Die Luftschlossherrin ist ein Backpackergirl

von Ute Grundmann

Weimar, 15. Februar 2014. Der Baumeister trägt Hilde Wangel auf den Schultern. Übermütig trabt er mit ihr durch seinen großen Arbeitsraum, gibt sich jung und dynamisch – und greift sich dann an den schmerzenden Rücken. Er ist doch nicht mehr so jung, wie er es gerne wäre, so jung wie die Nachfolger, die ihn von seinem Platz, aus seiner Position verdrängen wollen. Solche kleinen, fast beiläufigen, aber deutlichen Gesten gibt Sebastian Kowski Ibsens Baumeister Solness, den er in Jan Neumanns Inszenierung am Deutschen Nationaltheater Weimar spielt, immer wieder mal mit. Gefangen in Beruf, Ruf, Ehe, Ängsten, versucht er, mit der jungen Hilde noch einmal auszubrechen und scheint sich des Scheiterns von vornherein bewusst.

Zugemauerter Notausgang

Im Dezember hatte sich Jan Neumann mit der Uraufführung seines Stücks 2,7 Sekunden im E-Werk in Weimar als Autor und neuer Hausregisseur – neben Enrico Stolzenburg – vorgestellt, nun präsentiert er sich mit seiner Version von Henrik Ibsens nicht so oft gespieltem Drama um den Baumeister Solness auf der großen Bühne ausschließlich als Regisseur. Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit der Bauhaus-Universität Weimar, Studenten haben gemeinsam mit Daniel Angermayr und Nini von Selzam Bühne und Kostüme entworfen.

solness1 560 dntweimar uRoutinierter Kuss für die Ehefrau: Anna Windmüller (Aline) und Sebastian Kowski (Baumeister)
© Stephan Walzl

Der Bühnenraum, der so entstanden ist, ist einerseits perfektes Abbild der Situation des Stücks: ein weitläufiger Arbeits- und Wohnraum mit Zeichentisch, Akten und Kopierer, über denen sich Etagen, Treppen, Turmelemente aufbauen. Andererseits gibt es hier auch ein sinnlos hoch an der Wand montiertes Waschbecken, ist der Notausgang zugemauert, sind die Fenster mit Jalousien verrammelt, es fehlen Türen als (Flucht-)Wege nach draußen.

Mit diesem Schuss ins Irreale lässt Neumann seine Inszenierung auch beginnen, noch während die Zuschauer den Saal betreten, und setzt damit das Ausrufezeichen "Achtung heutig!", aber auch eine ironische Doppelbödigkeit an den Anfang: Wie in einem hektischen Film rennt da Ragnar (Krunoslav Sebrek), der Sohn von Solness' Ex-Chef und jetzt unverzichtbarer Teil seines Teams, zu treibenden Rhythmen immer wieder zu einem Loch im Boden und schaufelt Kohlebrocken in einen Eimer, den er in den Kamin leert, worauf er an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt und Kaja (Nora Quest) routiniert küsst. Die ist Sekretärin bei Solness, stöckelt immer wieder zu ihrem Herrn und Meister, den sie ebenso routiniert anhimmelt, und dann setzt sie für die Arbeit ihre Brille wieder auf.

Kobold-Sirene mit neonpinkem Haar

Dieser (Bau-)Meister sitzt wie ein mürrischer Patriarch im Sessel. Er beobachtet, wie seine Welt der Routine funktioniert, wo er seinen Vorgänger ebenso wie seinen potentiellen Nachfolger, dessen Sohn, unter der Knute hat. Sebastian Kowski zeigt ihn da groß, großspurig, der eigenen Bedeutung bewusst. Einer, der die Bestätigung der anderen braucht und einfordert – und doch auch aus dieser Welt ausbrechen möchte, nicht nur mit dem neuen Haus, das er für sich baut.

baumeister-solness 560 stephan-walzlDie Wilde und der Verrückt-Verliebte: Johanna Geißler (Hilde) und Sebastian Kowski (Baumeister). © Stephan Walzl

Dieser Wille, noch mal neu anzufangen (und zugleich die Angst davor), flammt sofort auf, als Hilde Wangel (Johanna Geißler) in seine Welt einbricht – das Mädchen, das ihn vor zehn Jahren hoch auf einem Kirchturm bewundert hat und nun das versprochene Königreich einfordert. Halb Kobold, halb Sirenchen, mit neonpink gefärbtem Haar, Rucksack, Wanderstiefeln und kurzem Hosenkleid, platzt sie in diese Architektenwelt – und Kowski schmeißt sich sofort in unbeholfen-schiefe Eroberer-Positur.

Er streitet ab, je etwas versprochen zu haben, sie starrt darauf böse ins Publikum. Er schleicht sich vorsichtig an sie ran, sie tobt und strampelt und treibt ihn schließlich an, mitzuhüpfen. Kowski schafft es, immer beides zu spielen: Die Unsicherheit, wie er sich zu diesem jungen Mädchen verhalten soll, und die Anziehung; er gibt den verrückt-verliebten Tolpatsch und den Einsamen, der mit dieser Hilde endlich einmal reden und weinen kann. Die beiden sind ein furioses Duo, neben dem die anderen Figuren etwas verblassen – Katja kann nur giftige Blicke abschießen und Gattin Aline (Anna Windmüller) der gefühlt-gefürchteten Rivalin bloß Liebestöter-Unterwäsche schenken.

Ausblick ins Dunkle

Für den Schlussakt ist die Baumeister-Wohnung dann wie entkernt, alle Möbel sind verschwunden, die blanken Wände sind geblieben, die Jalousien allerdings geöffnet. Richtfest für das neue Haus soll gefeiert werden, Hilde springt in Flatterkleid, Ballettschuhen und mit Blumen im Haar umher, soll sie Solness doch noch einmal hoch oben auf einem Turm sehen. Doch der ist, feierlich in strengem Gehrock, eher ernst, träumt auf dem Boden liegend mit ihr noch einmal von Luftschlössern und macht sich dann auf seinen Weg.

Dass der Abend kein heiter-verspielter sein wird, macht schon die Bühne deutlich: Da ist hinter der nun geöffneten Wand kein Garten, kein neues Haus, sonder nur Dunkelheit. Doch auch dieses Ende seiner spannenden, dichten Inszenierung bricht Neumann, wie schon den Beginn, ins Ironisch-Surreale, in die Verunsicherung – war das wirklich alles so, wie man es gesehen hat?

 

Baumeister Solness
von Henrik Ibsen
In der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Jan Neumann, Bühne: Tornike Kublashvuili, Cornelius Oswald in Zusammenarbeit mit Daniel Angermayr, Kostüme: Michaela Kirsche, Selma Kracht, Yie Weiren in Zusammenarbeit mit Nini von Selzam, Dramaturgie: Julie Paucker.
Mit: Sebastian Kowski, Anna Windmüller, Johanna Geißler, Bernd Lange, Nora Quest, Krunoslav Sebrek, Lutz Salzmann.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

 

Kritikenrundschau

"Baumeister Solness" "ist keines von Ibsens großen Werken, es ist ein Stück Selbstverständigung des alternden Meisters", schreibt Henryk Goldberg in der Thüringer Allgemeinen (17.2.2014). Der Gewinn dieses Abends sei die Kooperation mit der Bauhaus-Universität. Neumanns Inszenierung konzentriere sich "nach der ironisch-surrealen Introduktion auf die Geschichte des alternden Intellektuellen - und auf seinen Darsteller. Sebastian Kowski ist die Energie dieses Abends, alle darstellerische Vitalität ist bei ihm, während die übrigen Figuren, denen schon vom Autor kein gleichwertiges Spielmaterial gegeben ist, routiniert vernachlässigt scheinen."

Man habe seine Not mit der Gefühlswelt und Empathie dieser Figuren, findet Ulrike Merkel in der Ostthüringer Zeitung (17.2.2014). Jan Neumann trete "dem Schauspiel mit Humor entgegen", setze auf "Slapstick, inszenierte Gags und auf vertrottelte bis schräge Figuren". Das Ensemble spiele mit Esprit.

"Jan Neumann erzählt die über hundert Jahre alte Geschichte als ein Stück von zeitloser Gültigkeit, das keiner vordergründigen Aktualisierung bedarf", fasst Thomas Bickelhaupt in der Thüringischen Landeszeitung (17.2.2014) die Inszenierung zusammen. "Johanna Geißler und Sebastian Kowski verleihen den tiefen Einblicken in verwundete Seelenlandschaften eine Intensität, die überzeugt. Trotz ihrer bisweilen schmalen Gratwanderung zwischen Frivolität und Ernsthaftigkeit vermeiden sie das Abgleiten in oberflächlichen Psychokitsch."

"Hausregisseur Jan Neumann setzt in seiner zweiten Inszenierung in Weimar von Beginn an auf Deutlichkeit", so Hartmut Krug auf DLF Kultur vom Tage (18.2.2014) und gebe kein psychologisch-realistisches Spiel, sondern ein im überzeugenden Sinne veräußerlichendes. "Sebastian Kowski, ein Schauspieler von starker körperlicher Präsenz und Ausdrucksstärke, und Johanna Geißler, eine Darstellerin, die ihre Figur zwischen Jungmädchen-Direktheit und komischer Künstlichkeit changieren lässt, bilden den Kraftkern eines homogenen Ensembles in einer ungemein überzeugenden Inszenierung."

 

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