Eine Frage der Gesamtbalance

von Stephan Dorgerloh

24. Januar 2014. Kürzungen in einer Kultursparte sind eine bittere Wahrheit, und Kürzungen sollte man auch nicht schön reden. Aber es kann nicht der Untergang des Kulturlandes Sachsen-Anhalt heraufbeschworen werden, wenn in drei von neun Theater- und Orchesterstandorten sicherlich schmerzhafte Strukturanpassungen vorgenommen werden müssen. Kein Kultusminister nimmt freiwillig und ohne Not solche Einschnitte vor. Dennoch kommen wir nicht umhin, jetzt die Grundlage für Strukturen zu legen, die auch langfristig tragfähig sind.

Die Rahmenbedingungen

Verantwortliche Politik zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass sie die Rahmenbedingungen in den Blick nimmt und sich auf die kommende Situation einstellt: Verschiedene Einnahmequellen werden in absehbarer Zeit für unser Land nicht mehr zu Verfügung stehen. Der Solidarpakt läuft aus, die EU-Förderung wird weniger und durch das Sinken der Einwohnerzahl verringern sich schon jetzt die Summen, die Sachsen-Anhalt aus dem Finanzausgleich zugutekommen.

Vor diesem Hintergrund können wir die Kulturausgaben des Landes nicht in dem Maße steigern, wie sich das einige wünschen. Notwendige Strukturanpassungen müssen deshalb jetzt eingeleitet werden, damit wir auch nach 2019 unsere reiche Kulturlandschaft nicht nur erhalten, sondern auch ausfüllen. Es liegt im Interesse des Landes, mithilfe der Kulturförderung zukunftsfähige Strukturen für ein sehr lebendiges kulturelles Leben zu schaffen. Das gleiche Lied können im Übrigen auch die Verantwortlichen für die kommunalen Haushalte anstimmen.

Da Kulturförderung und Investitionen in Kulturinstitutionen vielfach eine gemeinsame Aufgabe von Kommunen, Land und immer öfter auch des Bundes ist, müssen alle Partner eine vorausschauende Kulturpolitik anstreben, die vor strukturellen Schieflagen nicht populistisch die Augen verschließt.

Gezielte Veränderungen

Dabei kommen wir um gezielte Veränderungen nicht herum. Schon heute bestehen in einigen der Theater strukturelle Defizite – mitunter in Millionenhöhe. Wenn wir hier nichts unternehmen und gegensteuern, verschärfen sich die Probleme weiter und gefährden letztlich den Bestand ganzer Häuser. Das mag paradox klingen, ist aber eine Realität.

Ebenso darf die Gesamtbalance eines Kulturhaushaltes – also die prozentuale Verteilung der Mittel auf Sparten und Zielgruppen, Angebote und Schwerpunkte – nicht außer acht gelassen werden. Wenn dazu noch ein reiches Erbe wie in Sachsen-Anhalt tritt, wo viele Epochen herausragende Bauten oder immaterielles Kulturerbe von Literatur über Malerei bis Musik hinterlassen haben (Mittelalter, Reformation, Aufklärung, Moderne) und gleichzeitig lebendige Gegenwartskultur Raum und Ressourcen bekommen soll, dann ist die Quadratur des Kreises beschrieben.

Sachsen-Anhalt ist ein bedeutendes Kulturland! Und Sachsen-Anhalt wird auch ein bedeutendes Kulturland bleiben! Es ist unsere Pflicht, diesen kulturellen Reichtum zu sichern und für die weitere Entwicklung des Landes zu nutzen. Unsere Kulturschätze reichen nun einmal vom UNESCO-Welterbe – Sachsen-Anhalt verfügt allein über vier Weltwerbestätten – über die großartige Musiktradition von Schütz bis Weill bis hin zu innovativer zeitgenössischer Kunst.

Abfederungen

Zugleich gilt aber auch: Trotz der Kürzungen der Zuschüsse für die Theater, die mit 5,95 Millionen Euro geringer ausfallen als ursprünglich befürchtet, wird auch künftig der größte Anteil des Kulturetats den Theatern und Orchestern zugutekommen. Das Land unterstützt die Träger mit rund 30 Millionen Euro.

Das ist mehr als ein Drittel der Gesamtausgaben für die Kultur und immer noch der größte Einzelposten im Kulturetat. Dazu kommen Mittel für die anteilige Dynamisierung, die wir erstmals in der Geschichte der Theaterverträge erreichen konnten. So übernimmt das Land einen Teil der Kosten bei Tarifsteigerungen, wenn die Strukturanpassung abgeschlossen ist. Das macht bis 2018 nochmals über vier Millionen Euro aus. Darüber hinaus haben wir uns auf einen Strukturanpassungsfonds verständigt, der vorerst mit einer Million Euro ausgestattet ist und nach Bedarf aufgestockt werden kann, wenn die betreffenden Theater-Träger belastbare Kalkulationen und tragfähige Konzepte für die Schaffung von zukunftsfähigen Strukturen vorgelegt haben.

Das kann die Einschnitte in den drei Häusern sicher nicht wettmachen, aber wir tun alles dafür, um die Folgen abzufedern. Auch das gehört zum Gesamtbild dazu, wird aber leider gerne verschwiegen.

Es geht nicht nur um Theater

Wenn nun angesichts der schmerzhaften Kürzungen bei der Theaterförderung in drei von neun Häusern behauptet wird, dass der Sparkurs die "gesamte Kulturlandschaft in Sachsen-Anhalt akut in ihrer Substanz bedroht", dann muss ich heftig widersprechen. Wir stellen in diesem Jahr mit 88,9 Millionen Euro sogar mehr Geld für die Kulturförderung zur Verfügung als 2013, als sich der Haushaltsansatz auf 85,3 Millionen Euro belief (ohne die Ausgaben zum Reformationsjubiläum – 16 Millionen Euro –, für die kirchliche Musikhochschule, die Kunsthochschule Burg Giebichenstein, die Filmförderung und zusätzliche 6 Millionen Euro für Denkmalpflege).

Denn es geht ja nicht nur um die weitere Entwicklung und finanzielle Unterstützung der kommunalen Theater im Land. Es muss auch alles dafür getan werden, um die gesamte Breitenkultur zu sichern, auch Musikschulen und Bibliotheken, Denkmale und Museen, Dome und Schlösser wollen erhalten und betrieben werden. Hierfür benötigen die jeweiligen Träger finanzielle Unterstützung vom Land. Chor- und Musikfeste und Jugendensembles, Jubiläumsausstellungen und Soziokultur sind ebenso förderwürdig und wichtig wie die freie Szene und bildende Künstler. Trotz vorhandener Sparzwänge unternimmt das Land große Anstrengungen, um einerseits diese kulturelle Vielfalt zu sichern und andererseits Schwerpunkte zu setzen.

Eine zeitgenössischer Umgang mit dem Erbe

Allein für die Kulturstiftungen (also für das Bauhaus, für die Stiftung Dome und Schlösser, für die Luther-Stätten, für das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, die Franckeschen Stiftungen usw.) stellt Sachsen-Anhalt im nächsten Haushaltsjahr rund 26,6 Millionen Euro bereit. Hierbei geht es gerade nicht allein nur um die Bewahrung des Erbes, sondern auch um die zeitgenössische Inszenierung und Auseinandersetzung mit diesem Erbe.

Über acht Millionen Euro fließen in die unterschiedlichsten kulturellen Einzelprojekte. Viel davon kommt Kindern und Jugendlichen und der kulturellen Bildung zugute. Auch zahlreiche ehrenamtliche, gemeinnützige Vereine können durch diese Fördermittel ihre Projekte realisieren. Für das im Bundesvergleich sehr dichte Netz von Musikschulen werden vom Land über 3,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Institutionell geförderte Kultur-Vereine und Verbände erhalten Landeszuschüsse von rund 2,4 Millionen Euro. Bei den Kulturausgaben pro Kopf steht Sachsen-Anhalt laut Finanzbericht des Bundes und der Länder nicht schlecht da.

Kein Kahlschlag

Diese Zahlen machen deutlich, dass in Sachsen-Anhalt bei der Landeskulturförderung versucht wird, die verschiedenen Bereiche möglichst gerecht zu fördern. Die Kürzung der Landesförderung bei den Theatern ist eben kein "kultureller Kahlschlag", wie immer wieder kolportiert wird. Keiner der Theaterstandorte in Sachsen-Anhalt muss schließen, vielmehr geht es darum, die schon seit längerem notwendigen Strukturveränderungen anzupacken – und auch verstärkt über Kooperation im Rahmen dieser millionenschweren Förderung zu reden.

Noch Ende des vergangenen Jahres konnten die Theater- und Orchesterverträge für die Jahre 2014 bis 2018 für sechs der insgesamt neun Standorte in Sachsen-Anhalt auf den Weg gebracht werden. In Halle, Dessau-Roßlau und Eisleben laufen derzeit die Abstimmungsprozesse zwischen dem Land und den Trägern zur künftigen Struktur weiter.

Dabei ist z.B. von der Stadt Dessau ein erster Strukturvorschlag vorgelegt worden, wie man auch mit den vorhandenen kommunalen Mittel ein Viersparten-Angebot in einer Stadt mit 85.000 Einwohnern sichern kann. Dem stehen wir aufgeschlossen gegenüber.

Mit innovativen Konzepten – so soll sich das Theater in Eisleben zu einem Kulturwerk wandeln, das einen viel breiteren Ansatz verfolgt und einen Schwerpunkt in der Kulturvermittlung setzt – und der finanziellen Hilfe zur Strukturanpassung durch das Land wird hier Theater mit all seinen Facetten auch in Zukunft möglich sein.

Dafür gilt es, miteinander statt gegeneinander zu arbeiten, konstruktiv an die Herausforderungen heranzugehen, Probleme differenziert zu betrachten und nach vernünftigen Kompromissen zu suchen.

 

kultusminister stephan dorgerloh 69hoch uStephan Dorgerloh, geb. 1966, ist seit April 2011 für die SPD Kultusminster des Landes Sachsen-Anhalt. Der studierte evangelische Theologe war von 2008 bis 2011 als Prälat Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands in Wittenberg und verantwortlich für die "Lutherdekade". 

 

Mit diesem Text antwortet Stephan Dorgerloh auf den von nachtkritik.de veröffentlichten Text Über Sachsen-Anhalt und sein restauratives Verhältnis zur Kultur von Matthias Schmidt.

Mehr zur aktuellen Lage in Sachsen-Anhalt:

Januar 2014: Dessau soll Schauspiel und Ballett schließen
November 2013: Sachsen-Anhalt bestätigt Kürzungen für Theater Dessau
November 2013: Demonstration gegen Kürzungen in Dessau
September 2013: Twitter-Ärger für Dessaus Intendanten André Bücker
Juli 2013: Kulturstaatsminister: Museum bauen und Theater schließen "unverantwortlich"
Juli 2013: Doch Hoffnung für die Landesbühne Sachsen-Anhalt?
Juni 2013: Protest gegen Schließung der Landesbühne Sachsen-Anhalt in Eisleben
Mai 2013: Protest gegen drohenden Kulturabbau in Sachsen-Anhalt

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Kommentare  
Dorgerloh antwortet: Meinungsfrage
Und? Was meint ihr, Leute, zu diesem neoklassischen Sermon?
Dorgerloh antwortet: Meinungs-Link
Kann ich Ihnen sagen:

http://rhode.theaterblogs.de/?p=1182
Dorgerloh antwortet: Vertrauensentzug
Worthülsen, Worthülsen. Wie immer, Herr Dorgerloh.
Ihre nachträglich-väterlichen Beschwichtigungsversuche können Sie sich sparen.
Wir haben regelmäßig versucht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Immer, wenn wir mit Ihnen einen Schritt vorangekommen sind, haben wir in den Folgetagen aus der Presse das Gegenteil von Ihnen erfahren.

Sie haben die Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts nachhaltig geschädigt.
(...)

Ich kann Ihnen nicht mehr vertrauen.
Dorgerloh antwortet: nichts Neues zum Konservieren
Mir drängt sich ein wenig der Eindruck auf, dass Herr Dorgerloh wenig Probleme mit dem Erhalt vergangener Kultur (Schösser, Bibliotheken, Denkmale, Museen und Dome) hat, als mit der sich aktuell vor Ort befindlichen lebendigen Kultur.

http://www.change.org/de/Petitionen/offener-brief-an-den-stiftungsrat-der-stiftung-bauhaus-dessau-open-letter-to-the-council-of-the-bauhaus-dessau-foundation

Das Problem ist nur... wer die Kultur der Gegenwart nicht schützt hat in Zukunft keine Vergangenheit mehr zu bewahren. Es genügt nicht zu sagen: wir hatten jetzt ein paar Jahrhunderte kulturelle Entwicklung... das reicht zum konservieren und herzeigen. Da beginnt ein Bundesland mit seiner Kulturgeschichte abzuschließen als hätte es sein Soll erfüllt und könne sich hinreichend auf vergangene Zeiten berufen, während die Gegenwart Schritt für Schritt von aktiver Kultur entblößt wird.
Mit was für Konsequenzen dagegen Protestierende übrigens auch zu rechnen hatten beschreibt dieser bedenklich stimmende Artikel:
http://www.mz-web.de/eisleben/protest-in-eisleben-ordnungsamt-fahndet-mit-umstrittenen-methoden-nach-demo-teilnehmern,20640972,25564878.html
Dorgerloh antwortet: flächendeckend kaum möglich
Seit wann demagogisch gesonnen, Herr Steckel? In den Äußerungen des Ministers verbirgt sich nichts weiter als die unabweisbare Tatsache, dass Sachsen-Anhalt - dieses unglückselige Bürokratengebilde - keine Chance hat, neben dem Erhalt aller möglichen Kultur-Güter nun auch noch "flächendeckend" eine in vielen Regionen Sachsen-Anhalts seit jeher ungeliebte Kunst wie das Theater, von Jahr zu Jahr teurer werdend, satt zu subventionieren. Das mag furchtbar sein für Theaterleute, die in Sachsen-Anhalt Theater machen, machen wollen, es ist aber so, dass in keinem vergleichbaren westdeutschen Flächenstaat, finanziell vielfach besser ausgestattet Theater in solchen Kleinstädten wie Eisleben, Stendal, Quedlinburg, Dessau (hier ist das Theater der wohl zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt! (...) existieren. Die wirtschaftlich ruinöse Situation führt zur Abwanderung kunstkonsumierender Menschen, sprich Zuschauer. Das ist so - folglich ist es aber nur logisch, dass kulturtouristisch nutzbringende Investitionen vorrangig sind. Und wie dennoch regional akzeptierte und notwendige Kultur gefördert werden kann, das ist die entscheidende zweite Frage. Keine Frage sollte aber sein, Theater um der Theater wegen mühselig aber konkurrenzunfähig am Leben zu erhalten. Mit Polemik ist hier niemanden geholfen.
Dorgerloh antwortet: Unsinn
@Einer Wieder nur Halbwissen. Das Theater ist in Dessau nicht der zweitgrößte Arbeitgeber, das ist schlicht Unsinn.
Dorgerloh antwortet: knappe Frage
Sondern?
Dorgerloh antwortet: nutzbringend?
@einer - was sind denn "kulturtouristisch nutzbringende Investitionen"?
Dorgerloh antwortet: keine Frage
Zu Nr. 5: "Keine Frage sollte aber sein, Theater um der Theater wegen ... am Leben zu erhalten." - In der Tat, das sollte keine Frage sein.
Dorgerloh antwortet: Kulturausgaben in Zahlen
Ich möchte einmal Zahlen in die Diskussion einführen. Diese entnahm ich dem Kulturfinanzierungs-Bericht des Statistischen Bundesamtes von 2012, die wiederum Zahlen aus dem Jahr 2009
sind. Danach betrug der Gesamtanteil der Kulturausgaben an den jeweiligen Etats 0,73% im Bund, 1,79% in den Flächenländern West, 2,72% in den Flächenländern Ost und 2,84% in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Die 3,2 Milliarden Euro für alle Theater und Orchester in der Bundesrepublik wurden zu 55,1% von den Kommunen aufgebracht und machten 35,4% aller Kulturausgaben aus. Das soll an Zahlen genügen, sie verdeutlichen aber schon, über welche Größenordnungen wir reden. Jede der Pleitebanken bekamen mehr als die 3,2 Milliarden Euro, um weitermachen zu können, als sei nichts passiert. Wer leistet mehr für die Gemeinschaft? Die Frage beantwortet sich von selbst.
Exmecklenburger
Dorgerloh antwortet: nicht Zitate zurechtbiegen
Aber Herr Steckel, nicht noch Zitate zurechtbiegen.
Dorgerloh antwortet: 0,8 Prozent
Zahlen sind trocken, aber oft aussagekräftig. Der prozentuale Anteil des Kulturetats des Bundeslandes Sachsen-Anhalt belief sich 2013 laut Angaben des Kulturkonvents auf 0,8% des Gesamtetats
des Landes. Noch Fragen?
Es sei daran erinnert, wer der Initiator des Kulturabbaus ist. Stephan Dorgerloh ist ein evangelischer Theologe, der in der Kirche und im Bildungsbereich Karriere machte, bevor er 2011 Minister wurde. Er hat auch den Vorsitz in verscheiden museal ausgerichteten Stiftungen (Luthergedenkstätten, Bauhaus, Dessau-Wörlitz). Das ihm da das lebendige Theater eher fremd ist, muss nicht verwundern. Oder sollte in seiner Person gar die alte Feindschaft der Kirche gegen das "fahrende Volk" wieder aufleben?
Das ist zu persönlich, höre ich manchen sagen. Meine Lebenserfahrung lehrte mich, dass hinter "objektiven" Gründen, der beschworenen Macht des Faktischen sich oft subjektive Vorlieben, Sympathien und Antipathien verbergen. Und betreffen die geplanten Kürzungen nicht sehr persönlich viele Kolleginnen und Kollegen?
Dorgerloh antwortet: Offener Brief HOTheater Potsdam
http://www.landesverband-ost.de/an-herrn-minister-stephan-dorgerloh-hans-otto-theater-potsdam-mail-vom-28-januar-2014

“AN HERRN MINISTER STEPHAN DORGERLOH. HANS OTTO THEATER POTSDAM” MAIL VOM 28. JANUAR 2014
Sehr geehrter Herr Minister,

mit größter Verwunderung erfahren wir aus Ihrem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung, daß Sie u. a. das Hans Otto Theater Potsdam zur Bespielung der von Ihnen abgewickelten Dessauer Bühne vorsehen. Wir erinnern uns an keine Absprachen.

Ist es vielleicht Ihr Ziel, der zu Recht empörten Öffentlichkeit »Alternativen« vorzutäuschen? Wie können Sie glauben, daß unsere Potsdamer Künstlerinnen und Künstler auf einer Bühne spielen, deren Ensemble Sie ausgelöscht haben? Wir spielen in keinem toten Haus. Wir setzen unser Ensemble nicht dem Boykott des Dessauer Publikums aus. Wir lassen uns nicht in die Machenschaften Ihrer verheerenden Politik hineinziehen.

Wir fordern Sie auf, umgehend die Zerstörung der großen Dessauer Spieltradition zu stoppen. Diese 220jährige Ensemble- und Theatertradition gehört nicht Ihnen. Generationen von Künstlern haben hier gemeinsam mit Generationen von Bürgern und Stadtgemeinschaften ihre Welt befragt, Anschauungen entwickelt, soziale Erfahrungen und Erkenntnisse mit ästhetischen Mitteln vertieft.

Ihre Aufgabe ist es, künstlerische Impulse und Traditionen zu beschützen. Die bloße Auslöschung von Teilen der Struktur, ohne Idee für einen Neuanfang, ist phantasielos und haltungslos und bedeutet die ultimative kulturpolitische Bankrotterklärung.

Im Hinblick auf Ihr hohes demokratisches Amt halten wir Ihr Vorgehen darüber hinaus für moralisch verwerflich. Sie zertreten die Saat.

Es ist richtig, die Region wandelt sich. Haben Sie Ideen für die Zukunft? Wo Theater, Schauspiel-, Ballettsparten geschlossen werden, entsteht nichts – nur Ödnis. Prothesen können echte kulturelle Bewegung weder ersetzen noch imitieren. Die Kulturtechnik öffentlichen Spiels braucht Kontinuität und Befähigung, sie braucht Ensembles und den ständigen Austausch von Impulsen mit der Bürgergesellschaft.

Wir fordern Sie auf, alle gesellschaftlichen Teilnehmer an der kulturpolitischen Willensbildung des Landes zu beteiligen und insbesondere den Kulturkonvent, die Städte und Gemeinden mit ihren Theaterleitern und die Öffentlichkeit mit ihren differenzierten Haltungen und Erwartungen in den Prozeß kulturpolitischer Konzeptfindung auf ehrliche und transparente Weise einzubeziehen. Haben Sie Mut zu den »Investitionen in die Zukunft«, die Ihre Partei fordert. Stehen Sie dazu!

Wir unterstützen den Protest unserer Kollegen und der Öffentlichkeit in Sachsen-Anhalt gegen Ihre hermetische Handlungsweise und Ihre zerstörerischen kulturpolitischen Entscheidungen.



Wir geben diesen Brief den Intendanzen von Dessau, Magdeburg, Halle, Eisleben und Leipzig sowie dem Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins zur Kenntnis.





Mit freundlichem Gruß,





Tobias Wellemeyer Volkmar Raback
Intendant Geschäftsführender Direktor

Ute Scharfenberg Heike Arlt
Chefdramaturgin Betriebsratsvorsitzende





Potsdam, 28. 01. 2014
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