Wer in der milchglasigen Käseglocke sitzt...

von Peter Grabowski

14. Juni 2014. "Warum können wir die Diskussion, wie wir selbst und unsere Kinder leben sollen und wollen, nicht offen führen?" schreibt Burkhard Kosminski in seinem Offenen Brief. Ich finde, das ist eine seltsame Frage. Wer verhindert denn diese offene Diskussion? Die angesprochenen Ministerinnen Wanka, Grütters, Bauer  und der Minister Stoch sind ganz sicher nicht unter den Verdächtigen. Mir fällt auch bei längerem Nachdenken niemand ein.

Es offenbart sich in Kosminskis Schreiben eine ursprünglich Westerwelleeske Haltung, die in Richtung Sarrazin und Pirincci deutet. Es ist die "Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen"-Attitüde derjenigen, deren unlogisches Gerede durch einen vermeintlich notwendigen Verweis auf freie Meinungsäußerung und gesellschaftlichen Diskurs legitimiert werden soll. Das ist für den aufmerksamen wie vernunftbegabten Leser allerdings in allen Fällen eine durchsichtige Strategie.

Lange nicht gekannter Priorisierungszwang

Den inhaltlichen Kern des Problems macht Kosminski richtig aus. Er schreibt: "Die Kultur erlebt einen Bedeutungsschwund in erschreckendem Ausmaß". Das trifft vor allem auf die "Kultur" zu, wie Kosminski sie versteht: Theater, Opernhäuser, Museen und weitere Orte des Erlebens und der Bildung von und durch öffentlich geförderte Kulturinstitutionen. Der Bedeutungsschwund der Kultur, so wie ich sie verstehe, ist aber, nun ... vielleicht kein gänzlich anderer, aber einer mit viel mehr und unterschiedlicheren Dimensionen, Gründen und Folgen als der Theaterleiter beschreibt. Ihm geht es vor allem um zwei Phänomene: Die mindestens stagnierende, oft auch zurückgehende finanzielle Zuwendung aus öffentlichen Kassen an öffentlich getragene Kulturinstitute. Und zweitens der angenommene Verlust von Aufmerksamkeit der Politik für die Belange "der Kultur".

Die EINZELNE Institution muss sich in vielen Regionen des Landes tatsächlich mit gleich bleibenden oder sinkenden Zuwendungen herumschlagen. Und das ist ein echter Kampf für Intendanten, Direktoren und Geschäftsführer, weil die Kosten gleichzeitig steigen: Energie, Löhne, Gebäudeunterhaltung vor allem. "Die Politik" sieht diese Probleme übrigens sehr wohl - die Kulturpolitik sowieso. Aber für Regierungen und Parlamente ist das ein Finanzierungsproblem von vielen. Das vermindert nicht nur die gefühlte Aufmerksamkeit für die Kulturvertreter, es erzeugt auch einen lange nicht gekannten Priorisierungszwang: Schwimmbäder oder Theater, Kitas oder Bibliotheken, Sportplätze oder Musikschulen.

Die öffentlichen Kulturhaushalte steigen

Genau hier beginnt die Käseglocke des Kulturbetriebs immer milchglasiger zu werden: Das Außen wird eher verschwommen wahrgenommen und erscheint damit auch weniger klar als das, was direkt vor einem liegt. Das führt zu einem ersten Hauptmissverständnis in den aktuellen Debatten, das sich expressis verbis auch in Kosminskis Brief findet. Es lautet: Bei der Kultur wird zuerst gespart! Das klingt griffig und angesichts der oben beschriebenen tatsächlichen Mittelkürzungen für viele Kultureinrichtungen vor allem: plausibel. Es ist aber trotzdem falsch! Schulen und Hochschulen, Straßen und Brücken, die Abwassersysteme, die Kinderbetreuung, die Bundeswehr, die Polizei – in diesen Bereichen wurde Jahrzehnte lang entweder gegen jeden Expertenrat nicht investiert oder tatsächlich gespart. "Die Kultur" dagegen hat in all der Zeit kontinuierliche Mittelzuwächse zu verzeichnen: Allein in den letzten sechs Jahren, also seit Ausbruch der sogenannten Finanzkrise, sind die öffentlichen Kulturhaushalte in Deutschland von ca. acht auf aktuell mehr als zehn Milliarden Euro gestiegen. Das sind 25 Prozent Zuwachs. In sechs Jahren, während einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise. Wer da behauptet, an der Kultur würde zuerst gespart, lügt sich selbst und anderen was in die Tasche. Und macht damit selbst eine offene Diskussion unmöglich.

Interessant und dafür produktiv wäre es doch, wenn Kosminski beim von ihm selbst diagnostizierten Bedeutungsschwund der Kultur mal genauer hinsehen würde. Den gibt es nämlich wirklich – und zwar weil die Institutionen in ihrer ausgreifenden Selbstreferentialität und Realitätsferne mit ein paar Jahrzehnten Verspätung erfüllen, was Morissey bereits in den 80ern (nach dem Atomunfall in Tschernobyl) den Radioprogrammen der BBC vorwarf: "The music they constantly play, says nothing to me about my life". Vor allem und gerade die Sprechtheater und Opernhäuser sind ihrer Bedeutung für die Stadtgesellschaft an den meisten Orten verlustig gegangen. Soziale Realität wird massenwirksamer im ARD-Tatort verhandelt als auf irgendeiner Stadttheaterbühne. Die Orte des Austauschs und Diskurses über Wahrnehmungen, Haltungen, Meinungen vor allem – aber nicht mehr nur! – junger Leute heißen heute Facebook und Twitter, nicht National- oder Residenztheater – vom Landestheater Detmold ganz zu schweigen.

Wir sind wenige und wir werden immer weniger

Ich rede – letzte Eskalationsstufe dieser Suada – von der Mehrheits-Gesellschaft in Deutschland, nicht von dem mitunter lächerlich kleinen Trupp, der sich Tschechow und Lepper, Neuenfels und Fritsch, Palmetshofer und Jelinek anguckt. Und das ausdrücklich nicht nur zur hochkulturellen Erbauung am Feierabend, sondern weil sie oder er daraus Gewinn zieht; für sich, das Leben, in der Folge womöglich auch für die Gesellschaft als Ganzes. Ich gehöre zu diesem versprengten Haufen. Doch mir ist klar: Wir sind wenige und wir werden immer weniger. DAS ist der eigentliche Bedeutungsschwund der Kultur. Wenn man vor diesem Hintergrund die Demokratie in Gefahr sieht, mag man richtig liegen. Es zeugt aber nicht gerade von demokratischem Geist, der Mehrheitsgesellschaft vorzuwerfen, dass sie mit ihrer "Kulturferne" zwar in der Mehrheit sei, aber darin irre.

Burkhard Kosminski folgert aus seiner Sicht der Dinge: Die Milliarden des Soli hätten künftig zusätzlich in die Kultur zu fließen. Mir fiel bei diesem Vorschlag sofort mein Sozialpsychologieprofessor ein mit seinem legendären Satz "Regel Eins: Vertrauen Sie bei keinem Problem der ersten plausiblen Lösung, die Ihnen einfällt!". Bei Kosminski lautet sie: Mehr öffentliches Geld für ein System, dessen gesellschaftliche Bedeutung schwindsüchtig ist. Ich frage dazu mit David Bowie: "Putting out fire with Gasoline"? Im Ernst? Und weiter: Wenn der öffentliche Kultursektor seine bisherige Finanzierung behalten oder gar mehr will, sollte er sich dringend überlegen, wie er wieder – oder ganz neu – relevant wird.

An diesem Wochenende findet die Jahrestagung des Deutschen Bühnenvereins in Mannheim statt, mit dem Generalthema "Kunst und Ökonomie". Das ist der Hintergrund des Kosminski-Briefs, zumindest seines Zeitpunkts. Ich bin sehr gespannt zu hören, wie offen die Diskussion dort geführt wird.

 

grabowskiPeter Grabowski ist freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Medien und ausgewiesener Spezialist für Kulturfinanzierung. Bis heute vorwiegend im Hörfunk aktiv, schreibt er aber auch für Fachmagazine und Online-Medien. Seit Januar 2012 betreibt der studierte Psychologe ein eigenes Blog zum Thema. Grabowski lebt in Wuppertal und Düsseldorf.

 

Peter Graboskis Kommentar ist die Reaktion auf einen Offenen Brief des Mannheimer Intendanten Burkart Kosminski.

Was der Deutsche Bühnenverein nach seiner Mannheimer Tagung zu dem Thema verlautbarte, steht hier.

Was während der Tagung unter #jhvdbv14 auf Twitter gepostet wurde, kann man hier nachlesen.

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Kommentare  
Stadttheaterdebatte XIV: Kunst demokratisieren
“Interessant und dafür produktiv wäre es doch, wenn Kosminski beim von ihm selbst diagnostizierten Bedeutungsschwund der Kultur mal genauer hinsehen würde. Den gibt es nämlich wirklich – und zwar weil die Institutionen in ihrer ausgreifenden Selbstreferentialität und Realitätsferne mit ein paar Jahrzehnten Verspätung erfüllen, was Morissey bereits in den 80ern (nach dem Atomunfall in Tschernobyl) den Radioprogrammen der BBC vorwarf: 'The music they constantly play, says nothing to me about my life'. Vor allem und gerade die Sprechtheater und Opernhäuser sind ihrer Bedeutung für die Stadtgesellschaft an den meisten Orten verlustig gegangen.“

Gut und richtig! Spätestens seit Joseph Beuys meint Kultur die Gesamtheit aller Lebensäußerungen. Kultur für alle heisst also, dass die Kultur und die Kunst demokratisiert werden müssen. Nicht unbedingt im Sinne von Mehrheitsentscheidungen, aber in dem Sinne, dass die prozessualen Auseinandersetzungen bzw. Aushandlungsprozesse zwischen Menschen einer Kultur und/oder zwischen verschiedenen Kulturen ja allererst die Basis für ein funktionierendes Gemeinwesen, für eine offene und solidarische Gesellschaft sind.
Stadttheaterdebatte XIV: Angst macht konservativ
d'accors!
Nur bin ich nicht gespannt, wie offen die Diskussion beim Bühnenverein geführt wird. Angst macht konservativ.
Stadttheaterdebatte XIV: bessere Auslastung
Ich bin mit dem Einspruch von Peter Grabowski absolut einverstanden. Es nervt manchmal schon, wenn jeder und jede, der ein paar kritische Fragen an die falsche Seite richtet, pauschal als dumpfer Kulturbanause gebrandmarkt wird, der dem "weltweit einzigartigen Kulturgut Deutsches Stadttheater" an den Kragen will. In Wien beispielsweise hätten ein paar nüchterne Hinterfrager mancher Katastrophe vorbeugen können. Aber einen Punkt erlebe ich anders, und ich möchte das als Frage in den Raum stellen: Stimmt das wirklich mit dem Bedeutungsschwund? Ist - in Hinblick auf die Zuschauerzahlen - nicht eher das Gegenteil der Fall? Viele Theaterhäuser sind doch (wieder) voll, vor allem Sprechtheater vermelden immer wieder verbesserte Auslastungszahlen. Festivals eilen von Besucherrekord zu Besucherrekord. Ähnliches gilt für Museen. Ich habe den Eindruck, dass das Bedürfnis nach Kultur und Auseinandersetzung auch mit sperrigen Stoffen wächst. Liege ich falsch?
Stadttheaterdebatte XIV: Phrasen
Zu Nr. 1: „Spätestens seit Joseph Beuys meint Kultur die Gesamtheit aller Lebensäußerungen“. Nehmen wir das einmal so und lesen wir weiter: „Kultur für alle“ – hier stocken wir bereits, insofern die Kultur soeben noch „die Gesamtheit aller Lebensäußerungen war“, also etwas „von allen“ und nicht „für alle“, reißen uns aber zusammen und fahren fort – „heißt also , daß die Kultur und die Kunst demokratisiert werden müssen“. Abgesehen davon, daß neben „die Gesamtheit aller Lebensäußerungen“ eine in dieser Gesamtheit bisher offenbar nicht inbegriffene Lebensäußerung namens „Kunst“ tritt, fragen wir uns zum einen, warum und inwiefern „die Gesamtheit aller Lebensäußerungen“ „demokratisiert“ werden muß und kann, zum anderen, ob die „Lebensäußerungen“ in dieser Auffassung ausschließlich auf menschliche Lebensäußerungen beschränkt sein sollen und die Lebensäußerungen der Wale und Elefanten, Bienen, Pflanzen und Singvögel unberücksichtigt lassen, und zum dritten, was die „Demokratisierung der Kunst“ der Sache nach bedeuten könne und solle: die „Demokratisierung“ ihrer Entstehung oder diejenige ihrer Verbreitung? „Kultur von allen“ = „Kunst für alle“? „Kultur für alle“ = „Kunst von allen“? Schon ratlos suchen wir nach weiterem Aufschluß und erfahren, „dass die prozessualen Auseinandersetzungen bzw. Aushandlungsprozesse zwischen Menschen einer Kultur... ja allererst die Basis für ein funktionierendes Gemeinwesen, für eine offene und solidarische Gesellschaft sind.“ Diese „prozessualen Prozesse“ sind also nicht Resultat und Ausdruck eines „funktionierenden Gemeinwesens“ bzw. einer „solidarischen Gesellschaft“, sondern „allererst“ deren „Basis“, auf welcher sich dann – ja, was erhebt? „Die solidarische Gesamtheit aller Lebensäußerungen eines funktionierenden Gemeinwesens als Ergebnis einer Demokratisierung von Kultur und Kunst“ – so etwa müßte die Antwort ja wohl lauten. Und sollte „die Kultur“ nicht “demokratisierbar“ sein, weil sie ein per se demokratisches Element einer Gesellschaft darstellt – nämlich „die Gesamtheit aller Lebensäußerungen“, somit auch der künstlerischen -, und erst recht nicht „die Kunst“, weil sie ein per se eigensinniges, undemokratisches Element einer Kultur bildet – ja, was dann? Dann erweisen sich all diese Erwägungen als das, was sie sind: als Phrasen. Und die Herren Kosminski und Grabowski müssen sich sagen lassen, daß sie auch nicht viel weiter sind und sein können, solange sich allerorten nur noch Böcke auf die politischen Gärtnerstellen bewerben – und zwar mit Erfolg.
Stadttheaterdebatte XIV: Wir brauchen beides!
Alle Diskussionsteilnehmer sollten versuchen, die wirklichen Probleme zu benennen und genau abzuwägen, was zu tun ist. Auch Herr Grabowski ist nicht gefeit vor durchsichtigen Diskussionsstrategien, wie er sie bei Kosminski kritisiert. Theater kann natürlich nur funktionieren, wenn es an Lebenswirklichkeiten anknüpft und nicht stumpf einen selbstreferentiellen Kulturkanon von anno dazumal vor sich hin dudelt. Aber sowohl beim NTM(inklusive Schnawwl), als auch beim Resi(inklusive dem Jungen Resi) kann man nicht davon sprechen, das nicht versucht würde, sich im Theater mit heutigen Realitäten auseinanderzusetzen. Natürlich gibt es Theatermacher, die inzwischen in "Theater-Bubbles" Theater machen und sich zu wenig um das Hier und Jetzt kümmern. Aber auch das Landestheater Detmold ist nicht einfach großkotzig in einem Nebensatz abzukanzeln. Wieso disst Herr Grabowski da plötzlich einzelne Institutionen? In den genannten Theatern ist die Hütte übrigens gerne auch am Sonntag Abend voll, während im Tatort laut Herrn Grabowski die soziale Realität zu erleben ist. Wobei: dieses Argument ziehe ich teilweise zurück, ich lebe ja nicht in einer Käseglocke und weiß deshalb, das der Trend zum Nachgucken online geht. Ich verstehe Kosminskis Brief jedoch, gleichermaßen als Aufruf an die Politik und die Theatermacher selbst, das Theater als Live-Begegnungsstätte noch stärker als lebendiges Bildungsinstitut zu nutzen. Natürlich müssen da alle gemeinsam an den Formaten für die Zukunft bauen und dürfen die Zeichen der Zeit niemals verpennen und natürlich gehören dazu vor allem Ideen und Mut und nicht zwangsläufig gleich mehr Mittel. Aber die Gefahr, dass vielerorts an den "freiwilligen Leistungen" zu erst gespart werden wird und bereits gespart wird, ist real und setzt sich nicht selten auch über eine vorhandene Relevanz hinweg. Wenn Herrn Grabowski, als ausgewiesenem Spezialisten für Kulturfinanzierung irgendwas am Theater gelegen ist, sollte er übrigens bitte nicht von sich aus den Straßenbau der Kulturfinanzierung gegenüberstellen. Wir brauchen nämlich beides: tragfähige Brücken und eine tragfähige Kulturfinanzierung.
Stadttheaterdebatte XIV: populistisch
Dieser Beitrag ist so populistisch.
Stadttheaterdebatte XIV: lieber vielschichtig als vordergründig relevant
Ich verstehe den Ruf nach mehr Auseinandersetzung mit der Umwelt an den Theatern zwar - und wünsche mir selber oft mehr Realitätsbezug. Und andererseits sitze ich letztens in einer Inszenierung von Claude Règy, in der ein Mann auf stockdunkler Bühne 90 Minuten lang einen hochpoetischen Text eines Ertrinkenden spricht und zwischen Leben und Tod balanciert. Ich könnte niemandem und zu keinem Zeitpunkt erklären, wo da genau der brennende und aktuelle soziale oder politische Anknüpfungspunkt an die Gesellschaft da draußen wäre; und dennoch hat sich ein ausverkaufter Saal in eine Gegend mitnehmen lassen, die man sonst selten betritt. Manchmal glaube ich, diese Reaktion: "Mehr Realität! Mehr Auseinandersetzung mit der Welt" zeitigt sehr einseitige, oftmals platte Reaktionen und Aufführungen. Vielleicht bräuchte es stattdessen einfach wieder Theaterkünstler, die ein Thema vielschichtig bearbeiten - und nicht Nachlauf-Künstler, die jedes x-beliebige Thema der nachrichten in einem schnell zusammengeschusterten Abend auf die Bühne wuchten, um Relevanz zu simulieren ...
Stadttheaterdebatte XIV: Begriffsklauberei
@ Frank-Patrick Steckel: Sie sind ein Begriffsklauber. Gleichwohl, auch ich kenne den Unterschied zwischen den Begriffen der "Kultur", "Kunst", "Demokratie" und "Gesellschaft". Und Sie haben ganz Recht, Kunst beinhaltet natürlich immer auch etwas "Undemokratisierbares". Mir ging es beim Begriff der Demokratisierung um eine Kultur UND Kunst "von unten" - von allen und zugleich für alle. Gegenüber einer Kultur UND Kunst "von oben", welche durch Politiker, Ökonomen und Lobbyisten definiert, in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft bewertet und dementsprechend gut oder schlecht finanziert wird.

Und noch etwas, unter "Kultur" verstehe ich "gestaltete Kultur", wohingegen die Lebensäußerungen von Tieren und Pflanzen für mich unter den Begriff der "Natur" fallen. Menschliche Lebensäußerungen tragen diese "Natur" natürlich ebenso in sich, die Grenze zwischen Tier und Mensch ist fließend und also eine Frage der Entscheidung: Brülle ich und/oder haue ich drauf wie z.B auch unser nächster Verwandter, der Affe, oder gebrauche ich meinen Geist und Verstand. Was ich auch in Bezug auf meinen Nebenmenschen als wünschenswert erachten würde. Was nicht heissen soll, dass ich den Menschen als Krone der Schöpfung betrachte.
Stadttheaterdebatte XIV: Prinzip der Teilhabe
Grabowski, fahr mal hin, nach Detmold.
Das Landestheater ist nämlich ein gutes Beispiel dafür, wie sich ein kleines Theater seinen Aufgaben stellt.
Spätestens seit dem Intendanten Reiher bemüht man sich dort um einen hohen inhaltlichen Anspruch.
Das Theater ist von Politik und Bevölkerung gewollt. Nicht üppig, aber ausreichend finanziert. Und....gut besucht.
Man gewinnt den Eindruck, dass hier ein Populist lediglich auf einen anderen Populisten antwortet.
Ich glaube, einen Bedeutungsschwund erlebt das Theater wegen der auf der Bühne zelebrierten Selbstverliebtheit.
Theater soll nicht nur soziale Wirklichkeiten widerspiegeln, sondern auch emotionale.
Zu den emotionalen Wirklichkeiten gehören nicht in jedem Falle dreistündige hysterische, schlammwälzende Ausbrüche.
Und der wichtigste Grundsatz: "Erzählt uns da oben wenigstens noch eine Geschichte" wird von vielen Theatermachern zur Zeit gerne mal vernachlässigt.
Natürlich muss man auch der Politik Einiges ins Stammbuch schreiben. Bei der Wandlung der Theater von den Theatern der Fürsten, über die Bürgertheater bis zur Volksbühnenbewegung ging es immer um das Prinzip der "Teilhabe". Mit der Teilhabe am kulturellen Geschehen letztlich auch die Teilhabe am politischen Geschehen zu erreichen. Deshalb wurden Theater von der Gesellschaft subventioniert. Das von der Politik gerne mal vorgeschützte Vorurteil, dass Theaterkunst sich nur an eine Elite wendet, stimmt spätestens seit den 80iger Jahren nicht mehr. Mit der Forderung die Preise ständig anzuheben, um den Eigenfinanzierungsanteil zu erhöhen, wird allerdings genau das wieder erzeugt: es kann sich dann bald nur noch eine Elite den Theaterbesuch leisten.
Aber ganz sicher ist eine breite Diskussion über das Thema erforderlich. Auf Theaterseite über Inhalt und Form und in Politik und Gesellschaft über Auftrag und Finanzierung.

Iphigenie
Stadttheaterdebatte XIV: Mittelanwerbung durch Zuschauer?
Lieber Herr Grabowski,

bei der Jahrestagung des Bühnenvereins hatte ich das Vergnügen einen Vortrag zu "Kunst und Ökonomie" zu halten. Die daran angeschlossene Diskussion war differenziert, offen und konstruktiv.

Ich hatte in dem Zusammenhang neue Experimente, Komplizenschaften und Modellprojekte zwischen dem Theater und den "Change-Agents" der Kultur- und Kreativwirtschaft angeregt.

Ich Nachgang der Tagung frage ich mich, ob der Bildungsauftrag des Theaters eigentlich auch die Möglichkeit einschließt die Mitglieder/Zuschauer/Bürger dahingehend auszubilden, dass sie durch die Mittel des Theaters in der Lage kommen, selbstständig eigene/zusätzliche Mittel für den Bildungsauftrag des Theaters zu erwirtschaften?

Also - ich stehe bereit, wenn sich ein Theater entschließt eine Initiative mit dem Ziel zu starten Facebook freundlich zu übernehmen und die Daten den Bürger zurückzugeben!

Herzlich solidarische Grüße
Ihr

Christoph Backes
Stadttheaterdebatte XIV: Empfehlung
Wenn Herr Grabwoski behauptet, Sprechtheater und Opernhäuser wären der Bedeutung in ihrer Stadtgesellschaft verloren gegangen, kann ich ihm eine ganz einfache Maßnahme zur Korrektur seiner ebenso falsche, ärgerlichen wie fatalen Behauptung empfehlen: Gehen Sie einfach mal wieder in das Theater in Ihrer Stadt!
Stadttheaterdebatte XIV: Anspruch offensiv behaupten
Ja, Peter Grabowski ist zuzustimmen, wenn er fordert, dass der öffentliche Kultursektor seine Relevanz wieder selbst neu begründen und zurückgewinnen muss; er muss sich diese Bedeutung sogar erkämpfen. Letzteres gegen die Widerstände einer staatlichen Finanz- und Etatpolitik, die selten strukturell handelt, sondern die ein Produkt jener Verteilungskämpfe geworden ist, die von tonangebenden Interessengruppen betrieben werden. Vor diesem Hintergrund ist es weder aussichtsreich noch grundsätzlich sinnvoll, um Zuwendungen für die Kultur zu betteln oder die Solidarität jener einzufordern, welche die Misere mit zu verantworten haben.

Kultur muss ihren Anspruch, ein Spiegel und dadurch Reflektionsebene für alle gesellschaftlichen Vorgänge zu sein, offensiv behaupten. Und sich dadurch als Gegenpol zu sämtlichen Versuchen öffentlicher Bewusstseinstrübung definieren. Kultureinrichtungen wie Theater und Bibliotheken sind die wirklichen sozialen Netzwerke. FACEBOOK, TWITTER und Konsorten hingegen usurpieren lediglich die Kommunikationsbedürfnisse einer Gesellschaft und reduzieren sie auf kommerziell verwertbare Beliebigkeiten, Eitelkeiten und Vorurteile.

Genau an diesem Punkt, nämlich am Eingriff des Kommerziellen in existenzielle Belange des Menschen einschließlich des Versuchs, Kultur zu definieren, greift Grabowskis Kritik erheblich zu kurz. Er bescheinigt der Mehrheitsgesellschaft eine gewisse Qualität und sogar Legalität. Aber die Masse ist, wie die Historie lehrt, häufig auch Quelle verhängnisvoller Irrtümer.

Dass auch Kulturverantwortliche nicht frei sind von vermeintlich wirtschaftlichen Überlegungen zeigt sich in den Versuchen, Theaterabonnements auf Teufel komm raus zu verkaufen (wie derzeit exemplarisch in Frankfurt am Main zu beobachten ist). Letztere mögen für kurze Zeit die Bilanz der Intendanten schönen, aber sie schaffen dadurch geschlossene Zirkel, deren hervorstechendste Merkmale die Vergreisung und schleichende Kommunikationsunfähigkeit ihrer Mitglieder sind. Wo Außenstehende aber kaum noch Chancen besitzen, bessere Plätze und Termine buchen zu können, verprellt das öffentlich geförderte Theater wichtige (potentielle) Freunde und Förderer.
Stadttheaterdebatte XIV: die Kartenpreis-Barriere
(Iphigenie) "Mit der Forderung die Preise ständig anzuheben, um den Eigenfinanzierungsanteil zu erhöhen, wird allerdings genau das wieder erzeugt: es kann sich dann bald nur noch eine Elite den Theaterbesuch leisten."
Das ist doch mal ein spannender Punkt! Theater und Museen, können gar nicht als Orte demokratischer Begegnung gesehen werden, da sie zwar staatliche Institutionen sind, die vom Bürger finanziert werden, sie aber trotzdem noch eine enorm hohe Zugangsbeschränkung durch Ticketpreise aufweisen. Wer das nicht glaubt, sollte mal wie ein regulärer Arbeitnehmer statt einer Steuerkarte eine Normalpreiskarte kaufen. Diese Reglementierung verstößt gegen jedes Prinzip demokratischer Teilhabe! Das wäre, wie wenn ich vor der Wahl einen Fuffi zahlen müsste, um meine Stimme abzugeben, oder einen Obolus für die Anzeige einer Straftat bei der Polizei entrichten müsste. Öffentlich geförderte Kultur muss kostenlos und damit für jeden Menschen frei zugänglich sein!
Stadttheaterdebatte XIV: Grabowski antwortet seinen Kritikern
Ein paar Kommentare zu den Kommentaren von hier aus hinten beginnend:
Ich gehe einigermaßen regelmäßig in das Theater meiner Stadt (Wuppertal), meiner anderen Stadt (Düsseldorf), zuletzt in drei andere Häuser (Oberhausen, Berlin und München), außerdem zu Ruhrfestspielen und bald wieder Ruhrtriennale. Das ist aus jener Perspektive nix und aus dieser viel. Im Laufe der Jahre reicht es für einen fundierten Eindruck.
Lieber Christoph Backes, das ist eine interessante Frage. Ich versteh' auch den Impetus und die Idee klingt nicht nur sympathisch, sondern birgt auch Innovationspotential. Aber das scheint mir trotzdem ein Seitenstrang zu sein. Ich finde die öffentliche Trägerschaft und Steuerfinanzierung u.a. von Theatern richtig und wichtig. Mir scheinen aber auf zwei Ebenen zunehmend Legitimationsprobleme aufzutreten: Da, wo "das Theater" als Form und Medium technologisch überholt wurde und da, wo der einzelne Theaterbetrieb keine neue Bestimmung in seinem konkreten örtlichen Kontext findet. Das würde ich vielleicht nicht unbedingt a priori, aber zumindest mit mehr Wucht als alles andere angegangen sehen.
Mit einem Populismusvorwurf, der nicht sagt was das genau meint und an welchen Argumenten er sich konkret festmacht, kann ich im wahren Sinne des Wortes nichts anfangen. Leider.
Mit dem Populismusvorwurf zu meiner konkreten Benennung des Landestheaters Detmold, des National- und des Residenztheaters kann ich was anfangen. Es wäre in der Tat Populismus, wenn ich gemeint hätte, was die Kommentatoren "Iphigenie" und "theaterheute" verstanden haben: Die Schmähung der drei konkreten Häuser. So war es aber nicht gemeint, und das ist mein Fehler in der Formulierung gewesen. Ich wollte einfach nur drei willkürlich herausgegriffene Institutionen als Widerpart zum Sonntags-Tatort und auch zu seiner Massenwirksamkeit benennen. Es war keine Kritik an der konkreten Arbeit der Häuser - an keinem der drei - mea culpa.
"Soll er bitte nicht den Straßenbau der Kulturfinanzierung gegenüberstellen" ... das ist schon nahezu lustig, mir erst durchsichtige Diskussionsstrategien und anschließend das Gegeneinander-Ausspielen von staatlichen Aufgaben zu unterstellen. Lieber User "theaterheute": Wenn Sie weniger Zeit auf dem Rang des Theaters - und sie sei Ihnen gegönnt - und mehr auf dem Rang von Parlamenten verbrächten, dann wüssten Sie das: Die "Wahl" zwischen Brücke und Bühne ist keine Demagogie, sondern politischer Alltag. Und bildet auftragsgemäß gesellschaftliche Realität ab: Eine wachsende Zahl von Ansprüchen an die Öffentliche Hand und eine begrenzte Lösungsressource: Geld.
Lieber Frank-Patrick Steckel: Ich nehme es als Ausweis meiner mangelnden intellektuellen Qualität, dass ich Ihre Einlassung insgesamt und den Vorwurf an mich im Speziellen einfach nicht verstanden habe.
Liebe Inga, ich fürchte, Sie haben mich missverstanden: "Kultur für Alle" im Sinne eines universalen Auftrages der öffentlich getragenen und finanzierten Kulturinstitutionen ist aus meiner Sicht nicht erstrebens-, auch nicht erreichenswert - ungeachtet dessen, wie sehr ich Hilmar Hoffmann ansonsten schätze. Hochkultur ist ein Interessens-, Betätigungs-, vielleicht auch Verwirklichungsfeld, das auf mehr oder minder kleine (statt große) Bevölkerungsteile begrenzt bleibt. Zur pluralen, freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft gehört, dass man sich nicht für Fußball interessieren muss - und auch nicht für Kultur. Ich meine jene "Kultur", die sich in Theatern, Museen und Bibliotheken abbildet und -spielt. Doch auch bei höchst selektiver Beteiligung dient dieser "Kulturbetrieb" einem veritablen Mehrheitsinteresse: Er dokumentiert Geschichte wie Gegenwart einer Gesellschaft und ihres geistigen Lebens und ist essentiell für den Entwurf von Zukunft. Dass viele daran nicht aktiv mitwirken mögen oder können oder beides, heißt ja nicht, dass es ihnen nicht trotzdem mittelbar nützt. Es wäre natürlich schöner, das wüssten alle. Eine weitere Dimension von "Kulturvermittlung".
Danke für die lebhafte Debatte meines Artikels. Streiten Sie bitte weiter!
Stadttheaterdebatte XIV: welthaltige Texte
@ Peter Grabowski: Aber genau darum ging es mir. Warum gehen die, welche sich zur sogenannten "Hochkultur" zählen, immer davon aus, dass man "der Masse" "die Kultur" allererst vermitteln müsse? Ich persönlich gehe davon aus: Alle können denken und somit zur Gestaltung einer Kultur beitragen. Manche lassen sich bloß dummerweise von den falschen Medien und/oder Politikerpersönlichkeiten fehlleiten.

Zudem wird ja immer wieder gefragt, warum bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht (mehr) ins Theater gehen. Und Sie selbst gaben darauf doch die Antwort: Weil es dort nicht oder nicht mehr um die öffentlichen Belange der Menschen geht. Dem würde ich zustimmen. Ich plädiere damit aber nicht für ein reines "Bürgertheater", welches die Betroffenengruppen aus meiner Sicht oftmals leider eher wie im Zoo ausstellt und sie gerade dadurch in ihrem Potential der Eigenbeteiligung unterfordert. Mir geht es vielmehr auch und vor allem um eine gute Stückauswahl, um Texte, welche bis heute das Leben aller spiegeln können. In den richtigen und spannenden Texten steckt die Welthaltigkeit des Theaters! Man muss nur fähig sein, das auch aus den Stücken herauszulesen und diese nicht nur oberflächlich, also über die Form der Ästhetik, zu aktualisieren. Denn die Sprache öffnet sich immer wieder in die Gegenwart. Auch wenn sie sich den Lesenden und/oder Spielenden zunächst auch versperren mag. Dafür braucht's dann Überzeugungsarbeit: Ja, das hat was mit eurem Leben zu tun! Und schon tut sich was, da bin ich mir beinahe sicher.
Stadttheaterdebatte XIV: bringt relativ wenig
Lieber Herr Grabowski, beinahe hätte ich geschrieben, sie mögen diese Brücke und Bühne Debatte bitte den politischen Gremien überlassen, die ich (leider) sehr oft besuche - deshalb kenne ich die Realitäten nur allzu gut. Man darf das auch benennen, aber ich hätte mir von Ihnen einen entsprechenden Kommentar dazu gewünscht. So sagen Sie nur: seht her, ich kenne die Diskussionen, die Notwendigkeiten und die Nöte der Politik - im Sinne des Theaters bringt das relativ wenig - und ich glaube auch kaum, dass Herr Kosminski oder sonst ein verantwortungsbewusster Theatermacher darüber aufgeklärt werden muss.
Stadttheaterdebatte XIV: Link
Von wegen Bedeutungsschwund...
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wm-versus-theater-sibylle-berg-ueber-deutsche-kultur-a-974554.html
Stadttheaterdebatte XIV: Theater ist nicht Fußball
@bobby Ja, ja, "Mehr-Menschen-in-Theatern-als-beim-Fußball" - ein noch größeres Märchen als das eh schon Absurde von den "Mehr-Menschen-in Museen-als-beim-Fußball". Das war übrigens eine lustige Erfindung des vormaligen Kulturstaatsministers Bernd Neumann, die er nach kurzer Bedenkzeit ganz zügig sogar aus den entsprechenden Pressemitteilungen tilgen ließ. Die deutschen Bühnen haben im Jahr laut Statistik des Deutschen Bühnenvereins um die 21 Millionen Zuschauer. Allein die Stadien der 1. und 2. Bundesliga zählen 19 Millionen Besucher. ein Vergleich würde aber - wenn überhaupt - nur irgendeinen Sinn ergeben können, wenn er neben "die Bühnen" auch "den Fußball" stellte. Das sähe allerdings gar nicht gut für die Darstellende Kunst aus, denn es gibt in Deutschland allein dreieinhalb Millionen aktive Fußballer (nicht DFB-Mitglieder, das sind fast doppelt so viele). Wenn nur diese Aktiven alle an 34 Spieltagen im Jahr selbst spielen ... das können sich ja alle selbst ausrechnen. Zuschauer müssten drauf gerechnet werden, wohl gemerkt, die sechs Millionen aus der Samstags-Sportschau und die zwei Millionen sky-Fußball-Abonnenten streng genommen wohl auch (ein Vielfaches der arte- und 3Sat-Zuschauer bei Theatersendungen).
Ich halte von diesen Versuchen nichts: Theater ist nicht Fußball, muss nicht Fußball sein, soll nicht Fußball sein. Oder GNTM, DSDS und wie die Massenvergnügungen sonst noch so heißen. Theater sollte sein reales Publikumspotential ausschöpfen, es darf sich natürlich sehr gern auch neue Zielgruppen erschließen, aber da wie dort vor allem RELEVANZ haben: Diskussionen befördern, Entwürfe transportieren, auratische Erlebnisse schaffen. Die "Bürgergesellschaft" meint in diesem Zusammenhang übrigens nicht die soziale oder ökonomische Spitze eines Gemeinwesens, sondern all jene, die am zivilen Diskurs interessiert, im besten Falle sogar aktiv daran beteiligt sind und sein wollen - Bürger eben.
Zuletzt: Ich schätze Sybille Berg, als Autorin, Zuspitzerin, One-Linerin, sehr. Aber selbst in den paar Zeilen ihrer Kolumne steht gut ein halbes Dutzend nachweislich falscher Tatsachenbehauptungen, Fehlbegrifflichkeiten und herbeigezerrte Analogien. Und was eine sehr begabte Künstlerin von einem bestimmt sehr guten Opern-Intendanten angeblich über die deutsche Kulturstatistik gehört hat, ist jetzt vielleicht nicht sooo die Riesenreferenz für eine Sachdebatte. Trotzdem natürlich immer erfrischend, Frau Berg. Allein die Melodie ...
Stadttheaterdebatte XIV: Feuilleton sitzt nicht im selben Boot
@ theaterheute Den ersten Teil Ihrer Einlassung habe ich nicht verstanden, sorry. Und in der Folge weiß ich dann nicht, welchen Kommentar Sie sich da denn von mir wünschen: Dass ich das doof finde, dass Politiker realitätsflüchtig sein sollen, dass das Bewusstsein das Sein bestimmen sollte und die Erde eine Scheibe? Mir unklar. Zuletzt: Dass meine Arbeit "im Sinne des Theaters etwas bringt" - um das mal ganz klar zu stellen - hat für mich auftragsgemäß keine Priorität. Ich bin Journalist und nicht die PR-Abteilung des Kultursektors. Das ist aber auch so ein Missverständnis des Kulturbetriebs, dass das Feuilleton mit ihm in einem Boot säße. Ich höre schon das Geschrei aus Kunst und Kultur, wenn Caren Miosga, Thomas Roth und Ines Pohl so ein Selbstverständnis erklärten: Wir sitzen mit der Kanzlerin in einem Boot! Lustige Vorstellung, eigentlich ...
Stadttheaterdebatte XIV: den Hinterwäldlern ins Horn getutet
Verehrter Herr Grabowski, Sie fragen, wie der Populismus-Vorwurf eines Kommentators sich begründet? „Soziale Realität wird massenwirksamer im ARD-Tatort verhandelt als auf irgendeiner Stadttheaterbühne.“ Das ist Populismus (= Nachbeten oder Nachschreiben verbreiteter Vorurteile), und zwar in gleich mehrfacher Hinsicht, aber ich will mich kurz fassen: Die zweifelhafte innere Beschaffenheit unserer Sicherheitsapparate ist nicht Gegenstand der ARD-Tatorte, Aufgabe des Theaters ist nicht die massenwirksame Verhandlung sozialer Realität. „Wenn der öffentliche Kultursektor seine bisherige Finanzierung behalten oder gar mehr will, sollte er sich dringend überlegen, wie er wieder – oder ganz neu – relevant wird.“ Und wie steht es mit Ihrer Relevanz, verehrter Herr Grabowski? Sie erschöpft sich in der litaneihaften Wiederholung solcher Floskeln. Betrachten Sie den Spielplan des Schauspiels im Mannheimer Nationaltheater für die Spielzeit 2014/15 – ich behaupte, daß Sie, verehrter Herr Grabowski, in diesen Monaten nichts schreiben oder sagen werden, was mit der Relevanz des dort Angekündigten auch nur annähernd Schritt halten kann. „Wer verhindert denn diese offene Diskussion? Die angesprochenen Ministerinnen Wanka, Grütters, Bauer und der Minister Stoch sind ganz sicher nicht unter den Verdächtigen. Mir fällt auch bei längerem Nachdenken niemand ein.“ Ihnen kann geholfen werden: Die Angeschriebenen gehören ausnahmslos zu den politischen Apparaten, die jene Verarmung der Öffentlichen Hand und den damit einhergehenden Verfall aller Infrastrukturen zu verantworten haben, deren Gipfelpunkt, da hat Kosminski völlig Recht, die in einem Verfassungstext deplazierte „Schuldenbremse“ markiert. Das Hauptinstrument ist eine Zange aus gezielten Steuersenkungen auf der einen Seite („Dass man auf Kapitaleinkünfte (Zinsen, Dividenden usw.) bloß noch 25 Prozent Abgeltungssteuer zahlen muss, während Arbeitnehmer bis zu 42 Prozent Lohn- bzw. Einkommensteuer entrichten müssen, ist eine schreiende Ungerechtigkeit“, schreibt Chr. Butterwegge heute im „Tagesspiegel“!) und Sparregulatorien auf der anderen. Sie schreiben "Die Politik" sieht diese Probleme übrigens sehr wohl - die Kulturpolitik sowieso. Aber für Regierungen und Parlamente ist das ein Finanzierungsproblem von vielen.“ Lieber Herr – die Politik, die Regierungen und Parlamente, sehen nicht bloß, sie erschaffen diese Probleme – und das berüchtigte TTIP-Abkommen wird gar gleich hinter verschlossenen Türen verhandelt („Wer verhindert denn...?“). Die begünstigten Wohlhabenden erschaffen sich parallel dazu derweil ihre eigenen Infrastrukturen. „Allein in den letzten sechs Jahren, also seit Ausbruch der sogenannten Finanzkrise, sind die öffentlichen Kulturhaushalte in Deutschland von ca. acht auf aktuell mehr als zehn Milliarden Euro gestiegen. Das sind 25 Prozent Zuwachs.“ Wenn Sie die Güte hätte, sich anzusehen, wohin diese Gelder fließen (z.B. hier: https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/der-bund-erhoeht-den-kulturetat-um-90-millionen-euro), dann wüßten Sie, daß derart pauschale Ansagen zwar keine Lüge sind, ihr aber sehr nahekommen, denn:
„ Zuschüsse zu Investitionen (!) erhält unter anderen das Bismarck-Denkmal (6,5 Millionen Euro) in Hamburg“ oder „Im Rahmen von „Aktionsplan Ukraine“ erhält die Rundfunkanstalt Deutsche Welle 3,5 Millionen Euro für die Ausweitung der TV- und Online-Berichterstattung in Russisch und Ukrainisch.“ Und schließlich stellen Sie fest „Es zeugt aber nicht gerade von demokratischem Geist, der Mehrheitsgesellschaft vorzuwerfen, dass sie mit ihrer "Kulturferne" zwar in der Mehrheit sei, aber darin irre.“ Arturo Toscanini schrieb irgendwo „Seien wir Demokraten im Leben, aber Aristokraten in der Kunst.“ Daß unser Bürgertum, zu rückständig, um eine Nation zu bilden, von der Aristokratie 100 Theater erbte, an denen es schon bald das Interesse verlor (Lessing weiß, wovon ich spreche), nun auch niemand anderem mehr einen ausreichend subventionierten Sitzplatz gönnen will, stellt nur einmal mehr seine hinterwäldlerische Beschaffenheit unter Beweis. Einlassungen wie die Ihre, werter Herr Grabowski, tuten in das Horn dieser Klientel und sind mit allem Nachdruck zurückzuweisen.
Stadttheaterdebatte XIV: Kulturbetrieb braucht Unterstützung
@Peter Grabowski Was gibt's denn im ersten Teil meiner Einlassung nicht zu verstehen? Sie unterstellen mir, ich sei wohl mehr im Theater als in Parlamenten und ich antworte Ihnen: ich bin auch in den Parlamenten und weiß deshalb besser als Sie denken, von was Sie sprechen. Ich weiß auch, dass Sie Journalist sind, dennoch kann ich mir ja wünschen, Sie würden nicht zu oft das Wort "auftragsgemäß" verwenden, wenn Sie solche altbekannten politischen Argumentationsschienen wiederkäuen, sondern - von mir aus aus Ihrer Journalisten-Sicht - damit irgendetwas bewirken wollen. Sie sind ja wohl nicht als Söldner unterwegs, der Kulturschaffenden Leviten liest, die sie schon kennen. Um es ganz im Geiste Morrisseys überspitzt auszudrücken: dem Kulturbetrieb Realitätsferne zu unterstellen ist realitätsfern! Im Übrigen hinkt Ihr "ein Boot" Vergleich ganz gewaltig: der Kulturbetrieb ist aber so überhaupt nicht mit der Kanzlerin zu vergleichen. Der Kulturbetrieb gehört keiner Partei an und muss nur bedingt gewählt werden. Er bedarf bloß der Unterstützung. Nicht zuletzt durch Journalisten(die Kosminski in seinem Appell ganz nebenbei auch zurecht als schützenswerte Spezies miteinschließt).
Stadttheaterdebatte XIV: Was "Der Banker" sagt
Nachtrag: „Ich meine, ich verstehe, warum das so sein muß, aber wie schnell diese Entscheidungsprozesse funktionieren... daß man über ’n paar hundert Millionen in der Kultur jahrelang streitet, aber für ’ne Bankenrettung mal eben 100 oder 200 Milliarden über ’n Wochenende...“ - (der Ex-Banker macht eine wegwerfende Geste und gibt dazu einen verächtlichen Laut von sich) - „...das geht. Das ist schon irgendwie faszinierend.“ (Der ehemalige Investmentbankier Rainer Voss in Marc Bauders Dokumentarfilm DER BANKER)
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