Glutkern vertändelt

von Martin Krumbholz

Köln, 22. November 2013. Wie alle echten Kerle mag der assyrische Feldherr Holofernes alle Weiber gern, ausgenommen: seine Mutter. Denn die dünkt ihm wie ein "Spiegel seiner Ohnmacht von gestern oder morgen." Dies ist eine der Preziosen in der aufschäumenden Rhetorik des jungen Friedrich Hebbel, der in seinem ersten Drama von 1840 nicht eben lakonisch nacherzählt, was sich in der Malerei so viel bündiger (und doch scheint's ebenso erschöpfend) darstellen lässt: Wie das schöne Weib Judith dem Grausamen nach einer Liebesnacht den Kopf abhackt, ihn einpackt und den Ihrigen daheim als Trophäe präsentiert.

Die Mutter tritt gar nicht auf, in der Kölner Inszenierung durch Christina Paulhofer ist auch die Anspielung auf sie gestrichen und der Regisseurin ist im übrigen kaum daran gelegen, männliche Befindlichkeiten und ödipale Probleme zu klären. Aber worum geht es ihr? Um den politischen Konflikt – wie ringen die Bürger von Bethulien um den richtigen Weg zwischen bedingungsloser Unterwerfung und wenig aussichtsreichem Widerstand? Um das Bild der jungen Frau Judith, die über sich hinauswächst und dabei wiederum in einen Konflikt gerät mit sich selbst, mit ihren verbotenen Wünschen und der unpassenden Faszination durch den Grausigen?

Insektenhaft im Betonbunker

So recht deutlich wird das nicht. Die riesige Bühne im Depot 1 im Kölner Carlswerk stellt ja eine gigantische Herausforderung dar: Jörg Kiefel hat den Boden mit Sand bedeckt und einen Betonbunker darauf gestellt, der oben bespielt werden kann, unten einen schmalen Spalt offenlässt und so quasi Auftritte aus dem Nichts ermöglicht. Eine schöne Erfindung ist das, die Paulhofer zu einigen eindrucksvollen Bildern inspiriert: Wenn der Chor der Bürger von Bethulien insektenhaft plötzlich in den Spalt einfällt; oder wenn von Judith nur die langen Beine zu sehen sind, während sie in goldene hochhackige Sandalen und in ein glitzerndes Paillettenkleid schlüpft (Kostüme: Lili Wanner). Die Musik (Sylvain Jacques) ist fast durchweg leise gedimmt und per Video werden immer wieder Porträts der Schauspieler auf die Bunkerfläche projiziert: Besonders markant ist das von Heiner Stadelmann in der Rolle des uralten Samuel, der wie ein Menetekel durch den Abend geistert.

judith4 560 klaus lefebvre uJulischka Eichel spielt mit dem Feuer und macht Wachsflecken © Klaus Lefebvre

Allein im Zentrum der Aufführung hapert's: Weil die Regisseurin eine Reihe schöner Effekte, aber nicht den Glutkern des Stücks findet. Robert Dölle als Holofernes – braune Wildlederhose und schlabbernde falsche Goldkette über der nackten Brust, also halb Macho, halb Tunte – zeigt von seiner Figur den Poseur und den Popanz, kaum aber den verblüffenden Rhetoriker, um dessentwillen Hebbel das Stück vermutlich geschrieben hat. Paulhofer liefert diesen negativen (aber hochkarätigen) Helden der politisch korrekten Geringschätzung des Publikums aus. Zugunsten Judiths? Leider nicht.

Kein Knistern, keine vermaledeiten Abgründe

Auch Julischka Eichel ist ihrer Rolle letztlich nicht gewachsen: Ein Girlie, das mal auf die Pauke haut und den fremden Krieger mit einem läppischen Tänzchen auf dem Bunkerdach provozieren will. Die entscheidende Szene des Stücks ist die schwächste Abends: Nicht eine Spur von Erotik zwischen Judith und Holofernes, kein Knistern, kein Raffinement, kein Triumph und keine Unterwerfung. Dass Judith sich davor fürchtet, "verehren" zu müssen, was sie "verabscheut" – das war Hebbels zentrale Idee, darin liegt der Kern des ganzen Dramas, denn hier wird die simple Logik der Dramaturgie aufgesprengt. Paulhofer vertändelt ihn.

Unter den Nebenfiguren gibt es interessante Rollenprofile zu entdecken: Thomas Müller als glückloser Liebhaber Ephraim, Torsten Peter Schnick als aufmüpfiger Assad, Harald Hauber als dessen taubstummer Bruder, der plötzlich zu reden beginnt und sich als falscher Prophet in Szene setzt. Doch all das ist Beiwerk – und letztlich auch ein bisschen verquast. Viel überschießende und altmodisch anmutende Rhetorik ist dabei. Der sich als Dramatiker erprobende Friedrich Hebbel hat sein Stück um zweier Figuren willen geschrieben – Judith und Holofernes. Dass es um die und deren vermaledeite seelische Abgründe gehen müsste, das zu zeigen, kriegt die Kölner Aufführung nicht hin.

 

Judith
Tragödie von Friedrich Hebbel
Regie: Christina Paulhofer, Bühne: Jörg Kiefel, Kostüme: Lili Wanner, Musik: Sylvain Jacques, Video: Impulskontrolle, Dramaturgie: Thomas Laue.
Mit Julischka Eichel, Robert Dölle, Julia Riedler, Thomas Müller, Torsten Peter Schnick, Seán McDonagh, Harald Hauber, Heiner Stadelmann, Because Chor Köln, Jonas Gruber, Mohamed Achour, Jakob Leo Stark.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

Kritikenrundschau

"Einen besseren Holofernes kann es nicht geben", frohlockt Oliver Jungen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (24.11.2013) zunächst über diesen "Urmann": Wenn Robert Döller donnert: "Kniet nieder", wolle man es "auf der Stelle tun". Allein, ihm und Julischka Eichel sei "jede Subtilität verboten" – "ein nervtötendes Oberacting". "Jede Szene wird dabei gefilmt und projiziert, was gähnlangweilig auf unsere Mediengesellschaft anspielen mag. Kein Klischee einer vermeintlich hippen Inszenierung wurde ausgelassen" – "Alles ohne Mehrwert, alles bloßes Eins-zu-eins-Desing". Paulhofers Inszenierung sei "leider komplett verunglückt". Man sei hier "in der Mythen-Wüste gelandet: Diese Karikaturen gehen uns nichts an." Und dann sei auch noch das grandiose Finale gestrichen.

Der Betonblock, den Bühnenbildner Jörg Kiefel in diese "Theaterindustriekathedrale" hineingestellt hat, beeindruckt Egbert Tholl von der Süddeutschen Zeitung (26.11.2013). Die Sprachbehandlung des Chors lässt ihn allerdings "an die Oberammergauer Passion denken", die Nebenfiguren seien "fahrig, für sich allein uninteressant". Das sei ein "Wagnis", müssten Dölle und Eichel die "Größe ihrer Figuren" da "doch ganz aus sich heraus herstellen". Paulhofer ziele "auf Ambivalenz" der Hauptfiguren. Dölles Holofernes habe "etwas von einem eingebildeten Spieler", Eichels Judith sei "eine Frau, die das Verlangen gerade erst anfängt zu erkunden. Und nie zum Ziel gelangen wird." Das alles sei "durchaus fein gedacht und gut gemacht. Aber es lässt einen völlig kalt. Mit durchdachter Verhaltenheit kommt man diesem Stoff nicht bei".

Die Regie führe Hebbels Tragödie "an die Gegenwart heran, ohne sie mit naheliegenden politischen, religiösen, kulturellen und zivilisatorischen Konflikten, mit Gotteskriegern und Krisenherden zu belasten", schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen (26.12.2013). Die Inszenierung dringe allerdings nicht "bis in die Extreme des Dramas" vor, erschließe "seine Ungeheuerlichkeiten nicht"; Eichels Judith bleibe dafür "zu lieblich", Dölles Holofernes gefalle "sich zu sehr als Poseur seiner trivialmythischen Männlichkeit". "Doch die straffe und solide Aufführung hat nicht nur mit einem schwierigen Text, sondern auch mit dem schwierigen, dreißig Meter breiten und akustisch unzulänglichen Raum der ehemaligen Fabrikhalle zu kämpfen: Wie sie sich hier mit Bildern von archaischer Würde und dunkler Kraft behauptet, ist für den noch etwas wackligen Spielplan des Kölner Neuanfangs bereits ein Gewinn."

Paulhofer maße sich "nicht an, das Rätsel um Friedrich Hebbels einschüchternd schöne Titelheldin zu lösen, aber sie setzt markante Zeichen", so Hartmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau (25.11.2013). Hebbels Dialogen stünden "auf hohen Pathosstelzen", denen Kiefels Bühne "den idealen Resonanzraum bietet". Die Videoprojektionen blieben "zwar hinter Katie Mitchells raffinierten Bildströmen zurück", verstärkten die "visuelle Eindringlichkeit aber durchaus". Der "emotionale Starkstrom zwischen den Hauptfiguren" falle allerdings "gelegentlich aus". Ausgerechnet "das scharfsinnige Dialogscharmützel" zwischen Judith und Holofernes werde "in Indianertänzchen verkaspert". So habe der Abend "Licht und Schatten, bleibt aber bis ins stringent gestraffte Finale spannend", dank "engagierter Hauptdarsteller" und "etlichen feinen Charakterskizzen".

Ihre poppigen Momente retteten die Inszenierung immer wieder davor, sich in dunkel-raunender Ödnis zu verlieren, ohne sich andererseits in gleichmacherischen Unernst zu flüchten, meint Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (25.11.2013). Am Ende siegt bei ihm aber doch die Skepsis: "Der Wahnsinn und der Tod, auf die der Abend zusteuert, heben sich kaum vom schnöden Alltag ab. Wie enttäuschend." Lob ernten die beiden Hauptdarsteller: Julischka Eichel als Judith ("scheint anfangs halb wahnsinnig im flackernden Licht einer Menorca, eine hoffnungslos in sich Versunkene. Doch hat sie sich einmal aufgerafft, verlangt sie von der Außenwelt Unmögliches.") und Robert Dölle als Holofernes ("Dölle spielt ihn eher wie Shakespeares wilden Caliban, der sich als Herr eines Reiches wähnt, das in Wahrheit Höherem gehorcht.").

Kommentare  
Judith, Köln: lobenswert
Die Kritik ist lobenswert in ihrem Versuch fair zu sein. Sagen wirs offen: Es war schrecklich.
Judith, Köln: uninspiriert
Landestheater Hintertupfingen gibt Hebbel. So ungefähr sah das aus, was ich da am Freitag sehen musste. Und damit habe ich wahrscheinlich die Mehrheit der Landestheater beleidigt.
Es war tatsächlich unfassbar zu sehen wie der ohnehin eher handlungsarme, monologlastige Text da ohne Idee, ohne Inspiration auf die Bühne geworfen war. Bemitleidenswerte Schauspieler sagen ihre Sätze auf ohne Haltung zum Text, ohne irgendeinen Begriff davon, was sie da reden und zu welchem Zweck; die meisten von ihnen degradiert zu grauen, konturlosen Stichwortgebern mit Miniauftritten.
Die heutige zweite Vorstellung entfällt im Übrigen "wegen Krankheit". Ein Schelm, wer Anderes dabei denkt?
Judith, Köln: kein guter Start
Ein Abend zum Fremdschämen, vor allem darüber, dass solche Gedankenlosigkeiten an einem Haus wie Köln möglich sind. Insgesamt ist der Kölner Start für mich ein Ausdruck des kollektiven Versagens der Kölner Dramaturgie. Es ist nichts durchdacht.
Ein Start mit dem Nackten Wahnsinn? Auf dieser Big-Picture-Bühne?
Ein Sezuan, der die Puppen in den Vordergrund stellt? Als zweite Produktion? Charmant gegenüber dem neuen Ensemble.
Der Streik? Eine Katastrophe.
Judith? Beschämend.

Denkt an diesem Haus niemand nach? Ich bin traurig und enttäuscht über diesen Start.
Judith, Köln: beglückend
So viel leidenschaftlicher Häme kann nur von Verwandten, Liebenden oder Verbündeten stammen. Seid Ihr Mitarbeiter des Theaters?
Also meine Begleiterin und ich sind beglückt aus der Vorstellung gegangen. Überhaupt habe ich von unseren Sitznachbarn nur Gutes gehört. Mich überrascht diese grundlegend andere Wahrnehmung. Aber sei es drum. Ich wollte eigentlich davon erzählen, dass ich das Stück leider erst jetzt zum ersten Mal auf der Bühne sehen durfte. Und fand es wie zur Gymnasialzeit wahnsinnig inspirierend nachgemalt. Inspiration ist nicht nur ein Wort, sondern ein zumindest momentaner Quell meines Alltags.
Judith, Köln: ausgewogenes Bild
Ich finde das sind alles sehr ausgewogene Kritiken, außer die von M.Krumbholz. Vielleicht sollte er sich mehr in Sachlichkeit und Objektivität üben (…)
Judith, Köln: ausgewogen?
Hier noch eine ausgewogene Kritik:

http://www.express.de/koeln/enttaeuschung-bei-premiere-schauspiel--diese--judith--blieb-blass-und-nervte,2856,25130694.html
Judith, Köln: Analyse einer Kritik
Was ich an der Express-Kritik aus #6 sehr bemerkenswert finde:

1. Die Kritikerin nennt als Regisseurin "Angelika Paulhofers". Gut, ein kleiner Fehler, von dem wir noch nicht auf die Qualifikation der Kritikerin schließen wollen, aber …
2. Man suche mal in dieser "Kritik" auch nur ein einziges echtes Argument. Gehen wir mal durch:
a) "das war nix" ist eine Behauptung, die die Richtung der Kritik klar vorgibt. Das müsste die Kritikerin nun einlösen.
b) Das erste "Argument" folgt auf dem Fuße: "Schon bevor es richtig los ging, wurde das Premierenpublikum (...) mit einem undefinierbarem Song laut beschallt." Aha, das war wohl nix. Es war laut. Igitt. Und die Kritikerin konnte den Song nicht "definieren". Was soll das sein, einen Song definieren? Okay, dieses Argument trägt - darauf wollen wir uns einigen - nicht wirklich weit.
c) Es folgt ein Absatz über etwas, das an diesem Abend beeindruckte: das Bühnenbild. Vermutlich kann hiermit die Einschätzung "das war nix" nicht gestüzt werden.
d) Der nächste Absatz beginnt mit: "Leider nicht überzeugend". Erneut eine Behauptung, aber es folgt ja zum Glück wieder das "Argument": "der Versuch der Regie, den biblischen Stoff durch ständige Live-Video-Aufnahmen in die Moderne zu übertragen." Äh, ja, Live-Video, das muss schlecht sein. Stimmt! Das geht ja gar nicht ... Aber woran genau ist jetzt dieser Versuch gescheitert? Die Kritikerin schweigt.
e) Weiter geht's: "Selbst die emotionsgeladenen Liebes- und Hassszenen zwischen Judith und dem Feldherrn Holofernes wirkten kühl und distanziert." Aha, das wird wohl an den Videos gelegen haben, oder wie? Jedenfalls meint die Kritikerin vermutlich, dass die Liebes- und Hassszenen bei Hebbel "emotionsgeladen" sind, jetzt wirken sie kühl und distanziert. Nun gut, muss das schlecht sein? Könnte hier vielleicht nicht sogar eine Absicht zugrunde liegen? Ist nur die Emotion erstrebenswert? Aber immerhin: Hier findet sich vielleicht ein minimaler Hauch dessen, was als Begründung des Urteils der Kritikerin zählen könnte.
f) Letzter Absatz: "Trotz der tollen Hauptdarsteller (...) blieb Angelika (sic!) Paulhofers' (sic!) Inszenierung nervig und merkwürdig blass. Starker Stoff - müde Inszenierung." Also noch etwas Positives: tolle Darsteller. Aber, siehe die diffizile Argumentation der vorherigen Absätze, trotzdem ist alles "nervig", "blass" und "müde". Glasklar hergeleitet.
g) "Trotzdem „freundlicher“ Applaus zum Finale." So endet die Kritik. Warum um alles in der Welt steht "freundlich" in Anführungsstrichen? War er nun freundlich oder nicht? Hat er sich nur als freundlicher Applaus getarnt, in Wirklickeit war es aber nerviger, blasser und müder Applaus? Man versteht's nicht ...

Fazit: Die Inszenierung von Angelika Paulhofers (oder wie hieß sie nochmal) kann gar nicht so schlecht sein wie diese sogenannte Kritik von Alida Kenntmannicht.
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