If you like the reflection

von Georg Kasch

Berlin, 3. April 2014. Angel sehe ich zum ersten Mal im Spiegel. Er wiegt sich geschmeidig, zeigt seine sonnenstudiogebräunten Muskeln, lächelt mir zu, probiert meine Brille aus, grinst. In einer Ecke des Zimmers liegt apathisch ein Typ mit absurder Frisur auf einem Bett, wo sich die Kuscheltiere stapeln. Angel preist meine Augen, ich plaudere mit ihm über das Woher und Wohin. Auf Facebook heißt er Jimmy Johnson, wir sind dort jetzt Freunde.
Befreundet bin ich auch mit Daniello, jenem Gogo-Tänzer aus dem Stripclub mit den wahnsinnig kräftigen Beinen, der mich irgendwann ins Separee schleppt, mir ziemlich tiefsinnige Fragen über mich stellt und mit mir rumknutscht, bevor er mir bedeutet, dass jede weitere Minute einen Euro kostet. Womit er übrigens genauso teuer ist wie die Massage, die man im Nagelstudio buchen kann. Wenn man für all das noch ein Zimmer braucht: Im Hotel kostet die halbe Stunde zehn Euro.

Nippesparadiesische Verwahrlosung

Das Geld ist wie eine unsichtbare Wand in "Meat", der 240-Stunden-Performance, die das Festival Internationale Neue Dramatik F.I.N.D. an der Berliner Schaubühne begleitet: Überall in dieser Parallelwelt wird man umworben und beflirtet, hineingesogen und angemacht, aber immer dann, wenn es interessant zu werden beginnt, soll man blechen. Was ja im richtigen Leben auch nicht anders ist: Kapitalismus auf der Vorspultaste, sozusagen.

meat1 280 hoch matt lambert u@ Matt LambertThomas Bo Nilsson, bis vor Kurzem Co-Leiter und Bühnenbildner des Künstlerkollektivs SIGNA, hat im kleinen Schaubühnen-Studio geschickt ein Labyrinth aus Miniatur-Konsumhölle und nippesparadiesischen Privaträumen gebaut. Eine Welt, in der sich der Geruch nach China-Food, beißenden Nagelstudio-Chemikalien und billigen Parfüms mischt und in ihrer Detailfreude sogar noch den Club Inferno übertrifft. Durch einen Späti voll mit Süßigkeiten und Hello-Kitty-Fanartikeln gelangt man in die Shoppingmall mit "Goldener Drache"-Imbiss, Dessous-Shop und Nagelstudio, Eckkneipe, Hotel und Nachtclub. Dahinter öffnen sich übergangslos Zimmer von ausgesuchter Geschmacklosigkeit und Verwahrlosung: Poster und Bravo-Schnipsel von Britney, Justin und Madonna verdecken die ausgeblichenen Kinderzimmertapeten, in einer Ecke daddelt ein bleicher Typ Computerspiele, in einer anderen filmen sich Leute dabei, wie sie wortlos die rechten Arme strecken und finden das unglaublich witzig; eine Transe sitzt mit einem Dildo vor ihrer Webcam und aktualisiert ihr Profil auf Chaturbate.

Magnottas Katzen und Spiegel

Katzen(babys) und Spiegel sind Leitmotive dieses fleischgewordenen Vorabend-Trash-Pornos. "Meat" kreist um die Lebenswelten von Eric Clinton Newman alias Luka Rocco Magnotta, jenes kanadischen Pornodarstellers und Escorts, mutmaßlichen Mörders und Kannibalen, der 2012 einen chinesischen Studenten zerstückelte, die Tat als Video ins Netz stellte und die Leichenteile an Politiker verschickte. Zuvor soll er Katzen gequält, getötet und die Taten virtuell verbreitet haben.

Wochen später wurde er in einem Neuköllner Internetcafé verhaftet. So eines, wie es sich zwischen Späti und Mall zwängt, während das porzellanpuppenhafte Manga-Paar vom China-Imbiss, das sich stumm füttert und auch sonst auf synchrone Gesten achtet, wie schon nicht mehr von dieser Welt wirkt. Von Magnotta stammt übrigens auch das Zitat: "If you don't like the reflection. Don't look in the mirror. I don't care."

Bedrohlich – jedenfalls an diesen ersten vier der insgesamt 240 Stunden – fühlt sich hier nichts an, aber natürlich habe ich keine Ahnung, wer sich hinter all den Identitäten verbirgt, hinter dem schnurrenden Typen mit der Katzenmaske und dem großen Teddybären, und als ich mit einem weiteren Typen vor seinem Computer – alle sind sie hier vernetzt über irgendein soziales Netzwerk – über sein Profil auf dem Datingportal Gayromeo fachsimple, setzt sich, wie schon vorher auf Facebook, die Durchkreuzung von realer und gefakter Welt auch virtuell fort.

Selbstbespiegelung

meat2 280 hoch matt lambert u© Matt Lambert

Was dann – ähnlich wie die Geschichte mit dem Geld – ziemlich viel über uns erzählt. Über mich. Weil die Gespräche und Begegnungen mit den Fake-Charakteren immer nur mich reflektieren, meine Interessen und Begierden auf mich zurückwerfen. Dieser Text läse sich vollkommen anders, wenn ihn, wie ursprünglich geplant, eine Kollegin geschrieben hätte. Und bestimmt kann man sich zum Beispiel auch mit den Frauen ganz wunderbar unterhalten, aber irgendwie zündet es nicht so richtig zwischen mir und Rita Bauer, der matronenhaften Sängerin, die von ihren einstigen Erfolgen in Regensburg faselt und von mir einen Drink ausgegeben haben will. Oder zwischen mir und Miami, der Gogo-Tänzerin, die sich eine Weile halbherzig um mich bemüht und der ich dann schließlich einen Sekt bezahle. Bei den drei dicken Blondinen, die Aussehen wie eine Kreuzung aus Barbie und den Jacob Sisters, versiegt der Gesprächsstrom noch schneller. Bei den zwei Freaks, die da stumm in der Sitzecke hocken – er mit rasiertem Kopfmittelstreifen, ihr quillt der Bauch zwischen Oberteil und Jogginghose hervor – hätte wohl auch niemand sonst eine Chance. Plötzlich flüstern sie, schauen, lachen – über mich.

Irgendwann sind die vier Stunden um, neue Leute strömen herein. Niemand bittet mich zu gehen, aber ich fühle mich müde, hatte auch schon früher den Impuls zu gehen, weil es auch anstrengend ist, sich ständig auf neue Menschen, neue Geschichten einzulassen. Außerdem muss ich noch an den Schreibtisch. Also mache ich eine letzte Abschiedsrunde, ich habe wirklich das Gefühl, hier und da leise Servus sagen zu wollen, insbesondere Angel. Ich würde ihm gerne erzählen, wie sehr er mich an einen Freund erinnert, den ich lange nicht gesehen habe. Aber dann stehe ich im Türrahmen zu seinem Zimmer, er textet auf Facebook rum, bemerkt mich nicht und ich komme mir unendlich albern vor, wie ich so sentimental werden kann gegenüber jemandem, der nur eine Rolle spielt.

 

MEAT
240-stündige Performance-Installation von Thomas Bo Nilsson
Künstlerische Leitung: Thomas  Bo Nilsson, mit Borghildur Indriðadóttir, Julian Wolf Eicke und Olga Sonja Thorarenssen; Konzept, Regie, Text: Thomas  Bo Nilsson, Produktion: Borghildur Indriðadóttir, Bühne: Thomas  Bo Nilsson, Julian Wolf Eicke; Kostüme: Thomas  Bo Nilsson, Julian Wolf Eicke, Larissa Bechtold; Video und Web: Dominik Wagner, Sound Design: Dennis Beckmann, Choreographie: Matteo Marziano Graziano, Produktionsteam: Alexandra Tivig, Angela Roudaut, Carolina Duarte, Cecilia Helsing, Christian Kleemann, Dóra Hrund Gísladóttir, Egor Kirpichev, Emanuele Capissi, Ermina Apostolaki, Florian Schneider, Francisca Villela, Halla Mía Ólafsdóttir, Hauke Vogt, Hélène Vergnes, Hrefna Hörn, Ivan Ivanov, Julia Berndt, Kate Jones, Kathrin Mergel, Laurent Pellissier, Lena Stihl, Madeleine Edis, Magdalena Emmerig, Maria Trinka Lat, Matthias Karch, Miren Oller, Ole Schmidt, Órla Fiona Wittke, Rimma Starodubzewa, Sabine Sellig, Tristen Bakker, Vivian Kvitka.
Mit: Adela Bravo Sauras, Anton Perez, Ardian Hartono, Benjamin Mangelsdorf, Borghildur Indriðadóttir, Carolin Mylord, Cesare Benedetti, Charles Lemming, Christian Wagner, Claudia Kandefer, Danilo A. Sepulveda Cofre, Daniel Merten, Dennis Kwasny, Dolly, Dominik Hermanns, Dorothee Krüger, Elisabeth Kudela, Emanuele Capissi, Emiria Snyman, Eva Maria Jost, Eva Marie Bargfeld, Gianni v. Weitershausen, Glenn Crossley, Gregor Biermann, Jens Lassak, Jiwoon Ha, Joanna Nutall, Johannes Frick, Juan Corres Benito, Judith Seither, Julia Effertz, Julia Stina Schmidt, Julian Wolf Eicke, Karsten Zinser, Kay Minoura, Kirsten Burger, Lara Mándoki, Larissa Bechtold, Larissa Offner, Lina Axelsson, Lodi Doumit, Luca Angioi, Marcus Wagner, Maria Polydoropoulou, Marie Polo, Matteo Marziano Graziano, Maximilian Rösler, Mayla Arslan, Mia May, Ming Poon, Nils Malten, Nina Weniger, Olga Sonja Thorarensen, Peter Groom, Peter Sura, Rachel Foreman, Regula Steiner-Tomic, Ria Schindler, Safira Robens, Sophie Reichert, Stuart Meyers, Susana Abdulmajid, Taneshia Abt, Thomas Bo Nilsson, Tim-Fabian Hoffmann, Tomomi Tamagawa, Ute Reintjes, Ya-Hui Kuan, Yoni Downs.
Dauer: Je Slot 4 Stunden, insgesamt 240 Stunden

www.schaubuehne.de



Kritikenrundschau

Wenig kann Dirk Pilz in der Neuen Zürcher Zeitung (7.4.2014) mit dieser "detailfreudig" auftretenden Inszenierung anfangen. "Man flaniert zwischen Nagelstudio und seltsamen Maskenmenschen umher, wird angemacht und in Gespräche verwickelt und soll für die vielen offerierten Liebesdienste immer kräftig zahlen: eine Simultanwelt, die so tut, als wüsste man nicht, dass man in einer Spielhölle ist." Das "aufdringliche Bemühen dieser 240-Stunden-Performance darum, den Besucher in Verwirrung zu stürzen, verpufft schnell: Überall schreit einem die Künstlichkeit entgegen."

Als "Brutstätte der Schrumpfstufe 'Online-Mensch'" beschreibt Doris Meierhenrich "Meat" in der Berliner Zeitung (8.4.2014). Nichts sei in der Shopping-Mall seinen Preis wert, genauso wenig, wie in dem Labyrinth aus Darkrooms und Folklorekneipe dahinter, "in dem sich viele kleine Magnottas und Display-Junkies feil bieten". "An die 60 Darsteller in leichten Nachtclubfetzten geistern durch die sprechende Architektur." Leider nur hätten sie selbst außer Pornosucht und Stumpfsinn wenig darzustellen.

"Die Dauerinstallation 'Meat' vom früheren Signa-Szenografen Thomas Bo Nilsson ist ein zwar aufwendiger und liebevoll gestalteter, performativ aber müder Versuch, das Umfeld des mutmaßlichen Mörders und Kannibalen Luka Rocco Magnotta nachzustellen", macht es Tom Mustroph in seinem F.I.N.D.-Rundblick in der taz (9.4.2014) kurz.

 

Kommentare  
Meat, Berlin: Club Inferno
Liebe Nachtkritik Redaktion, leider ist ihnen ein Fehler unterlaufen. Sie haben die Kritik von Club Inferno hier nochmals gepostet. Mit der Bitte um Änderung und besten Grüßen

Ihr Murmeltier
Meat, Berlin: werde Rollen vermissen
Ich habe zuerst die Kritik gelesen und habe mir danach MEAT angeschaut. Nicht wegen der Kritik, sondern weil Menschen mitmachen, die ich kenne.
Und ich muss sagen, ich kann diesen letzten Punkt total gut nachvollziehen. Man ist sehr wehmütig mit den Leuten, denen man dort begegnet, wenn man sie verlässt, obwohl man weiß, dass sie nur eine Rolle spielen. Selbst bei denen, die ich im "Real Life" kenne, werde ich die Persönlichkeiten vermissen, die sie für diesen Moment verkörpert haben. Es ist eine wundervolle Erfahrung, wenn man offen ist und sich darauf einlässt!
Meat, Berlin: Liveübertragungslink
Man sollte auch mal erwähnen, dass man sich das alles auch online live angucken kann:

http://livemeat.tv

(und das ist dann auch garantiert kostenlos)
Meat, Berlin: Zweifel am Thema Grundgehalt
@ Konserve: Schon allein drei Minuten anschauen lässt die Trägheit durchs Internet in den Geist kriechen. Zugleich schwappt hier wohl die Angst der Mittelschichten vor dem sozialen Abstieg über. Ob Herr Nilsson und seine Truppe uns das nur vorführt/vorführen will? Ich jedenfalls beginne hier leider plötzlich doch, am Thema Grundgehalt zu zweifeln, wo ich es doch gerade gutgeheißen hatte. Offenbar nicht alle Menschen tun ohne Erwerbsarbeit etwas produktiv Sinnvolles für sich selbst und/oder das Gemeinwohl. Und vielleicht geht es hier ja auch um das Thema Internet als Massen-Medium, welches suggeriert, dass eine/r ohne eigenes Zutun von eben auf jetzt berühmt werden könne. Tja. Mehr Geist, weniger "Voll Porno!"
Meat, Berlin: Identitätstransaktionen
Es ist eine doppelte Künstlichkeit, der wir begegnen: jene des Theaterspiels und jene innerhalb des Dargestellten. Da stülpen sich die Rollen und Identitäten ineinander wie bei Matrjoschka-Puppen, dreht sich die Spirale so weit, dass von einem realen Unterbau kaum mehr die Rede sein kann. Das funktioniert nicht immer, zu karikativ eindimensional kommt so mancher Charakter daher. Aber es reicht zu verstören, weil man selbst in den Strudel der Identitäten gerät. Zunächst als Außenstehender: Ganz unmerklich tritt man durch die Wand, wir das Hermetische dieses Zwischenreiches löchrig und beginnt der Prozess des Sich-Zurechtfinden-Wollens im Identitätengestrüpp. Das Verstehenwollen wird umso intensiver, als sich das Nichtverstehenkönnen manifestiert. Und dann landet man unversehens bei sich selbst.

Denn das Rollenspiel ist das Fundament dieser Welt und da kann es kaum überraschen, dass sich der Besucher bald dabei erwischt, selbst in Rollenkategorien zu denken und sich selbst Masken aufzusetzen, Geschichten zu erfinden, Ich-Partitionen abzuspalten und in die Waagschale der Identitätstransaktionen zu legen. Denn jeder Blick, jedes gescheiterte und erfolgreiche Gespräch, jeder über das rein Verbale hinausgehende Kontakt, rückt das eigene Selbstverständnis, die Selbstdefinition als Ungeteiltes und Unteilbares, als Individuum also, in den Fokus und stellt es in Frage. Denn sind wir Internet- und Realwelt-Bewohner nicht selbst genauso fragmentierte Wesen und Rollenspieler wie diese Projektionsflächen und Abziehbilder, ist der Weg zur Welt des Luke Magnotta womöglich ein viel kürzerer, als uns lieb sein könnte? Dieser Rezensent zumindest konnte sein Fremdeln mit dieser Welt nicht ganz ablegen und fand doch mit Erstaunen und leichtem Entsetzen zurückgezogen, lange nachdem er sich ihr vermeintlich entzogen hatte. Da rattert die Möglichkeitsmaschine, türmen sich die Fragen nach dem eigenen Handeln und Nichtstun, nach freiem Willen und Sehnsüchten, nach Ich und Rolle. Es ist vielleicht die Nachwirkung, dieses Mikrokosmos, welche die Wirkung von MEAT ausmacht, der schale Nachgeschmack, das Gefühl, diesen dunklen Unterleib des Lebens jetzt irgendwie mitzuschleppen, weil man irgendwie selbst ein ganz kleines bisschen dazu gehört. Ein besonders beruhigendes Gefühl ist das nicht.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/04/07/leben-im-unterleib/
Meat, Berlin: Link
Hier eine weitere Review zum Stück und Fotos von der Installation:
http://www.iheartberlin.de/2014/04/07/meat-me-at-the-mall-a-review/
Meat, Berlin: angrabschen
Ich will im Theater nicht angegrabscht werden. Deswegen gehe ich da gar nicht erst hin.
Ich will nicht mitspielen müssen.
Ich will, daß die Geschichten im Theater ohne mich auskommen können. Ich finde es spießig, daß man im Theater immer nur in Spießerhöllen und schwitzige Erotikparadiese geführt wird, wenns mal verrucht und abgründig werden soll.
Scheißmittelstandstheaterleute und ihre Scheißmittelstandserotikfantasien.
Meat, Berlin: Vision oder Wirklichkeit?
@ Tendzin Gyatsho: Genau. Bloß, was bitte ist an diesen Bildern denn jetzt erotisch? Nichts! Da herrscht die totale Leere. Ein Zeichen für die Luxusübersättigung und Dekadenz der "angekommenen" Theatermacher? Für deren abgefuckte Vision der Widerspiegelung der Generation Porno, Gang Bang und Snuff Video? Oder die Wirklichkeit dieser Generation?
Meat, Berlin: Bild ohne Inhalt
Ich habe die Installation am Abend besucht und sie nach 30 Minuten gelangweilt wieder verlassen. Für mich ist dies der letzte Beweis dafür, daß das totgelutschte "immersive" Theater am Ende ist. Nilsson hat dem Genre nichts hinzuzufügen. War bei Signa noch eine nachvollziehbare Figurendramaturgie erkennbar, ist das Werk des Bühnenbildners Nilsson nur noch Bild ohne Inhalt. Manche der Figuren fand ich amüsant, andere wiederum waren völlig fehl am Platz und fielen unangenehm auf. Letztlich blieb der Gedanke: was soll das hier eigentlich?
Meat, Berlin: ist nicht wahr
Hey, das ist ein unhöflicher und nicht grade intelligenter Kommentar. Ich habe 8 Stunden in der Installation verbracht und kann Dir versichern, dass was du schreibst nicht wahr ist.
Meat, Berlin: Beobachter, Detektiv, Begehrender
Lieber Georg Kasch
danke für diesen unglaublich gute Beschreibung der Installation! Sie hat mir viele Worte gegeben, die ich nach dem Besuch nicht für mich selbst formulieren konnte.

Was Thomas Bo Nillson und sein Team dort geschaffen haben ist eine seltsame Zwischenwelt, die sich von unserer gar nicht so sehr unterscheidet und dennoch eine unglaubliche Anziehungskraft hat. Doch am erstaunlichsten ist es, wie wir selbst in diesen Räumen immer wieder auf uns selbst zurückgeworfen werden, wie wir hin und her schwanken zwischen Beobachter, Detektiv, Begehrender und Fan. Und uns dabei recht oft unwohl und albern fühlen. Immer wenn man denkt "Es ist ja eine Theaterinstallation, das ist alles nur ein Spiel" begegnen einen Performer, die so unglaublich authentisch sind wie z.B. Sascha Fuchs, der uns entgeistert anpflaumt, wie wir einfach so in sein Schlafzimmer kommen können, ohne anzuklopfen oder Situation, die einen zurückschrecken lassen, z.B. als meine Freundin eine Jacke anprobiert, damit durch die Räume läuft und plötzlich von Alexis an die Wand gedrückt wird "This is my jacket you fucking bitch. You stole it! Give it back!".
Und somit ist es doch kein Spiel: was draußen, auf den Straßen von Berlin geht, dass geht auch da drinnen. Wenn du irgendwo eine fremde Jacke anziehst, kriegst du Hausverbot. Wenn du in "meat" eine fremde Jacke anziehst, schmeißt dich der Barkeeper raus. Und somit ist "meat" nur ein Ballungsraum in dem wir uns selbst in 4 Stunden reflektiert sehen: an was und wen sind wir interessiert, was trauen wir uns, wieviel Geld sind wir bereit zu geben und wie sehr verlangt es uns nach Kommunikation, nach Vernetzung, nach Aufmerksamkeit. Und somit sehen sich auch die etwas gelangweilten Leute, die nach einer halben Stunde wieder rausgehen, reflektiert. Es sagt viel über einen Menschen aus, ob "meat" ihn anzieht oder abstößt. Was besser oder schlechter ist, vermag niemand zu sagen.
Meat, Berlin: Beschreibung macht mehr Lust
Besucher3.563: Es ist ganz merkwürdig, aber Ihre Beschreibung von MEAT hat mir mehr geholfen, als die Kritik von Georg Kasch – die ich ebenfalls ganz ausgezeichnet fand und warum, stünde auf einem gerne zu eröffnenden nk-Extrablatt – über das MEAT-Angebot gründlicher nachzudenken und einmal zu formulieren, warum genau ich es nicht annehmen will und was, wenn ich es täte, ich mit ihm machen wollen würde…
Zunächst einmal wurde mir klar, dass zu keinem einzigen Moment das konkrete MEAT-Theaterangebot den Wunsch in mir wecken konnte, es wahrzunehmen, (obgleich mich die Schaubühne gerade sehr interessiert) sondern einzig und allein Kaschs Beschreibung davon, wie es auf ihn gewirkt hatte. Es hat also eher die Beschreibung einer Angebotswirkung in einen – und auch noch schwach ausgebildeten – Wunsch geführt als das Theater-Angebot, mich in einer installierten Double-Wirklichkeit aufzuhalten. Und durch Ihren Beitrag komme ich also darauf, warum das so war/ist: ich habe kein Interesse eine Wirklichkeit „drinnen“ installiert zu bekommen, die ich „draußen“ genauso wahrnehmen kann wie sie drinnen dargestellt wird. Wenn ich Theater wahrnehme, habe ich Interesse daran, eine VORSTELLUNG besichtigen zu können, eine Welt-Vorstellung anderer, die mir hilft meine eigene Vorstellung von der Welt entweder zu schärfen, oder sie ad absurdum zu führen oder überhaupt gar erst in Gang zu setzen. Das in Gang setzen hat also Kasch geschafft, es hat also indirekt durch Theater funktioniert, nicht direkt. Das heißt, durch diese Art von Theater kann Publikum reduziert werden auf zur Not einen einzigen kompetent beschreibenden Besucher um seiner Funktion gerecht werden zu können...
Ich glaube, die Kunst-Installateure hätten mit mir als Besucher große Schwierigkeiten, weil ich immer sogleich die Hand aufhalten würde und von ihnen Kohle sehen wollen würde, sobald sie mit mir interagieren wollten: dafür, dass ich mich in ihre Kunst-Räume begebe und deren genaue Wirklichkeits-Abbildung bestaune, dafür, dass ich ihre gut getarnte Echtzeit-dramaturgische Vernetzung lobe, dafür, dass sie mich ansehen, anfassen, anmachen dürfen – ich würde sie einfach spiegeln – und das wäre dem handwerklichen Aufwand gegenüber und den Besuchern, die einen Lust-Gewinn aus dem Besuch der Installation ziehen, sehr ungerecht… Meine Lust bestünde darin, dieses Theater einfach auszuschalten- Ich wollte am Ende des Besuches wenigstens meinen Einsatz (Fahrkosten/Eintritt) wieder raushaben wollen. Das geht mir wenn ich Ausstellungen oder ein Museum besuche nie so. Da bereue ich den Einsatz auch dann nicht, wenn ich mal enttäuscht bin. Beim Theater geht es mir so. Und ich möchte gern vom Theater eine Antwort darauf, warum das so ist. Also nicht an mich. Ich kenne die Antwort. Das Theater kennt sie, so glaube ich, nicht, bestenfalls sucht es danach. Herr Kasch, gehen Sie da nochmal hin?
Meat, Berlin: preiswürdig
Ja, bei mir geht das immer nicht so schnell mit dem Denken außerhalb von Probebühne, deshalb wäre ich ja völlig ungeeignet als Nachtkritiker. Nun aber, nach etwas so Herumschlappen und –faulen bin ich aber fertig mit dem MEAT-Denken und gebe hier das von mir persönlich weggedachte objektivierende völlig unmaßgebliche Fazit:
Dieses Theaterangebot ist ein außerordentlich geglücktes und wer immer die performte Installation programmatisch zu verantworten hat, das scheint mir als Bühnenentscheidung preiswürdig. Aus folgenden Gründen:

1.MEAT ist eine 0-Punkt-Theater Installation, kein 0-Punkt-Theatertext
2.MEAT zwingt Publikum durch die installierte gedoubelte Wirklichkeit des Draußen in das Wahrnehmen eines Unbehagens am eigenen Begehren in einer durchkapitalisierten Welt
3.Es zwingt Publikum dadurch, dass es Draußen in ein umfangreiches, aber doch geschlossenes Drinnen verlagert, eine ethische Entscheidung über Ästhetik zu treffen – entweder: nehme ich (mehr oder weniger) an oder: verlasse ich (früher oder später).
4.Im Draußen kann solcher Zwang nicht bis nicht ohne große (diktatorische) Anstrengungen erzeugt werden, weil hier Publikum immer die Möglichkeit hat auf andere Orte, Milieus, Triebe auszuweichen, zwischen ihnen zu alternieren usw., um dem Unbehagen am eigenen Begehren in einer durchkapitalisierten Welt zu entgehen.
5.MEAT zwingt also Publikum, zurückgeworfen auf sich und sein Begehren, in Überlegungen entweder sich selbst oder das Draußen zu ändern. Wenigstens dort, wo es aussieht und sich anfühlt wie das installierte Drinnen.
Das erzeugt eine revolutionäre Ausgangssposition.
6. Es zwingt Leute, die normalerweise keine ästhetischen Überlegungen anstellen, welche anzustellen und Fachleute in die Disziplinierung von Ästhetik.
7.
Das alles ist aus meiner Sicht ein Ergebnis von Theater-Arbeit, das keine Wünsche an Theater-Programmatik auf momentaner Zeithöhe offenlässt. Auch dann, wenn ich es nicht selbst wahrnehme oder – aus welchen Gründen immer - wahrnehmen muss.
Dank also dem Arbeits-Team und Gratulation an die Programmatiker.

Wer irgendetwas davon zitieren will, kann es mir zur Unterschrift vorlegen, unterschreib ich gern mit meinem Namen.

(PS: War die Performance eigentlich auch von Hartmann an die Burg gebucht??? - na also)
Meat, Berlin: Andere Realität
Mal eine andere Realität von MEAT:
1. keine Bezahlung
2. schlechte Verpflegung
3. kaum Rückzugsgebiete, geschweige denn Schlaf
4. nächtliche Übergriffe von angetrunkenen Besuchern
5. kaum Sicherheitsvorkehrungen
6. kaum Instruktionen, geschweige denn ein Konzept
7. die Preise bekommt der Chef
Liebes ?. ich rede hier von den Darstellern.
Ihr !
Meat, Berlin: zurückgepfiffen
@ !: I heard it through the grapevine, dass die nächtlichen Übergriffe von angetrunkenen Besuchern auch von drei Chefs des Hauses kamen. Heftig. Publicity oder was. Sie wurden allerdings zurückgepfiffen vom Oberboss.
Meat, Berlin: Möglichkeit, wegzugehen
@! Warum arbeiten Sie dann dort weiter? Das ist die nächste interessante Frage, die dann MEAT durch Ihre dankenswerte Offenheit auch noch aufwirft und die dann in etwa korrespondiert mit vielem was unter "Arme Theaterleute" geschrieben, gesagt wurde. Das ändert aber nichts an meiner Einschätzung von der Wirkung Ihrer Arbeit. Sie könnten meine beschriebene Wahrnehmung eines Konzepts ja benützen zur Diskussion im Darstellerkollektiv und ihre eigene Arbeitsweise damit in Frage stellen z.B. in einer nächsten und eigenständigen Arbeit ohne Chef. Sie haben, glaube ich, ungeheures Glück, dass es nur nächtliche Übergriffe von angetrunkenen Besuchern - ob Hauschefs oder nicht (echt die haben da soviele Chefs???- is ja grausam) - gibt und nicht welche am Tage von ganz nüchternen, wenn diese Arbeit soviel Kraft hat, wie ich denke... Also wenn ich mich entschlossen hätte, Besucher zu sein, kann ich mir gut vorstellen, dass der erste der mich angefasst hätte es ziemlich bereut hätte und jemand, der mich - nur gespielt, aber schließlich so was von echt - angemacht hätte postwendend in eine ziemliche Verlegenheit gekommen wäre... Das Publikum hat ja auch keine Sicherheitsvorkehrungen gegen zu lautes, aggressiv es vorführen wollendes Theater. Es hat nur die Möglichkeit eben wegzugehen. Wenn Sie keine Bezahlung bekommen, haben Sie ja diese Möglichkeit ebenfalls, weil dann jede vertragsjuristische Konsequenz abgeschmettert werden könnte... Welcher Chef bekommt den Preis? Ich hab ja nicht von Nilsson gesprochen, sondern von den Programm-Machern der Schaubühne in diesem Fall. Ich habe nicht einmal von einem realen Preis gesprochen, sondern nur von Preiswürdigkeit - Ich glaube, sie brauchen wirklich etwas Schlaf, den haben Sie sich da mehr als verdient- Und dem Oberboss sollten seine Unterbosse mal einen Pott Kaffe bringen, schwarz. Vermutlich ohne Zucker. Als Dank für ständige Anwesenheit. Vielleicht werden auch Sie dann beim nächsten Mal besser verpflegt. Ich wünsche es Ihnen sehr.
Meat, Berlin: zu I ?
Liebe Redaktion - war mein Kommentar zu ! so gegen die regeln, dass er nicht veröffentlicht wird?

(Liebes ?, eigentlich ist ein ?-Kommentar online. Falls noch ein zweiter gepostet wurde, kam er hier nicht an. Viele Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Meat, Berlin: aufgesetzt
Nach ersten überwiegend negativen Kritiken in der Presse fühlte ich mich durch das Zappen der Live-Webcams bestätigt : aufgesetzte Langeweile, inszeniert von Möchtegern-Pornodarstellern. Erinnert mich irgendwie an die Girlie-Bars in Bangkok, mit dem Unterschied, daß du dort noch etwas fürs Geld bekommst !
Meat, Berlin: viel vermisst
Wer je eine Signa Show erlebt hat, vermisst viel in Meat. Tiefe und Dramaturgie und vieles mehr ... Für diese Erfahrung brauche ich in Berlin nicht ins Theater gehen. Das kann ich für weniger Geld auch im Nachtleben dieser Stadt erleben. Bis auf das Set leider nur ein schwacher Versuch dieser Alleingang des ehemaligen Signa-Bühnenbildners.
Meat, Berlin: I wanted to live a little longer
"In those final minutes of 'MEAT' as it slowly came to its end, breathing its last breath, it seemed like I have been touched by a sense of grace. A grace that was not divine but purely human. Brokenly human.

In those last minutes of the performance, where there was no longer any spectators in the room, each of us was left alone to bide our own farewells to the performance and to our characters. We understood that what we gave life to 10 days ago, must now come to an end. As I looked on Joel’s lifeless body before me, I was reminded that my own character would also become a piece of meat without life. In fact, I must now confront and come to terms with my own character’s death.

In a different room somewhere, someone is singing Donna Summer’s ‘Last Dance’. It sounded so faraway, like it was from another world. And that world could not touch me. At least not for now. While that world was singing and dancing, I was frozen within this suspended moment as I contemplated the end of things. Levin’s hand was gently stroking Joel’s body, as if to say: don’t leave so soon, stay just a while longer. I too was reluctant to let my ‘Joel’ go. I wanted to live a little longer, to continue my story a little further. If the performance were to go on, I might have found happiness, I might go away in search of a better life, I might make new friends or learn to love truly and fiercely. But obviously all this would not happen. It all had to end tonight.

60 invented lives came to an end that night. We shared a collective sense of destiny and finality. It was a tremendous feeling. There was total silence. Some cried, some stared, some stood tall, some held hands, some collapsed, some smiled. And all the while, the dancers were gyrating their hips furiously, trying to squeeze out every remaining drops of sensuality contained within their bodies. Without any outside spectators, we became the only witness to each other’s silent desires and hopes. We were the last 60 spectators. There was ultimately something touchingly beautiful about seeing each of us confront our character’s death. Perhaps because death is always a very intimate and personal affair, or perhaps because we were stripped of our vanities and superficial trappings in the face of death. In that moment, I realised that ultimately we were all just a piece of meat.

Quietly, I slipped out of the room so as not to disturb the others. I emerged feeling a little bit more human."

Ming Poon.
Meat, Berlin: Menschen konsumieren
@ find-festival-besucher: Ultimately, we were all just a piece of meat. Okay. Aber rechtfertigt das, Menschen auch schon zu ihren LEB-ZEITEN zu benutzen bzw. zu konsumieren WIE TOTES FLEISCH? Das ist nicht menschlich, sondern unmenschlich. In meiner Wahr-Nehmung.
Meat, Berlin: Herausforderung
Liebe Lea,
Find ich überhaupt nicht. Ich habe viele Signa shows in den letzten Jahren gesehen. Für mich war MEAT was ganz anderes und eine größere Herausforderung für die Zuschauer. Du bekommst nur ein Bruchstück der Geschichte und musst in deiner Aufenthaltszeit in der Installation die Puzzelstücke suchen und zusammensetzten. Ich habe insgesamt 12 Stunden in der Installation verbracht und jede Minute hat mich mehr in die Story und Dramaturgie reingezogen. Is vielleicht einfach Geschmackssache.
Meat, Berlin: das Eigene fehlt
@Meat Fan: In dem was du sagst, sehe ich keinen Unterschied zu den Signa Performances die ich gesehen habe. Auch das waren Puzzle, die man mit sehr großer Herausforderung zusammensetzen musste. Auch für mich war in Meat deutlich eine starke Nähe zu Signa erkennbar. Aber gut, Nielson hat auch viele Jahre mit Signa gearbeitet. Das färbt ab. Und dass er sich mit dem Vergleich auseindersetzen muss, wird ihm vorher bewusst gewesen sein. Auch ich denke, dass viel neues dem Format von ihm - wie oben auch erwähnt - nicht hinzugefügt wurde. Wenn ich genau darüber nachdenke, auch mir fehlte das Eigene an der Sache. Es war zwar nicht ortsspezifisch, so wie das bei Signa immer der Fall war, aber sonst ...? eventuell die verstärkte offensichtlichere Künstlichkeit ... egal. Ich bin auch "Meat Fan", wie ich auch Signa Fan bin und bleibe. Und Geschmacksache ist das sowieso. Und was wäre Kunst, wenn sie nicht polarisieren würde.
Meat, Berlin: wenigstens
@ Detty: Ach, so. Und Sie halten sich dann also gern in solchen Girlie-Bars auf? Vielleicht pädophil? Ich empfinde solche Bars als menschenverachtend. Da wird die Armut "der Mädchen" von westlichen Sexhungrigen ausgenutzt. Mehr ist das nicht. Bei Signa ist es wenigstens "nur" simuliert.
Kommentar schreiben