Empörung hat viele Sprachen 

von Christian Baron

Altenburg, 3. Mai 2014. Es hätte so schön werden können. Ein internationales Ensemble mit Schauspielenden aus Deutschland, Österreich, Griechenland, Bulgarien, Burkina Faso und der Türkei findet sich am Landestheater Altenburg zusammen, um in Bernhard Stengeles Inszenierung des Euripides-Stücks "Troerinnen" mitzuspielen. Und das in mehreren Sprachen zugleich, denn die Arbeit wird auch in Griechenland und in der Türkei gastieren. Was für ein spannendes Projekt! Herausgekommen ist nach gut einem Jahr an Vorbereitungs- und Probenzeit dann aber leider nur Holzhammer-Theater.

Denn Stengele bringt hier mit "Die Frauen von Troja" – so der Titel der Textfassung des Archäologie-Professors Ulrich Sinn – ein Stück auf die Bühne, das über eineinhalb Stunden hinweg den moralischen Zeigefinger durch die Luft wirbelt und dabei nichts als Allgemeinplätze zum Besten gibt. Gewalt ist schlecht, und Krieg ist doof. Theater als belehrende Anstalt. Das ist zwar nur an wenigen Stellen langweilig, aber durchweg ärgerlich.

Entführte Frauen

Allein der erste Regie-Kniff: Das Publikum sitzt auf der mit einer Tribüne ausgestatteten Bühne, und die Akteure performen in den Zuschauerreihen. Was dem Setting einerseits das reizvolle Flair einer antiken Spielstätte gibt. In Kombination mit den immer wieder empört in Richtung des Publikums brüllenden Damen aus dem kriegsgebeutelten Troja vermittelt diese Maßnahme aber auch, dass hier das Publikum direkt angesprochen und als Teil der omnipräsenten Gewalt ("Menschen töten Menschen, Wölfen gleich!") dargestellt werden soll.

Es ist dieser Gestus der permanenten Empörung, mit dem die Frauen von Troja fast die gesamte Spieldauer ihr Leid klagen. Sie tun dies in mehreren Sprachen, mal tanzend und mal sprechend, manchmal bedächtig und häufig echauffiert, doch – und darin liegt das die Darstellungsform obsolet machende Manko – stets im gleichen mahnenden Impetus. Keine Frage, Ulrich Sinn hat den Text so präzise übertragen, dass die Mehrsprachigkeit nicht störend wirkt. Der Mangel an Regie-Einfällen, die uns eine Haltung zu diesem jahrtausendealten Drama anbieten würden oder das (bis auf die spärlichen Tanzszenen) statische Spiel lassen dieses Potenzial aber weitgehend ungenutzt verpuffen.

Allgemeiner Pazifismus

Wie schade ist dies angesichts des wirklich feurig harmonierenden Ensembles. Insbesondere die Frauen illustrieren das Gesprochene in ihren mal bunt, mal trist daherkommenden Kostümen und arbeiten über alle Sprachbarrieren hinweg die (wenn auch schablonenhaften) Gefühlslagen ihrer Figuren mimisch gut heraus. Insbesondere die chorischen Elemente ("Pferd, du trägst den Tod in unsre Stadt!") gelingen aufgrund der formalen Stimmigkeit in diesem zur Bühne umfunktionierten Zuschauerraum, der durchzogen ist von kunstblutdurchtränkten Stoffbahnen.

frauenvontroja 560 stephanwalzl uInternationales Ensemble: "Die Frauen von Troja" © Stephan Walzl

All das ist als L'art pour l'art schön anzusehen, läuft aber dem politischen Motiv der Inszenierung zuwider. Im Vorhof findet sich ein Gräberfeld, das als Anklage gegen die Gewalt dienen soll und unvermittelt Opfer verschiedenster Formen derselbigen aufzählt (Taksim-Platz, Aufstände in Afrika, NSU). Stellvertretend steht dies für das Hauptproblem des Abends, der versucht, eine pazifistische Prämisse zu vermitteln, die weder konkret veranschaulicht noch differenziert dargestellt wird. Dass Gewalttätige und Friedensbewegte bisweilen schneller die Rollen tauschen als man mit den Troja-Girls "Grausam ist der Krieg!" rufen kann, spielt hier keine Rolle.

Widersprüchliche Wirklichkeit

Stattdessen wird das Bekannte heruntererzählt. Zu Beginn tritt Agamemnons Bote auf und stellt seinem Meister die arme Kassandra als Nebenfrau in die Vitrine. Nach seinem Abgang lamentieren die Frauen über die Sinnlosigkeit des Krieges; und nach weiteren eindimensionalen Tragödien schaut der dank monströsen Schuhabsätzen zum griechischen Riesen-Macho aufgewertete Menelaos vorbei, um die gefangene Helena zu töten, die sich schmachvollerweise dem trojanischen Königssohn Paris versprochen hat. Bei all dem ist immer klar, wer hier der Böse ist und wer nicht; für Zwischentöne ist kein Platz.

So serviert die Altenburger Darbietung eine allzu wohlfeile Fundamentalkritik, die mit ihrer übereifrig-moralischen Totalität folgerichtig gegen die Wand der widersprüchlicheren Wirklichkeit prallt. Kein Wort verliert der Abend etwa über die Menschen innerhalb der griechischen Bevölkerung, die bereits der von Deutschland angeführten Austeritätspolitik zum Opfer gefallen sind. Oder darüber, wie sehr auch in dem aktuellen EU-Russland-Konflikt gilt, dass im Krieg auf beiden Seiten immer die Wahrheit zuerst stirbt. Es hätte so schön werden können.

Die Frauen von Troja (UA)
Tragödie nach den "Troerinnen" des Euripides in einer Neuübertragung von Ulrich Sinn
Regie: Bernhard Stengele, Regiemitarbeit: Çelal Mordeniz, Dramaturgie: Felix Eckerle, Bühne/Kostüme: Marianne Hollenstein, Musikalische Leitung: Ömer Avçi, Wissenschaftliche Mitarbeit/Produktionsleitung: Ulrich Sinn.
Mit: Çiğdem Aksüt, Ece Çelikçapa, Anne Diemer, Chara-Mata Giannatou, Milena Ivanova, Öykü Oktay, Rachelle Emmanuella Rasmata Ouedraogo, Johanna Paliege, Katerina Papandreou, Mechthild Scrobanita, Ilgaz Ulusoy, Katharina Weithaler, Esra Yaşar, Burcu Yilmaz, Manuel Kressin, Erdem Senoçak, Ouelgo Téné.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.tpthueringen.de

 

Kritikenrundschau

In der Ostthüringer Zeitung (5.5.2014) schreibt Ulrike Merkel von einem "schleppenden, statischen Handlungsfluss", der in den besten ­Momenten ein mehrsprachiges chorisches Klangerlebnis beschere, in den matteren Momenten aber viel Langmut abverlange. Die Idee von Bühnenbildnerin Marianne Hollenstein, das Publikum auf der Bühne zu platzieren und in den ansteigenden Zuschauersaal blicken zu lassen, habe vor allem in den ersten Minuten Schauwert. "Da schockieren die blutbeschmierten Vorhänge, die an ein Schlachthaus denken lassen." Und auch das erste Auftauchen der trojanischen Klageweiber zwischen den einzelnen Stoffbahnen, "als kämen sie aus ihren Löchern und Verstecken gekrochen", vermittele unheilvolles Kriegsleid. Das werde jedoch im Laufe des Stücks mitunter durch den deklamierenden Pathos, in dem die Schauspieler agierten, getilgt.

Zwar träfen bei dieser Zusammenarbeit sehr deutlich unterschiedliche Spieltemperamente aufeinander, "aber ohne dass daraus Funken geschlagen werden", sagt Hartmut Krug im Deutschlandfunk (4.5.2014). Und die Dreisprachigkeit, die wegen zweier französischsprachiger Altenburger Ensemblemitglieder zuweilen sogar eine Viersprachigkeit sei, bringe eher Probleme. Beim Herumreichen von Informationssätzen und Zitatwörtern entstehe ein Automatismus des Aufsagens, der für Spannung und Dramatik keinen Raum lasse.  Eine rundum überzeugende ästhetische Form finde die Inszenierung leider auch nicht. "Die Schauspieler kommen entweder nicht richtig ins Spiel, oder sie entgleiten ins Folkloristische." Es sei einer dieser Abende, "dem man nicht böse sein kann". "Weil er das Gute will, aber dabei viel zu brav ist."

"Ein voller Erfolg", befindet dagegen Marian Riedel im Mitteldeutschen Rundfunk (4.5.2014). Das Publikum werde immer wieder überrascht. Schon der Weg in den Theaterraum durch eine Hintertür und über den Hof sei "eine Reise zurück in die Antike." Wie grausam und blutig es dort zuging, habe Marianne Hollenstein mit ihrem "unbequemen Bühnenbild" bedrückend in Szene gesetzt.

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