Königinnen in Oklahoma

von Georg Kasch

6. März 2014. Es ist die Landschaft, die verblüfft. Wenn man schon einige Versionen von Tracy Letts' Stück "August: Osage County" auf der Bühne gesehen hat, fällt diese Weite besonders auf, die sich im Osage County in Oklahoma öffnet: endlose Horizonte, garniert mit Hügel, Vieh und Strohballen, darüber ein Himmel, der alle Farben kennt. Ziemlich winzig wirkt da der Mensch, und einmal, zu Beginn, sagt Barbara sinngemäß: Für dieses elende Land haben wir all die Indianer abgemurkst?

Jetzt, in John Wells' Verfilmung des Pulitzerpreis-gekrönten Stücks von 2007, wird auch der lakonische Titel deutlich, der Handlungszeit und -ort benennt. Denn dieser trockene Boden, diese flirrend heiße Luft prägen die Menschen, die hier leben. Sie machen sie hart und trocken wie die Kommentare, die sie von sich geben, und wie der Whisky, den sie in sich hineinschütten. Während Zeit und Ort auf deutschsprachigen Bühnen eher eine untergeordnete Rolle spielen, nutzt Wells jede Gelegenheit, um das große villenartige Südstaatenholzhaus zu verlassen und Weite und Hitze des Osage County zu atmen.

Meryl Streep als Muttermonster

Um dann zurückzukehren ins dunkle Haus, zur Mittelstandsfamilie Weston und ihren zerstörerischen Dynamiken. Als "Eine Familie" wird Letts Dramödie seit der deutschsprachigen Erstaufführung in Mannheim 2008 rauf und runter gespielt – so geschehen in Wien, wo Alvis Hermanis seine Menschlein im riesigen Puppenhaus wimmeln ließ, aber auch in Bochum, Basel, Potsdam, in Nürnberg und Schwerin.

Die Geschichte zwischen Familiendrama, Seifenoper und Boulevardkomödie ist großes Schauspielerfutter in der Tradition von Edward Albee und Tennessee Williams: Nachdem ihr Mann verschwunden ist, versammelt Violet Weston ihre Familie um sich. Das tablettensüchtige Muttermonster nutzt die Chance, um alle mal so richtig runterzuputzen. Eine Steilvorlage für starke Theaterensembles, aber eben auch für Hollywoods erste Kräfte.im august osage county 560 tobisDie Hölle ist immer die Familie, auch in den Südstaaten © Tobis Film

Zum Beispiel für Meryl Streep, die für ihre Rolle der Violet zum 18. Mal für einen Oscar nominiert wurde. Eine weiße Fratze begegnet uns da, zunächst mit strubbelig dünnem Haar, gezeichnet von der Chemotherapie (Violet hat Mundhöhlenkrebs). Ein lallendes, taumelndes Gespenst, das erst allmählich alle seine Gesichter zeigt, das sich mit Perücke und Make-Up verwandelt, jedes Lächeln und jede Zigarette, jedes Losbrüllen und Wimmern strategisch einsetzt. Violet ist eine begnadete Schauspielerin, ihr Publikum die Familie, und natürlich ist so eine manipulative Strippenzieherin bei Streep in besten Händen. Fließend sind hier die Grenzen zwischen Drogendelirium und völliger Klarheit, und wie sie die Mitleidsregister gerade dann zieht, wenn sie den verbalen Dolch zückt, ist großartig. Ihren furiosen Attacken erinnern an eine andere Stück-Verfilmung, an "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" (Mike Nichols, 1966).

Warme Farben und scharfe Pointen

Aber auch an die Schiller-Konstellation der großen britischen Königinnen. Wenn Violet auf ihre Tochter Barbara prallt, dann scheppert das so, weil beide vom selben Eisen sind. Julia Roberts (auch sie Oscar-nominiert) lässt sich Zeit, nimmt das Publikum bei der Hand mit ins Herz der Finsternis, in dem man entdecken muss, wie entsetzlich ähnlich man seinen Eltern ist. Erst beim Beerdigungsdinner lässt sie sich aus der Reserve locken. Nie war sie so gut wie hier, eine würdige Maria Stuart gegenüber dieser kalten Elisabeth.

Man merkt jeder Filmminute an, dass Wells alle von Letts' Charakteren liebt. Er zeigt sie in warmen Farben, fängt jedes Leuchten ihrer Augen auf, und obwohl jede Verfallserscheinung der Stars unterstrichen wird, wirken sie doch auf eine anrührende Weise schön. Dass Letts' Geschichte mit ihren Fremdgeh-, Inzest- und Missbrauchs-Umwegen nicht im Drama endet, liegt an den messerscharfen Pointen. Wo "August. Osage County" auf der Bühne das Zeug hat, sich zum Schenkelklopfer zu dynamisieren, hält Wells den Pointenaffen straff am Zügel. Ja, auch im Kino wird gelacht. Aber doch nie so, dass dieses Lachen die Abgründe überbrücken würde, die sich auftun. Dazu rückt die Kamera den Figuren auch viel zu nah auf die Pelle – im Haus, das realistisch und detailfreudig die Familienvergangenheit beschwört, weitet sich der Blick erst beim Duell an der Beerdigungstafel.

Glänzende Nebendarsteller

Auch neben Streep und Roberts ist dieser Film ein Schauspielerfest. Obwohl etwa Juliette Lewis ihre Karen etwas sehr tussig anlegt und sich nicht alle Nebenrollen einprägen, so glänzen doch viele: Benedict Cumberbatch steckt in seinem Little Charlie wie in einem zu altmodischen Anzug, schaut herrlich verquollen und leuchtet berührend, wenn er liebt. Auch die Figuren Ewan McGregors und Chris Coopers erscheinen nie als die Waschlappen, zu denen sie gerne auf der Bühne gemacht werden, sondern als ziemlich selbständige Männer, die dabei sind, mit ihrem Schicksal möglichst würdevoll fertigzuwerden. Es gibt Momente, da überlagert sich im Gesicht von Margo Martindales Mattie Fae, Violets Schwester, erschreckend die liebenswürdige Gemütlichkeit mit hasserfüllter Härte. Dazwischen erscheint wie eine Mahnung Misty Uphams native amercian Johnna, die als Pflegerin eingestellt ist, als Hausmädchen arbeitet und mit gütigen Augen das Leid aller bestaunt.

Doch das letzte Bild gilt bei Wells nicht der von allen verlassenen Violet in Johnnas Schoß, sondern der Weite Oklahomas. Es setzt auf Hoffnung – ein freundlicher Optimismus, der diesen Film angenehm durchpulst, ohne dem Drama die Schärfe zu nehmen.

 

Im August in Osage County
(August. Osage County)
von Tracy Letts
Regie: John Wells, Kamera: Adriano Goldman, Musik: Gustavo Santaolalla.
Mit: Meryl Streep, Julia Roberts, Chris Cooper, Ewan McGregor, Margo Martindale, Sam Shepard, Dermot Mulroney, Julianne Nicholson, Juliette Lewis, Abigail Breslin, Benedict Cumberbatch u.a.
Dauer: 2 Stunden
Filmstart in Deutschland: 6. März 2014

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