Startrek Troopers

von Wolfgang Behrens

Berlin, 28. April 2014. Das Buch gehörte wohl schon früh zu den wichtigen, aber ungelesenen. Bereits 1934, im Jahr nach seinem Erscheinen, führte es etwa der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis bei einer Umfrage der Zeitschrift New Republic an, in der nach ebensolchen Büchern gefragt wurde. Wie alle wichtigen, aber ungelesenen Bücher darf sich freilich auch Rudolf Brunngrabers "Karl und das zwanzigste Jahrhundert" glücklich schätzen, alle paar Dezennien wiederentdeckt zu werden. Es landet dann in den Bücherregalen solcher Leute wie mir: Ich nämlich kaufte es, als es vor gut 25 Jahren in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Anderen Bibliothek herauskam. Selbstverständlich habe ich es damals nicht gelesen, hielt aber immer das Bewusstsein wach, welch wichtiges Buch da in meinen Regalen schlummert.

karl 560 dorotuch uGegen das zwanzigste Jahrhundert hat Karl wenig Chancen – Sebastian Schwarz und David Ruland.
© Doro Tuch

Der Schauspieler Ingo Hülsmann indes hat das Buch gelesen. Und wie es neuerdings die meisten Menschen zu tun pflegen, die am Theater beschäftigt sind, hat auch er nicht lange gefackelt und seine Lektüre gleich mal auf die Bühne gehoben, in diesem Fall ins Studio der Schaubühne. Dass "Karl und das zwanzigste Jahrhundert" für eine solche Verfahrensweise denkbar ungeeignet ist, scheint ihn nicht weiter gestört zu haben. Aber was soll's, richtig angepackt, könnte sicher auch Hegels "Phänomenologie des Geistes" einen guten Theaterabend abgeben ...

Die Wirtschaft ist das Schicksal

"Karl und das zwanzigste Jahrhundert" jedenfalls ist ein seltsames Buch. Ich darf das sagen, denn ich gehöre mittlerweile – der Schaubühne sei Dank! – zu seinen Lesern. Es zählt sich zur Gattung Roman, ist jedoch zu einem nicht unwesentlichen Teil eine chronologisch geordnete Aufzählung historischer und vor allem wirtschaftsgeschichtlicher Fakten aus dem Zeitraum von 1880 bis 1931. Die Auswahl dieser Fakten (weniger deren Wertung, denn Brunngraber trägt sie äußerst sachlich vor) lässt eine Tendenz erkennen, die das dem Buch beigegebene Motto Walter Rathenaus auf den Punkt bringt: "Die Wirtschaft ist das Schicksal."

In dieses trockene, mit erstaunlich vielen Zahlen aufwartende Gerüst hat Brunngraber die Geschicke eines kleinen Mannes hineinkomponiert, des Wieners Karl Lakner, der aus einfachsten Verhältnissen kommt, Lehrer werden will, dann aber als Leutnant im Ersten Weltkrieg an der Ostfront und gegen Italien kämpft, in der Nachkriegszeit nicht mehr Fuß zu fassen vermag und sich 1931 vor einen Zug stürzt. Die große und die kleine Geschichte scheinen im Roman oft fast unverbunden nebeneinanderher zu laufen, doch in Schlüsselmomenten kommen sie zur Deckung: Dann erkennt man, dass Karl gegen das zwanzigste Jahrhundert nur wenig Chancen hatte.

Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figuren

Der unerbittlich sachliche, die wörtliche Rede fast durchweg vermeidende Duktus des Buches hat Ingo Hülsmann allerdings bei seiner Bühnenfassung nicht interessiert. Wie überhaupt die Sprache des Romans nur noch in Anklängen überlebt. Stattdessen entwickeln Hülsmann und seine Mitstreiter aus einigen Konstellationen des Buches ein paar possierliche, weitgehend selbst gedichtete Sketche.

Die Vertreter der kriegsbeteiligten Nationen taumeln – farblich wie Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figuren voneinander abgesetzt und in Kostümen, die zur glucksenden Freude einiger Zuschauer auf Star Trek Bezug nehmen – über die Bühne, trinken Alkohol aus einer Hausbar, verhandeln dabei halbherzig und sollen wohl die Lächerlichkeit der großen Politik vorführen. Die Engländer sind blau, die Russen lila (Ingo Hülsmann als Außenminister Iswolski sieht aus wie Captain Picard), die Deutschen grün, die Österreicher sind weiß und haben in Felix Römer einen schön senil-doofen Kaiser Franz Josef. Aus den kriegsauslösenden "Schlafwandlern" des Historikers Christopher Clark sind blöd-arrogante Barhocker geworden, die plötzlich – am 28. Juni 1914 – von zwei Schüssen ziemlich erschreckt werden. Lustig? Na ja.

karl1 560 dorotuch uDavid Ruland als winziger Karl vor übergroßem Trickfilm © Doro Tuch

Im roten Blödmann-Pullover

Zwischen diesen Witzfiguren steht David Ruland als unbeholfener Karl mit angelegten Armen im roten Blödmann-Pullover herum, um dann im Militärmantel in einen Krieg zu ziehen, der zumindest eine sehenswerte Trickfilm-Animation abgibt. Damit man noch ein bisschen mehr Mitleid mit diesem Karl bekommt, wird eine Liebesgeschichte mit Marie (Jenny König) ausgewalzt, die es in der Vorlage so gar nicht gibt. Geht aber trotzdem nicht zu Herzen.

Der Roman "Karl und das zwanzigste Jahrhundert" kann sich also zusätzlich zu ungelesen noch ein weiteres Prädikat ans Revers heften: unaufgeführt. Doch unter uns: Aufführungen tun diesem Buch wirklich nicht not. Leser schon.

 

Karl und das zwanzigste Jahrhundert
nach dem Roman von Rudolf Brunngraber
Szenische Einrichtung von Ingo Hülsmann
Leitung: Ingo Hülsmann, Bühne: Michael Hülsmann, Stepan Ueding, Kostüme: Valerie Gasse, Dramaturgie: Giulia Baldelli, Licht: Eduardo Abdala.
Mit: Iris Becher, Robert Beyer, Ingo Hülsmann, Jenny König, Felix Römer, David Ruland, Sebastian Schwarz.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Als Schauspieler arbeitete Ingo Hülsmann lange am Deutschen Theater, war dort unter anderem prägend für die Inszenierungen von Michael Thalheimer, in dessen "Faust" er 2004 die Titelrolle spielte. Nach seinem Wechsel ins Schaubühnen-Ensemble war Hülsmann in Thalheimers Tartuffe der Orgon. Sein Regiedebüt gab er 2007 mit Mobil von Sergi Belbel.

 

Kritikenrundschau

Hülsmann mache aus dem Roman "eine Art Geschichtsfarce mit den (theater-)üblichen ultrazynischen Strippenziehern", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (30.4. 2014). Die Schauspieler beherrschten das Typenkabarett natürlich aus dem Effeff. Am originellsten seien die Szenen, in denen sie dank raffinierter Bühnentechnik mit Trickfilmfiguren in Dialog träten. Abgesehen davon, dass man sich natürlich fragen könne, ob das alles tatsächlich so wahnsinnig komisch war mit "Karl und dem zwanzigsten Jahrhundert", wandele Hülsmann "ansonsten wirklich nur auf bekannten Pfaden".

Kommentare  
Karl und das 20. Jhd., Berlin: Regiegroßwahnsinn
Noch ein Regiegroßwahsinn! Weg mit Film- und/oder Romanbearbeitungen. Lesen Dramaturgen Theaterstücke nicht mehr?
Karl und das 20. Jhd., Berlin: sinnlos
Das ist eine interassante Frage, Herr Goldmann. Ich würde sagen Dramaturgen lesen Theaterstücke nicht mehr so, dass zeitrelevante Stücke entdeckt werden können. Sie machen beim Lesen mehrere Fehler, die sehr vermutlich nicht alle selbstverschuldet, sondern auch betriebsstrukturbedingt sind.
1. Sie riechen erst einmal daran, und was nicht gut riecht, wird erstmal zur Seite gelegt. Das ist schlecht in einem Betrieb, in dem täglich soviel Papier anfällt wie in einem Theater, denn Stücke können unter dem täglichen Papierzuwachs sehr schnell begraben werden. Vor allem, wenn es keine ordentlichen Sekretäre/innen für Dramaturgien gibt, die die Ablage auf Zack halten-
2. Werden Dramaturgen noch immer - obwohl wir in Zeiten des Regietheaters leben und flexibel besetzen können. Sowohl Prosa-Textflächen als auch althergebracht dialogisch geschriebene Dramen, werden zunächst erst einmal nach im KBB erfassten Besetzungsstatus bei Verlagen geordert - das geht dann so: Wir haben jetzt gerade 2D/1H frei, wenn alles gut geht und kein Dreh für die dazwischen kommt und deshalb schaunmamal, was die Verlage da zu bieten haben. Die Verlage - wie z.B. Fischer FaM - kommen den Dramaturgien da auch sehr entgegen, indem sie schon eine entsprechende Maske dafür im Netz anbieten, da braucht man nur eingeben 2D/1H und schon wird alles ausgespuckt was da so am Lager ist. Deshalb sind mittlerweile Lagerlogistiker sehr geeignet, Theaterjobs zu übernehmen...
3. M.E. hat ein Dramaturg jedes Stück, wenigstens jedes, was erst mal gut riecht, wenigstens 3x zu lesen: 1x als Dramaturg, einmal mit der Vorstellung, er sei ein Regisseur und dann noch einmal mit der Vorstellung, er sei ein Schauspieler. Dann könnte er es als diskussionswürdig für den Spielplan dem Intendanten vorstellen. Der muss das Stück auch dreimal lesen. 1x als Intendant, also Kultur-Politiker 1x mit der Vorstellung Zuschauer xy zu sein und 1x als Mann seiner Frau und Vater seiner Kinder oder eben so ähnlich für weibl. Intendanten bitte umgekehrt denken, das spart einem ja manches an Buchstaben
4. Aus all dem Romantheatralisierungen und dieser ganzen grassierenden - ich zitiere hier bitte auch einmal Herrn Stadelmaier, da, wo ich ihm gerne beipflichten möchte: Bearbeiterires und Projektiritis folgt eine De-qualifizierung des Dramaturgenberufes mit wiederum entsprechenden Folgen. Und zwar nicht nur für das Theater und die Schauspielkunst. Sondern auch gleich noch für die Literatur, sonders die epische, und ihre Entwicklung gleich mit.
Das ist natürlich pure Behauptung und in keiner Weise beweisbar oder überhaupt entsprechende Beweise herausfordern wollend. Es sei hier einfach nur einmal so von mir dahingestellt. Und was einmal mit Worten so dahingestellt ist, darüber kann ja nachgedacht werden. Womit nur bewiesen ist, dass Worte nicht sinnlos sind. Auch dann nicht wenn sie sinnlos aussehen. Aber darüber lass ich mich vielleicht ein andermal aus-
MfG -
Karl und das 20. Jhd., Berlin: bitte bitte
Bitte bitte bitte keine Inszenierungen mehr von Schauspieler_innen, die an großen häusern auch mal eine Idee haben und die glauben, das alles besser zu können.

auch die schaubühne sollte sich - wie das be und die vb - mal wieder autor_innen widmen, statt film- oder romanstoffen. und zum find vielleicht ein FberlinerD wagen.
Karl und das 20. Jhd., Berlin: eigenes Denken unerwünscht
Ich halte mir meine Drammat_UrgInnen sowieso nur noch noch als Zuarbeiter_innen. Eigenes Denken und Auswählen und Vorschlagen von zeitrelevanten oder gar teilgenialen Dramen ist überhaupt nicht erwünscht, weil mich das in meiner eigenen Auswahl von (eh meist klassischen und bewährten) Stücken viel zu viel unnötige Zeit kosten würde, und selbstredend auch Publikum.
Karl und das 20. Jhd., Berlin: effizient
@4Oh - das finde ich sehr effizient als Arbeitsweise eines Intendanten, schade, dass Sie sicher in irgendeinem Provinznest hocken und da bei der Mangeldurchlässigkeit im Theaterbetrieb heutzutage bestimmt versauern werden - ich wünsche Ihnen viele uneitle ZuarbeiterInnenenenen!
@3 - Entschuldigung, es ist ja nur ein post, aber die rechte deutsche Schreibung haben Sie wohl nicht gerade erfunden...
Karl..., Berlin: Festival-Vorschlag
Sie haben da ganz recht , herrfraukunstmitwohni. weil allein die deutsche nicht meine Erstsprache ist. post schreibt am/frau übrigens auch anders; nämlich Post wie Post.

Ist Ihnen trotzdem alles klar verständlich gewesen?
FIND = FestivalInternationalerDramatik an Schaubühne Berlin
Vorschlag: FbD = Festival berliner Dramatik
BE &
Karl und das zwanzigste Jahrhundert, Berlin: abgesetzt?
Schon wieder abgesetzt? :sad:((
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