Maria Stuart - Anne Sophie Domenz lässt sich in Bremen viel Schönes für Schiller einfallen
Seifenblasenmachmaschine
von Andreas Schnell
Bremen, 28. Juni 2014. Seifenblasen, große, sehr große, wabernde, schillernde (kein Wortspiel), manchmal zwei zugleich, die aufeinander hocken, bläst die zauberhafte Apparatur am Bühnenrand. Ein schlichter Holzrahmen, eine Schüssel mit Seifenwasser auf einem Querbalken, zwei Räder, die eine Seilkonstruktion in die Schüssel absenken und wieder hinauf ziehen, dahinter ein Ventilator – ein bisschen wie ein Apparat aus Der Lauf der Dinge von Peter Fischli und David Weiss. So schlicht und – doch, doch – poetisch lässt sich bebildern, wie Träume platzen.
Besagte Maschine lässt Anne Sophie Domenz für ihre "Maria Stuart" auffahren, kurz bevor Elisabeth I zu ihrer Rivalin und Gefangenen geht. Der große Showdown, den niemand gewinnt. Schillers politisches Anliegen bleibt dabei eher außen vor. Der absolutistische Willkürstaat ist schließlich längst abgeschafft, die Sache ist erledigt. Ein paar Probleme sind aber offenbar nach wie vor akut. Domenz konzentriert sich in ihrem Bremer Regie-Debüt auf das Problem der Souveränität an sich, auf Macht also und damit auf die Möglichkeit von Freiheit. Woran das Streben nach so etwas wie Wahrhaftigkeit gekoppelt ist, nach der Authentizität des Individuums, das sich zwischen seiner öffentlichen Person und den unmittelbaren Interessen aufreibt.
Wackelpuddingköniginnentum
Als ganz zeitlos existenziell behauptet sich der Abend schon im ersten Bild, in dem Elisabeth in ein Sitzkissen gepfercht in amöbenhaften Bewegungen die Entstehung der Welt und die Notwendigkeit des Scheiterns in einem intensiven Monolog kurzschließt. Zwar ist im Weiteren einiges, wie manche der hineinmontierten Texte, in denen unter anderem die Schauspielerei problematisiert wird, oder die Wuschelperücke, die der erfolglos die Freilassung der Stuart anstrebende Ritter Mortimer zu seinem Ende aufgesetzt bekommt, eher verzichtbar, wenig zielführend.
Auf der anderen Seite aber gibt es eben, neben den Seifenblasen, auch ziemlich viele, ziemlich schöne Inszenierungseinfälle. Vom Boot, mit dem Maria Stuart vor ihrer Verhaftung samt Gefolge ausgelassen zu Madonnas Like A Virgin über die Bühne gondelt (eine Dame aus dem Publikum darf eine Runde mitfahren), bis zur Wackelpuddingpyramide, von der die zwischen royaler Rolle und individuellem Bedürfnis heftig hin und her bewegte Elisabeth auch das einfache Volk (uns) kosten lässt.
Die Rolle der Frau
In diesem Setting wissen sich vor allem zwei zu behaupten: Nadine Geyersbach stellt als Elisabeth höchst inniglich die Widersprüche der Regentin vor, und Betty Freudenberg, bislang in Bremen vor allem als Femme Fatale (und sonst nicht so viel) aufgefallen, überrascht mit einer toll bissigen, lebenssüchtigen, waidwunden Stuart – da können die Herren kaum gegenan, auch wenn sie ihre Sache mehr als ordentlich machen. Aber es geht hier schließlich nicht nur einfach so um Freiheit, sondern auch um die Rolle der Frau, die den Kampf um das Selbst und seine Verwirklichung auch 200 Jahre nach Schiller offenbar enorm behindert.
Dass es daraus kein Entrinnen gibt, sich alles im Kreis dreht – das durchzieht den Abend leitmotivisch. Eine riesige schwarze Kugel bildet denn auch die meiste Zeit das Zentrum des Geschehens, darin auf der einen Seite Maria Stuarts Kerker, auf der anderen Seite Elisabeths Hof, und irgendwann rennt die Königin gegen die Wand an und befindet sich mal auf dieser, mal auf jener Seite. Eine Gefangene bleibt sie. Und auch das Stolpern, wo es ein Gehen sein soll, das Feixen, wo es ein Lachen werden soll, das Stottern, Stolpern und Wiederholen, das Neuansetzen, gefasst in einer auch sprachlichen Schleife, die ihren Anfang am Ende des Abends wieder aufnimmt, erzählen von dieser Ausweglosigkeit. Was so gesehen dann allerdings doch weniger interessant ist als die Feststellung, dass man aus dem alten Schiller immer noch so schönes, bei aller Existenzialität reichlich kurzweiliges Schauspiel herausleiern kann.
Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Anne Sophie Domenz, Bühne: Franziska Waldemer, Kostüme: Elke von Sievers, Musik: Louise Vind Nielsen, Dramaturgie: Tarun Kade.
Mit: Nadine Geyersbach, Betty Freudenberg, Lisa Guth, Robin Sondermann, Justus Ritter, Matthieu Svetchine.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.theaterbremen.de
"Hier die von politischer Verantwortung geknechtete Kreatur, dort das luftige Pop-Sternchen, das sich in seiner hohen Geburt bequem einrichtet: Diese Setzung wirkt dann doch allzu glatt, allzu platt", findet Johannes Bruggaier in der Kreiszeitung Syke (30.6.2014) und sieht ansonsten "die üblichen Modemarotten der Theaterregie, fehlt nur stummes gegenseitiges Ohrfeigen und In-den-Schritt-gucken". Die Schottenkönigin verspiele in Anne Sophie Domenz' Deutung ihre Chancen auf Begnadigung "weniger aufgrund ihres Ehrgefühls als durch kapriziöses Gehabe". Was bei Schiller eine Frage von Anmut und Würde sei, reduziere sich hier auf ein Problem von Weinerlichkeit und Blödheit. Die Bühne werde derweil eifrig mit Symbolen zugestellt, "hinten hängen plötzlich Luftballon-Friedenstauben, links produziert ein Apparat Seifenblasen. Nur ein Requisit vermisst man schmerzlich: den Sinn."
Anne Sophie Domenz' Lesart dränge "intellektuell forsch ins zeitlos gültige", befindet Hendrik Werner im Weser Kurier (30.6.2014). Die Umsetzung sei "über weite Strecken unterhaltsam und abwechslungsreich", die Nummern seien allerdings "untereinander nur vage verbunden". An die Stelle einer schlüssigen Bündelung der dramatischen Konflikte trete eine suggestive Bilderflut. Leider traue die Produktion sich nicht, sich letztgültig zu entscheiden, "ob nun leise Seelenanatomie oder geräuschvolle Klassikerzertrümmerung auf dem Spielplan steht". Trotzdem sei sie vom Premierenpublikum sehr freundlich aufgenommen worden.
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