Die Feinmechanik hinter der Grob-Klotz-Story

von Reinhard Kriechbaum

Wien, 23. Mai 2014. "Die Geschichte könnte noch lange weitergehen", verrät die wandernde rote Schrift, "aber es hat absolut keinen Sinn". Zum letzten Mal hat Konstantin Bogomolov die Lacher auf seiner Seite. Mit Entsetzen treibt der russische Regie-Wunderknabe der mittleren Generation (Jahrgang 1975) nicht wenig Scherz in der Geschichte, die er mit dem lettischen Liepājas Teātris umgesetzt hat und die nun bei den Wiener Festwochen gastiert.

"Pulp" – zermalmen, einstampfen, zu Brei machen heißt das Verb. Das beschreibt eh schon einigermaßen den Umgang dieser Leute untereinander. Und "pulp fiction" meint Schundliteratur, einen Groschenroman auch. "Pulp People" stehen, sitzen und hocken da also zusammengepfercht in einem breiten schmalen Raum, mit simultaner Küchen-, Ess- und Wohnzimmereinrichtung und WC-Schüssel auch gleich dazu. Eine Glaswand zum Publikum schließt das theatrale Gehege ab. Wäre es ein Gitter, müsste man an eine Tierschau denken, wo die absonderlichsten Geschöpfe zusammengepfercht sind. Alle Dialoge und Handlungen laufen dort querfeldein und nebeneinander her. Da spielt sich's ab.

Ein alter Kopf macht klüger, sieht aber nicht gut aus

Kika/Kristine ist noch eine der Normaleren: Sie sucht ihr Heil im Chat mit dem Norweger Odd. Das entwickelt sich sexuell anregend, weswegen sie sich real aufmacht nach Stavanger (der Ort und Odds Bettstatt liegen natürlich dann auch im Bühnen-Container). Odd hält statt des eigenen Penis' eine Bohrmaschine im Daueranschlag. Ein Besessener, und auch sonst ist er nicht der Traummann: ein Fixer, der gelegentlich immer noch mit seiner Exfrau schläft, außerdem Vater eines 16-Jährigen mit Downsyndrom. Die Ex hat mal irrtümlich aus dem eigenen Kokain Brei für den Jungen gemacht und "selbst mit Gries gekokst". So was kann passieren, hat die Stimmung des Jungen gehoben, doch die Sache geht jetzt ins Geld.Stavangera1 560 -ZiedonisSafronovs uSkurrilitäten hinter Glas: Pulp People © Ziedonis Safronovs

Russische Nutten sind offenbar Alltag in Stavanger, auch wenn sie Lettinnen sind – ein running gag an dem Abend. Nikolai, Kristines Mann, hält es mit der Treue auch nicht so genau. Er, der Taxifahrer, hält sich an eine Stewardess. Bei einem Besuch bei ihr daheim kommt es vor einem Foto zu einem netten Dialog: "Wer ist das? – Mein Mann. Aber keine Sorge, er ist tot. – Woran ist er gestorben? – Keine Ahnung, aber ich kann fragen, wenn Sie wollen. – (Gedankenpause) – Der Tee ist gut. – Das ist kein Tee, das ist seine Asche."

So geht das dahin. Eine Randfigur ist Kristinas Schwiegervater, der nach dem Schlaganfall gepflegt werden muss. Und die Stieftochter hat nach einem Unfall den Kopf einer 60-Jährigen (der Großmutter) angenäht bekommen. Sie darf jetzt aus psychohygienischen Gründen nicht in den Spiegel schauen, "aber ein alter Kopf macht klüger". Die transplantationstechnisch bedingte Altersweisheit der Studentin ist auch für so manchen Gag gut.

Rabenschwarzes Narrentreiben mit Tiefenbohrung

Konstantin Bogomolov nimmt die Kohlenschaufel und nicht das Zuckerlöfferl, wenn er Schwarzen Humor einstreut. Aber so muss das wohl sein bei pulp fiction und schon gar bei diesen "Pulp People". Den lettischen Text gibt es per Kopfhörer in Simultanübersetzung. Weil die Leute ja oft wüst durcheinander quasseln, die Handlungsfäden verfilzt und die Orts-Sprünge tollkühn sind, ist es anfangs nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten. Aber die Sache entwickelt starken Sog und man kommt hinein in die Feinmechanik hinter der Grob-Klotz-Story. Diese ist viel gediegener und psychologisch ausgefeilter, als man anfangs denken würde.

Immer wieder halten Figuren in dem rabenschwarzen Narrentreiben ein und beginnen zu räsonieren. Berührend der Schlaganfall-Opa. "Sie hüten meinen Tod wie ein Kerzenflämmchen", sagt er und kommt ins Nachdenken darüber, wer eigentlich hilfloser ist, Patient oder familiäre Dauerpfleger. Wer tanzt in Wirklichkeit nach wessen Pfeife? Wenn der fast Gelähmte auf die Grünlicht-Taste drückt, bekommt er zu essen, das Rotlicht signalisiert: Exkremente entfernen. Also habe er es, so der Alte, wohl mit Vernunftwesen zu tun, die er da anführt.

Panik-Theater mit Humorkeule

Nicht minder tief geht ein Dialog zwischen Kristina und einer Schulfreundin, die sich auch waagrecht in Stavanger durchbringt. Zwei rote Gasballone trägt sie vor sich her, Synonym für Brustvergrößerung. Daraus entwickelt sich wie nebenbei eine messerscharfe Analyse des Körper- und Menschenbildes heutzutage.

Aber all das ist eben eingebunden in eine Skurrilitätenschau, in ein Panik-Theater, über dem die Humor-Keule beständig schwingt (und mit der auch kräftig zugeschlagen wird). Selten so gelacht über solche Dinge. Echt krass.

 

Stavangera (Pulp People)
Schauspiel nach einem Text von Marina Krapivina
Erstaufführung im deutschen Sprachraum
Eine Produktion des Liepājas Teātris (Lettland)
Regie: Konstantin Bogomolov, Bühne und Kostüme: Larissa Lomakina, Video: Roberts Vitols.
Mit: Laura Jeruma, Kaspars Kārkliņš, Anda Albuže, Gatis Maliks, Sandis Pēcis, Rolands Beķeris, Agnese Jēkabsone, Everita Pjata, Viktors Ellers, Signe Ruicēna.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.festwochen.at

 

Manch ein Theatergänger aus dem deutschsprachigen Raum wird sich durch das Setting von "Stavangera (Pulp People)" an Karin Beiers Kölner Inszenierung Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen erinnert fühlen.

 

Kritikenrundschau

"Einen famosen Festwochen-Irrwitz", sah Ronald Pohl (Standard, 26.5.2014). Man sei in der Inszenierung in Lettland, im Folgenden auch in Norwegen zu Gast. Man nehme am Geschick dieser traurigen und zugleich dämlichen Figuren herzlich Anteil. "Man möchte die Wohnzeile mit ihrer scheußlichen Streifentapete um keinen Preis der Welt verlassen." Fazit: "Eine brillante Vorstellung, leider schon aus."

Im Kurier (26.5.2014) findet dagegen Werner Rosenberger den Abend gar nicht witzig: "Möglich, dass da Schabernack mit Schock und Entsetzen beabsichtigt war. Tatsächlich kichern einige, nur weil sich im Glaskäfig ein Mann eine Hose anzieht. Man kann’s auch Diebstahl nennen. Diebstahl an Lebenszeit. Nichts gegen Edelschund. Nichts gegen Trash. Wenn’s gut gemacht ist. Aber 'Stavangera (Pulp People)' ist – nicht einmal videotechnisch interessant – bestenfalls ein aufgeblasenes Nichts. Nein, in Wahrheit: Nicht einmal nichts."

 

Kommentare  
Stavangera, Wien: apropos Plagiat
Apropos #Plagiate, jemand "die Schmutzigen, die Hasslichen und die Gemeinen" in Köln gesehen?

(Lieber Dominik, wir erwähnten eine gewisse Ähnlichkeit bereits in unserem redaktionellen Hinweis unter dem Text. Ob man aber gleich die Plagiats-Keule schwingen muss, weil es ein ähnliches Setting gibt?
Beste Grüße,
Anne Peter / Redaktion)
Stavangera, Wien: Detail des Settings
Vermutung: Sie haben die Aufführung nicht gesehen und schließen vone inem Detail des Settings - der Glaswand - auf "Plagiat". Autsch, es sind Kommentare wie diese, die einen oft zweifeln lassen, wer da so postet ...
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