Wirtschaftsnachrichtenporno

von Steffen Becker

Heilbronn, 25. Januar 2014. Ich bin 33 Jahre alt. Seit einem halben Jahrzehnt liegt mir meine Mutter in den Ohren, dass ich mich um meine Altersvorsorge kümmern soll – nicht so schlimm-peinlich wie in der Sparkassen-Werbung, aber nahe genug dran, um ab und an halbherzig zu recherchieren, welche Möglichkeiten es gibt. Ergebnis: Es gibt kein Angebot, in das ich investieren will – alles wirkt zu kompliziert, zu intransparent, macht zu viel schlechtes Gefühl, dass nur die Bank/die Versicherung gewinnt.

Einen möglichen Grund für solches Unbehagen gibt auch der Stoff, der jetzt am Theater Heilbronn inszeniert wird. "Enron" von Lucy Prebble beschreibt den finanztechnisch spektakulären Aufstieg und Fall des US-Energie-Riesen Enron, einen "Wirtschaftsbetrug, der das Ende des 20. Jahrhunderts markierte und einen Schatten auf das 21. warf", wie es ein Anwalt im Prolog formuliert.

Zwischen Techno und Jurassic Park: die New Economy

Das Stück ist einerseits Doku-Fiction eines Wirtschaftskrimis. Diesen Part verlagert Regisseur Axel Vornam auf eine bewegliche LED-Videotafel, die ihm die Möglichkeit bietet, den Kontext von Enron zu visualisieren: Bill Clinton, Jurassic Park, Techno-Partys und ein Alles-Geht-Lebensgefühl. Davor spielt sich die zweite Ebene ab: Was sind das für Personen, die durch "kreative" Finanztransfer-Konstruktionen den Energie-Riesen "Enron" schufen, Milliarden Schulden versteckten und am Ende 20.000 Angestellte in die Arbeitslosigkeit entließen? Ihre Altersvorsorge in Form von Pensionsfonds war durch die Pleite des Unternehmens vernichtet.

enron 560 thomasbraun uWelt am Finanzdraht: das Innenleben der Firma Enron © Thomas Braun

"Ich bin ein guter Mensch", sagt der Protagonist Jeffrey Skilling, Enron-Präsident und Familienvater. Nun, zumindest ist er im Stück und auch in der Inszenierung von Axel Vornam kein Monster. Im Gegenteil. Auf der Heilbronner Bühne entfaltet sich lediglich eine schauspielerisch exaltierte Version normaler Mechanismen des Berufslebens. Eine Gruppe Angestellter kommt daher getrappelt wie die Protagonisten der 08/15-Bank im Sparkassen-Werbespot. Sie bejubelt enervierend Skillings neuartige Buchführungsmethode, bereits lediglich erwartete Gewinne in die Bilanz aufzunehmen. Wen würde angesichts dieses Kriechertums nicht Misanthropie und Einbildung auf die eigene Cleverness ergreifen?

Der Führungsposten wird frei, und es gibt einen Wettbewerb, der auf der Bühne in Form eines Art BWL-Battle-Rap ausgetragen wird. Wer würde nicht versuchen, durch besonderes verwegene Ideen zu punkten? So weit, so erwartbar. Auch, dass Nils Brück als Jeffrey Skilling seine Rolle als Showman bestreitet – ein Verkäufertyp, ein aggressiver, sportlicher Leader. Das macht er so überdreht wie es die satirische Anlage des Stücks verlangt, aber in keiner Art und Weise, wie man sie in manchen realen Börsendarlings-Auftritten nicht schon gesehen hätte. Herausfordernder sind da schon die Szenen hinter der Fassade – etwa, wenn Daddy seiner Prinzessin-Tochter erklären will, was er arbeitet, und scheitert, weil es ja gar keinen Sinn ergibt.

Im Bann der Schattengesellschaften

Brück lässt seine Figur als Getriebenen erscheinen im Sinne von "Wenn ich es nicht tue, machen es andere". Das macht ihn menschlich. Im Gegensatz zum zweiten Protagonisten, Finanzchef Andy Fastow. Den gibt Oliver Firit als Nerd, der durch Geldzauber Komplexe kompensiert.

enron 280h thomasbraun uVom Regen in die Traufe: Nils Brück, Sylvia Bretschneider, Stefan Eichberg © Thomas BraunRegisseur Vornam verfrachtet ihn in eine Art Kaputtes-Raumschiff-Interieur mit rauchenden Schläuchen, wo er nervös zuckend mit seinen "Raptoren" genannten Schattengesellschaften spielen kann. Das sorgt für Lacher im Publikum – ebenso wie die überkandidelte Bebilderung kollektiver Verantwortungslosigkeit durch einen Wirtschaftsprüfer, der nur seine Puppe bauchrednerisch Bedenken formulieren lässt, oder die Rolle der Medien in Form von Nachrichtensprecherinnen, die in der Tonlage von Pornowerbung Enron als innovativstes Unternehmen preisen.

Mit dem Slapstick der Inszenierung verschenkt Regisseur Vornam jedoch auch die Möglichkeit, das Stück durch Referenzen zur ähnlich gelagerten Finanzkrise heute anzureichern. Sein "Enron" bleibt der Enron-Geschichte verhaftet. Die zahlreichen (sehr detailverliebt und aufwendig gestalteten) Video-Einblendungen und -Animationen wirken durch den bewussten Einsatz nur weniger LEDs wie grobkörnige historische Aufnahmen und spiegeln in der Wahl des Stylings und ihrer Symbolik die 90er, die Zeit, in der das Stück spielt. Ein Foto von Josef Ackermann mit hineinmontierter Rapper-Kette ("BONUS") ist zu wenig für eine an sich nahe liegende Querverbindung.

Dabei signalisiert die normalerweise völlig leere, lediglich aus höhenverschiebbaren Leisten bestehende Bühne ebenso wie die Charakterstudien eigentlich Allgemeingültigkeit. Es hätte und hat auch anderswo mit anderen Menschen so passieren können. Die Mechanismen, die dabei zum Tragen kommen, gehen im unterhaltsamen Treiben etwas unter. Zumindest hilft der Abend nicht für eine wirklich fundiertere Begründung, Investment in Finanzmarkt-basierte Altersvorsorge weiterhin zu vermeiden.


Enron
von Lucy Prebble
Regie: Axel Vornam, Ausstattung: Tom Musch, Videodesign: Stefan Bischoff, Kevin Graber.
Mit: Sylvia Bretschneider, Nils Brück, Stefan Eichberg, Lilly Eichberg, Oliver Firit, Joachim Foerster, Angelika Hart, Gabriel Kemmether, Frank Lienert-Mondanelli, Judith Lilly Raab, Guido Schikore, Tobias D. Weber, Sebastian Weiss.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.theater-heilbronn.de

 

Das Theater Heilbronn hat zur Entstehung der Inszenierung einen Blog gestaltet.

Kritikenrundschau

Lucy Prebble verknüpfe in ihrem Stück "die Vorzüge eines 'well made play' mit der tragikomischen Realsatire eines gigantischen Konzernbankrotts", schreibt Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (27.1.2014). "Der Heilbronner Intendant Axel Vornam unterstreicht die Verrücktheit der Enron-Pleite, wenn er Bilanzprüfer, Aufsichtsräte oder Juristen als Clowns oder Puppenspieler maskierend demaskiert. Zu diesem Zweck lässt er eine vielköpfige Schar von Nebendarstellern als hampelnde Hampelfrauen und -männer aufmarschieren." In allem wirke dieser Abend als "Lehrstück"; mancher Zuschauer werde den Saal mit dem Gedanken "Ja, so war's" verlassen haben.

Prebbles Stück behandle eine "komplexe Thematik", sei aber auch "für Wirtschaftslaien verständlich", schreibt Andreas Sommer in der Heilbronner Stimme (27.1.2014). Und Axel Vornams Inszenierung "entwickelt aus diesem Stoff eine ebenso ambitionierte wie spannende und unterhaltsame Lehrstunde in Sachen Wirtschaftskriminalität." Dabei gehe es Vornam "um eine Zustandsbeschreibung der Kapitalismuskrise, die er nicht an der mangelnden Moral einzelner Protagonisten festmacht, sondern am System selbst, das solche Menschen hervorbringt."

Lucy Prebble machte aus dem "Wirtschaftskrimi" um Enron "kein Polit-Drama (wo es keine Moral und keine Werte gibt, kann es auch kein Drama geben), sondern ein Mittelding zwischen Komödie und Revue", schreibt Jürgen Strein in den Fränkischen Nachrichten (27.1.2014). "Das griff in Heilbronn Intendant Axel Vornam auf, der das Stück mit schnellen Szenenwechseln inszenierte – so schrill, wie man sich das von der amerikanischen Gesellschaft erwartet."

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