Geldsorgen der anderen Art

von Katrin Ullmann

Hamburg, 13. März 2014. "Hey du, ich mag dich, ja, wirklich. Ich mag, wie du denkst, wie du lachst". So flirtet sie mit dem Publikum. "Willst Du mein Freund sein? Wollen wir Freunde sein?" Ihre Stimme ist sanft, lockend. Verraucht. Auch weil sie raucht. Sie lehnt lässig auf einer Schaukel, schwingt, lockt und lacht. In Overall, mit Sonnenbrille, ihre Haut vergoldet. Ja, klar! Freunde sein. Mit dieser exzentrischen, schillernden Person da auf der Bühne, gespielt von Anne Ratte-Polle. Wer möchte das in diesem Moment nicht? Doch dann bricht sie ihr Angebot mit einem harschen "Es wird nicht funktionieren." Warum? "Es wird unsere Freundschaft zerstören, weil du kein Geld hast. Und weil ich all dieses ererbte Geld habe."

Geld, viel, zu viel Geld, das ist also das Thema dieses Abends. "In den nächsten zehn Jahren werden unter den reichsten zwei Prozent aller Deutschen 900 Milliarden Euro vererbt, so viel wie nie zuvor. Was macht man mit seinem Leben, wenn alles möglich scheint?", heißt es in der Presseankündigung. Die Hamburger Regisseurin Maria Magdalena Ludewig hat "Born Rich" gemeinsam mit dem Clubbetreiber und Romanautor Tino Hanekamp ("So was von da", 2011) entwickelt und auf Kampnagel zur Aufführung gebracht.

Generation übersatt

Eine Hand voll Interviews hatten die beiden im Vorfeld geführt. Mit Kindern reicher Eltern, mit millionenschweren Erben einer übersättigten Generation. Der Zuschauer erlebt also ein Kondensat dieser Recherchen, verkörpert durch eine auratische Hauptfigur, die – aus Gründen der diskreten Anonymität – einfach nur "Dingsbums" heißt. Anne Ratte-Polle trägt den gesamten Monolog, spielt alle Figuren des Abends. Die falschen Freunde, die früher oder später zu Bittstellern werden.

Deren Gründe sind divers: himmelhohe Tierarztrechnungen zur Wiederinstandsetzung des geliebten Golden Retrievers, horrende Arztkosten eines Schweizer Spezialisten zur Rettung der todgeweihten Schwester, ein dringender Ersatz für den geschrotteten Tourbus ohne Vollkaskoversicherung. Es geht um Mitleid, die gute Sache an sich und auch um große Kunst. Die finanziell mehr als abgesicherte Hauptfigur bleibt hart. Statt Geld zu verleihen, entwickelt sie eine 5-Stufen-Strategie und schließlich eine "Fuck my friendship"-Stiftung.

Fern einer Verteilungsgerechtigkeit

Anne Ratte-Polle mimt im schnellen Wechselspiel all die Verzweifelten und die Hartnäckigen, die Reichen und die Superreichen, die Sinnsucher und die Scheinarbeiter, die Erben, die Nutzlosen und die Geldvermehrer. Sie schwirrt durch effektvollen Kunstschnee und tanzt im goldenen Partylicht, führt Smalltalks und zerhackt einen Eisblock, sie schiebt einen Staubsauger über die leere Bühne – "so eine Arbeit ist erfüllend" – und versucht nebenbei, drei hässliche Möpse zu dressieren. (In einer der amüsantesten Szenen des Abends sacken diese drei Möpse seufzend nacheinander in den Kunstschnee).

Ratte-Polle ist ein Geldsack, ein oberflächliches Ekel, ein geiziger Unsympath und hat dennoch das Publikum die ganze Zeit auf ihrer Seite. Sie umgarnt es und lacht, sie flucht und schreit, sie ist charmant und verächtlich. Kurz: Sie ist die perfekte Besetzung. Und das ist großes Glück! Denn der Text selbst, so spannend das Grundthema ist – ungleiche Güterverteilung, sinnlose Unmäßigkeit, passiver Geldsegen und überflüssiger Luxus – und so schwierig und heikel die Recherchen gewesen sein mögen: Der Text selbst ist schlicht. Er erzählt, wiederholt, dokumentiert. Mal mehr, mal weniger unterhaltsam, mal mehr, mal weniger griffig.

Ins Klo gespült

Klar werfen Hanekamp und Ludewig einen fragenden Blick auf die normale Arbeitswelt, streifen Verhältnismäßigkeiten und beleuchten Geldsorgen der anderen Art. Doch es fehlen Doppelbödigkeit, Schärfe und Übertreibung und letztlich eine Haltung, die über den bloßen Zynismus und das Unterhaltsam-Kabarettistische hinausgeht. Die zu Scheinen gebündelte Endloskohle im Klo hinunterzuspülen, mag rein rechnerisch ein ganzes Arbeitsleben füllen. Doch am Ende eines Abends über sinnsuchende Milliardäre zu Zeiten, in denen millionenschwere Steuerhinterziehungen die Tagespresse bevölkern, wirkt dieses Fazit wie ein müder Treppenwitz.

Born rich
von Maria Magdalena Ludewig und Tino Hanekamp
Regie: Maria Magdalena Ludewig, Text: Tino Hanekamp, Maria Magdalena Ludewig, Bühne: Jens Burde, Kostüm: Sibylle Wallum, Hundetrainer: Daniela Roock, Klaus Dencker.
Mit: Anne Ratte-Polle.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.kampnagel.de

 

Kritikenrundschau

Anne Ratte-Polle ist eine hochtalentierte Schauspielerin, der man bei einem 80-minütigen Solo gerne zuschaut, schreibt Tobias Becker auf Spiegel online (15.3.2014). "Dennoch ist der Abend über den Reichtum ein Reinfall. Denn er ist arm an Ideen." Die Schlichtheit des Textes mag vor allem daraus wurzeln, "dass es im Interviewmaterial wenig zu formen gab, was über das Klischee hinausgeht: keine Haltung, keine Botschaft." "Vor allem aber ist der Text uninspiriert: Die verschiedenen Teile sind seltsam unrhythmisch aneinandergepappt. Der gesamte Text ist merkwürdig ungeformt, sprachlich unoriginell."

 

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