Fort mit dem Schuft

von Thomas Miessgang

Wien, 25. Juni 2014. Also sprach Zarathustra zur Sonne: Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken. Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres Reichthums froh geworden sind. Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn! Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.

Und so ging Georg Springer unter, überraschend schnell und doch keine Sekunde zu früh. Er habe sich zu dem Schritt entschlossen, "um eine Versachlichung der Diskussion um die Bundestheater-Holding zu ermöglichen". Der Druck auf den mächtigen Kulturmanager, der im März rund um die fristlose Entlassung von Matthias Hartmann symbolisch eine Mitverantwortung am finanziellen Burgtheater-Desaster eingestanden hatte und trotzdem der Meinung war, er könnte bis zum Antritt seiner Pension Ende des Jahres einfach weitermachen, hatte sich in den letzten Wochen dramatisch erhöht. Da gelangten Dokumente an die Öffentlichkeit, die zuvor vom Kulturministerium unter dem Hinweis auf Datenschutz, Staatsräson pi pa po sorgfältig unter Verschluss gehalten worden waren.

drspringer 560 nancyhorowitz uGeorg Springer, Ex-Chef der Bundestheater-Holding, tritt zum 30. Juni zurück – "um
eine Versachlichung der Diskussion um die Bundestheater-Holding zu ermöglichen",
wie er selbst sagt.  © Nancy Horowitz

In einem Gutachten des Anwaltes Thomas Angermair von der Kanzlei Dorda Brugger Jordis, das von Minister Josef Ostermayer in Auftrag gegeben worden war und die Entlassung von Matthias Hartmann begründete, wird der Verdacht geäußert, dass Springer "über Wissen hinsichtlich der Lage des Burgtheaters verfügte, welches die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats der Burg nicht besaßen." Und: "Die im Zuge des RH-Berichts bekannt gewordenen Umstände über das Verhalten von Springer sind grundsätzlich geeignet, eine Vertrauensunwürdigkeit zu begründen." Es sei nicht auszuschließen, dass der Chef der Bundestheater-Holding "von den Praktiken der ehemaligen kaufmännischen Burgtheater-Geschäftsführerin Sylvia Stantejsky – insbesondere etwa aus dem Kontakt mit diversen Künstlern – zumindest Kenntnis hatte." Dass die Mängel im Burgtheater "tatsächlich über Jahre bestanden, lässt den Verdacht aufkommen, dass von Springer keine wirksamen Maßnahmen zu deren Beseitigung ergriffen wurden und er seinen (...) Pflichten (...) nicht vollständig gerecht wurde." Dies ist bei allen rhetorischen Relativierungsformeln ein vernichtendes Urteil und gewinnt noch zusätzlich dadurch an Brisanz, dass Josef Ostermayer, wie Hartmanns Anwältin Katharina Körber-Risak insinuiert, offenbar bereits seit April über diese Sachverhalte informiert war.

Die größte Kulturkatastrophe der Zweiten Republik

Am Beginn seiner Amtszeit wurde der Minister gefragt, wie er denn die Burgtheater-Krise zu lösen gedenke. Seine Antwort damals: "Mit Matthias Hartmann. Und mit Georg Springer." Von Hartmann ist er dann in rekordverdächtiger Schnelligkeit abgerückt, an Springer hielt er bis zu dessen Rücktritt fest. Und auch zu seinem Abgang, der formell am 30. Juni erfolgen wird, fallen ihm nur schöne Worte ein: Er respektiere die Entscheidung von "Dr. Georg Springer", die "ein großer Schritt" sei: "Ich danke ihm für seine Arbeit in den letzten Monaten, die zur Beseitigung der vergangenen Krise im Burgtheater beigetragen hat."

Dieser politischen Kasuistik nach der Logik: Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche, wollte sich die Öffentlichkeit allerdings nicht anschließen, wie man an den Postings zu den Berichten über Springers Demission ablesen kann: Von "kultureller Beulenpest" ist da die Rede, von einem "Kulturpfuhl" und einem "Augiasstall". Ein Poster zieht knochentrocken das Fazit: "Wieder ein SPÖ-Bandit, der in die Luxuspension entsorgt wird."

Die politische Opposition entschlägt sich zwar solcher herber Formulierungen, kommt aber zu einem ähnlichen Befund. Beate Meinl-Reisinger, Kultursprecherin der liberalen Gruppierung NEOS im Nationalrat, meint: "Gut, dass Georg Springer letztendlich doch noch Verantwortung für die Malversationen am Burgtheater und das Missmanagement in der Holding übernimmt." Und Wolfgang Zinggl von den Grünen spricht von einem "überfälligen Schritt", der es möglich mache, mit großer Zeitverzögerung herauszufinden, wer neben den bereits dingfest gemachten Sündenböcken Hartmann und Stantejsky noch in die größte Kulturkatastrophe der Zweiten Republik verstrickt sei: "In Österreich glaubt man ja gern, Strukturprobleme auf der Personalebene lösen zu können. Diesen Fehler sollten wir im Zusammenhang mit dem Burgtheater nicht machen." Zinggl ist der Meinung, dass das ressortzuständige Kulturministerium, im besonderen Ostermayers Vorgängerin Claudia Schmied (SPÖ) wesentlich mehr über die fragwürdige finanzielle Gebarung des Burgtheaters wusste als in der Öffentlichkeit zugegeben wurde und deshalb zur Verantwortung zu ziehen sei: "Es besteht jede Menge Aufklärungsbedarf, spannende Monate liegen vor uns."

Ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft

Der Rücktritt von Georg Springer erfolgt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Christian Strasser, der Aufsichtsratsvorsitzende der Burg, der diesen Posten vom Holding-Chef geerbt hatte, lauthals hinausposaunt hatte: "Die Krise ist vorbei." Der neu bestellten Interims-Direktorin Karin Bergmann war es gelungen, Ruhe ins aufgewühlte Ensemble zu bringen und einen akzeptablen Spielplan für die kommende Saison zu präsentieren – allerdings entpuppte auch sie, eine Veteranin der Epochen Peymann und Bachler, sich – siehe Stantejsky – als Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft: Bergmann musste der Öffentlichkeit erklären, warum ihr Mann, der bekannte Architekt und Designer Luigi Blau in ihrer Zeit als Stellvertreterin Klaus Bachlers gar so viele Gestaltungsaufträge für die Burg erhalten hatte und wie die seltsamen Zahlungen des Chefs auf ihr Konto in seinem letzten Jahr als Direktor von Österreichs Nationaltheater zustandegekommen waren.

karin bergmann c reinhard werner uInterimsintendantin an der Burg:
Karin Bergmann © Reinhard Werner
Doch galten solche kleinen Ungereimtheiten als Peanuts im Vergleich zu der herkulischen Aufgabe, den vom Kurs abgekommenen Großtanker der österreichischen Theaterlandschaft wieder in friedlichere Gewässer zu navigieren. Bergmann und ihr Team präsentierten einen 100-Punkte-Plan, um die marode Burg zu sanieren – sowas klingt immer gut. Und schon wenige Wochen später wurde so getan, als ob nun wieder alles paletti sei. Christian Strasser präsentierte nach einer "erfreulichen und positiven" Aufsichtsratssitzung Mitte Juni ein Bündel von Zahlen, das die neue Spargesinnung untermauern sollte: Kostensenkungen bei Neuproduktionen: 0,8 Millionen Euro, Einsparungen im Personalbereich und bei den Material- und Betriebskoten: je 1,14 Millionen Euro. Durch die 'Neugestaltung' der Kartenpreise Mehreinnahmen von 0,6 Millionen Euro. Fazit: "Dank Einsparungen in der Höhe von 4,2 Mio. Euro konnte ein ausgeglichenes Budget vorgelegt werden." Wie das bei einem kolportierten Budgetdefizit von mehr als 20 Millionen Euro gehen soll, erschließt sich einem nur in den Grundrechenarten bewanderten Feuilletonisten nicht. Aber im Präsentieren komplizierter Zahlenwerke, die vor allem dazu dienen, unerfreuliche Sachverhalte zu verschleiern, war die österreichische Kulturbürokratie immer schon große Klasse.

Eine Maßnahme spült, allerdings im Sinne eines Einmaleffektes, tatsächlich Geld in die Kassen: Der Verkauf der Probebühne im Arsenal für 7,5 Millionen Euro an die Theaterservice-Firma Art for Art, die ebenfalls zur Bundestheater-Holding gehört. Was die konzerninterne finanzielle Umschichtung letztendlich bringen wird, ist allerdings äußerst zweifelhaft. Art for Art dürfte jedenfalls ziemlich klamm sein, klagt über eine deutliche gesunkene Nachfrage nach ihren teuren Leistungen im Bereich Bühnenbild und Kostüme von Seiten der Bundestheater und kündigt Entlassungen an. Insider sprechen von 40 bis 50 Dekorateuren, Malern, Tapezierern, Tischlern und Bildhauern, die demnächst ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Geschäftsführer Josef Kirchberger, so wie Springer ein altgedienter Günstling der Sozialdemokratie, will diese Zahl nicht bestätigen, sagt aber, dass es "viele" seien: "Ich habe deshalb schlaflose Nächte." Er wird diese Insomnie wohl überleben, angesichts der Tatsache, dass niemand daran denkt, sein Gehalt zu kürzen oder seine Pension zu beschneiden.

Die Krise ist vorbei? Die Krise beginnt gerade erst!

Im Lichte dieser Faktenlage von einem Ende der Burgkrise zu sprechen, ist also reichlich frivol. In Wahrheit scheint sie noch nicht einmal richtig begonnen zu haben und sich wie ein Virus auf die anderen Betriebe der Holding auszubreiten. Und im Hinblick auf die Prozessflut, die sich ab dieser Woche über die Öffentlichkeit ergießt – Hartmann gegen die Republik, das Burgtheater gegen Hartmann, Stantejsky gegen das Burgtheater etc. – ist damit zu rechnen, dass noch allerhand Staub aufgewirbelt wird, den man doch eigentlich unter den Teppich kehren wollte.

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Kulturminister
© Johannes Zinner
Vor allem könnte Josef Ostermayer, der im Falle der fristlosen Entlassung von Matthias Hartmann für sein unösterreichisch schnelles und konsequentes Handeln noch gelobt wurde, in Bedrängnis geraten, wenn sich herausstellte, dass die Entlassung Hartmanns arbeitsrechtlich keinen Bestand hat und bis zu zwei Millionen an Gehältern, Honoraren und sonstigen Aufwendungen gezahlt werden müssten.

Ein erheblicher Schönheitsfehler bei der Erstellung des Gutachtens, das zur überstürzten Trennung vom Direktor des Burgtheaters geführt hat, lässt jedenfalls darauf schließen, dass die Sache nicht so glatt über die Bühne des Arbeitsgerichts gehen dürfte, wie die Regierung sich das vorgestellt hat. Vor kurzem wurde nämlich ruchbar, dass Thomas Angermair, der Anwalt, der im Auftrag von Bundesminister Ostermayer sowohl das Springer-Gutachten wie auch die Hartmann-Expertise anfertigte, ein sehr spezielles Verhältnis zum Burgtheater-Chef hatte. Denn er war schon im November des vergangenen Jahres vom Burg-Chef kontaktiert worden, der juristischen Rat und Hilfe in einer "belastenden und rechtlich schwierigen" Situation suchte. Hartmann ahnte damals wohl schon, dass sich über seinem Kopf Unheil zusammenbraute, das mit der Entlassung von Silvia Stantejsky alleine nicht abzuwenden war. Angermair teilte ihm zwar mit, dass er ihn nicht vertreten wolle, wenn es zu einem Prozess "Burg gegen Hartmann" käme, da er schon früher für das Theater tätig gewesen sei, dass er ihm jedoch trotzdem alles mitteilen könne, was ihn umtreibe, da er der anwaltlichen Schweigepflicht unterliege. Was dann in einem 45 Minuten dauernden Gespräch auch geschah, in dem Hartmann den Juristen umfassend über seine Probleme mit Bilanzdefizit und Finanzgebarung informierte – bis hin zur Steuerproblematik im Zusammenhang mit den Vorbereitungshonoraren, die er noch als Schauspielchef in Zürich bezogen hatte – der Burgprinzipal erstattete später bekanntlich Selbstanzeige wegen nicht erfolgter Steuerleistung.

Es hat schon einen gewissen Odeur, dass ausgerechnet Angermair, der Vertrauensmann des Burgtheaterdirektors, wenige Monate später ein Gutachten verfasst, das aller Wahrscheinlichkeit nach auf Insiderinformationen beruht und in dem der Anwalt zu dem Schluss kommt, dass Hartmann seines Amtes zu entheben sei, der Aufsichtsrat jedoch korrekt gehandelt habe. Hartmanns Anwalt Georg Schima ist jedenfalls der Meinung, dass Angermair "diesen Auftrag niemals hätte annehmen dürfen" und brachte beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien eine Anzeige gegen den Kollegen ein. Doch was immer dabei herauskommen mag: es hat keine zivilrechtlichen, sondern nur standesrechtliche Konsequenzen. Und ehe ein Jurist von der Anwaltsliste gestrichen wird, muss viel Wasser die Donau hinunterfließen. Die Causa ist also in erster Linie eine Frage der Ehre und des Anstandes. Doch diese Kategorien spielen in den Auseinandersetzungen um das Burgtheater keine Rolle mehr.

matthias-hartmann 280 reinhard-wernerTrug Banknoten im Plastiksackerl umher:
Matthias Hartmann © Reinhard Werner

Längst hat sich die Tragödie in eine Farce verwandelt. Noch kurz vor dem Abgang Georg Springers wurde bekannt, dass Matthias Hartmanns Chauffeur seinen Chef wegen nicht bezahlter Überstunden klagen wolle, die im Übrigen vorwiegend im Rahmen von Privatfahrten entstanden seien. Dieser schoss unverzüglich zurück: Der Chauffeur sei zweimal am Steuer eingeschlafen. Deshalb habe er ihn gefeuert und die Klage sei nun wohl das Revanchefoul. Eine Geschichte, die gut zu jenen anderen Anekdoten passt, die im Zuge der Burgkrise kolportiert wurden. Etwa den ominösen Schüssen, die vor einigen Monaten auf den geparkten Porsche Hartmanns abgefeuert worden sein sollen. Oder die Bankenphobie des Theatermachers, die es ihm unmöglich machte, ein ganz normales Gehaltskonto zu eröffnen und ihn dazu brachte, wie der Dichter Franzobel schrieb, "mal so eben mit € 200.000 im Plastiksackerl aus der Burg zu marschieren."

Geisteskontinent Österreich: Proporz, Korruption, Nepotismus

Die Groteske, die sich rund um Österreichs erste Bühne entfaltet, ist für Personen, die mit dem Wesen des Wienerischen nicht vertraut sind, kaum nachzuvollziehen: Für sie mag sich die Burg wie ein normales Theater darstellen. Etwas prunkvoller vielleicht als die Westfälischen Kammerspiele und finanziell deutlich besser ausgestattet. Aber eben doch: ein Theater. Für den geborenen oder assimilierten Wiener hingegen ist das Haus am Ring weit mehr: ein Pfeiler in der Identitätspolitik der Zweiten Republik, ein architektonisches Mahnmal jenes "repräsentativen Kulturalismus", der unter der geistigen Führung der ÖVP in den Fünfzigerjahren quasi zur Staatsideologie ausgebaut wurde und die territorialen und politischen Schrumpfungsprozesse des Landes aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts symbolisch kompensieren sollte. Er beruhte im wesentlichen (und im Kern bis heute) auf der Idee der "begnadeten Meister": "Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Burgtheater, Staatsoper, Philharmoniker, und Salzburger Festspiele" – so stand es 1955 in einer "Vaterlandkunde" für die Schulen. Der unbequeme Historiker Friedrich Heer sprach mit milder Ironie vom "Geisteskontinent Österreich".

Mit dem festlichen Staatskulturdenken einher ging die politische Praxis des Proporzes, des Zusammenschlusses der beiden großen Lager, repräsentiert durch die christliche Volkspartei und die Sozialisten respektive Sozialdemokraten, die sich im Bürgerkrieg 1934 noch unversöhnlich gegenübergestanden waren. "Die Notwendigkeit, die Gewalttätigkeit der Ersten Republik in einem allumfassenden Konsens zu ersticken", schreibt der Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter Armin Thurnher, einer der besten Analytiker österreichischer Perfidien und Paradoxien, "führte unter den Bedingungen eines überproportional starken staatlichen Sektors zu einer alles umfassenden und feinst ausbalancierten Aufteilung zwischen Schwarz und Rot."

So konnte sich der Zwergenstaat unter einem nicht unerheblichen Anteil an Korruption und Nepotismus ökonomisch entfalten. Den Menschen ging es gut, der soziale Friede war gewährleistet, 1968 fand nur als "heiße Viertelstunde" (Fritz Keller) statt. Das "neue Österreich" entwarf sich als Insel der Seligen, auf der Kunst und Kultur als Wohlfühlprogramm verstanden wurden. Ein zum Gähnen wohlgefälliges Gemeinwesen. Wer allerdings nicht mitspielen wollte wie beispielsweise die Wiener Aktionisten, die Kunst eher als Stachel im Fleisch interpretierten, der musste ins "Land'l", ins Wiener Landesgericht, einrücken oder wurde gleich wie ein Schuft aus der Stadt gejagt.

Die Bundestheater – mal Bollwerke, mal Pulsmesser

Dass alles, was mit Burg und Oper zu tun hat, vor allem das Negative, unverzüglich zur Haupt- und Staatsaffäre wird, hat also mit der Raison d'Être der Zweiten Republik zu tun und ist aus diesem Blickwinkel nachvollziehbar – obwohl man sich 60 Jahre, nachdem der letzte russische Besatzungssoldat das Land verlassen hat und Putin gerade wie der Papst empfangen wurde, auch einmal ein neues kulturpolitisches Programm ausdenken könnte. In ihren schlechtesten Momenten waren die Bundestheater Bollwerke eines reaktionären Staatskulturverständnisses, in ihren besten, wie etwa in der Ära Peymann, diagnostische Instrumente, mit denen man der jeweiligen Epoche den Puls fühlen und ihren Bluthochdruck messen konnte. "Mit dem Skandal um das Stück 'Heldenplatz' ist es Claus Peymann und Thomas Bernhard gelungen, weit über das Theater hinaus zu wirken, gewissermaßen das ganze Land zu inszenieren – und zur Kenntlichkeit zu entstellen", sagte vor kurzem die Publizistin Sigrid Löffler in einem Radio-Interview zum Burgtheater.

Die Ära Hartmann war im Vergleich zu solchen Exzessen der Erkenntnis und der Wahrhaftigkeit ohnehin schon eine Schwundstufe. Dass ihre Abwicklung sich nun aber in der typischen Wiener Melange aus Brett'l vor dem Kopf und Hackl im Kreuz vollzieht, hat mit einer mentalitätsgeschichtlichen Tradition zu tun, die der leider vergessene Jurist und brillante Feuilletonist Walther Rode auf die geistige Innenausstattung der Habsburgerzeit zurückführt: "Jede herrschende Kaste, und das war die österreichische Bureaukratie nicht minder als die zaristische, nicht minder als die preußischen Junker und die magyarischen Magnaten, welche alle vier zu zertrümmern der Sinn des Weltkrieges gewesen zu sein scheint, ist exklusiv, befolgt ihr eigenes Ausleseprinzip und nimmt nur das in ihren Schoß auf, was Geist von ihrem Geist, Fleisch von ihrem Fleische ist oder es wenigstens über sich bringt, ihre Grimasse aufzusetzen."

"Mir lossn uns kan ausseschiaßn"

Es ist das Wesen dieser "Bureaukratie", das auch heute noch, über alle Systemwechsel und politischen Paradigmenumschichtungen hinweg, in den prunkvollen Palais' der Wiener Innenstadtbezirke waltet, und das zeitgenössische Leben mit seinem Mehltau bestäubt. Ein postfeudaler Lebensentwurf, der geistiges Mittelmaß mit neopompöser Grandezza morganatisch vermählt und nur seine typologische Kontur modernisiert hat. Aus dem Rode'schen Präsidialisten, "dem angekommenen Beamten, dem paradigmatischen Bureaukraten, der das Scheußlichste, Stupideste und Unfruchtbarste an die Oberfläche des öffentlichen Lebens in Österreich gebracht hat", wurde der Sekretär, der die schönsten Jahre seines Lebens wie eine welke Zimmerpflanze in den Vorzimmern der Macht vergeudet, um dann, wenn er sich als parteiloyal und begrenzt fähig erwiesen hat, mit den schönsten Pöstchen und Sinekuren belohnt zu werden.

Dieser Typus reagiert, wie man am Fall Springer sehen kann, bis zur Selbstgefährdung protektionistisch – auf sozialdemokratisch heißt es: "Mir lossn uns kan ausseschiaßn" (wir lassen uns keinen herausschießen) –, wenn einer geopfert werden soll, bei dem er den gleichen Stallgeruch wittert, und bis zur Vernichtung brutal, wenn es einen treffen soll, der nicht Fleisch vom eigenen Fleische ist. Hartmann muss sich also warm anziehen, wenn er in diesem Eissturm, den er selbst entfesselt hat, überleben möchte.

Wir aber verabschieden uns angesichts der stetig anschwellenden Zeugenlisten in den Burgtheaterprozessen – die Richterin seufzte bereits bei der ersten Tagsatzung: "Das wird uns Jahre beschäftigen" – mit einem Wort, das die Zeitschrift Profil dem österreichischen Bundeskanzler Werner Feymann in den Mund gelegt hat: "Ad multus anus."

 

miessgang thomas 110 hans hochstoeger xThomas Miessgang, geboren 1955 in Bregenz / Österreich, Dr. phil. (Germanistik). Viele Jahre journalistische Tätigkeit u.a. für Falter, Profil, Die Zeit, ORF - Hörfunk. Von 2000 bis 2011 (Chef)Kurator der Kunsthalle Wien. Letztes Buch: Scheiss drauf - Die Kultur der Unhöflichkeit (Rogner & Bernhard 2013), Aktuelle Ausstellung: Die andere Seite – Spiegel und Spiegelungen in der Kunst (Belvedere Wien, 18. Juni bis 12. Oktober 2014). Foto: Hans Hochstöger

 

 

Im März 2014 kommentierte Nikolaus Merck auf nachtkritik.de die Entlassung von Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann.

Eine Chronik zur Burgtheaterkrise gibt es hier.

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