Intendantenwechsel: Wenn die Angst in das Theater zieht

Mit Kritik am Greifswalder Theater wird selten gespart: es sei provinziell, die schauspielerischen Leistungen seien selten vorzeigbar und die Inszenierungen einfach nicht radikal genug. Einige dieser — zumeist zugezogenen — Theaterkritiker haben das Schauspielhaus sogar schon von innen gesehen. Doch wer dachte, dass die Zustände am Theater zementiert seien, kann sich derzeit eines Besseren belehren lassen. Vor zwei Wochen sorgte die Meldung, dass der neue Intendant Dirk Löschner einen Großteil des Ensembles austauschen würde, für helle Aufregung und wilde Spekulationen.

„GEHEN SIE DOCH NACH STENDAL, DA IST JETZT EIN PLATZ FREI!“ (PETER MULTHAUF)

Möglich wird diese Frischzellenkur dadurch, dass die Arbeitsverträge der Schauspielerinnen branchenüblich befristet sind und auf Intervention Löschners hin nicht verlängert werden sollen. Nichtverlängerungen lassen sich aus künstlerischen Gründen oder wegen eines Intendantenwechsels aussprechen, wobei der durch den Wechsel des Intendanten bedingte Verlust des Arbeitsplatzes keine negativen Auswirkungen auf die Vita der betroffenen Schauspieler entfalte, wie Löschner bei der gestrigen Sitzung des Kulturausschusses versicherte.

dirk löschner(Foto: 17vier)

Ausschussmitglied Peter Multhauf (DIE LINKE) wollte das nicht glauben und meinte, dass mit Löschners Erscheinen „die Angst im Theater eingezogen“ sei. Soziale Härten will der designierte Intendant bei seinen Personalentscheidungen zwar berücksichtigt haben, jedoch seien Löschners Einschätzung zufolge dadurch bei niemandem „nicht zu handlende“ Nöte entstanden. Multhauf  dachte laut darüber nach, wie Löschner die Einzelgespräche mit den Nichtverlängerten kommentiert haben könnte: „Gehen Sie doch nach Stendal, da ist jetzt ein Platz frei!

„KLEIN ANFANGEN UND DANN MAL SCHAUEN, WAS GEHT“ (DIRK LÖSCHNER) 

Löschner, der in der Schauspielsparte einen kompletten Neuanfang plant, möchte die Altersstruktur ändern und hier in Greifswald seine eigenen Vorstellungen von Theater umsetzen, die so neu erstmal gar nicht klingen: Theater müsse sich durch gesellschaftliche Relevanz auszeichnen, soziale Themen aufgreifen, und dürfe dem Publikum nicht hinterherlaufen. Seine Antworten auf die ihm gestellten Fragen nach dem künstlerischen Konzept der Zukunft fielen unspektakulär und ausweichend aus. Überrascht wirkte keiner der Anwesenden — wirklich zufrieden war allerdings auch niemand.

Der studierte Schauspieler und Betriebswirt erläuterte, warum zum jetzigen Zeitpunkt kein fertiges Konzept vorläge, und wies auf dessen prozesshafte Entstehung hin. Einige Ideen skizzierte er trotzdem schon. So sollen zusätzliche kleine Spielorte erschlossen werden, Laien neben Profis agieren und das Publikum auch einmal rauf auf die Bühne. Diese Pläne mögen vielleicht innovativ klingen, für das Greifswalder Theater stellen sie aber keine neue Arbeitsweise dar — erinnert sei beispielsweise an die kooperative Inszenierung von Stalker, bei der einige Mitglieder des Studententheaters gemeinsam mit Profis spielten, während die Zuschauer von der Bühne aus das Geschehen verfolgten.

stalker greifswald

Im Laufe der Diskussion merkte der designierte Intendant an, einzelne Nichtverlängerungen gegebenenfalls außer Kraft setzen zu können, betonte aber am Sitzungsende deutlich, dass dies kein Angebot für Vertragsverlängerungen sei. In absehbarer Zukunft sei außerdem auch das Musiktheater von Nichtverlängerungen betroffen.

„ICH MÖCHTE NICHT FEIND SEIN“ (KATJA KLEMT)

Die Gemüter der Theaterfreunde sind erregt und die Personalentscheidung wurde in den beiden vergangenen Wochen emotional diskutiert. Man empörte sich und kommentierte die unter anderem auf Facebook verbreiteten Hiobsbotschaften. Dabei waren die Überschriften oft einprägsamer als die tatsächlichen Inhalte und im Eifer wurden aus den Nichtverlängerungen schon mal Stellenstreichungen: „Die sparen uns doch das Theater kaputt!
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Es wurde weiterhin gemutmaßt, dass Löschner nicht nur seinen Bruder Sascha zum Chefdramaturgen machen würde, sondern gleichsam vorhabe, ein ganzes Team aus Stendal zu importieren. Der designierte Intendant kündigte gestern jedoch an, dass eine Bewerbungsrunde stattfinden würde. Dabei schloss er allerdings nicht aus, dass zum neuen Ensemble auch Schauspieler des Stendaler Altmark-Theaters gehören werden.

Denen hat Löschner jetzt ohnehin schon einen Bärendienst erwiesen, denn in Anbetracht der ausgebrochenen Empörung werden nicht wenige Greifswalder die Stendaler Importe als vom neuen Chef protegierte Arbeitsnomadinnen betrachten. Dabei wird von vielen übersehen, dass Schauspielerinnen schon viel länger zum Kulturprekariat gehören als häufig angenommen – befristete Beschäftigungsverhältnisse sind in diesem Beruf zur Regel geworden. Die scheidenden Mitglieder des Ensembles werden sich vermutlich wieder auf den überhitzten Markt werfen und an anderen Häusern die Plätze der Nichtverlängerten einnehmen müssen. Alles dreht sich im Kreis.

EXKURS: VERLUST DER „BOTSCHAFTER NACH FEIERABEND“

Im Kulturausschuss standen gestern Abend leider nur das künstlerische Konzept und die sozialen Aspekte der Nichtverlängerungen auf der Agenda. Ein weiterer wichtiger Punkt,  den Nils Dicaz in seinem offenen Brief vor zwei Wochen bereits andeutete, wurde leider nicht diskutiert: Die Nichtverlängerungen betreffen gerade jene Schauspieler, die sich in den vergangenen Jahren auch außerhalb des Theaters verdient gemacht haben und ehrenamtlich kleine Satelliten des Schauspielhauses schufen — neben dem Tresenlesen und der Kooperation mit dem Studententheater wären hier auch das Engagement beim Polenmarkt oder den Koeppentagen zu nennen.

Zu diesen Aktivisten nach Feierabend, deren Verträge nicht verlängert werden, zählt beispielsweise Katja Klemt. Deren ehrenamtliches Wirken hat nicht nur zur kulturellen Bereicherung zahlreicher Abende beigetragen und lokale Strukturen unterstützt, vielmehr verließ das Theater Vorpommern Abend für Abend in Gestalt der Katja Klemt, des Lukas Goldbach und wie sie alle heißen die heiligen Hallen, und sickerte in die Lebenswelt des Publikums ein. Diese Mitglieder des Ensembles wurden zu Botschaftern des Schauspielhauses, die den vielfach theaterverdrossenen Nachtschwärmern eine performative Visitenkarte ihres Theaters mit auf den Weg gaben — günstiger lässt sich kaum werben.

hermann brasserie katja klemt

In Greifswald gibt es nur wenige Fälle, in denen die Kooperation zwischen sozialen Gruppen institutionalisiert ist. Stattdessen bilden in der Regel enge persönliche Beziehungen die Basis für gemeinschaftliches Handeln. Wer diese Personen aus dem Ensemble entfernt, reißt damit auch die über Jahre aufgebauten Brücken ein. Löschner deutete gestern an, wie sich das Theater zukünftig entwickeln werde, und zog Parallelen zum Internet: Das Publikum solle mitmachen und einbezogen werden. Dass er gleichzeitig ein funktionierendes System sozialen Marketings abschafft, hat er dabei vermutlich noch gar nicht begriffen.

„WENN MAN VERSUCHT, DIE ERWARTUNGEN DES PUBLIKUMS ZU TREFFEN, WIRD MAN AUF KEINEN FALL ERFOLG HABEN“ (LÖSCHNER) 

Betrachtet man die Entscheidung Löschners aus abgebrühter Perspektive, so ist ihm wenig vorzuwerfen. Der Intendant hat mit der Greifswalder Stelle nicht nur eine neue künstlerische wie unternehmerische Herausforderung angenommen, sondern mit ihr auch einen umfangreichen Gestaltungsspielraum. Kulturamtsleiterin Anett Hauswald nennt das „künstlerische Freiheit“ und Löschner nimmt sich diese auch, um seine Vorstellungen im Rahmen des Möglichen umzusetzen. Dass er dabei wenig Rücksicht auf die bestehende Belegschaft nähme, verteidigt der neue Intendant und weist darauf hin, dass Nichtverlängerungen ein Mittel seien, um „beweglich zu bleiben“.

dirk loeschner intendant(Foto: 17vier)

Natürlich geht es dabei nicht nur um künstlerische Selbstverwirklichung, sondern auch um Fragen der Existenz. Dieses Problem lässt sich aus der Position des neuen Intendanten nicht auflösen, wenn er gleichzeitig versucht ist, seinen vollen Gestaltungsspielraum zu erhalten. Überspitzt ausgedrückt wurde Löschner nicht eingekauft, um die soziale Sicherheit des Ensembles zu garantieren, sondern um ein künstlerisch attraktives Theater zu verantworten — und dafür wurden ihm bestimmte Mittel in die Hände gelegt.

EINE STADT KÄMPFT UM IHR ENSEMBLE

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Als Löschner über seine Ziele in Greifswald sprach, wünschte er sich eine Stadt, die um ihr Theater kämpft. Der Intendant ahnt vermutlich noch nicht, wie schnell dieser Wunsch (wieder) Wirklichkeit geworden ist: In sozialen Netzwerken verabreden sich Greifswalder Bürger, um ihren Protest gegen die Personalpolitik zu organisieren — die ersten Plakate werden bereits heute beim Theaterfest zu sehen sein; auch performative Formen der Unmutsäußerung wurden diskutiert. Der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Kultur und Bildung wohnten ungefähr 40 Gäste bei, die dem neuen Intendanten einen grimmig dreinblickenden Empfang bereiteten.

Der neue Intendant begeisterte das Stendaler Publikum mit selbst interpretierten Chansons des alten Haudegens Jacques Brel. Er kennt das Geschäft vor und hinter der Bühne. Seinen Einstand in Greifswald hätte er kaum provokativer gestalten können, als noch vor der eigentlichen Aufnahme seiner Tätigkeit mit dem zukünftigen Publikum zu brechen. Liebe Theaterkritiker und Nörglerinnen, da habt ihr die verlangte Radikalität!

9 Gedanken zu „Intendantenwechsel: Wenn die Angst in das Theater zieht

  1. Das Tragische ist in meinen Augen, dass jetzt Schauspieler fortgeschickt werden, die sehr gut zum Konzept des neuen Intendanten passen würden. Von daher ist zu fragen, ob die normale Fluktuation nicht ausgereicht hätte, einige Schauspieler wechseln ja freiwillig nach der Spielzeit.

    Was ich inhaltlich gehört habe, gefällt mir nicht schlecht. Herr Löschner macht politisches Theater in einer Kleinstadt, kleine offene Spielformen, nah an den Leuten, viel Kinder- und Jugendtheater. Eine Bedingung von ihm war zum Beispiel, dass die vakante Stelle des Theaterpädagogen nicht gestrichen, sondern wieder besetzt wird. Das wird wohl geschehen.

    Er sollte also eine faire Chance bekommen und keine Boykottaufrufe. Und hoffentlich nochmal ins Gespräch mit dem jetzigen Ensemble kommen.

  2. Geben wir ihm die Chance, doch dass einige der besten Schauspieler_innen sogar gehen muessen wie z.B. Eva-Maria Blumentrath kann ich nicht nachvoll ziehen.

    Kinder- und Jugendtheater sind zwar ganz nett und sicherlich paedagogisch Wertvoll doch grosze schauspielerische Leistungen brauch man da nicht erwarten. Wobei das letzte Jugendtheater welches ich gesehen habe nicht schlecht war.

  3. Pingback: pom-lit
  4. Das ist ja nicht zu fassen.
    Ist die Angst vor Fremden nach all den Jahren immer noch so groß. Es ist unanständig, einen Gast nicht erst einmal freundlich zu begrüßen und unverschämt und reaktionär, den kommenden Schauspielern einen harten Gegenwind zu prophezeien wenn nicht gar zu wünschen. Da hat Dirk Löschner ja richtig Glück, dass er nicht in der BRD geboren ist, sonst würde womöglich auch diese leidige Ost-West-Debatte wieder geführt werden-

    Natürlich ist es oft schwierig für Kollegen, wenn ihre Verträge nicht verlängert werden. Aber was wäre die Alternative; Verträge auf Lebenszeit? (Eine branchenübergreifende Debatte über die Arbeitsverhältnisse in Deutschland muss an anderer Stelle geführt werden.) Und was ist mit den Schauspielen in Stendal und überhaupt allen, denen ein Intendantenwechsel bevorsteht? Es ist erstaunlich, wie kurzatmig die Solidarität zu sein scheint, wenn ihr bereits vor der eigenen Haustür die Luft ausgeht. Wir Schauspieler haben es mitunter schwer, aber es hat nie jemand behauptet, dass es einfach ist. Und die Kunst ist nun einmal kein statisches Gebilde und muss sich stets erneuern und neu erfinden.
    Deshalb würde ich mir Respekt und Vertrauen wünschen für die Kollegen, die sich mit Lust, Kreativität und Mut als neues Ensemble zusammen finden.

    „From the old you derive security. From the new you gain the flow.“
    (Bruce Lee)

  5. Pingback: Florian Leiffheidt

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