Prima la Musica

von Regine Müller

Antwerpen, 15. Dezember 2013. Seine beiden Oscars gewann Christoph Waltz für zwei schillernde Tarantino-Anti-Helden: Einen aasigen Nazi in Inglorious Basterds und einen skurrilen Kopfgeldjäger in Django Unchained. Nun hat der mit nunmehr 57 Jahren spät zum ganz großen Ruhm gekommene gebürtige Wiener sich im flämischen Antwerpen an seine erste Opernregie gewagt, und das ausgerechnet mit Richard Strauss' "Rosenkavalier". Jenem als gefällig, ja süßlich geltenden Schmankerl für Stimmfetischisten und Ausstattungs-Kulinariker von 1911, in dem Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal sich ein ziemlich artifizielles Rokoko-Wien herbei träumten und Strauss seinen Hut tief vor Mozart zog.

Wenn schon Oper, dann hätte man vom bekennenden Opern-Fan Waltz vielleicht eher einen handfesteren Stoff erwartet mit Blut und Schweiß in Strömen. Für Strauss' / Hofmannsthals "Rosenkavalier" aber bringt Waltz eine Kernkompetenz mit: Das Gefühl fürs spezifisch Wienerische des Librettos. Davon ist in Antwerpen allerdings höchstens indirekt etwas zu spüren, denn selbst der Baron Ochs auf Lerchenau – sonst eine Paraderolle für die Mundartkünstler unter den reifen Bässen – singt hier ein ziemlich lupenreines Hochdeutsch.

Dezenz als Stärke

Waltz hatte im Vorfeld zu Protokoll gegeben, dass er als leidgeprüfter Opernbesucher oftmals die Transparenz des Bühnengeschehens vermissen würde und sich von allzu dominanten Regie-Ideen abgelenkt fühle von der Musik. Ein offenes Bekenntnis zum Prinzip "prima la musica" also und zugleich eine diskrete Absage ans Regietheater. Tatsächlich ist in Antwerpen ein weitgehend klassisches, wenn auch stark abgespecktes Setting zu sehen: Annette Murschetz hat eine variable Salon-Architektur mit eierschalfarbenen Wänden gebaut, die als Schlafgemach der Feldmarschallin ebenso taugt wie als Saal bei den Faninals und zuletzt als Beisel. Eva Desseckers Kostüme zitieren dezent Rokoko-Merkmale, verweisen aber ebenso dezent auf die Petticoat-Röcke des mittleren 20. Jahrhunderts.

rosenkavalier07 560 c vlaamse opera annemie augustijns x"Der Rosenkavalier" in Antwerpen   © Annemie Augustijns Waltz fasst die "Komödie für Musik" mit spitzen Fingern an und ist spürbar bemüht, die üblichen Konventionen des populären Stücks zu vermeiden und die Steilvorlagen fürs allzu Behagliche zu umgehen. Es ist ein bisschen so, als habe er jede Szene erst einmal unters Mikroskop gelegt, dann auf Millimeterpapier neu eingerichtet. Um alle die Feinheiten, das Delikate und die subtile Präzision seiner Regie zu erkennen, muss man ziemlich genau hinsehen. Es sind keine lauten Einfälle, keine robusten Charakterisierungen, sondern eher Blicke, zurückhaltende Gesten, Haltungen, Kleinigkeiten, die sich schließlich ineinander fügen.

Messerscharfe Störungen

Diese Dezenz ist selbst auf der zu intimen Räumlichkeiten verkleinerten Bühne nicht ungefährlich, denn manchmal, insbesondere, wenn sich viel Personal wie in der Lever-Szene tummelt, gerinnen die Tableaus zu statischen Arrangements. Dann wieder sind turbulente Szenen sekundengenau choreographiert und überraschen messerscharfe Beobachtungen: wenn etwa der Haushofmeister vor Entgeisterung an der Tür zu erstarren scheint, als er Octavian in ungelenker Verkleidung als Marianndl im Schlafzimmer der Feldmarschallin antrifft. Oder Baron Ochs beim Anblick des Notars sich verspannt wie Christian Wulff in der Anhörung.

Sehr schön sind auch die kleinen Störungen, die Waltz in den sakrosankten Szenen einbaut: Wenn sich etwa Octavian als Brautwerber bei der Rosenüberreichung aus Versehen vor der Leitmetzerin statt vor Sophie verneigt, bevor Erstere ihm verstohlen die richtige Richtung weist. Oder wenn Sophie und Octavian sich am Schluss eben nicht stürmisch in die Arme fallen, sondern ziemlich nüchtern einander an den Händen fassen und wackeren Schrittes abgehen.

rosenkavalier05 560 c vlaamse opera annemie augustijns x"Der Rosenkavalier" in Antwerpen © Annemie Augustijns

Arg geradeaus im Graben, hinreißend gesungen

Die vom "Rosenkavalier" ersehnten Rühr-Momente beschränken sich in Waltz' ausgenüchterter Version vor allem auf die Szenen der Feldmarschallin im ersten Akt, in denen Maria Bengtsson mit Catherine-Deneuve-Rätsel-Grandezza schon früh resigniert und auch am Schluss weniger großmütig als todtraurig scheint. Einen echten Fiesling gibt Albert Pesendorfer mit eher leichtem Bass als übergriffiger Ochs, der in der Beisel-Szene dem verkleideten Octavian die widerstrebende Hand rabiat ans Gemächt nötigt. So unsympathisch dieser Grobian auch ist, als er zuletzt zum Opfer der hier höchst elegant ausgeführten Intrige wird, entsetzt die Brutalität seiner gezielten Demontage dann doch. Christiane Karg zeigt die Sophie mit silbrig leichtem Sopran als durchaus selbstbewusst auftrumpfendes, vor Männer- bzw. Vätergewalt jedoch zitterndes Geschöpf, dessen Schicksal jetzt schon klar ist: Demnächst verheiratet, in der Ehe vereinsamt, betrogen, schließlich selbst betrügend, alternd in der Langeweile einer feudalen Existenz – in der Nachfolge der Feldmarschallin. Octavian ist bei Stella Doufexis entgegen üblicher Deutung ein Jüngling mit gebremstem Geschlechtsdrang, eher fragil und womöglich untauglich, ein echter Draufgänger zu werden.

Gesungen wird insgesamt hinreißend in Antwerpen, insbesondere das Damentrio angeführt von Maria Bengtssons Feldmarschallin ist famos. Generalmusikdirektor Dmitri Jurowsky sucht im Graben allerdings leider häufig erfolglos nach der optimalen Balance, trumpft manchmal grob auf und verfehlt letztlich das schlampert Verschliffene des Walzertons, das Honigsüße. Es klingt arg geradeaus und wenig süffig, es mangelt an Kolorit.

Insgesamt jedoch ein erhellender Abend, Christoph Waltz' Opernregiedebüt ist keine Deutungs-Großtat, aber das hatte er wohl auch gar nicht vor. Vielmehr eine sehr präzise, kluge und der Musik den Vortritt lassende Interpretation. Ovationen für alle Beteiligten.

 

Der Rosenkavalier 
von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal
Regie: Christoph Waltz, Musikalische Leitung: Dmitri Jurowsky, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Eva Dessecker, Licht: Franck Evin, Chor: Philipp Pointner.
Mit: Maria Bengtsson, Albert Pesendorfer, Stella Doufexis, Christiane Karg, Michael Kraus, Hanna Roos, Guy de Mey, Ezgi Kutlu, Nico Darmanin, Andrew Greenan, Vesselin Ivanov, Michael J. Scott, Christopher Lemmings, Thierry Vallier u.v.a. 
Symfonisch Orkest van den Vlaamse Opera
Dauer: 4 Stunden 15 Minuten, eine Pause  

www.vlaamseopera.be/nl

 

Kritikenrundschau

"Der Erfolg ist programmiert - das liegt aber weniger an der Inszenierung", so Eleonore Büning in der FAZ (17.12.2013). Auf den ersten Blick wirke die wie eine Nostalgie-Party. Als wolle Waltz die Erinnerung an die "Rosenkavalier"-Inszenierung von Otto Schenk noch mal hervorzaubern, "nur dass er ein paar Rüschen abgeschnitten hat". Aber Waltz ist nur der halbe Schenk. "Weggelassen hat er auch, was die Regiekünste der alten Garde auszeichnete, damals, vor dem nicht umkehrbaren Siegeszug des Regisseurstheaters: eine operngemäß raumgreifende Personenführung."

"Nun also noch ein Schauspieler auf Regieabwegen", Christoph Waltz, "Da sind schon ganz andere eingebrochen. Oder haben sich einfach auf die szenische Opulenz, das Menscheln und den Zauber der Musik zurückgezogen", schreibt Joachim Lange in der Welt (17.12.2013). Die räumliche Nüchternheit der Inszenierung ist lediglich äußere Form für eine beabsichtigte Reduktion aufs Wesentliche. "Die räumt aber nicht nur mit vermeintlichen modischen Regiemätzchen auf, sondern lädiert die sinnlich opulente Aura der Wiener Maskerade." Mit zu viel Klarheit und Präzision im Detail komme man dem faszinierenden Charisma der "Rosenkavalier"-Welt eben nicht zwangsläufig näher. Fazit: "Kein deutungsklarer, im Detail ausgeklügelter Geniestreich der Marke Chéreau, aber auch keine Katastrophe à la Doris Dörrie oder Bernd Eichinger. Sondern irgendwas eher Graues auf dem weiten Promi-Feld dazwischen."

"Christoph Waltz scheitert am 'Rosenkavalier'", ist die Rezension von Reinhard J. Brembeck in der Süddeutschen Zeitung (17.12.2013) untertitelt. Brembeck findet es geradezu fahrlässig, einem Neuling ein so vertracktes Stück wie den "Rosenkavalier" anzuvertrauen, das alles andere als ein Selbstläufer ist. Niemand scheine sich allzu viele Gedanken darüber gemacht zu haben, warum hier eine Frau einen Adligen spielt, der sich am liebsten als Dienstmädchen verkleidet. Weil der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz anscheinend auf keinen Fall einen "Inglourious Basterd" geben und auch keinen zeigen will, ist sein Ochs "so unendlich edel, brav und fad".

 

Kommentare  
Rosenkavalier, Antwerpen: Opernkritiker wider Außenseiter
Die Kritikenrundschau zeigt es wieder einmal sehr deutlich: Kaum dringt ein "Außenseiter" in die brav abgeschottete, winzig kleine Welt der deutschen Oper und deutschen Opernkritiker ein, begegnet man ihm schon mit Misstrauen, Verachtung und Zurückweisung, auch unter Aufbietung vernachlässigenswerter Details, die heftig aufgebläht werden.
Selten sieht man so deutlich, wie irrelevant und hermetisch diese staatlich mit viel Geld subventionierte Sparte geworden ist.
Früher war es absolut üblich, dass Film- und Theaterregisseure oder bildende Künstler für die Oper arbeiteten. Zumindest außerhalb Deutschlands. Den "Rosenkavalier" inszenierten z. B. Visconti in London und Louis Malle in Spoleto. Jetzt scheinen die nur noch zu stören bei den egomanischen Selbstbeobachtungen. Während man sich an inszenierende Theatergrößen zumindest halbwegs gewöhnt hat, müssen alle anderen ihre Ausgrenzung ertragen.
Natürlich würde es keiner dieser Kritiker wagen, einzugestehen, eine Regieidee Konwitschnys nicht kapiert oder sie gar für überflüssig gehalten zu haben. Denn der ist in Deutschland eine feste Größe. All jene aber, die neu in die Opernszene kommen, werden als unwillkommene Eindringlinge betrachtet.
Vielleicht hängt das mit einer Unsicherheit zusammen. Man weiß, wie man mit szenischen Erfindungen Konwitschnys oder Bietos umgehen kann - bei Außenseitern fehlen plötzlich diese Bezugspunkte.
All das ist schade, aber für mich auch nur ein weiterer Beleg, wie irrelevant die Opernszene samt ihrer Rezensenten geworden ist. Ich freue mich über die "Così" von Michael Haneke (auch diese Aufführung hat Herr Lange verständnislos rezensiert) oder den "Rosenkavalier" von Waltz - und ignoriere das deutsche Musikregietheater, das nur noch für einen geografisch wie ästhetisch beschränkten Bezugsrahmen funktioniert, außerhalb davon aber bloß lächerlich wirkt.
Übrigens: Außerhalb Deutschlands existiert eine lebendige, sehr spannende Opernszene. Wichtige Inszenierungen durch Theatermacher, Filmregisseure, bildende Künstler finden dort statt. Das ist die Zukunft, nicht die deutsche Selbstbezogenheit. Ob an den großen Bühnen wie London, Paris, Mailand, New York oder Wien, oder an kleineren wie Brüssel oder Lyon, bei Festivals in Salzburg, Pesaro oder Glyndebourne. Davon wird in deutschen Medien wenig oder kaum berichtet. Man möchte sich ja bei der Nabelschau nicht stören lassen.
Die Bayreuther Wagner-Festspiele bilden übrigens eine rühmlich Ausnahme. Was immer man über die aktuelle Führungsmannschaft sagen will - man hat dort wenigsten Mut zur Neuerung. Leider ist maximal eine Neuinszenierung pro Jahr nicht sehr viel. Aber auf den "Parsifal" von Jonathan Meere bin ich schon gespannt. Seine theatralen Fähigkeiten hat Meere schon in Salzburg überzeugend bewiesen.
Rosenkavalier, Antwerpen: Meese
Dem Gast sei es gesagt, sein Wunschregisseur heißt Meese, aber das nur nebenbei, ansonsten schreibt er auch ziemlich viel M...
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