Magazinrundschau Januar 2014 – Von multiplen Schauspielern und anderen Blicken

Blick übern Blätterrand

Blick übern Blätterrand

von Wolfgang Behrens

Januar 2014. Von 2014 an möchte nachtkritik.de in Ergänzung zu den Kritiken- und Presseschauen einen neuen Service anbieten: Eine kurz gefasste Magazinrundschau, die schlaglichtartig einzelne Artikel aus den drei Theaterzeitschriften Theater heute, Theater der Zeit und Die deutsche Bühne vorstellt. Heute beginnen wir mit diesem Vorhaben und blicken in die Januar-Hefte.

cover db 1-14 140Die Deutsche Bühne

Das Auffälligste des Januar-Auftritts der Deutschen Bühne dürfte wohl im komplett reformierten Layout liegen, das mit einem Verlagswechsel verbunden ist. Mit Beginn des Jahres hat Die deutsche Bühne den Friedrich Berlin Verlag verlassen und wird nun bei Inspiring Network verlegt. "Sie werden hier neue persönliche oder dialogische Formate finden; einen anderen Umgang mit Fotos; und ein bisschen Spaß am Spiel mit Themen und Typographie", verspricht Chefredakteur Detlef Brandenburg im Editorial. Und: "Der Ernst des Theaterlebens verträgt es doch auch mal, per Comic auf die Schippe genommen zu werden." Entsprechend hat der Dramatiker Philipp Löhle den Text für den von Patrick Bannwart in recht schmutzigem Stil gezeichneten Comic "Kantinenhelden" geliefert.

Der Schwerpunkt des Heftes gilt dem "multiplen Schauspieler", dessen Berufsbild sich durch partizipative Projekte derzeit in tief greifendem Wandel befinde. Im einleitenden Essay sieht Michael Börgerding, Intendant des Theaters Bremen, "die Entfernung oder Abgrenzung von dem, was man wohlwollend als Handwerk des Schauspielers bezeichnen könnte. Oder als zu hinterfragende Konvention – und dazu gehört nicht nur der so oft als verlogen erlebte Identifikationsgestus eines scheinbar natürlichen Spiels, dazu gehört auch mittlerweile ein falsch verstandenes Hochleistungsdarstellertum, in dem eher gezeigt wird, was man alles kann – Brüche spielen, aus der Rolle ausbrechen, Hysterien aus dem Stand präsentieren –, als dass man tatsächlich etwas zu erzählen hätte." Dass sich die Schauspieler auf "seltsam nebulös" bleibende Begriffe verständigen müssten ("Partizipation, Durchlässigkeit, Kommunikation, Selbstermächtigung, Realität des Bühnenvorgangs"), begreift Börgerding als Chance und zitiert eine Beobachtung des Soziologen Dirk Baecker, "dass man, wenn es kompliziert wird, Bewegungsspielräume gewinnt."

 

cover tdz 1-14 140Theater der Zeit

"Der andere Blick" nennt sich der Schwerpunkt des Januar-Heftes von Theater der Zeit und thematisiert damit die Perspektive von den Rändern auf das vereinte Europa. Anna Badoras Projekte am Schauspielhaus Graz geraten in den Blick: Sie versucht dort europäische Geschichte aus (süd-)östlicher Perspektive zu erzählen und setzt auf Regisseure wie Wojtek Klemm, Krystian Lupa, Sarantos Zervoulakos und Viktor Bodó und auf Autoren wie Andrzej Stasiuk, dessen Stück Thalerhof Theater der Zeit abdruckt.

Auch dem Theater an der Ruhr in Mülheim wird "der andere Blick" zugeschrieben, mit seinem mittlerweile über 30 Jahre amtierenden Leiter Roberto Ciulli hat Martin Krumbholz gesprochen. Interessant auch für die heutige Strukturdebatte ist dabei Ciullis Beschreibung seines Erfolgsmodells: "Ich hatte damals, in den Siebzigern, als ich in Göttingen, Köln, Berlin, Düsseldorf inszenierte, das Gefühl, dass das deutsche Stadttheater in einer Verwaltungsorgie verkommt. Da gab es zum Beispiel den Probenplan; Herr X hat Probe von Viertel nach zehn bis Viertel vor elf. Samstagsabends oder gar sonntags durfte nicht probiert werden, egal ob die Schauspieler Lust dazu hatten oder nicht. Für mich müssen alle Schauspieler auf jeder Probe anwesend sein. Also zogen wir die Konsequenz, aus den Tarifverträgen auszusteigen und eine gemeinnützige GmbH zu gründen. Der Bühnengenossenschaft war damals das Theater an der Ruhr ein Dorn im Auge." Ästhetisch gesehen, wollte Ciulli "den gleichgültigen Pluralismus des Stadttheaters überwinden."

Passenderweise ist auch noch ein von Frank Raddatz geführtes Interview mit Ciullis leitendem Dramaturgen Helmut Schäfer abgedruckt, der den Begriff des Utopischen für das Theater wieder stark zu machen versucht: Utopien seien "eine Gestalt des Wünschens aus den Erfahrungen schlechter Gegenwart. Gelungene Kunstwerke tragen dieses Utopische als Einspruch gegen das Bestehende in sich. (…) Leider haben wir seit ungefähr 15 Jahren auch Tendenzen im Theater, die sich völlig desinteressiert an diesen Zusammenhängen zeigen. Ein Theater, das auch an einer Kritik des Gegenwärtigen relativ desinteressiert ist und im besten Fall noch selbstreferentiell agiert. Dieses Theater entspricht dem, was Kunst nie sein sollte, nämlich nur das, was der Fall ist."

 

cover th 1-14 140Theater heute

Als fast reines Besprechungsheft präsentiert sich Theater heute im Januar: die Neustarts am Berliner Gorki Theater (mit ihrer Eingemeindung "nicht nur türkischer, sondern auch russischer, queerer, jüdischer und vieler anderer Szenen" ergäben Hilljes und Langhoffs Netzwerke "ein von außen kosmopolitisch funkelndes Kaleidoskop") und am Schauspielhaus Hamburg etc.

Dann aber gibt es auch noch einen Reise- und Festivalbericht von Peter Michalzik, den es nach Weißrussland verschlagen hat, "Europas vergessenem Land", das von Alexander Lukaschenko autokratisch regiert wird. "Wie kann man in einem solchen Land ernsthaft arbeiten? Wovon kann man hier als Künstler sprechen?", fragt Michalzik. Und stößt u.a. auf den Dramatiker Pavel Pryazhko, den "ernstzunehmende russische Kritiker und Kritikerinnen (…) seit Jahren für den größten Dramatiker unserer Zeit halten" und der bereits zweimal den bedeutenden russischen Theaterpreis "Goldenen Maske" erhalten hat. Pryazhko sei "sehr an moderner Theorie und Kultur interessiert, trotzdem ein Einzelgänger und Autodidakt. Es wirkt, als würde er nicht für Geld, nicht für Ruhm, nicht für den Systemwechsel, wahrscheinlich nicht einmal für Freiheit schreiben. (…) Pryazhko wirkt wie ein Mann, der sich im vergessenen Minsk seinen einsamen Reim auf die Welt macht und der das genau so haben möchte. Hier kann er ungestört den vergessenen Menschen nachspüren, an deren unbedeutenden Leben er in seinen Stücken so präzise entlangschreibt. Und hier, in Minsk, kann man auch auf den bedrückend-befreienden Gedanken kommen, dass jedes Leben, ganz gleich wie glamourös oder bedeutsam es zu sein scheint, ein solch vergessenes Leben sei."

Ein Wink für Scouts: Es ist nur ein einziges Stück von Pryazhko (dort Prjashko geschrieben) bei theatertexte.de verzeichnet, und auch dieses harrt noch der deutschsprachigen Erstaufführung. Wie wäre es?

(wb)

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