Die Besatzung im Kopf

von Ariane von Graffenried 

Bern, 29. März 2007. In den eigenen vier Wänden kann es ganz schön eng werden. Besonders, wenn die Zigarettenpackung auf dem Balkontisch liegt und die Balkontür geschlossen bleiben muss. Draussen lauern Soldaten hinter Gewehren: Es herrscht Ausgangssperre in Ramallah.

Eine Frau sitzt eingeschlossen in ihrer Wohnung. Sie möchte rauchen. In gebrochenem Deutsch erzählt sie vom Leben im Flüchtlingslager Al Karama in Jordanien, Ayen Il Hilweh im Libanon und von der Rückkehr nach Ramallah. Die Frau weiss, wovon sie spricht. Sie hat ebendies erlebt.

Die in der Schweiz lebende palästinensische Schauspielerin Tahani Salim erarbeitete zusammen mit dem palästinensischen Autor Ghassân Zaqtân das Theaterstück "Light Sky". In der Übersetzung von Urs Goesken wurde der Monolog am Berner Festival "Kairo Ramallah Express" als Koproduktion des Schlachthaustheaters Bern, Go Theaterproduktionen und dem National Theatre of Palestine (PNT) in der Regie von Susanne-Marie Wrage uraufgeführt. Tahani Salim und Ghassân Zaqtân verbindet eine Geschichte der Entwurzelung, des Lebens im Exil, des Versuchs der Rückkehr und des Neuanfangs unter prekären Umständen.

Freiheit im Exil oder Gefangenschaft in der Heimat? 

In unschuldigem Weiss steht Tahani Salim in einem tunnelartigen Raum, der gleichzeitig Erinnerungsraum, Gedankenraum und Gefängniszelle ist (Ausstattung: Renate Wünsch). Sie erzählt vom Lager in Al Karama, wo die Frauen auf den Bänken sitzen und die Männer Trick Track spielen, von der schönen Mariam, die sich heimlich mit einem Mann trifft und deswegen Opfer eines Ehrenmordes wird. Alle im Lager wissen Bescheid: Der Turnverein, die Frau des Arztes, der Polizeiinspektor. Doch alle schweigen. Die äussere Besetzung ist auch eine innere Besetzung des Bewusstseins und begünstigt die Rückkehr in den Konservatismus. Der Druck auf die Frauen im Lager ist ebenso gross wie ihre Verzweiflung. Doch die weibliche Hauptfigur lacht und tanzt im Takt der Granaten und Raketen quer durchs Zimmer, während sie sich auf einer Videoprojektion gleichzeitig im Kreis dreht. Immer wieder werden Bilder zwischen die Textfragmente geschoben und auf den Körper der Schauspielerin projeziert. Arabische Zeichen - der Stücktext - flackern am Bühnenhintergrund auf, werden von rechts nach links über den weissen Rock der an der Wand stehenden Tahani Salim geschrieben, später von links nach rechts wieder ausgelöscht. Die Regisseurin Susanne-Marie Wrage fügt der Bilderwelt eine Geräuschkulisse hinzu: Vom Band werden Auszüge aus dem Monolog auf Arabisch mitgesprochen. Radiomeldungen in verschiedenen Sprachen verkündigen die gewaltsame Räumung von Al Karama. Die BewohnerInnen verlassen ihre Häuser, schliessen die Türen. Heute leben sie im Exil, etwa in Libanon, wie die Mutter, seit fünfzig Jahren. Die Schlüssel sind längst verrostet, die ehemaligen Häuser zerstört. "Was ist besser, Freiheit im Exil oder Gefangenschaft in der Heimat?", fragt Tahani Salim sachlich das Publikum. Sie gibt keine Antwort, doch begibt sich ernsthaft auf die Suche und man geht mit ihr mit.

Der Mörder muss morden, der Vogel muss singen

Als die Mutter stirbt, kehrt die Protagonistin nach Ramallah zurück. Jetzt sitzt sie in der Wohnung und will rauchen. Sie fürchtet den Tod und dass die israelischen Scharfschützen ihr in den Jasmin im Vorgarten pinkeln. "Schade, dass es keine Fleischpflanze ist", sagt sie und lacht.  Das Wasser ist knapp und das Zimmer klein. Salim rennt gegen die Wände. Jedesmal wird dabei eine Türe zugeschlagen. Die Geräusche reihen sich aneinander, rattern wie Maschinengewehre. Den Vögeln draussen ist das egal. Sie zwitschern zwischen den Gewehrsalven. So ist das halt: "Der Kämpfer muss kämpfen, der Mörder muss morden und der Vogel muss singen", versucht sie zu erklären. Zaqtâns Text ist zuweilen liebevoll, anekdotisch und harmlos. Salims Spiel changiert gekonnt zwischen Nüchternheit und Lebensmut. Damit entgeht Wrage der Betroffenheitsfalle. Im Kontext der israelischen Besatzung stellt sich die Dimension von Vertreibung, Kriegszustand und Heimatlosigkeit von selbst ein. Der feinen kleine Inszenierung und ihren hochkarätigen  Künstlerinnen  gelingt eine differenzierte Betrachtung des Nahost-Konflikts.

Am Ende wird der Besatzung im Kopf ein Ende gesetzt. Die Frau beschliesst, die Balkontüre zu öffnen. Sie steht regungslos an der Wand während ihre Projektion quer durchs Zimmer tanzt. Dazu erklingt die Schlussarie aus Verdis "La Traviata" und trifft mitten ins westliche Herz.

 

Light Sky
von Tahani Salim und Ghassân Zaqtân, deutsch von Urs Goesken
Regie: Susanne-Marie Wrage, Ausstattung: Renate Wünsch.
Mit: Tahani Salim.

Koproduktion Schlachthaustheater Bern, Go Theaterproduktionen und National Theatre of Palestine (PNT).

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