An den Grenzen des Gewissens

von Sabine Leucht

München, 12. Februar 2014. Da ist zum Beispiel dieser junge Israeli, der gerade noch erklärt hat, welches hochpragmatische Ausschlussverfahren ihn zum Geheimdienst brachte. Jetzt stellt er uns sein Gewissen vor, das seit seiner Kindheit beschwert wird von einem Unglücksfall mit einem kleinen Hund, den er schützen wollte und gerade deshalb vor ein Auto trieb. Wenn er dagegen Terroristen per Fernsteuerung "markiert" oder abschießt, hat er danach zwar keinen Appetit mehr auf Fleisch, aber gewissenstechnisch Ruhe. Nein, nein, der Typ, dessen realen Namen man in "Brothers in Arms" nicht erfährt, ist kein Monster, sondern einer, mit dem man himmlisch gelaunt zu indischer Musik tanzen und den man binnen kurzem zum Freund gewinnen kann. Sagt Gunnar, der ihn jetzt zugleich spielt und sich über ihn wundert.

brothers-in-arms 2 560-stefan-mauermann uZum Schutz der Reisevisa anonymisiert: die Schauspieler von "Brothers in Arms"
© Stefan Mauermann

Zehn Tage waren er, Max und Sven letzten Frühling in Israel und Daniel, Simon und Laurens im Iran, um dort mit gleichaltrigen (Ex-)Soldaten zu sprechen. Die Namen der jungen Schauspieler, die nun in der Münchner Off-Szene ihre Reiseerlebnisse und -bekanntschaften auspacken, hat Reiseleiterin Ana Zirner durch Pseudonyme geschwärzt, damit sie auch weiterhin in den Nahen und Mittleren Osten fahren können. Denn ihren eigenen hatte der iranische Geheimdienst schnell gegoogelt und ihr Visum gesperrt, nachdem sie für ihr Diplomprojekt an der Essener Folkwang Universität Interviews mit jungen Oppositionellen in Teheran und Isfahan geführt hatte. Das darin verarbeitete Material kehrte auch in der szenischen Lesung "Wo ist meine Stimme" wieder, mit der Zirner 2012 in München aufschlug. Es ist fast schon eine kleine Sensation, dass sie nun erst ihre zweite Produktion hier macht und das Theater "Schwere Reiter", sonst nicht gerade als Publikumsmagnet bekannt, schon aus allen Nähten platzt.

Projekt Brückenbau

Gut, die dreißigjährige Regisseurin, Tochter des Schauspielers August Zirner, ist mittlerweile im Leitungsteam des ("Brothers in Arms" koproduzierenden) Pathos München, wenn auch derzeit an die Kammerspiele verliehen, wo sie Johan Simons' persönliche Referentin vertritt. Und ein Stipendium vom Kulturreferat zur Vorbereitung eines Festivals für junge Theaterschaffende wurde ihr erst vor wenigen Tagen zugesagt. Sie hat, wie man so sagt, gerade einen Lauf. Aber ihre Leidenschaft für den "Brückenbau" zu sperrigen oder hinter der Nachrichtenwirklichkeit verborgenen Fragen und vor allem Menschen scheint auch einen Nerv zu treffen.

Dazu kommen Zirners großes Bewusstsein für den Einsatz szenischer Mittel und in diesem Fall sechs Performer, die zwar nicht alle das gleiche schauspielerische Können haben, aber allesamt kein Problem damit, sich als die abenteuerlustigen, aber braven Jungs zu outen, die sie sind. Denn der Abend umgeht eine anmaßende postkoloniale Haltung, indem er nicht die ehemaligen Waffenbrüder in beiden Ländern in den Mittelpunkt stellt, die im Kriegsfall aufeinander schießen müssten, sondern die Gedanken und Gefühle der in den Achtzigern geborenen Deutschen (fünf von ihnen Wehrdienstverweigerer), die sie besucht haben.

"Brothers in Arms" ist vor allem ihre Geschichte. Die von Gunnar zum Beispiel, der diesen kühlen Terroristenmarkierer ernsthaft mag und sich nicht mehr auskennt. Wie ähnlich muss man sich sein? Ist er überhaupt einzuholen, der Erfahrungsvorsprung des Vaterlandsdienstes im Gazastreifen gegenüber dem Vaterlandsdienst im Pflegeheim?

Anekdotisch und tänzerisch

BrothersinArms hoch zenna uIst dieser Zaun einreißbar? © Zenna Zugeben, was nicht geklappt hat, dass man diesen neuen, so ganz anderen Freund vermisst, dass man – vorurteilsgebauscht, wie man war – wegen einer über den Asphalt raschelnden Tüte in Panik geriet und die Frage "Do you like fruit juice" einen aus der Fassung brachte, weil man verkrampfterweise "fruit jews" ("Fruchtjuden") verstanden hat: Die Jungs haben für ihre manchmal allzu erklärselige Offenheit die Lacher und Sympathien auf ihrer Seite.

Der Weg, den Zirner mit ihnen geht, ist sehr ehrlich. Doch nimmt man die Frage- und Antwort-Salven, die die Performance strukturieren, als Maßstab, dann kippt die derzeitige Fassung von "Brothers in Arms" etwas zur anekdotisch-unernsten "Glaubst du an Monster?"-Seite hin. "Hast du schon jemanden sterben sehen?" wird zwar auch gefragt, doch unter die Haut gehende Geschichten wie die des Iraners, der acht Stunden lang neben einer Leiche Wache halten musste, sind dennoch Mangelware. Bedrückend ist sie, weil der Mann aus Hunger die Münzen nahm, die Passanten auf den Toten warfen. Aber vor allem deshalb, weil er – und nun sein Darsteller – das scheinbar leichthin erzählt: Lachend und offensichtlich bekifft, wobei seine Scham in der Verkleidung umso kenntlicher wird.

Der Choreograf David N. Russo hat den Akteuren eine weitere Spielebene zur Verfügung gestellt, mit der sie die textliche konterkarieren – mit weichen, selbstempathischen Tanzbewegungen zu eingeblendeten Männlichkeits-Definitionen – oder sich allmählich in einen militärischen Drill fügen, dessen Dynamik sich zu einer (befreienden) Gewalt steigert, die den Bauzaun zwischen den anfangs getrennten "Ländern" und Publikumsgruppen einreißt. Als Zeichen ist das einleuchtend, als Aktion chaotisch. Wär schön, wenn das noch wachsen könnte.


Brothers in Arms (UA)
Ein Projekt von Ana Zirner
Regie: Ana Zirner, Choreografie: David N. Russo, Raum und Video: Ikenna Okegwo, Musik: Florian Hartlieb, Licht: Tom Friedl, Textfassung: Ana Zirner, Martina Missel, Recherche: Philipp Rückriem.
Mit: Daniel, Gunnar, Laurens, Max, Simon und Sven (Pseudonyme).
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.schwerereiter.de
www.pathosmuenchen.de

 

Kommentare  
Brothers in Arms, München: gegen Kriegsleidenschaft
"Waffenbrüder" meint doch nicht, dass sich zwei Armeen feindlich gegenüber stehen, oder? Oder ist diese (Achtung:-) "Zweideutigkeit" schon der geistige Höhepunkt dieser Inszenierung? If yes: alright: Super Provokation! Chapeau! Da ist euch im reichen München ja mal so richtig was gelungen! - Was mich aufregt: (...) Männer so ausstellen und immer mit dieser Kriegsleidenschaft - ich meine: Iran und Israel, die haben doch mehr gemeinsam als was sie trennt: fangen wir beim Essen an, bei den Liebeskünsten und anderen Leidenschaften - aber einer deutschen Regisseurinn fällt das natürlich gar nicht auf, wie auch, hat sich ja schon beim ersten googlen veraten...
Kommentar schreiben