Leben und arbeiten - Die freie Gruppe Turbo Pascal und das Theater Freiburg erkunden im Rahmen des Doppelpass-Projekts ihre Arbeitsweise
In der Strafgaleere
von Jürgen Reuß
Freiburg, 27. März 2014. Galeerenschläge beschleunigen in immer schnelleren Takt, es öffnet sich die Rückwand. Erst wabert Nebel hervor, dann folgen Performer in Fellen und markieren in der Urgeschichte der Menschheit den Startpunkt, von dem aus im Folgenden eine kurze Geschichte der Arbeit in einer Mischung aus unterhaltsamem Volkshochschulkurs und Eckhardt-von-Hirschhausen-erklärt-die-Welt durchgejagt wird: Jagen und Sammeln als erste Arbeitsteilung, schnelles Zwangsverschlingen hoch verderblichen Mammutfleisches als erste Erfahrung, dass Konsum auch anstrengend sein kann. Und so weiter in verschiedenen thematischen Sprüngen vor und zurück durch die Geschichte der Mechanisierung, Freisetzung von Arbeit, Arbeiterbewegung und bis in die moderne Doppelstruktur von digitaler Bohème und ausgelagerter Versklavung.
Gar nicht schlecht als Einstieg in ein Stück, das sich "Leben und Arbeiten" nennt und mit seinem Publikum an einer gemeinsamen Zukunft spinnen und herausfinden möchte, was Menschen eigentlich tun wollen, wenn sie dürften, könnten oder sich trauten. Hört sich ein bisschen nach Lebenshilfe-Workshop und Encounter-Wochenende an?
Zwischen zwei Polen
So ist es, und man könnte in gewisser Weise sagen, es liegt in der Struktur der Dinge. Dieser Bühnenabend entstand nämlich aus dem vom Doppelpass-Fond der Kulturstiftung des Bundes geförderten zweijährigen Encounter der freien Theatergruppe Turbo Pascal und dem Theater Freiburg. Beide Seiten waren sich von Beginn an einig, dass beim Aufeinandertreffen dieser sehr unterschiedlichen Organisationsformen die Erkundung der jeweiligen Arbeitsverhältnisse im Mittelpunkt stehen sollte.
In einem ersten Schritt wurden im November vorigen Jahres in einer Art großen Evaluierungs-Show die Ergebnisse der Suche nach zukunftsfähigen Arbeitsformen für den Spezialfall der Theaterwelt vorgestellt. Im zweiten Schritt wird nun versucht, aus dem Changieren zwischen den Polen freischaffender Selbstausbeutung und subventionierter Kulturanstellung eine Neubetrachtung von heutigen Arbeitsverhältnissen insgesamt zu extrapolieren. Den Schlüssel, um den Transfer vom Kunstbetrieb in den allgemeinen Arbeitsalltag zu bewerkstelligen, sehen die Performer in bekenntnishafter Transparenz und einer modellhaften Übungseinheit.
Gemeinschaftsgefühl schaffen
Einer nach der anderen stellt sich das gemischte Performerteam aus Stadttheaterschauspielern, freien Performern, Technikern und Verwaltungsangestellten in verschärften Persönlichkeitsinterviews unter Zusatzstress. Die Fragen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Leben werden Wahrheit-und-Pflicht-mäßig beantwortet, indem die Befragten gleichzeitig Rad fahren, Pingpong spielen, Salsa tanzen oder sonstige Kinkerlitzchen veranstalten müssen.
Das sieht im Ergebnis bisweilen wie eine Mischung aus Impro-Theater und Scripted Reality aus. Aber die Antworten wirken weniger künstlich, eher authentisch, und die Performer geben sich angreifbar, verletzlich. Es entsteht so eine "Gebt etwas von euch preis und ihr werdet ein stärkendes Gemeinschaftsgefühl ernten"-Stimmung. Auch das Publikum wird nach jedem Statement gebeten, etwas von der eigenen Befindlichkeit per Handzeichen preiszugeben.
Und was erfährt man über Leben und Arbeit? Sehr viel Persönliches: dass die Arbeit Vorrang vor Familie oder Freundin hat, auch wenn man das Treffen so einer Wahl lieber ausblendet, dass sie die beste der Welt ist und sich in der kreativen Festanstellung gar nicht als solche anfühlt, in der freischaffenden Unsicherheit aber das Kreditkartenkonto in die Miesen und die Seele in die Überlastung treibt – kurz: dass das vermeintlich Private an den Arbeitsverhältnissen, wenn man es vor anderen äußert, sich ins Politische öffnet. Keiner der Bühnenbekenner hat ein Problem exklusiv für sich allein, immer recken sich mindestens ein paar Arme im Publikum und signalisieren Zustimmung. Das ist tröstlich.
Für ein wohlgesinntes Miteinander
Trotzdem ist es immer ein seltsames Gefühl, wenn eine Bühneninszenierung das Publikum mit etwas zum Mittun animiert, das ein wenig dem Angebot eines geschützten therapeutischen Raums ähnelt. Das ist nichts für Menschen mit Aversionen gegen öffentliche Familienaufstellungshows und Tupperpartydynamiken, obwohl das Mittun in so einem Künstlerding sicher deutlich entspannter und befreiender wäre, als das Rumgeheinze bei Psychoprofis und Marketingsektierern.
Das Publikum zeigte ein sehr gutes Gefühl für solche Nuancen, als es sich bei der Schlussabstimmung weder für die klassische "hier Künstler-da Publikum"-Applausvariante noch für das Gruppengesprächsangebot entschied, sondern schlicht für ein gemeinsames Biertrinken. Und damit wurde auch dem Wichtigste beim Nachdenken über Arbeitsverhältnisse die gebührende Ehre erwiesen: dem wohlgesinnten Miteinander.
Leben und Arbeiten - Ein Arbeitstitel.
von Kollektiv Turbo Pascal und Theater Freiburg
Regie, Ausstattung, Dramaturgie & Musik: Turbo Pascal & Theater Freiburg.
Mit: Kathrin Feldhaus, Bettina Grahs, Friedrich Greiling, Janina Janke, Mathias Lodd, Josef Mackert, Veit Merkle, Frank Oberhäußer, Katharina Parpart, Luis Pfeiffer, Eva Plischke, Joshua Schneider, Martin Weigel.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.theater.freiburg.de
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In diesem Sinne verstehe ich auch die Form des Abstimmens über das Arme-hoch-Recken nicht. Eine Meinungsumfrage dieser Art sagt doch noch lange nichts über die inhaltliche Haltung aus, welche dahinter steckt. Und DAS wäre doch das eigentlich Interessante. Oder?
Und wenn ich dazu noch kurz etwas zitieren darf? Es geht mir darum, dass Arbeit ja immer auch mit einer Disziplinierung der Körper zu tun hat. Das heisst, ein Mensch, welcher sich allein über den (Erwerbs-)Arbeitsbegriff definiert, sieht sich möglicherweise nur als "Diener", niemals aber zugleich auch als "Souverän" über die eigene Arbeit und damit auch über das eigene Leben. Die Frage ist demnach: Inwieweit kann ich die Arbeitsbedingungen bzw. Produktionsverhältnisse, insofern sie nicht selbst geschaffen sind, akzeptieren, und wo hört's einfach mal auf. Kurz gesagt, es geht auch bzw. immer noch um die Marxsche Dialektik von Kapital und Arbeit, Besitzenden und Besitzlosen:
"Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise weckt darüber hinaus eine ganze Reihe neuer Ängste. Die größte ist oft, den Arbeitsplatz und damit die Lebensgrundlage zu verlieren. Daher müssen wir uns als gute Arbeitnehmer beweisen, die ihren Arbeitgebern gegenüber loyal sind und nicht streiken, weil wir andernfalls riskieren, unsere Arbeit zu verlieren und unsere Schulden nicht bezahlen zu können." (Michael Hardt/Antonio Negri: "Demokratie! Wofür wir kämpfen")