Brennender Regenbogen

Krakau, 18. Dezember 2013. Schon seit längerem verstärken sich in Polen nationalistische und fremdenfeindliche Tendenzen. Die nach zahlreichen Pädophilie- und Wirtschaftsaffären als moralische Instanz ernsthaft beschädigte katholische Kirche will durch Angriffe auf vermeintliche Feinde Terrain zurückgewinnen. Zu diesen Feinden gehören insbesondere Feministinnen und Homosexuelle. Auch das Theater gerät unter Druck

Von Anna R. Burzyńska

Brennender Regenbogen

von Anna R. Burzyńska

Krakau, 18. Dezember 2013. "In Polen haben Nationalisten einen Regenbogen verbrannt." Was wie ein Bild aus einem Ionesco-Stück klingt, beschreibt leider ein reales Ereignis von beträchtlichem Symbolwert. Am 11. November, dem polnischen Unabhängigkeitstag, randalierte in Warschau eine Schar vermummter Nationalisten. Sie attackierten ein links-alternatives Kulturzentrum, die russische Botschaft und den "Regenbogen" auf dem Plac Zbawiciela, eine als Symbol der Toleranz konzipierte Installation der Künstlerin Julita Wójcik. Damit gaben sie zu klar verstehen, wer in "ihrem" Polen nicht willkommen ist.

Schon seit längerem verstärken sich in Polen nationalistische und fremdenfeindliche Tendenzen. Die nach zahlreichen Pädophilie- und Wirtschaftsaffären als moralische Instanz ernsthaft beschädigte katholische Kirche will durch Angriffe auf vermeintliche Feinde Terrain zurückgewinnen. Zu diesen Feinden gehören insbesondere Feministinnen und Homosexuelle. Extrem rechte Parteien wie "Recht und Gerechtigkeit" (Prawo i Sprawiedliwość, kurz: PiS) verbreiten Verschwörungstheorien zum Absturz der Präsidentenmaschine in Smolensk 2010 und zur Finanzkrise, die fremdenfeindliche Ressentiments schüren und sich gegen linke Milieus, die Europäische Union sowie die "jüdische Lobby" richten.

regenbogen warschau panek-wikimediaDer "Regenbogen" auf dem Plac Zbawiciela in Warschau ist eine als Symbol der Toleranz konzipierte Installation der Künstlerin Julita Wójcik. © Panek / Wikimedia

Massive Drohungen

Vermehrt werden Wissenschaft und Kunst zum Ziel von Angriffen. Hier nur einige Fälle aus den letzten Wochen: Im Warschauer Zentrum für Gegenwartskunst (Centrum Sztuki Współczesnej) zerstören fundamentalistische Katholiken eine Arbeit des Künstlers Jacek Markiewicz, zudem fordern sie vom Kulturminister die Schließung der Ausstellung. Zum wiederholten Mal stören nationalistische Stoßtrupps an Universitäten Vorträge und Vorlesungen von "Volksfeinden". Man protestiert gegen die Vermittlung von Gender-Themen im Unterricht und ruft zum Verbrennen von Sexualkundebüchern auf.

Ein PiS-Abgeordneter des Europaparlaments beschuldigt das Wissenschaftszentrum Kopernikus (Centrum Nauki Kopernik) in Warschau der Präsentation pornographischer Inhalte und der Anstiftung zu pädophilem Verhalten – wegen einer Schautafel, die schematisch die erogenen Zonen des Menschen zeigt. Das Exponat wird vorübergehend entfernt, die Direktion des Zentrums mit Drohbriefen überschüttet ("wir werden eure Kinder missbrauchen").

Unterbrechung von "Nach Damaskus"

Die Lage in Polen ist derzeit explosiv. Das zeigt auch ein Vorfall am Stary Teatr in Krakau, das seit Januar 2013 von Jan Klata geleitet wird. Am 14. November unterbrach ein gutes Dutzend Zuschauer mit Trillerpfeifen Klatas Inszenierung von Strindbergs "Nach Damaskus". Die Schauspieler wurden beschimpft und bedroht, man bezichtigte sie der Pornographie (wegen einer Szene, in der komplett bekleidete Schauspieler eine Parodie des Geschlechtsakts zeigen), der Profanierung nationaler und religiöser Werte sowie der Beschmutzung der Tradition des Stary Teatr.

Eine Schauspielerin wurde als "Hure" beschimpft, weil sie früher einmal eine Nonne gespielt hatte und nun in einer erotischen Szene mitwirkte. Den Machern (die dem Text ungewöhnlich treu geblieben waren) warf man vor, sie hätten Strindbergs Stück vulgär modernisiert (explizit genannt wurde das – freilich im Originaltext präsente – Thema der Alimente) und huldigten der "Kultur des Todes" (schwer zu sagen, was damit gemeint war – vielleicht das Bühnenbild, das eine Kapelle mit Totenschädeln zeigt und die eschatologische Dimension dieser paradoxerweise am stärksten moralisierenden Inszenierung im Schaffen Jan Klatas unterstreichen soll).

do damaszku magda hueckel xSzene aus Jan Klatas "Nach Damaskus" am Krakauer Stary Teatr. Am 14. November 2013 wurde eine Aufführung von nationalistischen Protestierern unterbrochen. © Magda Hueckel

Zu guter Letzt forderte man ein "Theater, wie es Konrad Swinarski machte" – ungeachtet der Tatsache, dass der (heute als Legende des Stary Teatr verehrte) Regisseur Brecht-Schüler, Bruder eines Wehrmachtssoldaten und homosexuell war. Dass er den bigotten polnischen Katholizismus und kranken Pseudopatriotismus scharf kritisierte und dass seine Inszenierungen gegen alle sittlichen, ästhetischen und politischen Tabus verstießen.

Kampagne einer Tageszeitung

Einige Gründe sprechen dagegen, den Vorfall herunterzuspielen. Erstens sind da die wiederholten Angriffe und Drohungen in ultrarechten Medien und E-Mails an die Theaterleitung, in denen Nationalisten verkünden, sie wollten das Theater aus den Händen des "schwulen Packs" und des "Juden Klata" zurückerobern. Andernfalls, so die kaum verhohlene Drohung, blühe dem "Regenbogen-Theater" dasselbe Schicksal wie dem Warschauer Regenbogen …

Zweitens war der Protest keineswegs (wie es die wochenlang von der Affäre zehrenden Medien darstellten) eine spontane Abstoßungsreaktion konservativer Zuschauer gegen ein allzu modernes Theater. Er bildete vielmehr den Höhepunkt einer langjährigen Kampagne der Krakauer Tageszeitung "Dziennik Polski" gegen das Stary Teatr. Abgesehen von der Veröffentlichung so nützlicher Artikel wie "Loch in der Brücke – eine Falle für Autofahrer", "Acht Promille und überlebt" oder "Teenager begegnen Sodomit" sorgt sich die Zeitung um den Zustand des Theaters, vornehmlich in Gestalt von Kritikern, die für die konservativen "Salons" von Krakau sprechen: Sie verreißt ausnahmslos jede Premiere des Stary Teatr (Jan Klatas Inszenierungen ebenso wie Arbeiten von Altmeistern wie Jerzy Grzegorzewski oder Krystian Lupa) und bringt zum Kontrast rührselige Berichte über Lyrik-Matinees. Die Palette der Kampfmittel reicht von empörten Leserbriefen über Denunziationen und Probengerüchte bis hin zur Infragestellung der Brandschutzvorrichtungen im Theater.

Front gegen den Kulturminister

Der Bericht über den "spontanen" Protest gegen die Inszenierung von "Nach Damaskus" wurde allerdings schon vor der Aufführung veröffentlicht, womit klar ist, dass es sich um eine von der Zeitung provozierte und von einer PiS-nahen Gruppe durchgeführte Aktion handelte. Der politische Charakter des Protests zeigte sich auch darin, dass die Protestierenden nicht nur Klatas Absetzung als Intendant forderten, sondern auch den Rücktritt des Kulturministers Bogdan Zdrojewski, der Klata berief und sein direkter Vorgesetzter ist.

Drittens hat der Konflikt am Stary Teatr auch interne Ursachen. Das Theater ist ein Moloch, der wie in einem Brennglas alle Entgleisungen des seit kommunistischen Zeiten weitgehend unveränderten polnischen Theatersystems konzentriert. Das Stary Teatr hat fast hundert festangestellte Schauspieler und eine gigantische Mannschaft von Verwaltungsangestellten und Technikern. Jeder Reformversuch stößt auf empörten Widerstand, der schon einmal zum Rücktritt eines Intendanten führte.

Reformunwilliger Theaterapparat

Jan Klata hat einige Schauspieler entlassen, die seit Jahren die Privilegien einer Festanstellung auskosten, zugleich aber die ihnen vorgeschlagenen Rollen ablehnen und stattdessen in Fernsehserien mitwirken oder mit Boulevardstücken durchs Land tingeln. Dergleichen hat bislang noch niemand gewagt, und dementsprechend groß war die Entrüstung. Seit einigen Monaten herrscht am Stary Teatr ein kalter Krieg, in dem Klata nicht nur große Teile des Ensembles gegen sich hat, sondern auch einige ihn öffentlich kritisierende Intendanten konkurrierender Theater sowie eine Schar unzufriedener Schauspieler und Regisseure, die sich seit Jahren vergeblich um einen Intendantenposten bemühen.

Durch einen unglücklichen Zufall eskalierte der Konflikt am Stary Teatr, als der kroatische Regisseur Oliver Frljić gerade eine Inszenierung auf der Basis von Zygmunt Krasińskis "Ungöttlicher Komödie" erarbeitete – einem der großen, wenngleich nicht unumstrittenen Dramen der polnischen Romantik, in dem sich polnischer Messianismus und obsessiver Antisemitismus vermischen.

Absetzung von Oliver Frljićs Arbeit

Der Widerstand innerhalb des Theaters (kurz vor der Premiere stiegen sieben Schauspieler aus, ein Mitglied des Ensembles übermittelte den gegen das Stary Teatr anschreibenden Medien interne E-Mails, das Textbuch der Inszenierung sowie detaillierte Informationen über den Probenverlauf). 

Die vom "Dziennik Polski" entfachte Hysterie ("Der Dombrowski-Marsch wird auf Russisch, aber auch auf Polnisch zur Melodie der Deutschen Nationalhymne gesungen, danach wird eine junge Frau kollektiv vergewaltigt. Anschließend heiratet sie nach katholischem Ritus […], worauf die Teilnehmer der Zeremonie erst das Brautpaar bespucken und dann die Frau in einen Schleier hüllen, der sie der Unbefleckten Jungfrau ähnlich macht.") und die zunehmend aggressiven Attacken und Drohungen von Nationalisten führten dazu, dass die Theaterleitung die Premierenvorbereitungen aussetzte – zur Begründung hieß es, man sorge sich um die Sicherheit des Theaters und könne unter den gegebenen Umständen die Arbeit an der Inszenierung nicht fortsetzen.

Abstimmung über Klata

Klata betont, es habe sich um eine tragische, aber in dieser Situation notwendige Entscheidung gehandelt. Es hat allerdings den Anschein, als habe unmittelbarer politischer Druck den Ausschlag gegeben. Weil das Stary Teatr den Status eines Nationaltheaters hat, erwarten viele Politiker, es solle der Propaganda dienen. Am 23. Dezember stimmt der Woiwodschaftstag der Woiwodschaft Kleinpolen über eine Resolution ab, in dem die Absetzung Jan Klatas gefordert wird, "damit nicht länger mit öffentlichen Mitteln vorgeblich ästhetische Experimente gefördert werden, die in Wirklichkeit das Gefühl von Anstand sowie ethische und gesellschaftliche Normen verletzt." Auf konkrete Nachfrage zum Stary Teatr räumen die Verfasser der Resolution allerdings ein, keine einzige Inszenierung des Theaters gesehen zu haben.

Vielleicht handelt es sich bei den beschriebenen Ereignissen nur um etwas Vorübergehendes – vergleichbar einem lästigen, aber ungefährlichen Zahnschmerz. Vielleicht sind es aber auch Symptome einer heimtückischen Krankheit, die bald den ganzen Körper befällt. Und gegen die es dann keine Hilfe mehr geben wird.

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann

Anna Roza BurzynskaAnna R. Burzyńska geboren 1979, Redakteurin der Theatermonatsschrift "Didaskalia", Theaterkritikerin des "Tygodnik Powszechny". Doktorandin der Theaterwissenschaften an der Krakauer Jagiellonen-Universität. Buchpublikationen: "Mechanika cudu" (Die Mechanik des Wunders, 2005 – über metatheatralische Konstruktionen im polnischen Avantgardedrama) und "The Classics and the Troublemakers" (2008 – Porträts zeitgenössischer polnischer Regisseure).

 

 

Mehr Theaterbriefe aus Polen sind über den Lexikon-Eintrag erreichbar. Für die Festivalseite von nachtkritik.de zu den Osnabrücker "Spieltrieben 3" gab Thomas Irmer 2009 einen Überblick über die polnische Theaterlandschaft.