Chaos Computer Comedy

von Jan Fischer

Hannover, 29. Juni 2014. Von einer "Revolution" spricht Rainald Grebe, als er auf die Bühne kommt, mit lustig buntem Hemd und schief sitzender Krawatte. Gemeint ist die digitale Revolution. Hinter ihm auf einer Leinwand füllt sich dazu langsam, aber stetig eine Twitterwall. 

Zwei Lager gäbe es, erklärt Grebe zu Einführung, das Analoge und das Digitale, er nennt sie liebevoll: Ana und Digi. Manche Menschen seien Ana-Ana, manche Ana-Digi, und manche Digi-Digi. Er, Grebe, sei nun auf der Suche danach, was das jetzt sei, das Digitale, und vor allem, ob es ein Fortschritt sei. Die Twitterwall fährt hoch und wird bis zum Ende des Stückes nicht mehr gesehen.

Analoger Krimskrams

Grebes Suche wird wohl noch eine Weile dauern: "Das Anadigiding" ist der erste Teil von insgesamt drei Stücken, die er in den nächsten drei Jahren am Schauspiel Hannover inszenieren will. Noch hat er nicht so viel gefunden. Analogen Krimskrams, hauptsächlich, den freundliche Hannoveraner nach etlichen Aufrufen dem Stück gespendet haben.

Eine Super-8-Kamera, etwa, einen von diesen Speck-Weg-Rüttelgürteln, ein rundes Metallding, das ein bisschen wie ein Sputnik-Satellit aussieht, und manchmal eine Waschtrommel für Puppen sein soll, manchmal eine Lottozahlentrommel für den Hausgebrauch. Das alles wird von Sarah Franke, Hagen Oechel und Henning Hartmann präsentiert, während auf dem Bildschirm hinter ihnen der Kram noch einmal gezeigt wird, hübsch ausgeleuchtet, als würde er gerade im Verkaufsfernsehen angeboten werden. 

anadigiding1 560 karlberndkarwasz uIch bin ein berühmter Automat: der Schachtürke in "Anadigiding" © Karl-Bernd Karwasz

Rainald Grebe – bei "Das Anadigiding" Hauptdarsteller und Regisseur – ist hauptsächlich als liedermachender Comedian bekannt, und das merkt man dem Stück auch an, das in einer seltsamen Hybridform zwischen Stand-Up, aufklärerischer Comedy und Nummernrevue hin- und herlaviert.

Mal steht Grebe allein auf der Bühne oder versucht mitten in wild durcheinander fahrender Bühnentechnik zu erklären, wie sehr Maschinen uns bestimmen. Mal singt er Lieder. Dann wieder spielt der kleinwüchsige Klaus-Dieter Werner berühmte Automaten nach, wie etwa den Schachtürken. Oder Franke, Oechel und Hartmann erzählen von ihren ersten Erlebnissen mit digitaler Technik – Kassettenrekorder beispielsweise, oder gigantische Handys – während sie an ein Oszilloskop angeschlossen sind.

Nostalgisch verklärt

Zwischendrin rollt Werner immer mal Dioramen auf die Bühne, die in kleinen Kästen menschlichen Fortschritt symbolisieren sollen. Steve Jobs ist dabei, ein paar Höhlenmenschen, der verzweifelte Versuch der Aufahme eines Konzertes aus dem Fernsehen ohne störende Nebengeräusche mit einem Kassenrekorder.

anadigiding 560 karlberndkarwasz uAls es noch gelbe Telefonzellen gab: "Anadigiding" © Karl-Bernd Karwasz

Grebe selbst wirkt dabei immer mehr wie einer, der es noch nicht ganz in die von ihm behauptete neue Welt geschafft hat: Grebes Witze und seine Kritik zielen sehr viel mehr auf das Digitale als auf das Analoge. Er erinnert sich eher zurück – oder lässt zurückerinnern – an damals, als alles anders war, als sich nach vorne zu orientieren und zu schauen, was es da gibt. Das Aufnehmen des Konzertes mit dem Kassenrekorder wird nostalgisch verklärt, über die Google Glasses gibt es einen Witz. Die Steve-Jobs-Schaufensterpuppe brabbelt Wiederholungen in sich hinein, die Jugenderinnerung mit dem ersten eigenen Kassettenrekorder wird zur putzigen Erinnerungen ausgewalzt.

Dropbox geknackt

Zum Ausgleich für seine Abneigung gegen das Digitale hat Grebe – und das ist der eigentliche Höhepunkt des Abends – vier Mitglieder des Chaos Computer Club Hannover als Experten eingeladen, die sich während der Vorstellung damit amüsieren, anhand von vorher freiwillig herausgegebenen Daten der Zuschauer wie Geburtsdatum, Handynummer, Sitzplatz und Namen beunruhigende Dinge anzustellen. Während der Vorstellung flimmern ständig anonymisierte Handynummern über einen Bildschirm mit Zusätzen wie "Dropbox geknackt", "Ihre Kontopin lautet: 0719", "Platz 4, Reihe 19 ist vorbestraft", "Ihre Payback-Punkte wurden auf 0 gestellt".

Das Gefälle zwischen dem lustigen Geschehen auf der Bühne und den doch tiefen Einblicken in die Möglichkeiten, die schlecht gesicherte Datenübertragung bietet, ist es, das den Abend rettet: Die einen gehen leichtfertig mit dem Digitalen um, die anderen nutzen das gnadenlos aus. Und obwohl das eher im Vorbeigehen passiert – und nur im Finale noch einmal kurz als Hellseher-Nummer aufgegriffen wird – lässt sich daraus zumindest eine Arbeitsthese für die nächsten digitalen Grebe-Abende zimmern: Digital ja, aber bitte aufgeklärt.

C3H eilt zur Rettung

Alles in Allem ist "Das Anadigiding" also unterhaltsam, und – dank des C3H – stellenweise beeindruckend. Letztendlich liegt aber der Fokus zu stark auf dem Witz, und dadurch wirkt das Stück zerfahren, chaotisch manchmal, behauptet aber vor allem mehr Anspruch, als tatsächlich drinsteckt. Während das Programmheft vollmundig Walter Benjamin, Mark Greif und Poe zitiert, bleibt das Bühnengeschehen zugunsten des Witzes dahinter zurück. Was schade ist, weil eine groß angelegte Erkundung des Digitalen auf der Bühne dann doch ein Projekt mit einer Menge Potential ist. Möglich, dass Grebes Weg in den nächsten Spielzeiten ein interessanter wird.

Das Anadigiding
Regie: Rainald Grebe, Ausstattung: Janna Skroblin, Musik: Jens Karsten Stoll, Dramaturgie: Johannes Kirsten.
Mit: Rainald Grebe, Jens Karsten Stoll, Klaus-Dieter Werner, Sarah Franke, Hagen Oechel, Henning Hartmann.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhannover.de

 

Kritikenrundschau

Dem "schweren Thema" nähere man sich hier mit "schriller Leichtigkeit", schreibt Daniel Alexander Schacht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (30.6.2014). Dabei werde die neue Digitalära aber keineswegs banalisiert. Grebe weise auf das Risiko hin, das in der Macht "intelligenter" Maschinen liege. "In Zeiten, da Computer in Nanosekunden Aktienkäufe tätigen, gerät das menschliche Maß in Gefahr." Ausgeschöpft sei das Thema mit diesem Abend noch längst nicht, aber es sei ja auch nur der erste Teil des auf drei Spielzeiten angelegten Projekts gewesen.

Der Abend sei "kein richtiges Theater, aber ein prächtig unterhaltendes Schau-Spiel", schreibt Stefan Gohlisch in der Neuen Presse (30.6.2014). Und fordere "vielfach und wunderbar verspielt zum Nachdenken auf". Die drei Akteure – "die charmante Diva Sarah Franke, Jahrgang 1985, der gern etwas verhuscht-hektisch wirkende Henning Hartmann, Jahrgang 1979 und Hagen Oechel, Jahrgang 1965, der so schön den polternden Kerl geben kann" – beschreibt Gohlisch als "Kartografen des Ungewissen". "Was kommt? Was bleibt? Das kann nur im Ungefähren bleiben." Fazit: "Es dürfte sich lohnen, Grebe noch zwei Jahre lang auf diesem Weg zu begleiten."

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