Thomas, schreib nicht darüber!

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 10. Januar 2014. Drängen lässt er sich gar nicht, der polnische Theatermann Krystian Lupa. Bernhard ist seine Leidenschaft, ihm gilt – seit vielen, vielen Jahren schon – sein missionarisches Bewusstsein. Und so stellt sich nicht erst Punkt halb zwölf, nach geschlagenen vier Stunden, im Grazer Schauspielhaus das Gefühl ein, jede der 320 Seiten des Romans "Holzfällen" doppelt gelesen zu haben.

Passt aber schon. Man könnte mit weniger Lohnendem ebenso viel Zeit verbringen. Aber die Wechselbäder sind erst mal wegzustecken, denn dieser Theaterabend kippt immer wieder aus der brillant-geschärften Burleske ins Zerdehnte, aus dem Humoristischen ins Bedeutungsschwangere. Starke Typen sind auf der Bühne, und doch heißt es immer wieder tief einatmen und durchtauchen.

Ein durch und durch künstlerisches Abendessen

Für Österreich hat "Holzfällen" nach wie vor einen besonderen Klang: Jedermann erkannte 1984 – als Thomas Bernhards Roman bei Suhrkamp erschien und gleich wieder für kurze Zeit aus dem Verkehr gezogen ward – damalige Wiener Künstlerprominenz. "Eine Erregung", Attribut des Romantitels, schwappte verkaufsfördernd hoch. Das Buch gehört seither zum österreichischen Literatur-Kanon.

Ein Abendessen ist angesagt. Nicht irgendeines, sondern ein "künstlerisches Abendessen". Ein "durch und durch künstlerisches" sogar. Da ist also das Ehepaar Auersperg – er hat es als Komponist zu nichts gebracht, sie als Sängerin ebenfalls zu nichts, aber sie haben viel Geld und scharen Künstler um sich: die Schriftstellerinnen Jeannie Billroth und Anna Schreker, den Maler Albert Rehmden und noch ein paar andere. Der Ehrengast des Abends, "der Burgschauspieler", lässt auf sich warten. Zeit. Viel Zeit für den Dichter Thomas, Galle abzusondern.

In der Talentvernichtungsanstalt

Hinter einem Glas-Raumteiler versammelt sich die Gesellschaft und sagt wenig Essentielles. Aus dem Ohrensessel heraus murmelt der Beobachter seine ätzenden Bemerkungen. Überhaupt murmeln alle. Krystian Lupa hat der Personnage auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses Microports verpasst. Es bleibt bei Wohnzimmer-Lautstärke (nicht unanstrengend, das Zuhören). Die Leisheit wirkt aber wahrhaftig, weil sowieso ein jeder nur mit sich selbst beschäftigt und die Gesellschaft ja auffallend sprachlos ist. Nur manchmal krakeelt der versoffene Hausherr.holzfaellen2 560 lupi spuma uDer Maler (Gerhard Balluch), die Wiedergängerin (Verena Lercher), der Ohrensessel
und die sprachlose Gesellschaft hinterm Glasraumteiler © Lupi Spuma

"In Wien sitzen Gebliebene", lässt Thomas Bernhard seinen Ich-Erzähler beobachten, in der Stadt, die in seinen Augen sowieso eine "Genievernichtungsmaschine" sei, eine "Talentevernichtungsanstalt" sondergleichen. Die Bernhard-Tiraden sind Legende. "In Wien gescheiterte Kunstleichname" waren an diesem Vormittag hinter einem Sarg mit einer echten Toten hinterher geschlurft. Diese Joana, die sich erhängt hat, hat es auch wirklich gegeben. Thul hat sie geheißen, Schauspielerin hätte sie sein wollen, Erfolgs- und Aussichtslosigkeit hat sie in Alkohol ertränkt.

In der Grazer Bühnenfassung von Krystian Lupa taucht sie als Wiedergängerin auf. Verena Lercher gibt ihr Zartheit, Natürlichkeit, Leisheit. Thomas (Johannes Silberschneider), der große Kunstgesellschafts-Nörgler, verlässt seinen Ohrensessel, wenn sie, die untote Chimäre, auftaucht. Da steckt er sogleich jeden Sarkasmus weg. Macht eine Zeitreise in ihr schäbiges Kabuff am Sebastiansplatz. Macht sich auf die Suche nach dem Tonband mit dem Hörspiel "Die nackte Prinzessin" – Synonym für (etwas platte) künstlerische Aufrichtigkeit.

Hinreißend hohl

Da spinnt der Regisseur und Bühnen-Fasser Krystian Lupa die Geschichte weiter, wie überhaupt er sehr entschieden im Lauf des Abends die Aufmerksamkeit hin lenkt auf die Ambivalenzen, auf versteckte Sympathien. Fast sentimental gemalt wirkt Thomas' Hassliebe auf die Gesellschaft. Krystian Lupa hat seinen Bernhard da wirklich am feinen Nerv gepackt.

In Johannes Silberschneider (der gefragte österreichische Filmschauspieler ist Gast im Grazer Ensemble) hat man einen starken Charakter, der seine Augen immer wieder kampflustig funkeln lässt. Grantelndes Österreichisch ist seine vokale Grundfarbe. Die Aufführung bekommt damit – und das ist bemerkenswert in dieser Theaterarbeit eines polnisch-züngigen Teams – einen ausgeprägt regionalen Touch.

Die Kunst im Ohrensessel

Toll die Bühnenlösung: Zuerst steht des Raunz-Dichters Thomas' Fauteuil abseits. Durch einen gläsernen Raumteiler beobachtet er die Gesellschaft im Salon. Die Bühne wird dann gedreht, und die Ledersofas verlieren sich in fast erschreckender Weite. Mit der Kunst ist der Zusammenhalt dieser vor einem Vierteljahrhundert noch eng zusammen geschweißten Menschengruppe verloren gegangen. Erst zum Essen sitzen sie bei Tisch so eng zusammengepfercht, dass kaum serviert werden kann. Plattensee-Fogosch. In dieser Episode führt der Burgschauspieler das große Wort: Stefan Suske deklamiert hinreißend hohl. Später holt der Hausherr Gerhard Auersperg (Franz Xaver Kratz) volltrunken aus und schließlich monologisiert auch Albert Rehmden: Gerhard Balluch gibt diesem Abbild des Malers Anton Lehmden abgeklärt-posthumen Anstrich. Man wartet eigentlich einen Abend (vergeblich) darauf, dass er sich zum Widerpart oder Sympathisanten des Dichters Thomas aufschwingt.holzfaellen4 560 lupi spuma uEs gibt Plattensee-Fogosch! © Lupi Spuma

Alle Tricks werden angewandt, um das Dramatisieren über die Stunden dann doch ein wenig abwechslungsreich zu machen. Joanas Begräbnis, das anschließende Totenmahl und andere Episoden werden projiziert. Irgendwie von sich selbst beschämt macht sich die Gesellschaft schließlich davon. Ein verlogenes Küsschen von Thomas für die Gastgeberin (Steffi Krautz als Maja Auersperg): "Thomas, schreib nicht darüber!", gibt sie ihm mit auf den Weg. Versöhnliches aus dem Dichtermund, aus dem Off, während die Idealfigur Joana, zu deren Gedächtnis man eigentlich zusammengekommen zu sein vorgegeben hat, in seinem Ohrensessel Platz nimmt. Kommt die Kunst dann doch auf die ihr zustehenden Plätze? Egal. Herzlicher, aber erschöpfter Beifall eines gesäßmäßig deutlich überstrapazierten Premierenpublikums.

 

Holzfällen
nach dem Roman von Thomas Bernhard
in einer Bühnenfassung von Krystian Lupa
Regie und Bühne: Krystian Lupa, Kostüme: Piotr Skiba, Video: Evil Frog, Dramaturgie: Britta Kampert.
Mit: Johannes Silberschneider, Verena Lercher, Steffi Krautz, Franz Xaver Zach, Stefan Suske, Gerhard Balluch, Barbara de Koy, Florian Köhler.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

www.schauspielhaus-graz.com

 


Kritikenrundschau

Zwar gäbe es in dieser Romandramatisierung auch "köstlich-komische Tiraden in Fülle, aber der Erzähler wirkt oft milde und verstrickt in eine alte Geschichte, die man Liebe nennen könnte", schreibt Norbert Mayer in der Presse (12.1.2014). Verena Lercher spiele zwar "bezaubernd", werde aber auch einer "Sozialromantik ausgesetzt, die gar nicht zur Vorlage passt". Mitunter ufere die Aufführung "leider erklärend aus", und lasse ihre Akteure durch die szenische "Übermalung" mit Videos und Musik "leiden". Doch zeige sie auch "Stärke": Wenn beim Dinner weit nach Mitternacht "der Burgschauspieler oder der Dichter an der Rampe stehen, erbärmlich in ihrem flüchtigen Streben nach Ewigkeit, kommt eine Symphonie der Grausamkeit zum Klingen".

"Wer sich auf Bernhard einlässt, steuert stets auf das Schlimmste zu. Aber auch das kann, es lebe die Ambivalenz, durchaus schön und erhaben sein." So berichtet Werner Krause für die Kleine Zeitung (12.1.2014). Der "polnische Regie-Altmeister Krystian Lupa" betreibe eine "erstaunliche, sehr berührende Erforschung des Dichterkontinents Bernhard und konzentriert sich dabei auf unerschlossene weiße Flecken." Die "optisch imposante" Romanumsetzung rücke Bernhards Nähe zur Schauspielerin und Tänzerin Joana (Thul) ins Zentrum. Nach der Pause erweise sich Lupa mit eigenen Textzugaben selbst "als großer Bernhard-Wortmusiker"; allerdings verliere dieser Teil auch "allmählich an Spannung und Stimmung". Der "Feinschliff des Ensembles" sei gleichwohl "exzellent".

Krystian Lupa trinke "Bernhards Sprachfluss wie köstliches Bergwasser", schreibt Ronald Pohl im Standard (13.1.2014). Mit "heiterem Figurenraten" komme man bei Lupa nicht weiter. "Seine Bühnenadaption des Romans 'Holzfällen' ist ein Hochamt. Das Credo seiner Inszenierung tönt kunstreligiös." Lupa fühle tiefer. "Bernhards kindliche Entblößung schlecht gealterter Wohltäter" interessiere ihn nicht, seine Inszenierung spüre "dem Geheimnis der Wandlung nach." Pohl deutet das Totenmahl-Bild so: "Der kahlköpfige Burg-Mime sitzt inmitten seiner Jünger und bläht sich als Ibsen-'Ekdal'. Nur Judas (Silberschneider) stört von rechts. Die Erzählung dieser zauberhaften Aufführung bricht sich an den (projizierten) Wipfeln des Hochwaldes."

Wolfgang Kralicek schreibt in der Süddeutschen Zeitung (22.1.2014), der Skandal habe den Roman "Holzfällen" berühmt gemacht, zugleich den Blick auf einen der "formal besten" und "inhaltlich intimsten" Bernhard-Texte verstellt. Krystian Lupa bringe einen "neuen Bernhard-Ton" auf die Bühne. Seine Fassung sei keine "postdramatische Text-Performance, sondern ein richtiges Stück". Dafür habe er Dialoge "ausgeschrieben respektive dazugedichtet, ohne den Bernhard-Duktus zu kopieren". Johannes Silberschneider sei ein "erstaunlich sanfter, schüchterner Bernhard, ein Verzweiflungskomiker à la Woody Allen". Der unerfüllten Liebesgeschichte mit Joana werde breiter Raum gegeben. Verena Lercher geistere als "feenhafte Künstlerinnenerscheinung" durch die Aufführung. Die "traumspielartigen, nicht immer kitschfreien Joana-Szenen" seien die "heikelsten des Abends, aber auch die kühnsten: Thomas Bernhard als schmachtender Liebender, als sexuelles Wesen" – hier betrete die Inszenierung wirklich Neuland. Am schönsten: die "elegischen Szenen", mit einer Atmosphäre, "die etwas von Tschechow" habe. Einer der originellste und stimmigste Bernhard-Theaterabend seit langem.

Kommentare  
Holzfällen, Graz: eine Wohltat!
Der Abend war eine absolute Wohltat für jeden, der in den letzten Jahren die furchtbaren Bernhard-Aufführungen in Österreich erdulden musste, die sich nie aus Peymanns Schatten befreien konnten. Und hier, ein Bernhard, wie neu!

Ich fand auch nicht, dass man irgendwo "durchtauchen" müsse, im Gegensatz der Geschwindigkeiten der Szenen gewinnt der Abend eine Musikalität, die schon gut zu Bernhard passt.

Lupa schafft auf der Bühne einen Raum, der nie bloß realistisch ist, sondern immer zwischen Traum, Einbildung und Realität hin und her schwankt und so wirklich eine Möglichkeit bietet, eine längst Verstorbene wieder unter die Lebenden zu bitten. Und so wird die ganze Inszenierung eine Seance für eine Tote, die immer noch die Leben des Bühnen-Thomas bestimmt. Und was kann Theater Besseres leisten, als die Toten wieder lebendig zu machen.

Für mich war das ein Abend, den man nicht überschätzen kann - er hat jedes Lob verdient!
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