Ich stress' dich, du Zuschauer!

von Verena Großkreutz

Stuttgart, 20. März 2014. Ich hasse Kopfhörer. Sie sind lästig. Die Kabel verheddern sich gerne nicht nur mit dem Gerät, an das sie angeschlossen sind. So auch im Stuttgarter Theater Rampe, wo man sich jetzt vor Betreten des Zuschauerraums eine Audio-Funk-Garnitur abholen und umhängen und als Pfand auch noch seinen Pass abgeben muss.

Dabei wäre die Hörhilfe gar nicht unbedingt nötig, wie sich später herausstellt. Die Elektrobeats und die Verzerrung, die die Stimmen des Schauspieltrios in Felicia Zellers "X-Freunde" zuweilen vermickymausen oder vermonstern, könnte man auch ganz einfach über Lautsprecher übertragen. Aber das wäre für den Zuschauer ja stressfrei. Und wieso soll es ihm anders ergehen als den Protagonisten in "X-Freunde", einem Stück, für das Felicia Zeller nach der Uraufführung 2012 viel Lob bekam?

Generation Beißschiene

Für die drei von Burnout oder Arbeitssucht befallenen, durch Fremdbestimmung oder selbstgemachten Terror drangsalierten Menschen in "X-Freunde" ist das Wort "Entfremdung" noch viel zu schwach. Die ehrgeizige Unternehmensberatungsgründerin Anne, ihr arbeitsloser Ehe- und Hausmann Holger, ehemals Betreiber eines Catering-Services, und sein alter Kumpel Peter, ein Bildhauer, der nichts mehr zustandebringt, stehen derart unter Druck und Stress, dass sie keinen Satz mehr vollständig hervorbringen: "Du kannst in dieser Branche nicht einfach mal PAUSE du kannst nicht Engagement verkaufen, Einsatz MEHRWELT und dann selber nur so ein bisschen, vielleicht mal dienstags oder donnerstags ...". So geht es in einem fort. Arme Anne! Als "Generation Beißschiene" bezeichnet Felicia Zeller ihre Figuren, die sich gehetzt und immer inhaltsleerer durchs Leben quasseln und dabei einsam werden – Opfer von Selbstausbeutung und Sklaven der Erwartungshaltung anderer.

xfreunde4 560 claudia irro uIm Stress-Space – die Zuschauer müssen eigenhändig Stühle rücken. © Claudia Irro

Klar, dass bei einer Artikulationsart, die so klingt, als würde da ständig laut vor sich hergedacht, Dialoge nicht zustande kommen. Man dreht sich um sich selbst, versucht die Welt zu begreifen, die einem immer mehr entgleitet, isoliert sich, verliert die anderen aus den Augen, bis sie sich im ganz realen Sinne in Luft auflösen. Der finale Horror ist vorprogrammiert.

Natürlich gerät diese kunstfertige Sprachentfremdung irgendwann in den Leerlauf. Zu atemlos, zu worthülsig und unfertig gleiten die Sätze an einem vorbei, als dass man ihnen wirklich ständig folgen kann und möchte. Und der Sprachwitz verflüssigt sich in der atemlosen Diktion. Man hat dann auch irgendwann kein Mitleid mehr mit diesen Nervenbündeln, die an ihrem Dilemma in großen Teilen selbst schuld sind, sich in ihrer eigenen Existenz immer mehr verheddern – wie die Kabel eines Kopfhörers eben.

Entspannt zurücklehnen gilt nicht

Apropos Kopfhörer. Interessanter als das Stück ist an diesem Abend die Inszenierung. Die Regisseurin Marie Bues, seit dieser Spielzeit Rampe-Intendantin, rückt den Zuschauern auf den Leib. Sie werden von Anfang an subtil in den Stress der Protagonisten mit hineingezogen. Zunächst durch die zwangsverordnete Beschäftigung mit der im Grunde genommen überflüssigen Technik, zu der man auch im realen Leben nicht nur in der Arbeitswelt mehr und mehr gezwungen wird. Dann durch die Suche eines geeigneten Platzes im Zuschauerraum, denn keineswegs wird auf einer Bühne gespielt – vielmehr stehen die Stühle locker verteilt im Raum, und die Schauspieler agieren mitten im Publikum. Welchen Platz wähle ich jetzt, wenn ich der grellen Scheinwerferbeleuchtung entgehen will?

Ständig rücken einem die Darsteller, die mit Mikroports ausgestattet sind, auf den Pelz: etwa wenn Holger mit verbundenen Augen auf allen Vieren zwischen den Stuhl- und Menschenbeinen herumkriecht oder wenn Peter Holger und Anne mit so gut wie jedem Zuschauer fotografiert und auf die unvermeidliche Videoleinwand beamt. Die Stellwände werden immer wieder verschoben, und die Zuschauer müssen mit ihren Stühlen einen Korridor oder neue Reihenformationen bilden.

Nein, entspannt zurücklehnen kann sich niemand an diesem unruhigen Abend, an dem man zuweilen glaubt, einem Meeting beizusitzen. Und auch der Kopfhörer-Zwang ergibt in diesem Konzept seinen Sinn: So sind die Stimmen stets aufdringlich nah im Ohr, man kann ihnen nicht entfliehen.

Orientierungslos, emotionslos, willenlos

Bues verfolgt keine Comedisierung des Textes, was vielleicht einfacher wäre. Stattdessen nimmt sie ihn ernst als eine Art absurdes Theater, das von der Sinnfreiheit der Welt und orientierungslosen Menschen spricht. Zwischen Anne (die Evamaria Salcher mal als emotionsloses Arbeitsmonster, mal als willenlose Schaufensterpuppe spielt) und Peter (den Niko Eleftheriadis zum recht verwirrten Animateur macht) gerät Holger als sich hoffnungslos abstrampelnder Hektiker (Alexander Jaschik) unter die Räder.

xfreunde1 560 andreas zauner xAnnes Holger gerät unter die Räder – Alexander Jaschik und Evamaria Salcher, an der Kamera: Nikolaos Eleftheriadis. © Andreas ZaunerDer äußerst sarkastische Schluss – Anne berichtet ohne jede innere Regung, sie habe erst zweimal von der Arbeit heimkommen müssen, um zu bemerken, dass Holger tot im Bett liegt – bleibt in Bues' Inszenierung ein seltsam disparates Element. Er schockiert nicht – vielleicht, weil sich der Zuschauer durch all die Technik, in die er eingebunden wird, längst vom Theater entfremdet hat.

 

X-Freunde
von Felicia Zeller
Regie: Marie Bues, Ausstattung: Claudia Irro, Choreografie: Miriam Horwitz, Musik: Max Braun, Dramaturgie: Martina Grohmann.
Mit: Alexander Jaschik, Niko Eleftheriadis, Evamaria Salcher.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, ohne Pause

www.theaterrampe.de

 

 

Felicia Zellers X-Freunde wurde im Oktober 2012 von Bettina Bruinier am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt, 2013 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen und mit dem Hermann-Sudermann-Preis ausgezeichnet (hier die Laudatio von Gerhard Jörder).

 

Kritikenrunschau

Eine "grandiose Spielwiese" habe Marie Bues bereitgestellt, so Armin Friedl in den Stuttgarter Nachrichten (21.3.2014). "Eine Lösung, eine Beruhigung gar, ist am Ende in diesem kreativen Horrorszenario nicht in Sicht. Doch dafür unterhält die Dramatikerin Zeller bestens, und Bues versteht es, auch die Zwischentöne dieses doch sehr dichten Textes hervorzuheben."

"Marie Bues hat Zellers böse Satire absolut einleuchtend inszeniert", schreibt Cord Beintmann in der Stuttgarter Zeitung (21.3.2014). "Das prägnante Sprechen der drei überzeugenden Darsteller, teilweise bewusst technisch verzerrt, steht ganz im Vordergrund, diverse Körperaktionen haben dienende Funktion." Was Sinn mache, schließlich lebten Zeller Helden "in einer Gesellschaft, die das Kommunizieren (Facebook, Twitter und so weiter) geradezu anbetet."

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