Fast schon Hermeline

von Christian Rakow

Berlin, 18. Januar 2014. Wenn Herbert Grönemeyer im Theatersaal Platz nimmt, weiß man, dass Nina Hoss auf der Bühne steht. Das war bislang am Deutschen Theater der Fall und ist jetzt so an der Schaubühne. Intendant Thomas Ostermeier hat die Staraktrice des DT (und des deutschen Films) unlängst an sein Haus gelotst. Ein veritabler Coup. Jetzt bringen sie mit Lillian Hellmans "Die kleinen Füchse" ihre erste gemeinsame Arbeit am Lehniner Platz heraus. Und weil der Promifaktor zum Debüt auch sonst auffallend hoch war (selbst Bürgermeister Klaus Wowereit gab sich die Ehre), fühlte man sich für Momente an Glamour-Premieren erinnert, wie sie einige hundert Meter den Boulevard runter im Theater am Kurfürstendamm die Regel sind. Die Assoziation sollte auch im Folgenden nicht vollends trügen.

"Die kleinen Füchse" aus dem Jahr 1939 ist fraglos ein Paradestück für Ostermeier. Hellmann, US-Kommunistin und Verfolgte der McCarthy-Ära, bietet darin die Innenansicht einer Südstaatenfamilie, die den Absprung ins Industriezeitalter probiert. Ihre Baumwollplantage wollen die Hubbards um eine Baumwollfabrik erweitern. Ein Investor aus dem Norden hat schon angebissen. Jetzt müssen die drei Geschwister Ben, Oscar und Regina (mit ihrem Mann Horace) nur noch die Eigenanteile aufbringen und ihre erwarteten Profite untereinander gerecht aufteilen, damit der Deal in trockene Tücher kommt. Und genau darüber wird sich der Familienclan bitterlich zerstreiten.

Raubtierkapitalismus auf Wadenbeißerhöhe
Wo der liberale Gründeroptimismus längst zur mäßig prickelnden Champagner-Phrase zerronnen ist ("Jeder Mensch hat die Pflicht, an sich selbst zu denken"), wo einzig noch das Scheckbuch die Seele klingen lässt und Moralstandards so stabil sind wie Aktienpakete beim Börsencrash, da kann sich Ostermeiers Theater wunderbar entfalten. Der Regisseur hat schon oft sein Händchen bewiesen für Krisenszenarien in den heimischen vier Wänden, für den Zerfall bürgerlicher Tugenden, für die Psychologie des Verlusts und – worauf es bei Hellman vor allem ankommt – für jene, die groß aufspielen wollen, aber doch bloß Spielball sind. Also zeigt er den Raubtierkapitalismus auf Wadenbeißerhöhe, "kleine Füchse" eben, fast schon Hermeline.

DiekleinenFuechse3 560 ArnoDeclair uAnzugträger bitte folgen! "Die kleinen Füchse" © Arno Declair

Mit Schweiß auf der Stirn umgarnen die Unternehmer Hubbard ihren Investor Marshall (Andreas Schröders): Mark Waschke als Ben, der immerhin die Fassade des Machers aufrecht zu halten versteht, und David Ruland als sein etwas stumpfer Bruder Oscar, der wenig Worte macht (weil er genug mit Speichellecken beschäftigt ist), dafür seiner Frau Birdie und Sohn Leo gern mal eine langt, weil sie irgendwie peinlich sind. Ursina Lardi als Paradiesvogel mit gebrochenen Schwingen "Birdie" und Moritz Gottwald als Luftikus Leo zaubern wundervoll tragikomische Momente aus ihren Rollen als unnötige Anhängsel hervor.

Ein Abend der Frauen
Aus dem Gehege der Mittelmäßigkeit, das diese Hubbards umfängt, vermag einzig Regina herauszulugen. Ihre Ehe mit dem herzkranken Horace ist seit Jahren erkaltet, der attraktiven Frau steht der Sinn nach Ausbruch, und das Geld der Brüder soll ihn ihr ermöglichen. Mit großer Sympathie schaut Ostermeier auf diese Protagonistin und besetzt sie also mit Nina Hoss, der Virtuosin der illegitimen Kampfführung. Mit nüchternem Pragmatismus und einigem Improvisationsgeschick spielt sie den Gatten und die Brüder gegeneinander aus. Selbstgewiss, aber nicht immer selbstsicher. Wenn eine Lüge Not tut, schaut Hoss zur Seite, überlegt kurz, wie bei der Anprobe eines Kleides vor der großen Gala. Und siehe, sogleich sitzt ihre Volte.

Es ist überhaupt ein Abend der Frauen. Ostermeier zeichnet die Männer betont blass, schrumpft selbst den im Stück durchaus altersweise auftrumpfenden Horace mit seiner Herzkrankheit (maximal entschleunigt: Thomas Bading) zum laschen Bauernopfer. Glänzen dürfen die Frauen: Regina als Strategin, deren Tochter (Iris Becher) als emotionale Gegenspielerin praktisch weginszeniert worden ist (was Regina einen ganzen Tick strahlender macht); und Ursina Lardi als traurige, trunkene Aristokratentochter Birdie, eine entrückte Fantastin, die sich einzig beim Klavierspiel am schwarzen Steinway-Piano oder bei gläserweise Erdbeerbowle noch ein wenig ausleben kann.

DiekleinenFuechse1 560 ArnoDeclair uNina Hoss als Regina – signalfarben markiert. "Die kleinen Füchse" © Arno Declair

Aber ganz will dieses Kammerspiel mit Gründerzeitflair doch nicht überzeugen. Ein Schleier des Historischen liegt auf dem Abend, weniger auf dem Stück als auf der Inszenierung, muss man sagen. Ostermeier lässt aufspielen, als wolle er das Hollywoodkino der Grace Kelly wiederaufleben lassen. Da helfen auch die behutsamen Aktualisierungen im Text nicht weiter (die Handlung wurde nach Deutschland verlegt; statt um eine Baumwollspinnerei geht es um die Umsiedelung einer einheimischen Produktion ins Ausland). Alles ist edel modern dekoriert (Jan Pappelbaum durfte sich wieder in Ledermobiliar ausleben und eine riesig aufragende Treppe in den Raum wuchten). Aber man spielt gediegen, gebremst, ohne – um im Bild zu bleiben – den letzten Biss. Und eben das erinnert denn doch eher an die Kudamm-Nachbarschaft: ein solides Stück, well made, prominent besetzt, sauber auf die Bretter gestellt. Nichts tut weh, weder im Guten noch im Schlechten.

Die kleinen Füchse

von Lillian Hellman

Deutsch von Bernd Samland

Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer

Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Dagmar Fabisch, Musik: Malte Beckenbach, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Licht: Urs Schönebaum.
Mit: Ursina Lardi, David Ruland, Moritz Gottwald, Nina Hoss, Andreas Schröders, Mark Waschke, Iris Becher, Thomas Bading, Jenny König.

Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 


Kritikenrundschau

Auf der Seite des Deutschlandfunks (20.1.2014) schreibt Eberhard Spreng, Ostermeier habe seine Inszenierung "passgerecht um den Schauspielstar [Nina Hoss] herumgelegt". Zwischen der "triumphalen Nutzlosigkeit der Birdie" und der "triumphierenden Wirksamkeit" der Regina habe Ostermeier "seine Untersuchung von Frauenbildern im Raubtierkapitalismus" angesiedelt. Ursina Lardi verkörpere Birdie wie einen "gefledderten skurrilen Paradiesvogel". Nina Hoss spiele eine "erstaunlich proaktive, offensive Macherin". Damit gelinge Ostermeier nach Nora und Hedda Gabler die "dritte große Studie einer modernen Frau". Diese Frau sei "ein Monster, aber man folgt ihrem Tun nicht ohne Sympathie, denn die Welt ist pervers, in der sie sich behauptet".

"Nina Hoss beim hintersinnigen Zitieren und gleichzeitigen Aushebeln des vermeintlich weiblichen Verhaltensrüstzeugs zuzusehen, gehört zu den bisherigen schauspielerischen Höhepunkten der Saison", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (20.1.2014). Ansonsten aber herrsche in diesem Unternehmerhaus "pseudoliberale Zeitgenossenschaft"; in Ostermeiers Inszenierung verdichte sich zunehmend der "Hollywoodkinoeindruck". Mit seinem Männerbild empfehle sich der Regisseur als "Unterstützer jedweder Pro-Quote-Bewegung", denn die Brüder könnten Hoss' Regina nicht einmal "ansatzweise das Wasser reichen" und selbst dem Ehemann fehlten die "Macherqualitäten". Fazit: Ostermeiers "Abend lässt sich durchaus hollywoodesk weggucken. Nur auf den viel zitierten Raubtierkapitalismus bezogen, bleiben die 'Kleinen Füchse' halt wirklich ziemlich handzahm."

Die Schaubühne erhalte mit dieser Inszenierung einen neuerlichen "Kassenerfolg", prognostiziert Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (20.1.2014), denn sie sei "fernsehspannend, tatorttauglich" und ein "Fest des Virtuosentums". Doch bleiben für den Kritiker entscheidende Fragen offen, denn die Inszenierung "lässt die böskapitalismukritischen Töne und Kontexte Hellmans weg und fügt der Vorlage den zeit-, wenn nicht geschichtslosen Charme der Seelenwühlerei hinzu". Distanzlos vermittle sie die "Mär", dass "(f)rei ist, wer reich ist", und zeige Frauen, die sich noch in ihrer Rebellion als "Abhängige, wenn nicht Untergeordnete" der Männerhierarchien erwiesen. Und: "So wie Ostermeier die Story behandelt, die Gier und Leidenschaften zeichnet, wird uns eine verzopfte Seelen- und Beziehungslandschaft geboten, in der die Psychologie gleichermaßen wie die Ökonomie in den Stand der Naturgesetzlichkeit, also Unveränderlichkeit erhoben ist."

Hellmans Stück biete "eine der vernichtendsten Darstellungen von Ehe und Familie, die je auf dem Theater zu sehen war", schreibt Matthias Heine in der Welt (20.1.2014). Und Ostermeier tue gut dran, "es als realistisches psychologisches Theater ohne aufdringliche Interpretationszutaten zu inszenieren". Er hätte allerdings "die letzten Rudimente seines manchmal etwas aufdringlichen Handwerks auch noch weggelassen" können, so Heine. "Auf die sinnfrei kreiselnde Drehbühne hätte man genauso verzichten können wie auf die Popsongs, die als längliche Pausenfüller die Akte gliedern". Größter Pluspunkt in den Augen des Kritikers: Hier sei Raum für die Schauspieler geschaffen worden, in dem diese "Hellmans Boshaftigkeiten zum Funkeln bringen können".

Auch Barbara Behrendt von der taz (20.1.2014) hat "einen großen Schauspielerabend" erlebt. Nina Hoss balanciere die Protagonistin Regina "zwischen konventioneller Liebenswürdigkeit, egoistischer Kälte und unbeherrschten Ausbrüchen mit Triumphposen und Verliererzorn." Auch die übrigen Akteure spielten "großartig". Das "geschwätzige Stück" sei "angenehm entschlackt" worden, allerdings bleiben für die Kritikern Einwände gegen das Stück bestehen: "Ostermeiers Thema, die Erforschung, wie sich kapitalistisches Denken aufs Zwischenmenschliche auswirkt, lässt sich bei Ibsen besser darstellen als mit den "Kleinen Füchsen". Hellmans Figuren wirken vom ersten Moment an durchökonomisiert und kaum von erkennbaren psychologischen Motiven geleitet. Sie bleiben flach, sodass Ostermeier mit ihnen nicht so weit kommen kann wie mit Ibsens ambivalenter Figurenzeichnung."

In der Süddeutschen Zeitung (21.1.2014) schreibt Peter Laudenbach: "Für den Versuch, diese zu Unrecht in Vergessenheit geratene Autorin für das Theater neu zu entdecken, muss man Ostermeier dankbar sein. Noch schöner wäre es, wenn seine Inszenierung nicht so überdeutlich und die Figuren weniger klischeehaft wären." Man ahne schon, dass hier die moralische Verkommenheit wohne, denn je teurer das Interieur, desto skrupelloser seine Bewohner, "das ist die kleine Ostermeier-Schule der Kapitalismuskritik mit Mitteln der Inneneinrichtung". "Wer auf Kosten der Unterschicht Geld scheffelt, schlägt in Ostermeiers Theaterwelt auch seine Frau und hintergeht seine Geschwister."

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.1.2014) schreibt Irene Bazinger, dass sich Ostermeier sämtliche inszenatorischen Mätzchen verkneife und nur auf das Stück schaue. Die Aufführung vibriere geradezu "vor psychischer Anspannung und extrem verdichteter Energie". "Ostermeier zaubert weder feministische noch kapitalismuskritische Lösungen aus dem Hut, sondern lässt die Aufführung gekonnt in der Schwebe enden." Die Wiederentdeckung des Stücks sowie die Inszenierung seien zu preisen.

Die schöne Frau "ist üblicherweise die Trophäe, das Pfand, die Geisel, der Köder oder der Katalysator auf einem von Männern überrannten Spielfeld. Ostermeier und Nina Hoss spielen dieses Spiel eine Weile mit, aber dann zeigen sie, wie die ganze Truppe vom Blitz getroffen wird – nur sie bleibt stehen", schreibt Peter Kümmel in seiner Doppelrezension in der Zeit (30.1.2014), die auch Isabelle Hupperts Auftritt in Marivauxs "Die falschen Vertraulichkeiten" am Pariser Théatre de l'Odeon behandelt. "Wie viel Gift Hoss in einen Blick, einen Zischlaut, eine Bühnensekunde legen kann, ist immer wieder sehenswert." Die Frau, die sie spielt, brauche für ihr Wohlbefinden eines nicht: das Gefühl, sie werde geliebt oder auch nur gemocht. Sie hat sich von allem sozialen Zierrat befreit.

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