Ich bin stolz, eine kreative Ressource zu sein

von Sabine Leucht

München, 12. Dezember 2013. "Kritik ist sinnlos geworden, deshalb fabrizieren wir sie nicht mehr". Und: "Wir können dem ökonomischen System nicht entkommen." Dies sind zwei Sätze aus dem immer wieder variierten Mantra des Abends, an dem die freie Schauspielerin und Regisseurin Gesche Piening ihren Frust über die längst selbstverständlich gewordene Selbstausbeutung von Künstlern einmal anders formuliert. Nämlich aus der Position des schrankenlosen Marktkonformismus heraus, von wo aus das Verkaufbarkeitsargument jeglichen Gedanken an Inhalte überwuchert: Was wäre, ruft der Abend, wenn Kunst auf Teufel komm raus gefallen müsste? Oh je, weiß man (spätestens) am Ende, sie wäre nichts als eine marktschreierische Hülle um einen nicht mehr vorhandenen Kern.

zauberdernachfrage 280h gerardpleynet xDas Prekariat macht Seifenblasen.
© Gerard Pleynet
"Vom Zauber der Nachfrage" ist in Pienings Biografie nicht vom heiteren Himmel gefallen. 2009 hat die in Hamburg geborene Wahlmünchnerin in "Lohn und Brot" zwei literarische Arbeitsgeschichten und -Milieus miteinander verschränkt (Kathrin Röggla, Erika Runge) und ihre Produktionsgesellschaft "work.life.balance-GbR" genannt. 2012 hat ihre Wanderausstellung brenne und sei dankbar zur Eröffnung des Münchner Festivals Dance einigen Wirbel verursacht, weil sich nicht jeder freie Schauspieler oder Tänzer seiner prekären Existenz stellen wollte und ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 13 253 Euro (bei Künstlerinnen nur 10 000) lieber mit Sinn- und Lust-Argumenten rosig färbte. In Pienings letzter Produktion vor dem sich nun im Münchner i-camp entfaltenden "Zauber" befragte sie den Zurichtungswahn der Schönheitsideologen. Und das Wohltuende an den Arbeiten der 35-Jährigen ist, dass sie Verantwortung nicht an "die Anderen" delegieren. Auch wenn im "Zauber" ein gleichgültig vor sich hinpfeifender Herr Kapitalismus angepöbelt wird – die letzte Frage ist immer: Was lasst ihr eigentlich mit euch machen, Leute?

Bocksprünge zum Machbarkeitssong

Nun packen dieselben Leute unerbittlich die Dienstleistungskeule aus, wollen mit Stewardessenlächeln möglichst jeden Zuschauer einzeln begrüßen, predigen "Vollverausgabung", verkaufen sich als "Kulturschlampe" und interessieren sich überhaupt nur noch für Bedürfnisbefriedigung. Wenn die Schauspieler zur Melodie von "Bruder Jakob" "Gründ' ne Firma" trällern und Slogans an die Wand oder in den Raum werfen wie "Jedem Wachstum wohnt ein Zauber inne" oder "Ich bin stolz, eine kreative Ressource zu sein", dann schmunzelt und lacht man gerne über die gewitzte Zweckentfremdung des Marketing-Vokabulars.

Doch der Piening-Abend (Konzept, Text, Regie und Schauspiel) mit seinen vielen und oft zu langen Filmeinspielungen und der zwischen großer Satire, Kabarett und Nummernrevue schwankenden Häppchenästhetik kommt inhaltlich nicht recht vom Fleck und ist ästhetisch so nah dran an der Firmengründungs- und Verkaufsshow, die er simuliert, dass er letztlich auch in ähnlicher Weise ermüdet. Es gibt wunderbare Momente, etwa wenn Piening und die mit ihr live auf der Bühne stehenden Akteure Kenneth Huber und Tinka Kleffner mit kleinen munteren Bocksprüngen einem Machbarkeits-Song den dynamisch-ironischen Kick geben, während ihre Gesichter über fest verschränkten Armen verkrampfte Entschlossenheit signalisieren.

Kulturelle Sinn-Prothese

Zwischen Märchen, Fernsehballett, Rampenspaziergang und Yoga, mit Seifenblasen und Diskokugel zeigt sich das Publikum, das selten so zahlreich ins i-camp strömt, gut unterhalten. Und mit der Selbstdefinition als "kulturelle Sinn-Prothese", die die Zuschauer für "die neue Konsum- und Arbeitswoche" stärkt, hat die Produktionsgesellschaft "Marktanteil" (so heißt sie diesmal!) eine köstliche Formel kreiert, die so mancher sicher insgeheim abnicken würde. Zwischen bitterer Wahrheit und Satire changieren auch die Videobeiträge der prominenten Gäste. Schorsch Kamerun nutzt die Gelegenheit zur Imagewerbung über Bande, während Willy Astor so geradlinig zur Sache geht, dass es ein wenig peinlich wird.

zauberdernachfrage 560 gerardpleynet xDie "Kulturschlampen" bei der "Vollverausgabung". © Gerard Pleynet

Gesche Piening hat die unterschiedlichsten Künstler und Energien mobilisiert. Und die haben sich den Marketingfritzen kollektiv übergestreift wie die Jacketts über die bunten Hoodies. Und wo sich das Hin-und-Hergerissensein noch äußert, ist der Abend am schönsten. Zum Beispiel hat man ja soeben ein Start up-Unternehmen gegründet, das – wie sollte es anders sein – den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen will. Und weil diese Künstler das nicht so richtig zu verstehen scheinen, haben sie jedem Zuschauer einen Umschlag mit "Kulturdollars" zukommen lassen, die bei der Abschlussparty für Werbe- und Rauschmittel auf den Kopf gehauen werden können.

 

Vom Zauber der Nachfrage (UA)
Konzept, Text und Regie: Gesche Piening, Dramaturgie: Jan Deck, Fotografie und Design: Gérard Pleynet, Musik und Komposition: Wolfgang Petters.
Mit: Stephan Benson, Sarah Dorsel, Sabrina Frank, Kenneth Huber, Tinka Kleffner, Hussam Nimr, Wolfgang Petters, Gesche Piening, Judith Toth und den Gästen Willy Astor, Joseph Hannesschläger, Schorsch Kamerun, Luise Kinseher, Christoph Süß.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten (ohne Party), keine Pause

www.i-camp-muenchen.de
www.geschepiening.de

 

Apropos prekäres Künstlertum: Hier gibt's eine Presseschau zur Ausstellung brenne und sei dankbar und hier einen Bericht über das Berliner Symposium Report Darstellende Künste im Mai 2009.


Kritikenrundschau

Im I-Camp werde "ironisch die Anbiederung an die Gesetze der Marktwirtschaft geprobt", berichtet Florian Welle im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung (14.12.2013). "Es wird gelächelt, gerappt und der Beamer angeworfen. Das ist hübsch anzuschauen und trifft nicht zuletzt viele Kernpunkte der Debatte. Das Problem ist nur: Diese gibt es seit Jahren, die Argumente sind bekannt." Tatsächlich müsste die Künstlerin bei einem Nachdenken über "alternative Wirtschafts-, Lebens- und Arbeitsmodelle" ansetzen, so der Kritiker, der die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der "heutigen Arbeitswelt", wie sie die Künstlerin Piening in ihren Arbeiten praktiziert, an sich als "klug" schätzt.

"Vermarktungsstrategien für Künstler – eine herrlich ironische Idee, leider auf der Bühne zu spröde verschenkt", urteilt Gabriella Lorenz in einer Kurzkritik für die Abendzeitung (13.12.2013). Der von Gesche Piening praktisch im Alleingang konzipierten Performance fehle "ein kritischer Blick von Außen"; sie bleibe "unsinnlich mit Längen" und "überschüttet den Zuschauer mit rasch verpuffendem Schnellsprech-Runterbeten der Verkaufsbibel".

Kommentare  
Zauber der Nachfrage: Go "Caveman"
Konsequent wäre nun aus dieser Aufführung eine "Patent"Aufführung zu machen wie "Caveman", die in X-Städten einstudiert wird. Problem:"We will rock you" -das Musical, das die Ver-Musicalisierung der Rockmusik zeigt und an sich demonstriert - hat das schon gemacht. 10 Bücher schreiben über dieses Prekariat -möglichst poppig und blöd - und die Einnahmen eines potentiellen Bestsellers an die 10 Autoren verteilen, brächte mehr Kontemplation und Konzentration und Sinn ins Leben als in den freie Szene Verliesen eine Pop-Show zu machen über dieses Prekariat - unabhängig davon ob die Filmeinspielungen mehr oder weniger stimmig rhythmisiert sind. Man müsste sich den ästhetisch wertenden Kriterien entziehen....
Zauber der Nachfrage, M: Kapitalismusschelte, aber nicht zu dolle
Wenn sich die eigene Kunst nicht wie erhofft gewinnbringend vermarkten lässt, wird alternativ deren Nichtvermarktung vermarktet? Das prekäre Dasein und das Reden darüber als persönliches Erfolgsmodell? Die Gewährung eines Gruselblicks in die Jauchegrube? Schau, ich trau mich. Dazu etwas Kapitalismusschelte, aber nicht zu dolle? Gekauft.
Vom Zauber der Nachfrage, München: Glamour, Herrschaftszeiten
"Man müsste sich den ästhetisch wertenden Kriterien entziehen.... " schreibt Hannah Prekär. Stimmt. Genau die scheinen "AZ"-Hauskritikerin Gabriella Lorenz hier aber entscheidend: "Geld macht sinnlich. Offenbar hat die Förderung nicht gereicht: Die Performance bleibt trotz ein paar Seifenblasen und Show-Hüpferchen ohne Glamour (...). Aus dem Satire-Potential der Idee schlägt sie kaum szenisch-komisches Kapital. Die eintönigen Rocksongs von Wolfgang Petters beflügeln das wenig." Der Glamour ist halt das Wichtigste, soll das eigene Leben zum Kunstwerk werden. Herrschaftszeiten!
Kommentar schreiben