Drehbühne zum Liebesspiel

von Ute Grundmann

Leipzig, 31. Januar 2014. Das Publikum wird auf die Reise geschickt – zu den Stationen von Arthur Schnitzlers "Reigen". Auf der Drehbühne sitzend, kommen die Zuschauer so immer wieder an Zimmern vorbei, in denen Paare sich treffen, trennen, streiten, lieben. Es ist ein scheinbar endloser Reigen, denn die Szenen überschneiden sich, werden unterbrochen, wiederholt und immer wieder abgefilmt. Regisseur Philipp Preuss inszeniert nicht einfach Schnitzlers einstiges Skandalstück, sondern er mischt es mit Jean-Luc Godards Film "Die Geschichte der Nana S." aus dem Jahr 1962 oder gibt zumindest Anklänge daran. Halb Videofilm, halb Theater, so kommt seine Inszenierung "Der Reigen oder Vivre sa vie" auf der Hinterbühne des Leipziger Schauspiels daher.

Dreisatz zwischen Wiener Moderne, Nouvelle Vague und 21. Jahrhundert

Einen "sich hochwindenden Dreisatz zwischen Wiener Moderne, Nouvelle Vague und dem Beginn des 21. Jahrhunderts" verspricht die Ankündigung dieser Mischung aus unterschiedlichen Texten, filmischen und theatralen Mitteln. Dafür stehen zu Beginn vor dem Eisernen Vorhang sechs Typen aufgereiht, drei Frauen in Kleidchen, drei Männer in Anzügen. Erst mit dem Rücken zum Publikum, wenn sie über die Liebe zu sprechen beginnen, wenden sie sich ihren Zuschauern zu. Paare finden sich, Dirne und Soldat bleiben allein zurück, sie schwärzt ihm mit Farbe aus einem Stahlhelm Gesicht und Arme.

der reigen 560 rolf arnold uIm Lichtspieltheater: Daniela Keckeis als Stubenmädchen © Rolf Arnold

Wenn sie ausgeliebt und ausgestritten haben, setzt sich die Drehbühne in Bewegung und bringt eine gute Stunde lang die Zuschauer im Kriechtempo immer wieder an Zimmern vorbei, die aus Vorhängen gebaut sind: ein Raum mit Sessel und drei Waschbecken, ein feudaler, flammendroter Salon mit Kamin und Lampionlampe, eine K.u.K.-Künstlergarderobe. Diese Bühnenlösung von Ramallah Aubrecht ist das Spannendste an diesem Abend, auch wenn sich der Dreheffekt irgendwann abnutzt. Nach jeder Begegnung lässt sich einer der Akteure von der Drehbühne zur nächsten Station mitnehmen, auf dass sich der Reigen fortspinne. Szenen, Textstücke werden wiederholt, und immer wieder filmisch verdoppelt oder verdreifacht. Eine Kamerafrau ist unterwegs, nimmt den "jungen Herrn" in seinem Zimmer auf, das Bild wird auf kleine Bildschirme oder den Eisernen Vorhang projiziert.

Filmszenen einer Ehe

So entfaltet sich die Inszenierung im beständigen Wechsel zwischen Bühnen- und Filmsequenzen, beginnt eine Szene auf der Bühne, wird sie im Film ausgeblendet, mal setzt sich das abgefilmte Spiel in den Bühnenzimmerchen fort. In den Streit des Ehepaars werden düstere Film- und Textpassagen wie von Pasolini eingeblendet, denen die beiden später aus Kinosesseln zuschauen. So schnell wie die Paare wechseln auch die szenischen Mittel, Ruhepunkte gibt es kaum, Frauen spielen Männer, Männer spielen Frauen, die Figuren bleiben dabei aber weitgehend Klischees. Das Stubenmädchen rekelt sich immer wieder lasziv wie einst Ingrid Steeger in "Klimbim", den Dichter spielt mit angeklebtem Schnurrbart eine Frau, die am Ende der Szene von Frauen wieder zur Frau entkleidet wird. Das alles ist multimedial ganz reizvoll, erschöpft sich aber auch ein wenig in der technischen Virtuosität.

Dann aber, nach einer guten Stunde in Bewegung, kommt der große Stillstand. Die Drehbühne ist an ihrem Ausgangspunkt zurück und vor ihr doziert ein Herr in Gehrock und mit Gehstock lang und langatmig über das Leben, die Welt und alles Mögliche, das Wort "Liebe" kann er nicht aussprechen, nicht mal rauswürgen. Fünf rauchende Damen schauen ihm dabei gelangweilt zu. Das ist nach soviel Bewegung, Szenenschnipseln, Bild- und Textwechseln ein ziemlich bleiernes Ende, dem der erwartbare Schlusseffekt folgt: Der Eiserne Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf den leeren Zuschauerraum, in dem langsam das Licht angeht und die sechs Schauspieler sich versammeln und sich noch ein Weilchen ihr Publikum ansehen – das wiederum mit Kichern und Applausansätzen auf das immer-noch-nicht-Ende reagiert.


Der Reigen oder Vivre sa vie
nach Arthur Schnitzler und Jean-Luc Godard
Regie: Philipp Preuss, Bühne: Ramallah Aubrecht, Kostüme: Katharina Tasch, Dramaturgie: Alexander Elsner.
Mit: Daniela Keckeis, Lisa Mies, Bettina Schmidt, Markus Lerch, Denis Petković, Felix Axel Preißler.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 

Kritikenrundschau

Das Publikum werde vermittels der Drehbühne gemächlich ums Rund geschickt, schreibt Dimo Rieß in der Leipziger Volkszeitung (3.2.2014), auf eine "Reise durch eine Serie der Versuchungen, Annäherungen, Geschlechtsakte und Trennungen". Das Spiel gleite "flüssig ineinander". Rieß vergleicht den Bruch der Konventionen durch Schnitzlers "Reigen" und Godards Durchbrechung des Erzählkino-Dramaturgie in "Die Geschichte der Nana S.", "inspiriert vom epischen Theater". Preuß folge den Vorlagen auch formal, in dem er keine Geschichte durcherzähle, sondern Szenen aufreihe, die "exemplarische Wirkung entfalteten" und eben mehr seien als "szenische Mätzchen". Um die Worte vom jeweiligen "Charakter zu lösen", spielten Männer Frauen oder spreche ein Chor eine einzelne Figur. Entstanden sei, trotz manch leicht überzogener Komik, "ein stimmiger, vielschichtiger Theaterabend".

Regisseur Philipp Preuss versucht mit enormen technischen Aufwand, im Theaterraum Möglichkeiten einer filmischen Montage zu schaffen, so Alexander Kohlmann auf Deutschlandfunk Kultur heute (4.2.2014). Zwischen den Akten des "Reigen" irrlichtern Szenen und Motive aus Godards Film, scheinbar zufällig und unsortiert. "Und über weite Strecken auch völlig unverständlich. Denn der technische Aufwand, den diese Inszenierung betreibt, steht in keinerlei Verhältnis zum Ertrag." Fazit: "Jenseits der Schauwerte, die diese Geisterbahnfahrt durch literarische Bordell-Welten von vorgestern mit sich bringt, ist der Abend eine einzige intellektuelle Unterforderung."

 

Kommentare  
Der Reigen, Leipzig: Totentanz
Ein Totentanz- nicht verstanden ?
Der Reigen, Leipzig: Schwindelerregender Alptraum
Ein hochkonzentrierter Abend, radikal und zeitgenössisch, ein Solitär, keine Nacherzählung und auch keine plumpe Volksbühnenimitation: Gespenster, Verdoppelungen, Todesahnungen, Projektionen, Identitätsswitches, ein schwindelerregender Alp-Traum. Kompliment auch an die Schauspieler. Was hier an Dialog und Spiel zwischen Text, Körper und Medien-Abbild gezeigt wurde, war absolut virtuos, einige Kniefälle an die Spaßgesellschaft hätte ich nicht gebraucht, egal. Noch selten konnte man Schnitzlers Texte so prägnant hören. Gratulation an alle Beteiligten, der Abend hat radikal Denkräume geöffnet und schwingt noch lange nach.
Der Reigen, Leipzig: noch nicht gut
Nur weil es einer der besseren Abende am Schauspiel in Leipzig war, heißt das noch nicht, dass er gut war.
Der Reigen, Leipzig: war nicht
puh!
ingrid t., in welchem abend waren sie denn?
schön, dass es ihre denkräume erweitert hat, aber d i e s e r abend war das nun wirklich nicht...
Der Reigen, Leipzig: Wo ist Ihre Meinung?
Liebe Ute Grundmann, wir saßen am Freitag zusammen und haben uns das Stück angeschaut. Ich saß zum ersten mal neben einer Kritikerin. Zuerst war ich etwas irritiert, denn mein erster Gedanke war: " Wenn sie die ganze Zeit mitschreibt, wie kann sie da noch ins Stück eintauchen? Gut, sie ist Profi, sie wird da schon einen Weg haben." Ich finde es immer spannend zu wissen, wie andere Menschen die Dinge verstehen. So war ich, wie ich Ihnen gestern schon sagte, auch gespannt, was Sie zu schreiben haben.
Jetzt habe ich es gelesen. Ich bin entäuscht. Ja, wirklich entäuscht. Sie schreiben ja gar nichts! Das einzige, was ich lese ist, dass Sie es nicht spannend fanden. Alles andere kann ich doch auch woanders lesen. Um was es geht, sagt mir doch schon das Theater (bzw. deren Internetseite) und was dann im Stück passiert, will ich doch dann erfahren, wenn ich mir das Stück anschaue. Wie wer heißt, wer was gemacht hat, das müssen Sie mir doch nicht noch mal sagen. Wir sind doch nicht bei RTL. Wo ist ihre Meinung? Ihre Kritik? Was fanden Sie besonderen Mist? Was im Gegenzug besonders gut? Oder fanden Sie alles einen riesen Mist? Egal wie, sagen Sie mir doch bitte was! Und vielleicht auch wieso? Aber das?? Es sagt mir nichts. Ich hatte mich wirklich gefreut, zu lesen was Sie denken. Vielleicht hätte ich mich gefreut, weil wir Dinge gleich sehen und ich hätte hier gesessen und gesagt: "Jaaa genau!!! Genau meine Meinung!!!" oder hätte angefangen mich mit Ihnen zu streiten, weil ich die Dinge ganz anders sehe. Egal wie, es hätte spannend werden können. Stattdessen bin ich jetzt enttäuscht.
Wenn Sie es wirklich einfach nicht spannend fanden, Ihnen so gar nichts dazu einfällt, dann schreiben Sie es doch auch so. Dann könnte ich fragen: "Wieso? Warum hat es Sie in keiner Form berührt“ etc.
So muss ich mich nun wirklich fragen, ob es so geschickt ist, das ganze Stück über Protokoll zu schreiben, statt dem Stück eine Chance zu geben und im Nachhinein zu sehen, ob es einem getaugt hat oder nicht. Ein Nachrichtensprecher, ja ok, das wäre ein wenig ungeschickt, wenn dieser zu den neusten Wahlergebnissen, die er verkündet, anfängt zu schmunzeln(wobei das heutzutage ja leider auch mehr und mehr vorkommt!). Aber, bitte korrigieren Sie mich, wenn ich mit Folgendem falsch liege:
Ist es nicht Ihre Aufgabe, als Kritikerin, Partei zu ergreifen, Stellung zu nehemen, Frabe zu bekennen und so eine Diskussion auszulösen und für Bewegung zu soregen?
Sie hätten schreiben können: „Ich fand es einfach nur langweilig. Ich habe den Einstieg in das Stück nicht gefunden, konnte keinen Bezug herstellen, konnte mit der Inszenierung nichts anfangen und kann somit leider nichts dazu sagen."Ja ok, nicht viel, aber damit könnte ich leben. Es wäre nicht viel, aber es wäre ehrlich. Kann ja jedem Mal passieren, dass er mit etwas nichts anfangen kann - gerade im künstlerischen Bereich. Das fände ich nichts Schlimmes - selbst darüber könnte man reden.
Aber bitte, was genau, soll ich, irgend ein anderer Leser, Interessierter, Beteiligter, oder wer auch immer mit diesem Ihrem Text anfangen? Warum haben Sie ihn geschrieben? Für wen? Für was? Um was zu erreichen?
Bitte geben Sie mir Antwort. Ich denke, es ist wichtig für die Kunst, für die Gesellschaft, für jeden Einzelnen, zu sprechen und sich auseinander zu setzen und ist es nicht eben ihre Aufgabe dieses Feuer zu entfachen.
Sehe ich das falsch?

in Erwartung, mit Grüßen, Ihr Sitznachbar
Der Reigen, Leipzig: kritische Anmerkung
Lieber Christian,
schade, dass Sie enttäuscht sind, aber eine Kritik muss ja mehr leisten als (nur) eine Meinung zu haben. Sie muss auch denen, die nicht dabei waren, anschaulich machen, was wie und warum auf der Bühne passiert, wie mit dem Text umgegangen wird, ob das Bühnenbild funktioniert und vieles mehr. Das ist dann aber doch mehr als ein bloßes Protokoll. Vielleicht haben Sie meine kritischen Anmerkungen (Die Bühnenlösung das einzig Spannende, Figuren bleiben Klischees) überlesen? Und nicht jede Inszenierung taugt für die große Grundsatzdebatte darüber, was Theater soll, will, kann, muss.
Ute Grundmann
Reigen, Leipzig: oberflächlich
Diese Kritk ist leider in seiner Oberflächlichkeit eher überflüssig. Die Kritkerin sollte ja zuminstst Den Film sehen, den sie besprechen will. Dann wüsste sie zumindest dass der eingebelndete Film Carl Theodor Dreyer Jeanne D´Arc aus Godards "Vivre SA Vie" ist und keinesewegs ein Pasolini!
Der Reigen, Leipzig: traurig und blöd
@ noch ein Zuschauer: Die von Ihnen benannte Filmszene ist sehr sehr traurig. Und in meinen Augen auch irgendwie blöd. Denn christliche Märtyrerinnen wie Jeanne d'Arc oder eben auch Anna Karina als Prostituierte Nana S. rühren zwar ans Gefühl, aber brauchen wir wirklich immer wieder Märtyrer, um die Welt zu verändern? Ich empfinde das als falsch. Die Liebe der Männer zu den Frauen erschöpft sich also darin, sie immer wieder nur als Märtyrerinnen/Opfer zu sehen bzw. sehen zu wollen? Non, merci. Das ist ekelhaft und zynisch. Stille:
http://www.youtube.com/watch?v=LAS0g0qY2AU
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