Reichsdifferenzschauspieler

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 26. Februar 2014."Ich bin schwarz, ich bin auch Deutscher", sagt Klaus ganz zum Schluss mit ausgebreiteten Armen. Dabei hatte er gerade noch lernen müssen, dass es das gar nicht gibt: "Schwarze Deutsche existieren nicht", stand im wohl letzten "Reichsschreiben" an den Sohn einer Deutschen und eines ihm unbekannten Vaters, von dem er die Hautfarbe hat.

Wir befinden uns im Jahr 1938, das auf der Bühne des English Theatre aussieht wie eine in die Dreidimensionalität gezogene Film-Leinwand. Zusammen mit den historisierenden Kostümen, der künstlich hölzernen Gestik der Darsteller und der dezent dramatischen Live-Klavierbegleitung vermittelt diese Bühne den Eindruck, dass Regisseur Daniel Brunet Klaus’ Geschichte als Stummfilm auf das Theater bringen will. Dass trotzdem gesprochen wird, passt dazu, dass der Abend sich darauf spezialisiert, (Identitäts-)Paradoxe offen zu legen.

"Repräsentanten ethno-kultureller Differenz"

Das Hauptparadox in Alexander Thomas' Stück "Schwarz gemacht", das Thomas zusammen mit Daniel Brunet und Hauptdarsteller Ernest Allan Hausmann im Rahmen der Stückentwicklungsreihe "The Lab" des Berliner English Theater geschaffen hat, ist das Deutsch- und Schwarzsein der Hauptfigur Klaus. Klaus ist Schauspieler, oder er würde gern wieder als solcher arbeiten – am liebsten "serving the image of German", also als Abziehbild des Fremden in Goebbels' Propagandafilmen.

Für die Figur Klaus gibt es reale Vorbilder: afrodeutsche Schauspieler, die in von den Nazis finanzierten Filmen als "Repräsentanten ethno-kultureller Differenz" eingesetzt wurden. "Schwarz gemacht" basiert auf einer akribischen Recherche ihrer Schicksale und des deutschen Umgangs mit den ehemaligen, im Ersten Weltkrieg verlorenen afrikanischen Kolonien und ihren Bewohnern, in einer kleinen Ausstellung im Foyer des English Theater dokumentiert – sie ist leider um einiges komplexer und fesselnder als das, was nebenan auf der Bühne passiert.

schwarzgemacht 560a danielgentelev u© Daniel Gentelev

Dort ist Klaus so gründlich deutsch, dass er es nicht absurd findet, dass es in Nazi-Deutschland für ihn nur diese oder keine Arbeitsmöglichkeit geben wird. Die beiden weißen Deutschen, mit denen er zusammenlebt – der Filmregisseur Walter und die ehemalige Stummfilmdiva Ruth – sind beide nicht gerne deutsch und längst an ihm verzweifelt. In Alexander Thomas' Text dienen sie vor allem dazu, Klaus’ Situation durch emotionale Appelle an ihn zu illustrieren; Daniel Brunets Inszenierung verdammt sie folgerichtig dazu, jeweils immer nur auf einem Fleck zu stehen. Der einzige, der sich in diesem statischen Arrangement bewegen darf, ist Klaus selbst, dessen Verranntheit Ernst Allan Hausmann gegen den allzu oft dramaturgisch vorhersehbaren und überplakativ sprachspielenden englisch-deutschen Stücktext eine ganze Menge fatale Lebendigkeit verleiht.

"Amerika ist genauso scheiße"

Es gibt noch einen anderen Schauplatz, der mit Klaus' Schwarzsein korrespondiert. Das ist die illegale Jazzbar "Der Untergrund", wo der aus den USA illegal nach Deutschland eingereiste Afroamerikaner Maurice den anfangs noch übersprunghaft wegrennenden Klaus mit wachsendem Erfolg dazu auffordert, die People of Color der ganzen Welt anstelle eines Landes, "das genauso scheiße ist wie Amerika und von Tag zu Tag mehr scheiße wird" als seine Heimat anzunehmen. Außerdem macht diese zweite Ebene Klaus' real aussichtslose Lage deutlich: Auch in den USA, wo in vielen Staaten noch die Rassentrennung praktiziert wird, wird er kein normales (Arbeits-)Leben als Schauspieler führen können. Und einreisen könnte er nur auf illegalem Wege. Wofür er, siehe oben, natürlich viel zu deutsch ist.

Es gibt auch noch die junge Amerikanerin mit deutschen Wurzeln Lisa, die das Leben in Ruths Haus ein bisschen aufmischt – zwischen Klaus und Lisa beginnt sich eine Liebesgeschichte anzudeuten. Aber sie muss dem Drive des Stücks zum Opfer fallen. Es soll hier um nicht weniger und nicht mehr gehen als darum, dass jegliche Zuschreibung (schwarz, deutsch, amerikanisch, you name it) dazu führt, dass wir alle nur als Projektionsflächen füreinander funktionieren, uns nicht als Menschen begegnen können. Eine These, die diesem Stummfilm-Theater die dritte Dimension wieder raubt – wenn sie so einfach gehalten wird.

 

Schwarz gemacht (UA)
von Alexander Thomas
Regie: Daniel Brunet, Produktionsdramaturgie: Aline Benecke, Bühnenbild: David L. Arsenault, Lichtdesign & Produktionsmanagement: Christian Maith, Kostümdesign: Tamar Ginati, Sounddesign und Komposition: Natalia Lincoln, Videodesign: Noam Gorbat.
Mit: Sadiq Bey, Ernest Allan Hausmann, Marco Klammer, Miriam Anna Schroetter, Kerstin Schweers.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.etberlin.de

 

Kritikenrundschau

"Es ist ein packender Stoff, den das English Theatre an diesem Abend aufgreift", schreibt Christian Rakow in der Berliner Zeitung (28.1.2014). Aber die Verarbeitung dieses Stoffs in Stück und Inszenierung vermag ihn nicht zu überzeugen: "Mit spröder Didaktik" debattierten Ruth und der arbeitslose Filmemacher Walter mit dem Helden Klaus. Spiel sei Mangelware: "Regisseur Daniel Brunet lässt seine Akteure an vier Ecken einer verwinkelten Bühne in Lichtkegeln erstarren, während sie auf Englisch und Deutsch ihre Thesen herumreichen."

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