Solche Diskussionen gewinnen aber garantiert an Brisanz, wenn sie weniger heckenschützenartig geführt werden, sondern offen und ent-anonymisert. Ich bin sicher, diese Diskussion lesen nun 100 Leute mehr, nur weil es etwas konkreter geworden ist. Trotzdem soll dieses "Menschelnde" & Konkrete nicht ablenken vom Hauptthema und und der Hauptfrage: Ist es fair, dass Leute hier anonym über Schauspielerleistungen & Häuser herziehen können?
Ich finde es bedenklich und nicht gut, dass das Argument, man gefährde sich zu sehr, weil man ja entlassen oder nicht engagiert werden könnte bei Ehrlichkeit, sich immer wieder durchsetzt.
Der Druck der Verhältnisse sollte meiner Auffassung nach nicht dazu führen - und da unterscheide ich mich von Matthias Müller- dass die Leute sich nicht mehr trauen, Dinge öffentlich zu benennen. Und die anonymen Diskussionen hier sind - das sehe ich ähnlich wie Sabrina Zwach - der bösen Paranoia-Stimmung zudienlich, die niemandem was bringt. Zumindest ein Test fände ich spannend. Zurück zu dieser "Utopie" kann man immer wieder, wenn es langweiliger würde...
Wer hier ein Problem mit (anonymen) Kritiken hat, nimmt das Medium einfach zu ernst. Gibt es Theaterleute, die sich von einer hingerotzten Meinung hier irritieren lassen? Wie wäre es, wenn Ihr versucht, Statements hier danach zu wägen, ob sie gut argumentiert sind?
Zur Inszenierung: Für mich stellt sich nach den "Physikern" dringlicher denn je die Frage, ob die "Masche" Fritsch jetzt nicht vorbei ist. Ja, er kann SchauspielerInnen dazu bringen, wild zu turnen, ja, er hat witzige Einfälle, ja, das ist auch mal schön anzusehen - aber ist da noch mehr? Ich habe es heute nicht entdeckt. Insofern finde ich die Kritik hier auf Nachtkritik sehr treffend.
laut Auskunft des Zürcher Schauspielhauses sind im Moment leider keine weiteren Gastspiele im ostdeutschen Raum vereinbart.
mit Grüßen
Damit meine ich nicht die Technik, sondern das ist ein Bild für das Inszenierungsproblem, das ich hier sehe. Das Spiel ist für mein Empfinden stets am oberen Anschlag. Aber ohne Ruhepunkte als Kontrast können auch die "Lauten" stellen nicht wirken.
was ich hier aber schreibe möchte in kleinster Weise diesen Abend oder die Arbeiten von Fritsch diskreditieren- ich halte sehr viel von seiner Arbeit und sie inspiriert mich jedes Mal aufs Neue! Allerdings: wenn ich soviel Geld bekäme wie er, sein Team oder ein Züricher Schauspieler, dann sollte man eigentlich nicht mit Argumenten kommen, die einen dazu verleiten Theaterleute irgendwie ätzend zu finden...
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