Du machst einen auf Amerikaner

von Nadja Lauterbach

Dresden, 21. November 2013. Mit dem Humor ist es ein bisschen so wie mit italienischem Wein: Man kann einen ganz passablen Abend mit ihm verbringen, selbst wenn er zu wünschen übrig lässt. Aber ab einer gewissen Menge knallt er, dass einem schwummerig wird. Da ist weniger doch irgendwie mehr. Und apropos Heiterkeit: Welcher Komödiant ist eigentlich der komischere? Derjenige, der die Klischees hemmungslos ausspielt, oder jener, der im Spiel den Versuch unternimmt, partout nicht komisch sein zu wollen?

diener1h 280 matthiashorn uRippen vor Treppe: Christian Clauß als
Truffaldino und Ines Marie Westernströer
als Beatrice Rasponi © Matthias Horn

Glückspille Goldoni

Das Staatsschauspiel Dresden ruft dazu auf, Glückspillen abzusetzen, zugunsten der Neuinszenierung eines Klassikers. Es empfiehlt Carlo Goldonis "Der Diener zweier Herren" von 1746 (in einer Stückfassung von Martin Heckmanns, der dem Haus seit langem als Autor verbunden ist): "Gegen die Depression und den Terror der Intimität" unserer Zeit. Und es scheint tatsächlich zu klappen: Philipp Lux betritt als hünenhafter, rundlicher Wirt Brighella die Bühne und schmettert zu Diskolicht schmierig und kraftvoll einen Gassenhauer mit Fluppe im Mundwinkel: "Die Liebe ist der Held, der letzte auf der Welt." So jung der Abend, so reich an Lachern. Dieser erste Auftritt wirft seine Schatten voraus: Wer in dieser Inszenierung Erzkomödiant ist, wird bestehen. Und mit doppelter Kraft für die Kollegen mitspielen, denen das rechte Geschick oder – es sind auch Schauspielschüler dabei – einfach die Erfahrung fehlt.

Auf einer holzgetäfelten Bühne, die so manche Tür zum Klamaukspiel versteckt, verloben sich die Amorosi Silvio und Clarice im Hause des Venezianers Pantalone. Doch sie werden unterbrochen vom Diener Truffaldino, gespielt von Christian Clauß. Er schlendert mit roter Zipper Hoodie und grüner Stepphose die Treppe herunter, als wäre er ganz im Heute. Ein Arlecchino im Stile der Commedia dell'Arte mit Flickenmantel und Ledermaske wäre womöglich übertrieben: Dass in der Dresdner Inszenierung von Bettina Bruinier jedoch ausgerechnet jener Held des Stückes sowohl physiognomisch als auch in der Wahl des Kostüms der Figur des Silvio fast aufs Haar gleicht, befremdet. Es ist schade, dass dieser Harlekin keine optischen Alleinstellungsmerkmale bekommt, hätten sie seinem Spieler womöglich gar mehr Mut verliehen. So eröffnet er mit viel weniger Schalk in der Stimme als in seinen Bewegungen das berühmte Spiel um Verkleidungen, Verwechslungen und Intrigen auf dem Weg zu drei glücklichen Liebespaaren.

Mit Charly Chaplin und Buster Keaton

Recht musikintensiv präsentiert sich dabei die Inszenierung. Nachdem Truffaldino wegen der Ankündigung eines tot geglaubten Besuchs für verrückt erklärt wird, kehrt die gesamte Belegschaft in Brighellas Spelunke ein. Begleitet von den Klängen des stimmungsvollen italienischen 50er-Jahre-Evergreens "Tu vuò fa' l'americano", prostet man sich bei hartem Klaren mit vielen Salutes im sauberen Chor und in Reihe aufgestellt zu. Der Schlager soll sich als dramaturgischer Sinnstifter erweisen: "Du machst einen auf Amerikaner, wurdest aber in Italien geboren", heißt es darin. Dies erklärt, weshalb Charles Chaplin Pate für manche Slapstick-Nummer auf der Dresdner Bühne gestanden haben muss oder weshalb Mancher Züge eines Buster Keaton trägt. Ferner nimmt dieses Lied auf charmante Weise vorweg, weshalb jede Schreckszene mit einem kurzen Streicherthema unterlegt wird, das an die Begleitmusik amerikanischer Films Noir erinnert.

diener2 560 matthiashorn uKomödie mit Bart: Ines Marie Westernströer als Beatrice Rasponi © Matthias Horn

Martin Heckmanns Textfassung kommt zuweilen mit dem Holzhammer daher, um Carlo Goldonis Stück ins Heute zu transportieren. Witzig ist es, wenn Pantalone, der bei Ahmad Mesgarha mit viel Händereiben dicht am Vorbild der Commedia dell'Arte bleibt, von "Interimsschwiegersöhnen" spricht. Oder wenn Truffaldino nach einer Treppenrutschpartie erklärt: "Augen auf bei der Berufswahl". Doch wäre insgesamt weniger mehr gewesen. So fällt die legendäre Schlüsselszene, Truffaldinos akrobatisches Parallel-Bedienen zweier Herren, aufgedonnert mit tausenderlei Ideen zwischen "Gazpacho Andalucia" und "Boeuf Stroganoff" schließlich schwach aus.

Bruiniers Inszenierung findet keinen Rhythmus für die Komödie, auch weil das Gefälle zwischen einigen jungen, teils noch unerfahrenen Akteuren zu erprobteren, komödiantisch meisterhaften Kollegen wie Sascha Göpel oder Lea Ruckpaul groß ist. Vor allem Justus Pfankuch als Silvio und Christian Clauß versuchen in ihrem Klischeespiel, ihre Unsicherheit mit Körperlichkeit wettzumachen – was teils zu Zwischenapplaus führt, teils aber übers Ziel hinausschießt. Im Ganzen staubt die 267 Jahre alte Komödie trotz aller Aktualisierungsbemühungen an diesem Abend doch ein wenig. Sie wurde vom Premierenpublikum gleichwohl frenetisch gewürdigt.


Der Diener zweier Herren
von Carlo Goldoni
Stückfassung von Martin Heckmanns
Regie: Bettina Bruinier, Bühne: Philipp Nicolai, Kostüme: Teresa Vergho, Musik: Jan Maihorn, Dramaturgie: Felicitas Zürcher, Licht: Björn Gerum, Kampfszenen: Claus Großer. Mit: Ahmad Mesgarha, Nadine Quittner, Justus Pfankuch, Ines Marie Westernströer, Sascha Göpel, Philipp Lux, Lea Ruckpaul, Christian Clauß.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Regisseurin Bruinier setze "nicht so sehr auf den eleganten Witz einer Gesellschaftskomödie", sondern bevorzuge "den groben Keil des Slapsticks, was erstaunlich gut funktioniert", wird wohlwollend unter dem Kürzel gg in der Dresdner Morgenpost (23.11.2013) geschrieben. "Die Rollen sind teils schrill überzeichnet, dann agieren sie wie die Figuren eines Comic-Strips."

Im "Stil einer allerdings sehr heutig aufgefassten commedia dell'arte" lasse Bruinier die Handlung ablaufen, schreibt auch Tomas Petzold in den Dresdner Neuesten Nachrichten (23.11.2013). Heckmanns habe seine Textfassung "nicht nur mit Klassikerzitaten und flotten Sprüchen aufgepeppt, sondern darin vor allem mit den überlieferten Rollenklischees gebrochen". Da sei jeder seines Glückes Schmied und auch die Regisseurin "weit davon entfernt, eine Figur zu denunzieren, um andere hervorzuheben". Christian Clauß' Truffaldino vollführe alles "mit Bravour und Witz, Slapstick und akrobatischen Einlagen, wie man sie nicht alle Tage auf einer Theaterbühne sieht". Fazit: "ein kulinarischer Theaterexzess", der "vom Großteil des Publikums aufgenommen wurde, als handele es sich um reine Glückshormone".

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