Über Sachsen-Anhalt und sein restauratives Verhältnis zur Kultur
Wo Luther begraben liegt
von Matthias Schmidt
15. Januar 2014. Es war eine kleine Sensation: Peter Sodann, der seit dem Rauswurf aus seinem "neuen Theater Halle" im Jahr 2005 verbittert schwieg, betrat Ende Dezember erstmals wieder die von ihm gegründete "Kulturinsel". Gemeinsam mit Schauspieldirektor Matthias Brenner rief er zu einer Besetzung auf und eine "Freie Kulturrepublik" aus. Allein, es ist zu spät für Proteste. Das Theater Halle wird gestutzt werden, sogar eine Insolvenz ist möglich. Dessau könnte gleich mehrere Sparten – Schauspiel und Ballett – verlieren. Eisleben darf sich ganz auf die Verabschiedung aus der Liste der Theaterstädte vorbereiten.
Seit Sachsen-Anhalt seinen Haushalt für 2014 verabschiedet hat, herrscht bei den Kulturinteressierten eine Art Schockzustand. Insgesamt rund 6 Millionen Euro weniger gibt es ab 2014 für die Theater. Als vor ein paar Tagen bekannt wurde, dass Sachsen-Anhalt das Jahr 2013 mit einem Überschuß von 120 Millionen Euro abgeschlossen hat, hatten nicht wenige im Lande die Hoffnung, man würde damit den Exodus wenigstens ein bißchen aufhalten. Der Finanzminister lehnte ab. Noch verstörender als diese Zahlenspiele ist allerdings die Kulturpolitik im "Land der Frühaufsteher". Besser gesagt, die Nicht-Kulturpolitik, denn in der Hauptstadt Magdeburg wird gerne nach Gutsherrenart entschieden. Die Opposition spricht mittlerweile offen von Feudalismus.
Lokalkolorit Vergangenheit
Dabei hatte die regierende Koalition aus CDU und SPD mit einem mutigen Schritt begonnen und beschloss, sich von einem Kulturkonvent beraten zu lassen. Doch schon bevor das von Olaf Zimmermann moderierte Gremium seinen Abschlussbericht vorlegte, verkündete die Regierung ihre Sparbeschlüsse.
Wir sparen uns früher dumm" - so wandelte der Dessauer Intendant André Bücker danach den Landesslogan "Wir stehen früher auf" ab.
Was blieb, waren ein Stapel Altpapier und fassungslose Konventsmitglieder. "Natürlich hat Sachsen-Anhalt noch reichlich Kultur. Aufschlussreich aber ist, dass es nach dem Willen der Regierung fast immer Kultur ist, die nach hinten schaut, ins Historische. Ein Gläschen Sekt auf Luther in Wittenberg und Eisleben? Gerne! Ein Theater in Eisleben? Danke, brauchen wir nicht. Wittenberg ist ja schon zu. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nannte bei dessen Eröffnung "Luthers Sterbehaus" einen "Meilenstein in der Geschichte Sachsen-Anhalts".
Ungewisse Zukunft in Halle, Dessau, Eisleben
Was wie eine rhetorische Tapsigkeit klingt, ist in Wahrheit Programm. Denn ein paar hundert Meter weiter steht die Landesbühne Eisleben vor dem Aus. Die Zuschusskürzung auf 0 Euro (in Worten: Null) konnte gerade noch abgewendet werden, doch mehr als eine Notbeleuchtung dürfte das zukünftig mit nur noch 400.000 Euro jährlich vom Land geförderte "Kulturwerk" kaum werden. Avantgarde konnte Intendant Ulrich Fischer seit Jahren nicht machen. Immerhin waren er und seine Truppe ein Hoffnungsschimmer für Leute, die abends gerne weggehen, in einer Gegend, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und Luther begraben liegt. Noch halten die kommunalen Geldgeber das Theater am Leben.
Beispiel Dessau: Stolz verkündet das Land, es werde einen Erweiterungsbau für das Bauhausmuseum mit 12,5 Millionen Euro unterstützen. Wenn er dereinst eröffnet wird, wird man auf das dann wohl geschlossene "Alte Theater" blicken. Es wird nach Millionenkürzungen kaum zu halten sein. So wie das Thalia-Theater in Halle, das man vor drei Jahren schloss, offiziell um 400.000 Euro zu sparen. Letztlich wohl auch, um die Intendantin Annegret Hahn und ihr freches Gegenwartstheater loszuwerden. Offiziell wurde nur eine Spielstätte geschlossen. Ein Blick auf den Spielplan zeigt, dass heute statt Uraufführungen und provokanter Stoffe im charmant angeschmuddelten Thalia putzige Kostümschinken in der Oper dominieren. "Reckless" statt "Clockwork Orange", sozusagen.
Beispiel Bauhaus
Das dahinter steckende Kulturverständnis sieht man auch am Fall Bauhaus. Dem amtierenden Direktor der Stiftung wurde ohne seriöse Begründung eine Vertragsverlängerung verweigert. Philipp Oswalt hatte sich seit Jahren weltweit einen Namen gemacht mit interdisziplinären und internationalen Projekten. Sein Ziel – ein Bauhaus21. Der Dank? Er wurde quasi herausgeworfen, das Vertrauensverhältnis sei gestört. Selbst dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung verweigerte Kultusminister Dorgerloh (SPD) weitere Erläuterungen. Der Beirat trat aus Protest geschlossen zurück. Die neue Stellenausschreibung lässt ahnen, wohin die Reise gehen soll. Das, was dem modernen Profil Oswalts entsprach, wurde einfach gestrichen. Übrig blieb, leicht verkürzt gesagt, die Pflege des Erbes. Stößchen, wieder einer weg, hoch lebe die Provinz! So empfinden es momentan viele Kulturschaffende des Landes.
Sachsen-Anhalt feiert Händel, ehrt Luther und regiert zugleich gegen eine lebendige Kulturszene. Es fördert die Sanierung des historischen Goethe-Theaters in Bad Lauchstädt, das genau genommen ebenfalls mehr Museum als Bühne ist, inklusive des jährlich stattfindenden "Festspiels der deutschen Sprache". Dort tritt der Ministerpräsident dann schon Mal als Sprachexperte auf und lobt nebenbei seine Politik. Was Kulturstaatsminister Bernd Neumann unlängst zu einer ungewohnt heftigen Gegenrede veranlasste.
Feudalrechte des Landes
Eine Freie Szene hat das Land kaum. Es lockt Studenten nach Magdeburg und das hippe Halle und glaubt offenbar, dass man sie mit Luther, Telemann und Händel allein langfristig halten kann. Wer sich offen gegen diese Politik äußert, den könnte bald dasselbe Schicksal wie Philipp Oswalt ereilen. Kürzlich tauchte in den zukünftigen Theaterverträgen zwischen Land und Kommunen ein neuer Passus auf, nach dem Intendanten nur noch im Einvernehmen mit dem Land berufen werden könnten. Ansonsten werde das Verfahren wiederholt. Was viele nicht anders verstehen als die Forderung nach einem devoten "Wes' Brot ich ess', des Lied ich sing".
Aber kaum jemand will dieses Lied noch singen. Der Regierung indes scheint es darum zu gehen, ihren – gelinde gesagt – restaurativen Kulturgeschmack zu pflegen. Kultur als Staatsakt, was für ein Missverständnis. Sachsen-Anhalt sucht seine Identität in der Vergangenheit und vergisst dabei, dass es als Land gar keine Geschichte hat. Fraglich, ob sich daraus eine Zukunft machen lässt.
Auszug der Berichterstattung zur Situation in Sachsen-Anhalt:
November 2013: Sachsen-Anhalt bestätigt Kürzungen für Theater Dessau
November 2013: Demonstration gegen Kürzungen in Dessau
September 2013: Twitter-Ärger für Dessaus Intendanten André Bücker
Juli 2013: Kulturstaatsminister: Museum bauen und Theater schließen "unverantwortlich"
Juli 2013: Doch Hoffnung für die Landesbühne Sachsen-Anhalt?
Juni 2013: Protest gegen Schließung der Landesbühne Sachsen-Anhalt in Eisleben
Mai 2013: Protest gegen drohenden Kulturabbau in Sachsen-Anhalt
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Hierfür wäre noch die Theater in Magdeburg und in Quedlinburg/Halberstadt denkbar. Mehr nicht. Dessau hat einfach das grundfalsche Theater-Haus, hier ist allein durch den Abriss des fehlkonzipierten Theaterhauses dem Theater zu helfen. Weder Eisleben noch Stendal verfügen über den Anflug von Urbanität. Der Rest: Ackerbürger-Rentnerstädte abgekopplt und in Traditionsvereinen versinkende Siedlungen. Von Sangerhausen bis Zeitz ein einziges Industriemuseum. Die kulturelle Wahrheit Sachsen-Anhalts ist seine Musealität. Das müssen die Theaterleute, ob sie wollen oder nicht, außerhalb der Hallenser Mauern schlichtweg zur Kenntnis nehmen. Da Theater heutzutage eh marginal für die kommunale Entwicklung geworden ist, entgegen allen kulturmanagerialen Behauptungen, müsste ein Theaterkonvent einberufen und die wirklichen Ergebnisse der Theaterarbeit in den letzten Jahren auf den Tisch gelegt werden und daraus müssten die Schlussfolgerungen gezogen werden. Völlig unsinnig ist es, aus irgendwelchen bürgerlichen Aufschreien zu schlussfolgern, in Sachsen/Anhalt sei Theater unverzichtbar. Heute ist es das.
Auf dieser Argumentationseben ist nun die Kulturpolitik der Landesregierung jeder Kritik offen, da sie genau das nie sagen wird und in einem altväterlichen unbedarften Verständnis ihrer Funktion weiterhin Geld von da nach da verschieben wird. Hier bedarf es eines projektiven Fachverstands und der Zusammenführung aller Interessierten und Sachkundigen, hier bedarf es eines Ministeriums, das einen Kultusminister oder eine nachgeordneten Mitarbeiter für die kulturelle Landes- sprich Harmonisierung der Regionalentwicklungen - radikal unterstützt und sich seinen Visionen/Projekten anschließt. Weder Parteipolitik noch ministeriell-bürokratische Routinen sind hier gefragt. Der amtierende Kultusminister ist natürlich unerträglich.
was passt Ihnen nicht? Wollen Sie jederlei Diskussion abwürgen? Sind Sie nach Diktat verreist? Oder könnten Sie vielleicht einmal Argumente geben?