Verbrechen und Vaterland

von Esther Slevogt

21. März 2014. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, hat Paul Celan befunden. Nein, Paul Celan war kein "Tatort"-Kommissar, sondern ein deutscher Dichter, der trotzdem wusste, wovon er schrieb. Doch die ARD-Krimiserie, die Ende 1970 zuerst auf Sendung ging, hat diesen berühmten Satz auf das Schönste popularisiert. Auf ihre Art wurde sie DER deutsche Heimatfilm schlechthin. An der Hand regionaler Gesetzeshüter konnten die Nachkriegsdeutschen die Städte und Landschaften ihres schuldbefleckten Vaterlandes neu entdecken. Über das Verbrechen (worüber sonst?!), das jede dieser TV-Entdeckungsreisen natur- und genregemäß grundieren musste, eroberten sich die Deutschen die Provinzen ihrer geschundenen Heimat zurück.

Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass der erste "Tatort", der in Westdeutschland auf Sendung ging, "Taxi nach Leipzig" hieß. Auch nicht verschwiegen werden soll ferner, dass der "Tatort"-Erfinder Gunther Witte Anfang der 1950er Jahre an der Ostberliner Humboldt-Universität Theaterwissenschaften studiert hat, nebenbei leidenschaftlich Brechts Berliner Ensemble besuchte und seine berufliche Laufbahn als Dramaturg im Theater Karl-Marx-Stadt begann. Wie ja überhaupt ein paar prägende Pioniere des Westfernsehens mehr oder weniger aus dem Dunstkreis von Bert Brechts Ostberliner BE bzw. dem DDR-Theater kamen. Egon Monk zu Beispiel. Aber wir schweifen ab.

Gute Absicht, fragwürdiges Ergebnis

Es ist der "Tatort" ja nun wirklich das letzte TV-Lagerfeuer, das noch die Nation einigermaßen um sich zu versammeln vermag: Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie zur Primetime. Doch das deutsche Trauma, der gesuchte Verbrecher im "Tatort" könnte am Ende man selber sein, wirkt offenbar auch in der dritten Generation noch fort. Da wundert es nicht, dass die nächste "Tatort"-Kommissarin nun auch noch den Namen eines echten Holocaust-Opfers tragen soll. Margarita Broich, die demnächst in Frankfurt am Main im Auftrag der ARD ermittelt, hat sich für ihren Rollennamen von einem Stolperstein unweit ihres Wohnhauses inspirieren lassen. Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, der damit vor ihren jeweils letzten Wohnsitzen mit kleinen, ins Trottoir eingelassenen Gedenksteinen an die Menschen erinnern will, die im Holocaust ermordet wurden.

Selma Jacobi, 1854 in Görlitz geboren, wurde 1943 in Theresienstadt ermordet und hat zuletzt in Berlin-Charlottenburg gelebt. Selma Jacobi ist natürlich auch ein sehr schöner Name. Wesentlich schöner als Eva Braun zum Beispiel. Vermutlich war ja die Absicht auch noch nicht einmal schlecht. Trotzdem enttarnt die Namensgebung der neuen Kommissarin unter anderem recht unfreiwillig, wie sehr diese ganze TV-Serie von Anfang an wesentlich auch von der Wiederkehr des Verdrängten (um nicht zu sagen: der Leichen im Keller) lebte. Von der deutschen Dialektik Verbrechen und Vaterland.

 

Mehr zur Namenswahl der Tatort-Kommissarin: Am 24. März meldet süddeutsche.de, dass der Hessische Rundfunk "auf den Rollennamen Selma Jacobi" verzichten werde - "obwohl deren Ur-Enkel sein Einverständnis gegeben habe". Schauspielerin und Fernsehspielchefin hätten sich dafür entschuldigt, "Gefühle verletzt zu haben".