Lumpiges Liebesquartett

von Cornelia Fiedler

München, 10. Juli 2014. "Die Menschen mögen nicht, dass man träumt, deswegen stoßen sie einen, damit man aufwacht." Das ist einer dieser schönen, traurigklugen Sätze, die den französischen Film "Kinder des Olymp" (1945) trotz flackerndem Schwarzweiß, schlechter Tonqualität und überspannter Spielweise so seltsam berührend machen. Versucht man, all diese Sätze zu Menschen aus Fleisch und Blut zusammen zu setzen, entwischen sie einem allerdings, ein unverbindliches Schaustellerlächeln auf den Lippen.

Sie alle bleiben Typen: Vier Männer, vier Temperamente und eine Frau als Projektionsfläche all ihrer Wünsche. Baptiste zum Beispiel, jener viel gestoßene Träumer (im Film gespielt vom unvergessenen Jean-Louis Barrault), avanciert als Pantomime am Pariser Théâtre des Funambules zum Liebling des Publikums im Olymp, sprich: oben auf den billigen Plätzen. Er verliebt sich in die schöne Garance, doch letztlich fehlt beiden der Mut zu dieser Liebe. Viel Figurenentwicklung ist nicht drin, bei Baptiste ebenso wenig wie bei den anderen, und das ist eine der Herausforderungen, wenn man diese filmische Hommage ans Theater, quasi: zurück auf die Bühne bringt.

Slapstick und Emotionen

Jochen Schölch und sein Ensemble im Münchner Metropol Theater, dieser kleinen, unwahrscheinlichen, aber realen Theateroase in einem ehemaligen Kino im Münchner Norden, setzen daher auf starkes Körpertheater, slapstickhafte Situationskomik und große Emotionen, die bewusst über die Grenzen des Glaubwürdigen ausgespielt werden. All die Figuren aus dem Theater- und Varietémilieu im Paris des 19. Jahrhunderts bleiben hier Gefangene ihrer Profession, jeder auf seine Weise. Baptiste, den Philipp Moschitz mit sanfter, großäugiger Außenseiter-Verletzlichkeit spielt, schafft es zwar problemlos, Garance davor zu retten, fälschlicherweise als Diebin verhaftet zu werden, indem er in einer hinreißenden Spontan-Pantomime den eben beobachteten Uhrenklau und den längst verschwundenen Täter nachspielt. Doch jenseits der Pantomime fehlt ihm nicht nur die Ausdrucksmöglichkeit sondern auch das Vertrauen in sich und die anderen.kinder-des-olymp 560 juergen-weller xJudith Toth (vorne rechts) als Garance @ Jürgen Weller

In den Verehrer-Reigen um Garance auf der leeren Bühne mit dem leuchtend roten Vorhang reihen sich ein: Lacenaire, ein Profikrimineller mit literarischen Ambitionen, dessen gepflegter Hass auf alle Menschen außer Garance in Marc-Philipp Kochendörfers Augen eisig aufblitzt; Hubert Schedlbauer als ewig ironischer, unverbesserlich lebenslustiger Schauspieler Frédéric, ein Selbstdarsteller, der zwischen Selbst und Darstellung längst nicht mehr unterscheiden kann; und schließlich der blutleere Graf de Montray (Uli Zentner), der Garance einfach kaufen wird, als sie in eine Notlage gerät.

Stummfilmcharme und plumper Hängebusen

Spannender als die amüsanten, aber flachen Kerle ist Garance, bei Judith Toth eine starke Frau mit dunkler Stimme und eigenwilligem Humor, die offenbar im falschen Jahrhundert gelandet ist. Sie führt die Männer samt der Eitelkeit ihres Begehrens vor, einen nach dem anderen. Wie es dabei passieren kann, dass ihr Herz am tapsigen Baptiste hängenbleibt, scheint ihr selbst ein ärgerliches Rätsel.

Schölchs Inszenierung, eine Koproduktion mit den Freilichtspielen Schwäbisch Hall, lebt vom schnellen, exakt getakteten Ensemblespiel. Jeder hat zwei bis sechs Rollen. Getragen, kommentiert und konterkariert von quirliger Live-Jahrmarktmusik, entspinnen sich daraus kuriose Miniaturen mit Stummfilmcharme. Unnötig plump stechen nur die Auftritte von Vermieterin Hermine hervor, billige Lacher über einen Mann im Hängebusen-Fatsuit unterm Morgenrock hätte die Inszenierung nicht nötig.

Während der Film ständig springt, zwischen Pantomime-Auftritten im Funambules und den Ereignissen hinter den Kulissen, spielt die Theaterfassung fast nur hinter der Bühne. Damit fallen einige Momente der spielerischen Reflexion über das Erlebte, über Kunst, Traum und Wirklichkeiten weg. Zugleich treten die Protagonisten stärker in den Fokus – und wirken in ihrer Eindimensionalität plötzlich, als seien sie einfach verschiedene Seiten einer Persönlichkeit. Den Kampf um ihre so unterschiedlichen und doch ganz ähnlich naiven Vorstellungen vom Liebesglück verlieren sie alle gemeinsam – und jeder für sich allein.

 

Kinder des Olymp
nach dem Drehbuch von Jacques Prévert
Bühnenbearbeitung: Andreas Kriegenburg
Regie: Jochen Schölch, Dramaturgie: Georg Kistner, Bühne: Thomas Flach, Kostüme: Sanna Dembowski, Licht: Hans-Peter Boden, Musikalische Leitung und Komposition: Alessio Zachariades, Choreographie: Katja Wachter.
Mit: Butz Buse, Marc-Philipp Kochendörfer, Philipp Moschitz, Hubert Schedlbauer, Judith Toth, Eli Wasserscheid, Ulrich Zentner, Musiker: Alessio Zachariades, Zdravko Zivkovic/Daniel Zacher.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.metropoltheater.com
www.freilichtspiele-hall.de

 

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