Magazinrundschau Februar 2014 – Heiner Müller in Kuba, Starallüren in Wien und die Liebe zur Provinz
Wir dürfen scheitern
Wir dürfen scheitern
von Wolfgang Behrens
Februar 2014. Mit den Theatermagazinen reisen wir in diesem Monat nach Kuba, Japan und in die Provinz. Und landen auch – bestimmt nicht zum letzten Mal – beim Stadttheater.
Theater der Zeit
Der Februar-Schwerpunkt von Theater der Zeit ist – anlässlich seines 85. Geburtstages im Januar – Heiner Müller gewidmet (was nur diejenigen irritieren dürfte, die meinen, Heiner Müller sei ohnehin immer der Schwerpunkt von Theater der Zeit). Genauer: Es geht um "Müller in der Welt", weshalb etwa Harald Müller (!) aus Kuba von einem dortigen Gastspiel der "Hamletmaschine" in der Inszenierung Dimiter Gotscheffs (hier die Nachtkritik, aus Berlin, nicht aus Kuba) berichtet: Die Veranstalter "ließen allen verfügbaren Raum im Saal besetzen, die Menschen saßen in den Gängen, übereinander – an mitteleuropäischen Maßstäben gemessen: unfassbar." Den Akteuren der Aufführung sei "Beifall von eruptiver Gewalt" dargebracht worden, "eine Huldigung, die nicht enden wollte."
Theater der Zeit druckt zudem Rogelio Orizondos Stück "Gestern habe ich aufgehört, mich zu töten. Dank dir, Heiner Müller" und lässt den jungen kubanischen Autor im Gespräch mit Mehdi Moradpour auch ausführlich zu Wort kommen. Orizindo konstatiert, sein Land sei "theaterästhetisch gesehen krank" und erläutert in Bezug auf sein Stück: "Es gibt Parallelen zwischen meinen und Müllers Lebensumständen. Die Intertextualität in seinen Texten faszinierte mich. Da bot es sich an, unser Erbe von Referenzen zu hinterfragen, die Verbindung zwischen Politik und Lenin, zwischen Theater und Stanislawski – seine Schauspieltheorien sind in Kuba beinahe die einzigen. (…) Es ist so, als ob alles, was ich vorher geschrieben habe, von Momenten des poetischen Selbstmordes, der Selbstzensur geprägt ist. Sein [Müllers] Werk löste in mir das Bedürfnis nach einer neuen Theatersprache aus."
Auch in der Stadttheaterdebatte gibt es Neues: Barbara Mundel und Josef Mackert, Intendantin und Chefdramaturg des Theaters Freiburg, antworten auf Thesen des Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender. Dieser hatte in der Dezember-Ausgabe von TdZ eine Verschiebung von institutioneller hin zu projekthafter Förderung vorgeschlagen, indem nämlich zukünftig "Projektgelder in einem hohen Maße über den Bund verteilt werden und in dezentrale Strukturen fließen" sollten. Mundel und Mackert vermuten, dass das so "geforderte (und notwendige) Nachdenken über Strukturen zwangsläufig in eine Schließungsdebatte" münden werde. Und sie machen die Institution Stadttheater stark, indem sie den Freiheitsbegriff der freien Szene in Frage stellen und ihren eigenen dagegen setzen: "Wir müssen für unsere Arbeit keinen 'Brand' erfinden und keinen Markt erobern. Wir müssen keiner fremden Antragslogik folgen und nicht bei jedem Projekt nachweisen, dass es innovativ und nachhaltig zugleich ist. Wir können etwas riskieren und dürfen scheitern. Mehrfach."
Theater heute
Wolfgang Kralicek beglückt im Februar-Heft von Theater heute mit einer wunderbaren Rezension des "König Lear" am Wiener Burgtheater mit Klaus Maria Brandauer (hier die Nachtkritik samt Kritikenrundschau) und plaudert dabei ein pikantes Detail aus: "Sein spätes Debüt am Burgtheater hat Peter Stein wohl ausschließlich Brandauer zu verdanken. Kein Intendant käme heute aus freien Stücken auf die Idee, einen Regisseur zu engagieren, dessen Starallüren längst in keinem Verhältnis mehr zur Qualität seines Theaters stehen. Am Burgtheater hat sich Stein angeblich zusichern lassen, nicht direkt mit dem Intendanten kommunizieren zu müssen." Die Theater heute-Redaktion hat nachgefragt, und das Burgtheater wollte "weder bestätigen noch dementieren", habe aber "auf eine sehr harmonische Zusammenarbeit" verwiesen. Hier noch eine schöne Kralicek-Beobachtung: "Typisch Brandauer: Je weiter die Aufführung fortgeschritten ist, je wohler er sich in seiner Haut fühlt, desto österreichischer tönt dieser Lear." Es sehe so aus, "als wäre dieser Schauspieler für das zeitgenössische Theater verloren".
Stefanie Carp hat sich mit Chiaki Soma unterhalten, die 2009 das Festival Tokyo (FT), das bedeutendste japanische und auch international sehr beachtete Festival für Darstellende Künste, gründete und seither auch leitete. Bis sie überraschend im Dezember 2013 "von der Politik ihres Postens enthoben" wurde. Schwerpunkt des Festivals bildeten unter Somas Leitung "die neuen Arbeiten japanischer und asiatischer Künstler, die sich mit der aktuellen Realität der japanischen Gesellschaft auseinandersetzten, teilweise auf der Bühne, häufig auch site specific und mit Projekten, die über das Genre Theater hinaus gingen. Viele Künstler wie Toshiki Okada, Daisuke Miura, Penino, die Gruppe Fai Fai, Shu Matsui, Akira Takayama sind dank der Plattform, die Chiaki Somas Programmierung ihnen gegeben hat, gefördert und entdeckt worden. Nicht wenige von ihnen werden seit 2009 regelmäßig nach Europa eingeladen."
Im Gespräch lässt Chiaki Soma durchblicken, dass ihr Programm zu politisch gewesen sei und – eine für eine moderne Demokratie bestürzende Einsicht –, "dass in Japan die Dinge nicht öffentlich benannt werden können." Ein Exempel: Ihr Programm habe "natürlich auch die Frage nach Atomkraft" aufgeworfen. "Als zum Beispiel bei der Vorstellung von '100 Prozent Tokyo' von Rimini Protokoll Fragen gestellt wurden wie: 'Wer ist einverstanden mit der Wiederaufnahme von Atomenergie? Wer ist einverstanden mit dem Kaiser-System?' Da hat mich sofort ein Vertreter des Tokyo Government angerufen, warum ich das zulasse."
Die Deutsche Bühne
Die Februar-Ausgabe der Deutschen Bühne will sich als Liebeserklärung an die Provinz verstanden wissen. Schon im Editorial bekennt Chefredakteur Detlef Brandenburg: "Ich verdanke dem Schleswig-Holsteinischen Landestheater meine ersten Theatererlebnisse. Manche Vorstellungen dürften eher durchwachsen gewesen sein, aber das habe ich damals nicht bemerkt. Und dennoch wäre meine Jugend im beschaulichen Rendsburg ohne dieses Theater ärmer gewesen. Daran lässt sich ablesen, dass man Theater nie allein an seinem ästhetischen Wert messen sollte."
Im Schwerpunkt benennt Brandenburg zwei Möglichkeiten des Scheiterns in der Provinz: Die eine sei, "wenn man es sich zu bequem macht mit seinem Publikum, wenn aus dem Theater eine Bedürfnisbefriedigungsanstalt wird. Wer ein bisschen in der Republik unterwegs ist, kennt solche Theater: tolle Platzauslastung, der Intendant tanzt auf allen Hochzeiten von den Rotariern bis zum Feuerwehrball, und er ist im Brustton von sich überzeugt, dass er weiß, 'wie's geht'." So einer habe "vor lauter Pragmatismus den Kulturauftrag eines öffentlich geförderten Auftrags aus den Augen verloren". Das andere Scheitern aber sei, wenn die Intendanten ihr Theater nicht für diejenigen machten, "für die sie eigentlich Theater machen sollten: die Zuschauer in der Stadt, in der Region. (…) Schon mancher Theatermacher hat auf dem Weg nach oben sein kleines Theater in ziemlich üblen Zustand hinterlassen." Brandenburg weiter: "In diesem Spannungsfeld Kurs zu halten: Das erfordert Haltung in einer Situation, in der man wenig Vorbilder findet, weil wenige da sind, die etwas Vergleichbares machen."
Murat Yeginer wiederum, Schauspieldirektor in Pforzheim (dessen Inszenierung von "Was ihr wollt" nachtkritik.de kürzlich besprach), sieht in der Provinz eine große Chance: "Im Idealfall bietet eine kleine Stadt, ein kleines Haus Voraussetzungen, die wir in der Großstadt niemals finden werden: Das Theater in einer Stadt wie Pforzheim steht ganz anders im Mittelpunkt des Bürgerinteresses, als dies in den Metropolen mit ihrem vielfältigen Angebot an Kulturinstitutionen denkbar wäre. Kulturschaffende und Publikum kennen einander, wir können vieles auf kurzen Wegen besprechen, wir ziehen an einem Strang." Aber Yeginer erkennt auch klar die Labilität dieses Zustandes: Ein Problem liege "in der Unverrückbarkeit der alteingesessenen Machtverhältnisse, während sich zugleich unsere Gesellschaft so rasant wie nie verändert". Immer wieder würde in der Provinz "das Verhältnis von 'Kerngeschäft' und zielgruppenorientierten Projekten" diskutiert. Eine Stadträtin im Kulturausschuss habe unlängst formuliert: "Ist Integrationsarbeit eigentlich eine originäre Aufgabe des Theaters?" (Übrigens eine Frage, auf die die Antwort gar nicht so offensichtlich ist.) Und Provinz sei auch, "wenn einer mit dem Namen Yeginer zum Migrations-Onkel gestempelt wird". Das allerdings, Herr Yeginer, könnte Ihnen auch in der Metropole passieren!
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Das Publikum in einer kleineren Stadt ist nicht dümmer, als in einer größeren. Ein Stadttheater macht nur kein Zielgruppentheater, sondern bietet die gesamte Vielfalt von Stoffen und ein ganzes Spektrum an ästhetischen Handschriften. Es macht Projekte und mischt sich in brisante Diskurse in der jeweiligen Region ein und leistet einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Bildung. Hier die intelligente Balance zu schaffen, darin besteht die Kunst, die so manches Theater "abseits der großen Zentren" wunderbar schafft. Mutige, neue, anspruchsvolle Stücke (die auch ein überaus interessiertes Publikum finden) stehen neben Inszenierungen der leichteren Muse, die das Haus voll machen bis unters Dach - was man wiederum braucht, um neue Projekte zu finanzieren und am Ende trotzdem den von der jeweiligen Kommune beigesteuerten Etat einzuhalten.
Stadttheater in der Provinz kann funktionieren und es macht richtig Spaß, wenn es dem Theater gelingt, ein wichtiges Kommunikations-Zentrum in der Region zu sein! Wenn eine Premiere am nächsten Tag Stadtgespräch ist, wenn die Mitarbeiter des Hauses beim Bäcker auf das neueste Stück angesprochen werden, wenn Kinder ihre Märchenhelden von der Bühne zum Geburtstag einladen wollen oder Zuschauer schreiben, sie hätten sich jetzt alle Texte von jenem Dramatiker besorgt, dessen Stück sie gerade gesehen haben, wenn über 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen in den Theaterjungendclubs Migrationshintergrund haben und ihre Eltern an den Wochenenden mit ins Theater bringen - dann möchte man an keinem anderen Theater arbeiten, egal wo es steht. Gutes Theater in der Provinz ist eben nicht entweder "Bedürfnisbefriedigungsanstalt" oder ästhetisch anspruchsvoll. Es geht auch beides: Sowohl eine tolle Platzauslastung, als auch kluges Theater für Kopf und Herz. Das allerdings sehen viele Kritiker, die so von oben herab über die "Provinz" schreiben nicht, denn sie fahren gar nicht erst hin.
Bravo! Vielen Dank für diesen wunderbaren und leidenschaftlichen Beitrag für das Stadttheater in der "Provinz", wenn ein Theater soetwas leistet, wird die Stadt durch selbiges aufgewertet.... und eben nicht andersherum, wie die meisten Kritiker immer noch denken!! Vielen Dank, Sie sprechen mir aus dem Herzen!
Schluss mit Kultursnobismus!!