Hand und Hirn und Herz und Halle

von Stefan Keim

Bonn, 10. November 2013. Metropolis ist krank. Die Stadt liegt im Bett, umgeben von Ärzten. Oder sagen wir: von Menschen, die den Film behandelt haben. Die Kritikerlegende Siegfried Kracauer meint, der Leitsatz des Films – "Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein" – könne auch von Joseph Goebbels stammen. Regisseur Fritz Lang – natürlich mit Monokel – hadert, als er 1927 diesen Film gedreht habe, sei er politisch noch nicht recht bei Bewusstsein gewesen. Autorin Thea von Harbou, Langs Ex, schreit, es ginge doch um die Liebe. Die Wirkungsgeschichte des wohl berühmtesten deutschen Stummfilms, zusammengefasst in einem Intermezzo. Man muss schon ein bisschen Kenntnis der Kinogeschichte mitbringen, wenn man sich in Jan Christoph Gockels "Metropolis"-Inszenierung orientieren will.

metropolis-2452 560 thilo beu uWasserstoffblond – Mareike Hein und ihr Puppendouble. © Thilo Beu

Ambivalenter Albtraum

Hajo Tuschy spielt Metropolis. Sonst ist er Freder Fredersen, der Sohn des Großunternehmers, dem die Stadt, die Maschinen und irgendwo auch die Menschen darin gehören. Der Film "Metropolis" treibt die sozialistische Theorie auf die Spitze. Die Stadt ist in eine Ober- und eine Unterwelt getrennt, oben die Sphäre von Pracht, Pomp und Luxus, unten die der Sklaverei. Am Ende finden Arbeiter und Unternehmer zu einem dritten Weg, und die Maschinen stehen still – nachdem Freder eine Odyssee durch Leid und Liebe hinter sich gebracht hat.

Die Handlung ist sprunghaft, kolportageartig und auch in der vor kurzem restaurierten Fassung kaum nachvollziehbar. Hier geht es auch nicht um Psychologie, sondern um archetypische Bilder. "Metropolis" ist ein ambivalenter Albtraum zwischen Maschinenanbetung und -verachtung, Identitäten lösen sich auf, ein seelenloser Roboter wird zur diabolischen Doppelgängerin der reinen Heldin Maria.

Büropuppen statt Arbeitermassen

Filmadaptionen zeigt jedes Theater, ein Stummfilm als Bühnenstück ist allerdings immer noch eine Herausforderung. Stark beginnt dieser dreistündige Abend: Die Schauspieler sitzen an Tischen, kindgroße Puppen schweben herab, deren Köpfe an die Roboter aus "Metropolis" erinnern, die Körper an Skelette. Sie stampfen auf den Tischen wie die Arbeitermassen in der Filmvorlage, haben es dann aber mit anderen Vorgängen zu tun. Die Puppen stempeln, telefonieren, schreiben, die Fabrikwelt ist einem Büro gewichen. Das hat feinen Witz, die bekannten expressionistischen Bilder schimmern noch durch, doch es geht eindeutig um unsere Gegenwart.

metropolis-2086 hoch 280 thilo beu uStarke Bilder: Büropuppen statt Arbeitermassen
© Thilo Beu
Dann allerdings versuchen Regisseur Gockel und Dramaturg David Schliesing doch, die Geschichte nachzuerzählen. Die Männer tragen glatte Gelfrisuren, zum Teil mit weißen Streifen, die einzige Frau – Mareike Hein als Maria – eine blonde Bubikopfperücke. Stilisierte M-Schriftzüge in grellem Signalorange zerstören die Stummfilmoptik. Visuell gibt die Aufführung sehr viel her, Julia Kurzwegs Bühne und Amit Epsteins Kostüme sind opulent und vielschichtig. Aber der Handlung zu folgen ist auf dieser Bühne fast noch schwerer als im Kino. Zumal es sehr schade ist, dass nun doch Dialoge gesprochen werden und die Auseinandersetzung mit der Ästhetik des Stummfilms bald vorbei ist. Geblieben ist die Neigung zu überexpressivem Spiel, was allerdings auch dazu führt, dass Intensität manchmal mit Brüllen verwechselt wird.

Aus Lang wird Kubrick

Die Schauspielhalle in Bonn-Beuel ist mit dieser Premiere nach ihrer Sanierung wieder eröffnet worden. Einen großen, tiefen Raum, perfekt für Spektakel und Bildertheater, versprachen Kulturdezernent und Theaterleitung. Da wirkt es fast schon frech, dass Jan-Christoph Gockel die Halle gleich wieder zumauern ließ. Das allerdings so perfekt, dass man kaum zwischen echten Wänden und Bühnenbild unterscheiden kann.

Erst kurz vor der Pause brechen Steine aus der Mauer. Zehn Minuten vor Schluss kippt sie dann ganz, und endlich ist die Raumdimension der Halle Beuel zu sehen. Vater und Sohn, Wissenschaftler und Spitzel, Arbeiter und Unternehmer sind vereint und schreiten nach hinten. Dort öffnet sich ein Rolltor, die Schauspieler ziehen Pelzmäntel an und hüpfen wie Affen unter einem Baum herum. Ein Knochen fliegt an die Bühnenrampe. Aus "Metropolis" ist ein anderer Klassiker des Science-Fiction-Kinos geworden: Stanley Kubricks "2001". Die Menschheit fängt noch mal von vorne an. Mit der Erfindung des Rads endet die Aufführung.

Es stecken viele schöne Ideen darin. Der im Film von Heinrich George gespielte Wächter der Herz-Maschine Grot tritt nicht körperlich auf. Aus ihm ist ein Computerprogramm geworden, G. R. O. T. steht nun für Great Robot Organic Technology. Das ist natürlich nur witzig, wenn man das Original kennt. Diese Inszenierung ist Theater für Fortgeschrittene, mehr Essay als Neuerzählung, ohne erkennbare Haltung, reizvoll, aber mit Niveauschwankungen. Das energiegeladene junge Ensemble und Routinier Wolfgang Rüter als Oberboss Johann Fredersen wurden heftig bejubelt.

 

Metropolis
nach dem Film von Fritz Lang und dem Roman von Thea von Harbou, für die Bühne bearbeitet von Jan-Christoph Gockel und David Schliesing
Regie: Jan-Christoph Gockel, Bühne: Julia Kurzweg, Kostüme: Amit Epstein, Puppenbau: Michael Pietsch, Musik: Matthias Grübel, Dramaturgie: David Schliesing, Licht: Max Karbe.
Mit: Mareike Hein, Hajo Tuschy, Wolfgang Rüter, Michael Pietsch, Benjamin Grüter, Andrej Kaminsky, Robert Höller und der Stimme von Siri.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater-bonn.de

 

Einsprengsel aus Fritz Langs Metropolis montierte Volker Lösch 2011 in seinen Stuttgart-21-Abend Metropolis/The Monkey Wrench Gang.

 

Kritikenrundschau

Jan-Christoph Gockel und sein Dramaturg "transportieren Langs Werk ins 21. Jahrhundert, nehmen Handlungsvorlagen auf und spinnen sie weiter", schreibt Dietmar Kanthak im Bonner General-Anzeiger (11.11.2013). Das Theater feuere hier "ästhetisch aus allen Rohren", es wolle "so maßlos sein wie Langs Film. Und vor allem smart, up to date, anspielungsfreudig." Die These des Abends sei dabei: "Die verführerische digitale Offensive der Gegenwart macht uns unfrei, unsere Identitäten lösen sich auf."

Sie sei, "gelinde gesagt, etwas verworren, diese Bonner Bühnenfassung von 'Metropolis'", meint Christiane Enkeler auf Deutschlandfunk (11.11.2013). Das Spiel mit den Puppen sei zwar im Rahmen des Konzeptes "folgerichtig (und plakativ)", es gerate "allerdings selten organisch und wenn es doch einmal geschieht – bricht die Regie von Jan-Christoph Gockel diese wie andere mühsam aufgebaute zarte Stimmungen mit einem Schrei, einem Wand-Durchbruch oder sonstigen Unsensibilitäten."

"Offenbar sollen wir global-digitalen Revolutionäre von heute lernen aus den Zeitläuften von vor hundert Jahren, als die industrielle Revolution das Leben in völlig neue Bahnen katapultierte", so benennt Vasco Boenisch für die Süddeutsche Zeitung (15.11.2013) den Tenor der Intendanzauftakt-Premieren in Bonn, um dann mit "Metropolis" konkret zu werden: "Heute sind es Maschinen, die den Mensch ver- und bedrängen". Gockel spiele mit dieser Umkehrung des Verhältnisses von Mensch und Maschine anfangs "sehr charmant". Der Puppenbau wird gewürdigt. "Doch über der Faszination am handwerklichen Detail verliert die Regie ihr Kerngeschäft aus dem Blick: eine stringente Geschichte und die Schauspielerführung. Der dreistündige Abend franst aus, selten kommen die Akteure richtig ins Spielen, ins Inter-Agieren."

Kommentare  
Metropolis, Bonn: schwach
Also entschuldigen Sie aber ich hätte doch eine objektivere Kritik erhofft. Der Abend ist wirklich schwach und selbstgefällig. Die jungen Schauspieler schaffen nicht im Ansatz ihren Figuren tiefe zu geben.

Schade.
Metropolis, Bonn: kalter Krieg in Bonn?
"Der Film "Metropolis" treibt die sozialistische Theorie auf die Spitze. Die Stadt ist in eine Ober- und eine Unterwelt getrennt, oben die Sphäre von Pracht, Pomp und Luxus, unten die der Sklaverei. Am Ende finden Arbeiter und Unternehmer zu einem dritten Weg, und die Maschinen stehen still – nachdem Freder eine Odyssee durch Leid und Liebe hinter sich gebracht hat." Kalter Krieg in Bonn? oder verirrt sich der Rezensent im Dschungel des Besserwissens, aber "Metropolis" schien ihm ja auch mächtig unklar. Wieso eigentlich? Und was hat das Monokel mit dem Können des Regisseurs zu tun. Theaterkritik tief.
Metropolis, Bonn: ohne Vorwissen verständlich
Der Abend ist sehr gut nachzuvollziehen und auch ohne jegliches Vorwissen zu Verstehen. Im Schlussbild spielt Hajo Tuschy ja wohl mit einem Apfel und einer Frau den Hauptpart, das Rad ist nur eine Nebenhandlung.
Metropolis, Bonn: Der Mittler ist das Herz
"Metropolis" treibt nicht die sozialistische, sondern die marxistische Theorie auf die Spitze, wonach sich der Kapitalismus am Ende selbst zerstöre. Der Film kritisiert die Maschinenwerdung des Menschen, welcher nur noch mechanisch agiert. Entweder körperlich mechanisch (die Arbeiter) oder geistig mechanisch (die Arbeitsherren). Was hier fehlt, ist tatsächlich ein Vermittler zwischen Körperwelt und Geistwelt. Die entscheidende Frage ist dann aber für mich: Kann ein Mensch Mittler sein? Oder zieht das nicht auch wieder nur ein autoritäre Abhängigkeitsverhältnis nach sich? Der Mittler steckt vielmehr potentiell in jedem Menschen, es ist das Herz bzw. die innere Orientierung in jedem Menschen. Ein Mensch kann für mich niemals Mittler sein, weil immer die Gefahr der Götzenbildung droht. Und damit einhergehend die Gefahr, dass das eigenständige Denken und Fühlen darüber verkümmert. Jede Erfindung, jedes Werkzeug, welches Menschen seit Beginn der sogenannten "Menschheitsgeschichte" konstruiert haben, kann sich immer auch gegen den Menschen selbst wenden. Das ist für mich die Grundaussage von "Metropolis".
Metropolis, Bonn: ohne Haltung
".....ohne erkennbare Haltung und mit Nivaeuschwankungen....." dem muss ich leider zustimmen.
Metropolis, Bonn: es geht um die Selbstausbeutung aller
Ob die Aufführung dem Film gerecht wird, sollte hier nicht die Frage sein. Vielmehr wie bei jeder anderen Aufführung auch ist zu fragen, was das Stück bietet und zwar so, als ob es den Film gar nicht gäbe. Viele, vielleicht die meisten Besucher werden den Film gar nicht gesehen haben und bestenfalls ihn nur dem Namen nach kennen. Und schließlich erschien dem Produktionsteam Gockel/Schliesing sowohl der Film von Fritz Lang als auch das Drehbuch von Thea von Harbou als untauglich für ihre Arbeit an dem Stück, das sie zur Aufführung brachten. Sie haben daher nach eigenem Bekunden im Programmheft eine „neue Interpretation und eine eigene Sichtweise auf die Welt“ von Lang/Harbou entworfen. Danach geht es heute nicht mehr um die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere sondern um die Selbstausbeutung aller, der Technisierung des Alltags und im wörtlichen Sinn der Maschinisierung des Menschen. Gockel/Schliesing wollen am Ende alternativ „den Sprung in eine neue Erfindung von Menschsein“ aufzeigen. Ob diese Interpretation der westlichen Gesellschaft oder gar der Menschheit zutrifft, darüber ist zu streiten. Weniger strittig sollte sein, dass die Inszenierung dieser Gedanken als solche schon die Aufführung neben allerlei technischem Schnick-Schnack überfrachtet, zumal der Vater-Sohn-Konflikt, die Verliebtheit des Sohnes in die Maria u. a m. auch noch in das Stück eingebaut sind.
Paul Tostorf
Metropolis, Bonn: Intensität ist nicht gleich Brüllen
Halloooo.. Intensität wird am Theater jeden zweiten Abend mit Brüllen verwechselt ;-)
Metropolis, Bonn: Wahlwerbungs-Assoziation
Die Bonner Bühnenfassung laut Christiane Enkelers (Deutschlandfunk) Rezension klingt ja irgendwie doch ziemlich gruselig. Zitat: "Dummköpfe seid ihr! In euren Morgen, euren Mittag, euren Abend, eure Nacht schreit Metropolis nach Futter! Ihr seid das Futter! Ihr seid das Futter! Ihr seid das lebendige Futter, euch frisst Metropolis wie Häcksel und speit euch wieder aus!"

Das erinnert mich beinahe an folgende Wahlwerbung der "Alternative für Deutschland": "Mut zur Wahrheit. Die Bürger sind systemrelevant. Sonst nichts." Zufall oder beabsichtigt?
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