Anonym aus Angst vor Jobverlust

19./20. November 2013. Eine Gruppe von etwa 20 Wiener Billeteuren hat sich unter dem Namen "Anonyme Billeteurinnen und Billeteure" formiert, um den von ihrem Kollegen Christian Diaz gestarteten Protest gegen die Praktiken des Unternehmens G4S fortzusetzen. Auf ihrem Blog Die anonymen Billeteure schreiben sie: "Wir fordern (…) als anonyme Billeteure und Billeteurinnen, dass Firmen wie die G4S, die national und international für zweifelhafte Machenschaften bzw. Menschenrechtsverletzungen stehen, nicht länger aus dem Kulturbudget bezahlt werden. Wir bitten die Bundestheaterholding, ihren Vertrag mit der G4S zu lösen und ein Arbeitsverhältnis ohne Gewissenskonflikte zu ermöglichen, in dem freie Meinungsäußerung nicht nur möglich, sondern auch erwünscht ist."

Auf Anfrage von nachtkritik.de schreiben die Anonymen Billeteurinnen und Billeteure: "Unsere Formierung ist eine Manifestation einer eigenen Stimme, ein Wunsch nach einer Veränderung und ein sich Aufbauen gegen den ständigen, latenten Druck, dem man von allen Seiten ausgesetzt wird. Der Tumblr soll uns als Gruppe eine Stimme geben, da wir einzeln nichts bewirken können und unseren Job riskieren würden. Das Risiko besteht natürlich weiterhin, und das ist jedem von uns auch bewusst." Es sei ihnen wichtig, eine Art von Aufklärungsarbeit zu leisten, auf die vielen falschen oder schwammig formulierten Aussagen in den Medien zu verweisen und diese zu korrigieren. "Außerdem ist es auch wichtig, dass Christian Diaz nicht als einziger kritischer (Ex-)Billeteur dasteht."

Zuvor hatte Bundestheaterholding-Chef Georg Springer behauptet (und diese Behauptung später widerrufen), im Besitz einer Unterschriftenliste zu sein, auf der "sämtliche Mitarbeiter des Publikumsdienstes" sich mit Diaz entsolidarisiert hätten. Das schreibt das Nachrichtenmagazin Profil. Die Anonymen Billeteurinnen und Billeteure bestätigen nachtkritik.de die Existenz einer solchen Liste – allerdings sei sie erst im Akademie- und im Burgtheater ausgelegt worden, nachdem Springer behauptet hatte, sie hätten bereits alle unterschrieben. (Stand: 20.11.2013). Am Abend des 19.11. sei ihnen bekannt gegeben worden, dass G4S die Liste nicht weiter auslegen werde. "Beide Listen waren unseres Wissen ohne Unterschrift, wobei wir da uns natürlich nicht 100% sicher sein können", schreiben die Anonymen Billeteure.

Auf der Liste habe es geheißen: "Als Billeteure der G4S Secure Solutions AG, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens, für das wir – teilweise schon seit vielen Jahren – sehr gerne unseren Dienst verstehen, halten wir hiermit fest, dass der Billeteur Christian Diaz im Burgtheater eigenständig, und nicht stellvertretend für alle Billeteure der Bundestheater, das Wort ergriffen – und seine persönliche Meinung geäußert hat. Durch unser Arbeitsverhältnis mit G4S ist es uns möglich, einen wertvollen Beitrag zum Gelingen eines schönen Theaterabends zu leisten. Wir hoffen daher, dass diese jahrelang erfolgreiche Partnerschaft zwischen den Bundestheatern und G4S im Dienste der Wiener Theaterkultur noch lange bestehen bleibt."

Für den kommenden Donnerstag, den 21. November, hat G4S seine Mitarbeiter nach Information der Anonymen Billeteure zu einem Gespräch zu dem Thema geladen.

Die Angelegenheit hat es in Österreich mittlerweile auf die bundespolitische Ebene geschafft: Die österreichischen Grünen haben bereits Ende Oktober eine Parlamentarische Anfrage gestellt.

(sd)

Hintergrund:Chronik der Debatte um die Protestaktion des Billeteurs Christian Diaz beim Jubiläumskongress des Wiener Burgtheaters

 

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Anonyme Billeteure: Menschenrechtsverletzungen raus
"Als Billeteure der G̶4̶S̶ ̶S̶e̶c̶u̶r̶e̶ ̶S̶o̶l̶u̶t̶i̶o̶n̶s̶ ̶A̶G̶ _Burgtheaters als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens, für das wir – teilweise schon seit vielen Jahren – sehr gerne unseren Dienst verstehen, halten wir hiermit fest, dass der Billeteur Christian Diaz im Burgtheater eigenständig, und nicht stellvertretend für alle Billeteure der Bundestheater, das Wort ergriffen – und seine persönliche Meinung geäußert hat. Durch unser Arbeitsverhältnis mit G̶4̶S̶ _dem_Burgtheater ist es uns möglich, einen wertvollen Beitrag zum Gelingen eines schönen Theaterabends zu leisten. W̶i̶r̶ ̶h̶o̶f̶f̶e̶n̶ ̶d̶a̶h̶e̶r̶,̶ ̶d̶a̶s̶s̶ ̶d̶i̶e̶s̶e̶ ̶j̶a̶h̶r̶e̶l̶a̶n̶g̶ ̶e̶r̶f̶o̶l̶g̶r̶e̶i̶c̶h̶e̶ ̶P̶a̶r̶t̶n̶e̶r̶s̶c̶h̶a̶f̶t̶ ̶z̶w̶i̶s̶c̶h̶e̶n̶ ̶d̶e̶n̶ ̶B̶u̶n̶d̶e̶s̶t̶h̶e̶a̶t̶e̶r̶n̶ ̶u̶n̶d̶ ̶G̶4̶S̶ ̶i̶m̶ ̶D̶i̶e̶n̶s̶t̶e̶ ̶d̶e̶r̶ ̶W̶i̶e̶n̶e̶r̶ ̶T̶h̶e̶a̶t̶e̶r̶k̶u̶l̶t̶u̶r̶ ̶n̶o̶c̶h̶ ̶l̶a̶n̶g̶e̶ ̶b̶e̶s̶t̶e̶h̶e̶n̶ ̶b̶l̶e̶i̶b̶t̶.̶
Na super - wo ist die Relevanz/das Alleinstellungsmerkmal von G4S in dieser Gleichung. Billeteure bleiben, Theater bleibt. Schöner Theaterabend läuft weiter. Menschenrechtsverletzungen raus aus der Gleichung. Gerne.
Anonyme Billeteure: Towards an Institution of Critique
»It's not a question of being against the institution: We are the institution. It's a question of what kind of institution we are, what kind of values we institutionalize, what forms of practice we reward, and what kinds of rewards we aspire to.«

Fraser, Andrea. "From the Critique of Institutions to an Institution of Critique." Art Forum 44.1 (2005): 278-86. Web. 19 Nov. 2013. .
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