Die Proseccohölle

von Falk Schreiber

Hamburg, 26. Januar 2014. "Es geht darum, anerkannt zu werden. Wir wissen nur noch nicht genau, für was." Das kann sie, die Sibylle Berg: Punchlines raushauen, die in aller gebotenen Härte ins Mark treffen. Noch eine? "Mein Haus befindet sich in einer Sackgasse ... Das klingt jetzt fast wie ein Sozialdrama auf Arte!" Und noch eine: "Und dann sind die Reize weg, mit 40, sagen wir. Und dann beklagen sich die unterfickten Damen, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen." Obwohl, Moment, das ist gar keine Punchline, das sind echte Sätze, die eine echte Figur spricht in Bergs "Die Damen warten". Sätze, aus dem Mund des einzigen Manns, der in den Hamburger Kammerspielen auf der Bühne steht: Masseur Horst, der den wartenden Damen erst einen schönen Entspannungsnachmittag bereitet, sie dann mit einem Schwall Misogynie überschüttet und ihnen schließlich den Weg in die Proseccohölle weist.

Fernsehstars für Textflächenkunst

"Die Damen warten" gilt unter den Theaterstücken Bergs als das bis dato dankbarste, weil der Text ein Geheimnis behält, weil er nicht sofort nach einer Inszenierung schreit. Man kann "Die Damen warten" als aneinandergereihte Thesensammlung lesen, man kann Textflächen ausmachen, wohlwollend kann man sogar Anklänge an die Galligkeit Elfriede Jelineks erkennen – eine eindeutige szenische Umsetzung drängt sich aber nicht auf. Bei der Uraufführung Ende 2012 in Bonn versuchte Klaus Weise, die Vorlage auf die Well-made-Play-Schiene zu schieben, ein Missverständnis. Neue Chance: In Hamburg traut sich Kai Wessel an das Stück, ein Filmregisseur, der meist fürs Fernsehen arbeitet ("Die Flucht", "Zeit der Helden"), an den Kammerspielen allerdings regelmäßig die Neue-Dramatik-Fahne hochhält, zum Beispiel mit Michael Frayns "Wohltäter" und Neil LaButes "Fettes Schwein".

damen-warten-i 560 bo-lahola uFrisch verfönt und verschraubt: die Damen (Julia Jäger und Nina Petri) beim Masseur
(Kai Hufnagel) © Bo Lahola

Wie an diesem Theater üblich, hat Wessel für "Die Damen warten" ein Starensemble zusammengestellt: Nina Petri gibt die Pathologin Frau Grau mit kalter Arroganz, Julia Jäger die Maklerin Frau Töss als sehnsuchtszerfressene Dauergeliebte, dazu kommen Marion Martienzen als naive Hausfrau Merz-Dulschmann und Hildegard Schroedter mit proletarischer Direktheit als alleinerziehende Mutter Frau Luhmann. Und obwohl dieses Quartett bis auf Martienzen mehr Fernseh- als Theaterruhm aufzuweisen hat, meistert es die Aufgabe recht ordentlich – indem die Darstellerinnen gar nicht erst versuchen, ihre Figuren über thesenstarke Abziehbilder hinaus zu entwickeln. Wo es bei diesem Stück hinführt, wenn man mehr will als das, sieht man an Kai Hufnagel als Horst, der verzweifelt versucht, eine Handlung voranzubringen, und sich dabei heillos in großen Gesten verstrickt, zu laut, zu schmierig, zu viel.

Im Würgegriff der Wellnessangebote

Die Handlung nämlich ist der Schwachpunkt von "Die Damen warten": Frauen über 40 braucht niemand mehr, im Gegenteil, sie nehmen Platz für junge Leistungsträger weg und werden nach kalter Logik mit einem Wellnessangebot in die Falle gelockt und dann entsorgt. Das ist alles. Als Erzähltheater lässt sich da wenig draus stricken, Wessel tut entsprechend gut daran, Bergs bittere These in den Raum zu stellen und seine Darstellerinnen einfach mal machen zu lassen. Anders gesagt: Regie findet praktisch keine statt. Es werden Bösartigkeiten gedroschen, es gibt mehr oder weniger motivierte Szenenwechsel, es gibt ein paar ganz nette Ausstattungsideen im Körpermodifikationsbereich, und weil die Regie keine echte Haltung zum Stück entwickelt, bringen die Darstellerinnen eben ihre Haltungen ungehindert ein – eine Verweigerung von Schauspielerführung, die nur dann nervt, wenn Hufnagel sich in den Vordergrund spielt, zur Gitarre greift und zu klampfen beginnt: "Just a Gigolo", "Three Times a Lady", es ist so vordergründig, man möchte weinen.

Frauenzeitschriften entsprungen

Und dann ist da natürlich Bergs Position, die die Ursachen für Frauenfeindlichkeit, Bodyshaming und weiblichen Selbsthass unter anderem in den medial vermittelten Bildern von Weiblichkeit entdeckt, in Körperoptimierung, Schuhtick und der Dreieinigkeit von Mutterschaft, Karriere und Sexyness. Auf diese Position weiß Wessel keine echte Antwort, und so passiert es, dass im Programmheft zu "Die Damen warten" eine Frauenzeitschrift zitiert wird. Genau einer dieser Zeitschriften also, die die von Berg kritisierten Weiblichkeitsbilder fleißig reproduzieren. Die Dramaturgie (Anja Del Caro) erweist sich dabei als so gnadenlos naiv, man hätte sich eine Haltung der Inszenierung gewünscht, die diese Fehlgriffe ein wenig gerade rückt. Ein wenig.


Die Damen warten
von Sibylle Berg
Regie: Kai Wessel, Ausstattung: Maren Christensen, Dramaturgie: Anja Del Caro, Komposition "Frauen-Blues": Kai Hufnagel.
Mit: Kai Hufnagel, Julia Jäger, Marion Martienzen, Nina Petri, Hildegard Schroedter.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.hamburger-kammerspiele.de


Kritikenrundschau

Bergs satirischer Komödie mangele es "leider an Dialogen, welche die ohnehin dünne Handlung voranbringen könnten", so "str" im Hamburger Abendblatt (28.1.2014). Dabei hätte Regisseur Kai Wessel seine Fassung gegenüber der Uraufführung Ende 2012 in Bonn auf knapp 90 Minuten gestrafft. Die Premiere wurde "mit zurückhaltendem, weil teils irritiertem, aber freundlichem Beifall" aufgenommen.

Die Zuschauer hätten vermutlich eine "launige Wechseljahre-Komödie" erwartet, und nicht einen "feministischen Essay", so ein nicht genanter Rezensent der Nordseezeitung (29.1.2014). "Dem Bühnenbild fehlt passenderweise jede Wohlfühl-Atmosphäre", Berg teile nach allen Seiten aus und geize nicht mit Klischees. "Wer die vorgegebenen Rollenbilder hinterfragt, sie aufbricht und sich selbst annimmt, geht deutlich zufriedener durchs Leben und begegnet auch anderen entsprechend gelassen. So könnte Gleichberechtigung funktionieren. So lautet die einfache Erkenntnis eines etwas komplizierten Theaterabends."

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