Shall I unfriend my friends?

von Geneva Moser

Bern, 9. Mai 2014. Freundschaftspflege auf Facebook ist eine einfache Sache: Hat man genug von selbstdarstellerischer Selfie-Zelebration und pseudopoetischen Statusnachrichten, hilft ein Klick – unfriend! – und die Freundschaft ist beendet. Der Londoner Performer Brian Lobel findet die Sache etwas komplizierter. Im Rahmen des Theaterfestivals "auawirleben" in Bern zeigt Lobel in einer englischsprachigen Lecture-Performance einen Rückblick auf die leicht provokative Reinigungsaktion, die er unter seinen Facebook-Freundschaften vornahm und dabei mit Publikumsunterstützung einige Beziehungs-Altlasten loswurde.

In diesem Jahr steht "auawirleben", das Berner Festival für Produktionen der freien Szene, unter dem Motto "Von öffentlichem Interesse" und thematisiert damit das, was die Veranstalter "Privatsphärenproblem des Theaters" nennen: "Das Theater hat immer ein Privatsphärenproblem. Es erklärt die persönlichen Anliegen der Machenden zum öffentlichen Interesse."

Auch Brian Lobel, setzt sich in Purge mit einem Medium – Facebook - auseinander, welches zum Veröffentlichen von sogenannt "Privatem" genutzt wird. In gut einer Stunde gibt Brian Lobel nun abwechslungsreich und unterhaltsam Einblick in die Facebook-Reinigung und in die Reaktionen, die diese in seinem virtuellen Netzwerk hervorrief.

1300 Freunde als Rohmaterial

Das Spiel mit Freundschaften, "Purge" genannt, begann vor zwei Jahren als formell gehaltene Nachricht, die Brian Lobel an seine 1300 Facebook-FreundInnen sendete, um sie zu informieren, dass er ihre Freundschaft für eine künstlerische Aktion nutzen werde. Die Aktion "Purge" sei uneingeschränkt ehrlich und werde im Livestream auf Facebook übertragen. Die in einer Minute erzählte Geschichte der jeweiligen Freundschaft, sei Grundlage für das Publikum, darüber zu entscheiden, ob die Facebook-Freundschaft beendet oder beibehalten werde – Delete oder Keep.

Die Reaktionen aus der Friendslist waren enorm: 800 Antwortmails in kürzester Zeit und darunter eine halbernste Gewaltandrohung, vor allem aber eine große Angst um die eigene Privatsphäre, den Fortbestand der Beziehung zu Brian und Kritik daran, dass Freundschaft als Rohmaterial für Kunst genutzt werde.

purge1 560 brian lobel uDelete oder keep? Brian Lobel in Aktion © Brian Lobel

Wenn das Publikum in Bern heute zwar nicht mehr über Brian Lobels Friendslist auf Facebook bestimmen kann, so ist es in dieser Game-Show doch zur aktiven Beteiligung aufgefordert. Der dynamische Erzähler und Sprücheklopfer Lobel, an einem kleinen Holztisch sitzend, den Computer vor sich, den Bildschirm auf eine Leinwand projiziert, stellt in ebenfalls ein-minütigen Sequenzen Personen vor und lässt das Publikum mit Schildern raten, ob diese Freundschaften in der Performance Purge gelöscht oder beibehalten wurden.

Auch die Friendslist des Publikums wird ausgemistet: So erhält der Exfreund einer Zuschauerin live ein "unfriend". Scherzeshalber werden Personengruppen entworfen, die es verdient haben, endlich gelöscht zu werden: die ewigen LoL-Haha-LoL-Antworterinnen beispielsweise, oder die Katzenbild-Poster. Lobel gelingt es in der Interaktion mit dem Publikum eine freundschaftliche Stimmung zu generieren, die massgeblich von seiner charismatischen Erscheinung und seiner Präsenz lebt.

Reale Präsenz im Netz

Die physische und reale Präsenz einer Person war es auch, die den Auslöser für "Purge" gab und auch deren Rahmengeschichte bildet. Oder vielmehr: Das Fehlen dieser Präsenz. Lobel streut zwischen das Textmaterial von Emails, Statusnachrichten und Freundschaftsgeschichten kleine Sequenzen einer Liebesgeschichte zwischen ihm und seinem "Exflame" Grant ein. Eine Liebesgeschichte, die mit einer komplizierten Trennung endete – entsprechend von Grant auf dem Facebook-Vorgänger Friendster mit dem Beziehungsstatus "It's complicated" festgehalten.

Das reale Ende nahm die Beziehung zwischen beiden aber nicht mit einem schnellen Mausklick oder einer Formel wie "single", sondern mit dem frühen Tod von Grant. Die Socialmedia Spuren von Grant sind paradoxerweise noch lebendig: Das Friendster-Profil von Grant kann nicht vom Netz genommen werden. Das Publikum erfährt über die näheren Umstände des Todes von Grant nur wenig, doch es gehört zu den poetischen und greifbarsten Momenten der Lecture-Performance, als Lobel eine Friendster-Mail zwischen Grant und ihm mit geschlossenen Augen aus dem Gedächtnis zitiert. Dabei stehen sprachliche Feinheit und Dichte völlig widerspruchslos neben den für Onlineplattformen so typischen Sprach-Buttons wie "I Like".

Arbeit am Privacy Setting

Es ist nicht zuletzt diese Nähe zur eigenen Person, oder zumindest der sehr persönlichen Bühnenfigur von Brian Lobel, die die zwar wohltuende Leichtigkeit des Abends mit einer viel greifbareren Lebensrealität kontrastiert. Der Performer kippt dabei nur selten in etwas Selbstdarstellerisches, obschon er ganz kräftig an den eigenen Privacy Settings schraubt. So ist das Publikum beispielsweise mit der Frage konfrontiert, ob Lobel im Rahmen von Purge auch seine Mutter von der Friendslist gestrichen hat und erfährt auf diesem Weg, dass diese zwar mit der gesamten restlichen Familie eine virtuelle Freundschaft teilt, mit Brian jedoch nicht. Lobel erklärt, sie wolle ihn eben nicht halb-nackt, oder drei-viertel-nackt, oder besser: neun-zehntel-nackt sehen… und erntet dafür herzliche Lacher. Eigentlich läge das Problem aber wo anders, in seinen Partnerschaften nämlich: She doesn't want to see me being queer, sagt Lobel, und ihn damit wirklich sehen, so wie er sei.

Diese notwendige Direktheit Brian Lobels, die zugegebenermassen in einigen anderen Szenen sehr nah an Betroffenheitskitsch liegt, zeigt sich auch deutlich in unverblümten Frechheiten oder in bitterböser Ironie gegenüber so manchem Freundschaftsende. Sie macht den Abend zum leichten und zugleich auch kritischen Nachdenken über Socialmedia und ihre Wirkungen auf Beziehungen. Da wird nicht altbacken eine Medienferne zelebriert oder eine Abgrenzung zu einer Virtualität versucht, die ja längst Teil unserer Alltagsrealität geworden ist, sondern es gelingt völlig unverkrampft, genau die untrennbare Vernetzung beider vorzuführen – I like!

 

Purge
von und mit: Brian Lobel, Computer-Design: Chipp Jansen, Grafik: Mamoru Iriguchi.
Koproduktion: motiroti London, ANTI Festival of Contemporary Arts Kuopio.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause.

www.auawirleben.ch