Aus dem Schrank gesprungen

von Irene Grüter

Basel, 25. Januar 2008. Ihre Räume haben Theatergeschichte geschrieben, ihre Kostüme werden bis heute kopiert. Mit heruntergekommenen Hotelhallen, abgeschraddelten Wartezimmern und trostlosen Durchgangsstationen hat Anna Viebrock Epoche gemacht. Niemand hat schönere Unräume geschaffen – Bühnen, auf denen alles ein wenig fehl am Platz wirkt, das Mobiliar ebenso wie die liebenswert lächerlichen Menschen.

Umso mehr erstaunt das Thema, das sich die Meisterin der Secondhand-Ästhetik für ihr neues Projekt vorgenommen hat: "Doubleface oder Die Innenseite des Mantels" ist der Titel eines Abends am Theater Basel, bei dem sie Regie, Bühne und Kostüme in Personalunion übernahm. Er dreht sich um Christian Dior, den legendären Modeschöpfer, der in der Nachkriegszeit den sogenannten "new look" geprägt hat – schmale Taillen, enge Oberteile, weit schwingenden Glockenröcke. Der Anlass für dieses Sujet war die Entdeckung eines Dachbodens in einem Basler Vorort. Dort fanden sich nie getragene Originalkleider aus den 50er und 60er Jahren, das unberührte Lager eines früheren Warenhauses.

Der museale Charme der 50er Jahre 

Aus der Zeit gefallen ist auch Viebrocks Basler Bühne. Ein räudiger Pelz liegt auf einem überdimensionierten Wandschrank, rechts eine offene Umkleidekabine mit zierlichem Boudoir. Eine lange Vitrine, die sich auch zum Plattenspieler umfunktionieren lässt, teilt den schräg angeschnittenen Raum. Museale Eleganz also, verstaubter Charme, der mehr an Belle Époque erinnert als an die 50er Jahre. Hinter den milchigen Gardinen eine Fensterfront mit Blick auf eine dämmrige Gasse in Paris.

"Bonjour, je suis Christian Dior", ruft Marc Bodnar, und springt aus dem Schrank. Er versprüht Parfum, wedelt ein wenig mit dem Handgelenk und wirkt in seinem grauen Anzug mehr wie ein bretonischer Bauer, der sich für eine Beerdigung fein gemacht hat, denn wie ein mondäner Couturier. Yves Saint Laurent (Graham F. Valentine) hüpft gleich hinterher; ein langer Lulatsch mit Wuschelkopf und Nadelstreifen, der betriebsam herumwirbelt. Das clowneske Duo parliert in Französisch, und auch wenn man nichts davon versteht, wird klar, dass der Maestro seinen Zenit längst überschritten hat.

Strümpfe, Schwingtüren und Mantelstoffe 

Die Zeit zieht in Form von Frauen vorbei. Drei Mannequins (Carina Braunschmidt, Mavie Hörbiger, Linda Olsanksky) defilieren vor und zurück, veranstalten eine üppige Kostümschlacht, und Dior nennt die Jahreszahlen dazu. Hübsch anzusehen, aber auch ein wenig albern, weil es nichts zu spielen gibt als, huch, die Strümpfe sind verrutscht, hoppla, die Schwingtür geht zum falschen Zeitpunkt auf. Kaum hat der Abend angefangen, franst er auch schon aus, wird zu einer endlosen Aneinanderreihung von Nummern, zum Varieté im Edel-Look.

Mal wird ein Pelz als Hündchen über die Bühne gezerrt, mal lässt sich eine russische Kundin von einem Muff erotisieren, und immer wird nostalgische Musik aufgelegt. Belanglos ist das und auch furchtbar ungelenk. Kein Rhythmus kommt auf in dieser kunstgewerblichen Modenschau, die partout nach tieferer Bedeutung strebt. "Doubleface" ist die Bezeichnung für Stoffe, die sich beidseitig verwenden lassen, die keine Vorder- oder Rückseite haben. Das Titelthema wird am Beispiel eines Mantels durchexerziert, der sich von beiden Seiten tragen lässt. Die Herren rätseln, welches wohl die richtige sei. Bis beide je einen halben Mantel tragen und als Doppelwesen von der Bühne taumeln.

Hüllen, Identitäten und Unbestimmtheit  

Das alles hat wohl irgendwie mit der gespaltenen Persönlichkeit von Christian Dior zu tun, dem die Überlagerung von Marke und Mensch zunehmend zu schaffen machte. Und weil man nicht den ganzen Abend auf Französisch verbringen kann, werden Texte von Maurice Blanchot benutzt, um einen Hauch von bedeutungsschwangerer Unbestimmtheit zu verbreiten. "Ich ist ein anderer" lautet die Botschaft, die überdeutlich anklingt. Wechselnde Hüllen, wechselnde Identitäten, die alte Schein-Sein-Thematik. Nach zwei zähen Stunden bringen die drei Musen Recorder auf die Bühne, aus denen kluge Sätze klingen wie "will Kunst unterhalten oder aufklären, das ist doch hier die Frage". Und man denkt, schon eines von beidem hätte vollauf genügt. 

 

Doubleface oder Die Innenseite des Mantels
Ein Defilée von Anna Viebrock und Malte Ubenauf (UA)
Regie und Bühne: Anna Viebrock, Kostüme: Anna Viebrock, Catharina Strebel, Dramaturgie: Malte Ubenauf, Video: Lisa Böffgen. Mit: Jan Bluthardt, Marc Bodnar, Carina Braunschmidt, Mavie Hörbiger, Linda Olsanksky, Graham F. Valentine, Jürg Laederach.

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Im Schweizer Tages-Anzeiger (28.1.2008) meint Simone Meier, dass der Laden, den Anna Viebrock für ihre Basler Inszenierung "Doubleface" auf die Bühne gebaut hat, aussehe, "als hätte ihn der Innenarchitekt des ersten Stocks im Sprüngli am Zürcher Paradeplatz gestaltet". In diesem Laden also tänzele Saint Laurent, doziere Dior und stöckelten unentwegt "drei wunderschöne Models in Kleidern, Mänteln oder Badeanzügen aus Paris/Sissach über einen Teppich." Allmählich schlichen sich jedoch "nachdenkliche Zwiegespräche in diese höchst unterhaltsamen, liebevoll inszenierten Verrenkungen der Eitelkeiten. Über die Exklusivität der Sichtbarkeit eines Einzelnen für einen anderen zum Beispiel. Über die Flüchtigkeit von Blicken, Anblicken, Augenblicken. Über Wollen und Haben als Existenzbedingungen der Mode." Das sei "manchmal ein intellektueller Genuss, manchmal auch ein bisschen hochgestochen, aber auf jeden Fall die kreativste Auseinandersetzung mit dem Thema Mode derzeit."

 

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