Von wegen Boulevard

von Shirin Sojitrawalla

Februar 2014. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwang Yasmina Reza mit ihrem umwerfenden Stück "Kunst" auch hierzulande niveauvolle Lacher auf ihre Seite. 1994 wurde das Stück uraufgeführt und trat dann seinen Siegeszug um die Welt an. Es folgten weitere Erfolgsstücke, die es immer bestens verstanden, den Ernst des Lebens und der Liebe einer gelungenen Pointe wegen zu verspielen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, bloß unterhalten zu wollen.

reza glcklich 140 hanserGanz normal schrecklich

Von gehobenen Boulevard ist in diesem Zusammenhang gern die Rede. Dabei schreibt Reza auch Romane und Erzählungen, zu erinnern ist auch an ihre geniale Studie über Nicolas Sarkozy Frühmorgens, abends oder nachts, die letzte Wahrheiten über Männer und Macht versprüht. Zuletzt überzeugte sie mit ihrer Prosasammlung Nirgendwo sowie mit ihrem Theaterstück Ihre Version vom Spiel.

Mit "Glücklich die Glücklichen" legt sie jetzt einen weiteren Prosaband vor, einen Episodenroman, der das Leben unterschiedlicher Menschen als herrlichen Reigen inszeniert. Jedes Kapitel ist mit einem Vor- und Nachnamen überschrieben, und genau jene Person hat ein Kapitel lang das Wort.

Robert Toscano beginnt: Er befindet sich mit seiner Ehefrau Odile beim Wochenendeinkauf im Supermarkt und steht kurz davor, die Nerven zu verlieren, weil er und seine  Frau sich über eine bestimmte Käsesorte, einen Morbier, nicht einig werden können. Wie alle Kapitel nimmt auch dieses keine zehn Seiten in Anspruch und entfaltet in dieser kurzen Zeit doch das Drama einer Ehe. Die Toscanos sind dabei ganz besonders schrecklich und zur gleichen Zeit ganz normales Ehevolk.

Ein Seitensprung? Nichts als eine kleine, lästige Fliege

Yasmina Reza erweist sich dabei wieder einmal als Meisterin des ehelichen Streites, der klaren dramaturgischen Regeln folgt und sich in Eskalationen schraubt, die nur auf der Bühne, im Kino und auf dem Papier ihre ganze Heiterkeit entfalten. Die problemlose Rückführung von Reza-Sätzen ins richtige Leben trägt gehörig zum Charme des Ganzen bei, wobei das Gespür dieser Autorin für die Gemeinheiten und Machbarkeiten des Lebens einigermaßen untrüglich scheint.

Dabei widmet sie sich mit Vorliebe den Befindlichkeitsstörungen des Bürgertums. Den Unausweichlichkeiten von Langzeitlieben begegnet sie mit nüchterner Ironie, und der Entfremdung in ehelichen Schlafzimmern schaut sie ungerührt und doch belustigt unter die Federbetten. Das andere Verhältnis der Franzosen zum Seitensprung, das sich gerade in der öffentlichen Wahrnehmung der Eskapade des französischen Präsidenten zeigt, lässt sich auch an diesem Buch ablesen.

Bei Reza sind Affären oft nichts weiter als kleine Fliegen, lästig, nicht mehr. Schlaglichtartig beäugt sie Betrüger, Betrogene und Objekte des Betrugs. Dabei vereint ihr Reigen – später kommt etwa auch Odile Toscano zu Wort – nicht nur Ehefrauen und Ehemänner, sondern auch Mütter und Väter, Kollegen, Freunde und immer wieder andere Paare, die ja auch schon in ihren Erfolgsstücken "Drei Mal Leben" und Der Gott des Gemetzels das Personal stellten.

Ohne Nebenpfade

Die einzelnen Momentaufnahmen gleichen Short Cuts, die  sich zu einem Ganzen fügen, das die Welt im Kleinen spiegelt. Reza arrangiert ihre Paare und Passanten ebenso raffiniert wie beschwingt, schickt sie in Liebe, Lust und Tod und beschert ihnen versöhnliche, unerbittliche oder auch beschämende Enden. Ihre Sprache ist gewohnt unverziert, klar, einfach und präzise. Ihre Sätze, die sich nicht gern auf Nebenpfaden verlieren, sind meist kurz und kommen geradezu unschuldig daher, wobei sie ihren Rhythmus mit dem jeweiligen Protagonisten ändern; und die bewährten Übersetzer Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel verleihen ihnen deutsche Stimmen.

Herauskommen 21 Monologe, Minidramen, unverklemmte Selbstoffenbarungen, die nach dem Geheimnis eines geglückten Lebens fahnden, ohne den Humor zu verlieren oder ihre eigene Rätselhaftigkeit zu opfern. Dass die Sache mit dem Glück womöglich nur eine Frage der Veranlagung ist, legt das Buch nahe, ohne das Verlangen nach dem anderen Leben zu torpedieren.

Aus der Ferne meint man dazu Miles Davis sehnende Trompete aus Fahrstuhl zum Schafott zu hören, eine ganz andere, aber ebenso unwiderstehliche Geschichte über die Krudität des Lebens. 

 

Yasmina Reza
Glücklich die Glücklichen.
Hanser Verlag. München 2014
174 Seiten, 17,90 Euro

 

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