Die Geschichte einer Aufwühlung

von Else Buschheuer

Montagfrüh in Berlin Mitte. Die Februarsonne ist ausgesperrt, die Bühne in mildes Licht getaucht. In den Kulissen turnen Techniker herum. Musik dröhnt, Bässe kitzeln im Magen. Da kommt er, der Meister, braungebrannt, die Locken frisch gestutzt, und schleppt einen sympathischen Hauch von Knoblauch ein. "Draußen ist es so schön und wir sitzen wieder in dieser Vampirsgruft", sagt er. In den Theaterferien war Hartmann mit seiner Familie auf Fuerteventura. Das Wochenende hat er auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern verbracht, wo er mit seiner Frau und seinen vier Kindern wohnt. Davon zehrt er, das braucht er, das stabilisiert ihn.

Auch alle anderen treffen ein, Kaffeebecher in den Händen. Maiko, Dramaturgie-Hospitant aus Magdeburg, berichtet von seinem Wochenende (mittel). Sonja, Chefdramaturgin, fragt, ob ich was fürs Programmheft schreiben will (nein). Heimhart, Chefbeleuchter, zwickt mich zur Begrüßung in den Arm. Wir kennen uns noch aus Ost-Zeiten, da war ich hier Kartenabreißerin. Wobei ich glaube, dass er mich verwechselt.

sebastianhartmannloewe2 280 elsebuschheuer uSebastian Hartmann auf der Probe I
© Else Buschheuer
Wir proben heute Szene 6, 1. Akt. Philip, der französische König, ist zu Besuch auf der Burg von Henry, dem englischen König. Nacheinander besuchen Henrys Söhne heimlich Philip in seinem Schlafgemach. Es geht, worum es immer geht in Königshäusern: um die Krone. Als Richard naht, der älteste Sohn, verstecken sich seine Brüder John und Geoffrey. Schnell wird deutlich: Philip und Richard waren ein Liebespaar, aber sind sie es noch?

An der Stelle fangen wir heute an. "Ihr hitzelspergert euch da rein", ruft Hartmann. Auch Richard muss jetzt in Deckung gehen. The King himself ist im Anmarsch. Henry wähnt sich mit Philip allein, obwohl sich hinter jedem Vorhang einer seiner Söhne versteckt. Zum Schluss der Szene geht alles drunter und drüber, die Vorhänge fallen, die Masken, die Menschen – der alte König verstößt seine Brut.

Vor zwei Wochen wurde die Szene zum ersten Mal gespielt. Da saß der Text noch nicht, und die Souffleuse, Marion Rommel, musste ihn permanent hineinrufen. Am Schluss riss sich König Henry im Furor die Kleider herunter und stand splitternackt auf der Probebühne, den Dionysos-Bart gen Himmel gereckt, seine Söhne verfluchend, unter einem grollenden Klangteppich von Komponist PC Nackt – passender Künstlername an dieser Stelle. Da lebte der Stoff zum ersten Mal. Der König zieht blank, der Löwe häutet sich.

Obwohl Hartmann mit heller Stimme rief: "Ihr seid alle Zeugen, ich hab das nicht von ihm verlangt", obwohl er frotzelte, dass das Publikum nachher sagen würde, es sei prima gewesen – bis zu der Stelle, wo der dicke alte Mann sich nackig macht – wurde ich das Gefühl nicht los, dass der Strip mehr als das Angebot des erfahrenen Schauspielers war. Er war selbsterfüllende Prophezeiung, vorauseilender Gehorsam. Bei Hartmann müssen sich doch immer alle ausziehen.

Habe ich vorhin "wir proben" geschrieben? WIR – Hier sieht man den Grad meiner Identifikation. Seit Wochen gehe ich fast jeden Tag ins Theater. Ich bin der schweigende Teil von etwas, das aus dem Nichts entsteht. Ich beobachte und notiere. Ich bin Zaungast, Gaffer, Spanner. In den ersten Tagen, wenn ich in der Pause zu einer Gruppe von rauchenden Schauspielern trat, verstummten sie. Ein Schnitzel für den Spitzel. Ich war sogar doppelt verdächtig: Als Journalistin und als Person, die von Hartmann installiert wurde. Sebastian Hartmann, "Porno-Hartmann", wie man ihn in Leipzig nannte (sagt er). Sebi, wie Freunde und Kollegen ihn rufen.

Sebi, das Theatertier, Sebi, der Familienvater, Sebi, der Zotenheld, Sebi, der "Namenslegastheniker" (sein Wort), Sebi, der aufmerksam, zugewandt, sensibel, ausgelassen, liebenswert, treudoof, angepisst, schwer von Begriff sein kann. Sebi, der morgens auf ausgewählte Kolleginnen zuläuft und sie umarmt. Er umarme eben gerne, sagt er. Und hüllt das Rätsel, das er ist, in ein Gewand der Harmlosigkeit.

sebastianhartmannloewe3 280 elsebuschheuer uSebastian Hartmann auf der Probe II
© Else Buschheuer
1966 schrieb James Goldman das Theaterstück im Stil von Shakespeare. Fünf Jahre lief es am Broadway. Zweimal wurde es von Hollywood verfilmt. Katharine Hepburn kriegte einen Oscar dafür, Glenn Close 35 Jahre später für dieselbe Rolle einen Golden Globe. Und damit muss man sich jetzt beschäftigen. Die Filme anschauen. Den Text lesen, verstehen und diskutieren. Faustrecht. Erbpacht. Krone. Krieg. Was bedeutete das vor tausend Jahren? Was soll das heute? Die Schauspieler sind schon im Kostüm. Mit Krone, Kettenhemd, Schnabelschuhen, Eierschutz diskutieren sie anders, aus ihren Rollen heraus.

Da ist Henry II, ein mächtiger König, Herrscher über große Teile Englands und Frankreichs, er wird gespielt von Michael Schweighöfer, seit 1985 Ensemblemitglied und Vater eines inzwischen berühmten Sohnes, Matthias Schweighöfer.

Dann die Söhne: Richard (Felix Goeser), Geoffrey (Peter Moltzen) und John (Benjamin Lillie). Weihnachten versammelt der König seine Familie. Henry ist schon 50, älter als der Papst, wie es im Stück heißt. Aber wer wird König, wenn er nicht mehr ist? Henry muss seine Frau, Königin Eleanor, vorübergehend aus dem Knast holen, wo er sie seit zehn Jahren ruhigstellt. Jeder hat einen Lieblingssohn für die Krone: Eleanor Richard, Henry John. Eine schrecklich nette Familie. Einmal ruft John, der von seinem Vater bedroht wird: "Ein Messer! Er hat ein Messer!" Eleanor sagt gelangweilt: "Natürlich hat er ein Messer. Wir alle haben Messer. Es ist 1183 und wir sind Barbaren." An dem Absatz, kündigt Hartmann an, werde er sich tot inszenieren.

Eleanor wird gespielt von der Österreicherin Almut Zilcher, die damit in die Fußstapfen von Katharine Hepburn tritt. Oder ihr ins Schienbein tritt, je nach Lesart. "Ich spiele die böse Königin, wie immer", scherzt sie. Hartmanns Oma weinte, wenn Hepburn litt im Film. Das steht spätestens, als er es zum zweiten Mal erwähnt, wie eine Drohung im Raum: Spiel so, dass meine Oma weinen würde. Oder heißt es: Spiel anders? Almut Zilcher muss aufpassen, dass sie nicht selber weint. Sie hat vor drei Monaten ihren Mann verloren, ihren Lebensmenschen, Mitko, Dimiter Gotscheff, der ein Theatergott war. Die Eleanor ist ihre erste Rolle seit seinem Tod.

Henrys Mätresse Alais wird gespielt von Natalia Belitski, deren kurzer, präziser Auftritt in "Tschick" mir im Gedächtnis geblieben ist. Alais hat im Stück die Funktion einer Trumpfkarte. Einer der Söhne wird sie heiraten dürfen – oder, besser, heiraten MÜSSEN –, denn wer will schon Vaters Metze im Bett. Alle Mitglieder des Königshauses werden in Schach gehalten von Philip, König von Frankreich, Bruder von Alais. Philip wird gespielt von Andreas Döhler. Döhler ist ein Vitalitätspaket. Es fällt ihm schwer, ruhig zu sitzen. Sein linkes Bein zuckt, als wollte es loslaufen, er steckt sich eine Zigarette in den Mund, reißt sie wieder raus, springt auf, setzt sich hin, murrt. Wenn er im Text etwas ausradiert, wackelt der ganze Tisch, sind alle Muskeln in Bewegung. Er will spielen, nicht labern. Er platzt gleich.

Von der Konzeptionsprobe bis zur Premiere werden knapp zwei Monate ins Land gehen. Routine für alle, die nicht, wie ich, den fremden Blick haben. Hartmann hat mich spontan angerufen, weil ich irgendwann den Wunsch geäußert hatte, eine Inszenierung von ihm zu begleiten. Wir kennen uns flüchtig aus Leipzig. Er war Intendant des Centraltheaters, ich lebte dort als Schriftstellerin und TV-Moderatorin. Sein "Faust", eine gigantomanische Goethe-Vernichtung, hat mich beeindruckt. Inzwischen hat Leipzig uns beide ausgekotzt. Hartmann lässt mich in seinen Inner Circle, ohne zu fragen, was ich damit mache, ob ich darüber schreibe, und, wenn ja, wie und wo. Er hat mich nicht mal zur Geheimhaltung verpflichtet. Er sagt: Mach doch, watte willst.

sebastianhartmannloewe1 280 elsebuschheuer.uSebastian Hartmann auf der Probe III
© Else Buschheuer
Er inszeniert eine versunkene – und inwiefern doch heutige? – Welt, er arbeitet dabei in kreativen Böen. Nicht intuitiv, sagt er, das klinge faul. Was er macht, sei harte Arbeit. Dabei sieht es so leicht aus. Mal sitzt er mucksmäuschenstill und lässt die Schauspieler machen, dann wieder hechtet er auf die Bühne, unterbricht, tadelt, lobt. "Greif zu! Greif zu! Greif zu!" – "Schön haptisch bleiben!" – "Hau mal auf die Brustkörbe!" – "Beiß dir den Schmerz weg! Nie wieder willst du Schmerz erleben!" –  "Spiel erst mal seinen Arsch an, Almut, du erkennst deinen Sohn am Arsch!"  – "Innere Grazie und Schönheit, Alais!" – "Sehr gut! Das ist der Gestus der Szene!" Er ist dann wie in Trance, beißt sich tief in jedes Detail: "Küß ihn lange", sagt er, als Natalia und Michael eine Szene proben, bei der sie sich kopulierend über eine Schräge schieben müssen. "Kannst du ihn gut küssen? Ist er ein netter Kollege?" – "Ich kenne ihn noch nicht", nuschelt Natalia unter Michael vor. "Dann lern ihn kennen", sagt Hartmann, "lern ihn kennen!"

Natalia friert in ihrem dünnen Kostüm. Almut mag ihr Kleid nicht. Michael Schweighöfers Stiefel sind zu groß. "Wo ist die Brasilianerin?", ruft der Regisseur streng in den dunklen Raum hinein. Adriana Brage Peretzki eilt herbei. Sie stammt aus Rio, lebt in Hamburg und ist eine gefragte Kostümdesignerin. Hartmann und Peretzki arbeiten oft zusammen, wirken vertraut und schätzen sich sehr. "Sie ist eine Göttin", sagt er, "ich möchte gern so inszenieren können, wie sie Kostüme macht." Gerade wird diskutiert, ob Almut und Michael in der letzten Szene hohe Rokoko-Perücken tragen sollen. "Darüber muss ich noch mal träumen", sagt Hartmann. Und Peretzki erklärt: "Jedes Mal kurz vor der Premiere träumt er was und alles wird anders. Kostüme werden umgeschmissen, Texte geändert". Wer nicht flexibel ist, kriegt die Krise.

"Wir müssen 'ne Kakophonie machen!" Hartmann benutzt gern Fremdwörter, am liebsten welche, deren Bedeutung er nicht oder nur ungefähr kennt. "Hier kommt wieder ein Katarakt! Spiel das apodiktisch! Noch apodiktischer! Exekutiv! Ja! Genau! Jetzt haste deinen inneren Parcours! Das bau'n wir ein, als Gimmick! Sagt man da Gimmick?" Er nimmt Wörter nicht ernst, aber er mag, wie sie klingen.

Wenn Hartmann eine Szene nicht knacken kann, driftet er ab. Erzählt, dass in Leipzig jeder seiner Schauspieler Louis-de-Funes-Filme anschauen musste. Fragt, ob die Souffleuse mit Wüstenfuchs Rommel verwandt sei (nein). Erinnert sich, dass er als junger Schauspieler im Kindertheater einen bösen Vorhang spielen musste. Überlegt laut, ob er sich einen Igel schneidet. Schätzt, was es wohl kosten würde, wenn er dem Leipziger Oberbürgermeister, mit dem er im Clinch liegt, eine scheuert. Schwärmt vom neuen Scorsese-Film: "Du kommst aus dem Kino und willst ficken. Du willst Drogen. Du willst nicht mehr gut sein. Du willst endlich böse sein."

Er stilisiert sich: als lieber Junge, der sich böse träumt. Der ein "Fan der Liebe" ist, romantisch, moralisch, soft, überdies ein Tiefstapler. "Soll ich das Stück wegschmeißen?", fragt er, wenn ihn der Selbstzweifel packt, "Inszeniere ich zu oberflächlich?" Oder er winkt ab. "Kannste auch streichen", sagt er, als Almut Zilcher den Text zu hollywoodmäßig findet. "Ihr könnt alle alles streichen."

Hartmann fordert uns auf, den Begriff "Rattenkönig" zu googeln. Das ist ein Klumpen von lebendigen Ratten, die durch Blut, Dreck und Scheiße aneinander geschweißt sind. So sieht er die Königsfamilie. Als verkommenen Haufen, als Menschenknäuel, auf Gedeih und Verderb ineinander verbacken.

sebastianhartmannloewe4 280 elsebuschheuer uSebastian Hartmann auf der Probe IV
© Else Buschheuer
Wo er mit dem Stück hin will, ist ihm in den ersten Wochen noch nicht klar. Und er tut auch nicht, als ob. "Ick sitz noch nich uffm Pfeil", sagt er. "Ick weeßet doch ooch nicht." oder schlicht "Keine Ahnung!" Andreas Döhler, der zum ersten Mal mit Hartmann arbeitet, wirkt irritiert. Seine Kaumuskeln mahlen unter seinem dunklen Bartschatten. Keine Ahnung? Was soll das heißen? Wenn er keine Ahnung hat, warum führt der Mann dann Regie? Dass König Philip mit einem Eimer in der Hand auf die Bühne kommen und die Königsfamilie, die er besucht, gleich selber mit spielen soll, alle Rollen, und dazwischen anmoderieren, wer er gerade ist, was soll das? Soll er sich zum Vollhorst machen? Erst spielt er leicht bockig, dann, von Hartmann angefeuert, unterbrochen, wieder angefeuert, wird Döhler warm. Es macht Freude, zu sehen, wie dieser sperrige Typ sich die Szene aneignet, wie er den alten König parodiert, wie er im Spiel erblüht. Jetzt nickt Hartmann, reißt die Arme hoch, freut sich und ein Lachen gluckert aus ihm heraus, kindlich fast, ebenso überrascht wie begeistert von diesem Wunder aus Klang, Emotion und Licht, das er schuf, vielleicht versehentlich schuf, aber eher doch absichtlich schuf, und er ermahnt die Regieassistentin Anna, die er hartnäckig Anne nennt, alles genau mitzuschreiben, weil er es sonst gleich wieder vergisst. Und er lobt Michael Schweighöfer, den er hartnäckig Matthias nennt, für sein kraftvolles Spiel. Und er macht Natalia Belitski, die er hartnäckig Nathalie nennt, schlüpfrige Komplimente für ihr Kostüm.

Zurück zu Szene 6, 1. Akt. Andreas Döhler, in den Kammerspielen als grundehrlicher, robuster, ostdeutscher "Jochen Schanotta" gefeiert, fällt es nicht leicht, einen schwulen Franzosenkönig zu spielen. Und auch noch mit angezogener Handbremse. Und auch noch unter Hartmann. Er hangelt sich an der Burgkulisse entlang, macht Klimmzüge, um Energie loszuwerden, und fragt, wie er es machen soll. "Ich weiß doch auch nicht, ob ihr euch küsst, ob ihr euch prügelt, ob Richard dich vögelt", sagt Hartmann, "ich weiß nicht, was da entsteht. Biet mal was an!" Einen Moment lang sieht es so aus, als würde Döhler aus dem Kostüm springen. Dann – tut er es, aber als Angebot, und tanzt im Schlüpfer herum wie ein obszöner Teufel. Rasch ist aus "10 Minuten Sprecheritis" (Hartmann) eine anale Vergewaltigung geworden. "Danke", sagt Hartmann. "Das ist genauso, wie ich es hätte haben wollen. Wenn ich es gewusst hätte."

Michael Schweighöfer hat sich wochenlang zähneknirschend von Hartmann "Matthias" nennen lassen, auch mal "Micha", aber doch immer wieder "Matthias", aber jetzt platzt ihm der Kragen. "Ich heiße nicht so. Du hattest genug Zeit zum Üben. Wenn du mich noch einmal Matthias nennst, verlasse ich die Bühne." Hartmann gelobt Besserung, wird aber in den kommenden Tagen Rückfälle erleiden. Sprecheritis. Quatscheritis. Nameritis. Alles nicht seins. Schweighöfer wird die Bühne trotzdem nicht verlassen. Den Teufel wird er tun. Er flucht, er vögelt, rauft sich den Bart, spielt nackt Schlagzeug. Er ist männlich und mutig und sexy. Er ist der beste aller möglichen Henrys.

elsebuschheuer 280 elsebuschheuer uElse Buschheuer  © Maiko Miske"Sprich lauter", fordert Hartmann Königin Eleanor auf. Almut Zilcher kriegt einen Tobsuchtsanfall. Sie ist seit einer Woche erkältet, muss ihre Stimme schonen, keiner nimmt Rücksicht. Arschlöcher, alle! Sie zeigt auf uns, die Hospitanten, Praktikanten, das technische Personal, die wir betreten im Saal sitzen. "Was schaut ihr so stumpf", ruft sie heiser, "schaut doch nicht so stumpf!"  Ich verschlucke vor Schreck meinen Kaugummi. Um eine weitere Publikumsbeschimpfung zu verhindern, lässt Hartmann das Saallicht ausschalten.

Wenig später passiert ihm der Lichtwechsel zu schnell. Das sei aber das verabredete Stichwort gewesen, sagt der Chefbeleuchter. "Scheiß Stichworttheater", brüllt Hartmann, "Scheiß Beamtentheater, jetzt werd ich aber langsam sauer. Was ist das für ein Rumgefrickel! Wir inszenieren hier doch keine Steuererklärung! Wir sind doch keine Ampelmännchen!"

Ich hab keine Ahnung, ob diese Inszenierung der größte Scheiß wird oder ein Geniestreich. Ich hab jegliches Urteil verloren. Ich war Zeugin bei der Erschaffung der Welt, so fühlt sich das an. Ich hab Angst, dass das Leben weitergeht und die Kunst aufhört. Heute proben wir die letzte Szene: Ein König schlachtet seine Familie ab. "Hat noch jemand was, was er sagen möchte, bevor bei mir das große Gemetzel einsetzt?", fragt Hartmann.

Ja. Ich. Danke!

Berlin, 27. Februar 2014

 

Else Buschheuer, 1965 in Eilenburg bei Leipzig geboren, ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Als eine der ersten Autorinnen in Deutschland führte sie bereits 2001 einen Internetblog. Bekannt wurde sie auch durch ihre Romane "Ruf mich an" und "Masserberg". Zuletzt erschien im Aufbau Verlag "Zungenküsse mit Hyänen".

 

Was sonst noch geschah? Hier die Nachtkritik der Premiere des "Löwen im Winter" in der Regie vom Sebastian Hartmann am 28. Februar 2014.

 

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