Ich bin nicht euer Erklärbär

9. November 2021. Die Intendantin Karin Beier beklagt, Kritiker:innen läsen heute nicht mal mehr die Romane, die auf dem Theater adaptiert werden. Sie folgert daraus, Kritk sei nur noch "Scheiße am Ärmel" der Kunst. Eine Entgegnung.

Von Esther Slevogt

9. November 2021. Was muss die Kritikerin über das Stück wissen, das sie besprechen wird? Muss sie etwa den Roman gelesen haben, der einer Adaption für die Bühne zu Grunde liegt? Ja, das muss sie, werden viele an dieser Stelle sagen. Schließlich ist es ihr Job, zu beschreiben, wie der Roman auf der Bühne umgesetzt worden ist.

Diese Erwartung hat Anfang Oktober in einem Radiointerview auch Karin Beier, Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, formuliert. Und weil aus ihrer Sicht die meisten Kritiker zum Beispiel meist nicht mal die Romane mehr lesen, aus denen Theaterabende werden, hat Karin Beier die Kritik pauschal für nicht satisfaktionsfähig erklärt, zur "Scheiße am Ärmel" der Kunst.

Unschuld des Nichtwissens

Ohne weiter auf Qualität und Stil einer solchen Äußerung einzugehen, oder gar den Sound, der da aus einem Institut der Hochkultur dringt, dessen Hauptgegenstand die Sprache ist, möchte ich doch einmal fragen, ob diese Erwartung überhaupt gerechtfertigt ist. Ich für meinen Teil beanspruche als Kritikerin, einen Theaterabend NAC Illu Kolumne Slevogt 2x2auch mit der Unschuld des Nichtwissens erfahren zu können – im Zuschauerraum als das leere Blatt zu sitzen, das erst von der Aufführung beschrieben wird. Ich möchte nicht erst nach ausgiebigem Studium des Programmhefts, nach Publikumsgesprächen oder umfänglicher Vorarbeit erschließen können, was ein Theaterabend von mir will (falls er überhaupt etwas will). Das möchte ich vom Abend selbst erfahren.

Zu gelingen scheint dies aber immer seltener. Auch Karin Beier spricht davon, dass die Leute in dieser Spielzeit nur zögerlich ins Theater zurückkehren. Doch mit Relevanzproblemen hat das Theater auch schon vor Corona gekämpft. Der öffentliche Resonanzraum schwindet. Immer weniger wird über Theater berichtet, Feuilletons schrumpfen, lokale Kulturberichterstattung stirbt. Ist das Theater nicht mehr interessant genug? Warum schaffen es die Bühnen nicht mehr, eine breitere Gesellschaft anzusprechen mit ihrem Angebot?

Fleißbienchen verdienen

Doch anstatt dass sich das Theater Gedanken macht, ob es eventuell ein Vermittlungsproblem hat, wird das Problem auf die Kritik abgewälzt. Da werden eigens Fortbildungsakademien gegründet, um die Kolleg:innen in die Lage zu versetzen, überhaupt noch zu verstehen, was sich da auf der Bühne tut. Oder Kritiker:innen sollen sich Fleißbienchen verdienen und brav die Motive erkennen oder Intentionen repetieren, die den Abenden zu Grunde liegen. Um dann wie bei Heidi Klum ein Foto entgegennehmen zu dürfen: Brav, alles verstanden, setzen. Nö. Der Theaterabend muss mir schon selbst mitteilen können, was er von mir will. In erster Linie betrachte ich mich als professionelle Zuschauerin. Und nicht als Sprachrohr und Erklärbär des Theaters. Ich bin auch nicht die, die sich zu prüfen anmaßt, ob ein Roman adäquat umgesetzt wurde. Ich beanspruche einfach, als reiner Tor im Publikum sitzen zu können, um dort von den Blitzstrahlen der Schönheit und der Erkenntnis getroffen zu werden, die später dann auch meine Kritik illuminieren.

 

Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. Außerdem ist sie Miterfinderin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

In ihrer letzten Kolumne schrieb Esther Slevogt über das merkwürdige Tagebuch des Kritikers und Theatermenschen Günther Rühle

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Kommentare  
Kolumne Slevogt: Romane lesen
In diesem Zusammenhang könnte es sicher auch helfen, wenn Regisseure und Schauspieler die Romane, die sie auf der Bühne umsetzen, vorher lesen würden. Das würde nicht nur den Kritiker entlasten und zu mehr Klarheit auf beiden Seiten (Theaterschaffende und Publikum) beitragen.
Kolumne Slevogt: Gott bewahre
Als ehemaliger Kritiker, der mittlerweile selbst Kritiken für seine Inszenierungen kriegt, kenne ich beide Perspektiven. Da kann ich der hier im Artikel formulierten Sichtweise allerdings trotzdem nur beipflichten. Als ich selbst noch Kritiken geschrieben habe, habe ich, wenn es möglich und nötig war, auch Romane vor der Premiere gelesen — oft genug aber auch darauf vertraut, dass eine 3-Stunden-Dramatisierung eines 1000-Seiten-Schinkens auch ohne eingehende vorherige Lektüre zu mir sprechen kann. Geht in meinen Augen alles, so lange man in der Kritik nichts Gegenteiliges behauptet. Was die Kritik zugegeben schon erkennen sollte, ist, wenn ein Roman komplett zertrümmert und neu zusammengesetzt wurde — das ist ja auch durchaus relevant für eine Kritik. Aber dafür muss man jetzt nicht unbedingt immer das ganze Buch gelesen haben, eine Kritik ist ja, auch wenn man bisweilen den gegenteiligen Eindruck kriegen kann, schließlich keine literaturwissenschaftliche Abhandlung.

Nachdem ich erst kürzlich selbst einen literarischen Stoff dramatisiert habe, muss ich auch sagen, dass es mir ehrlich gesagt ziemlich egal ist, ob Kritiker:innen den Stoff vorher gelesen haben oder nicht, nicht zuletzt, weil das bei einer Bezahlung von selten mehr als 100 Euro, oft genug aber auch weniger als 50 Euro pro Kritik selbstverständlich ihre Entscheidung ist, ob sie dem 3-Stunden-Theaterabend und den 4 Stunden Arbeit an der Kritik selbst noch 50 Stunden Romanlektüre vorausschicken wollen. Könnte ich es mir aussuchen, wäre es mir außerdem sogar lieber, man ließe sich überraschen (anstatt z.B. mit bereits vorgefertigten Meinungen ins Theater zu gehen, um diese dort bestätigen zu lassen — passiert nämlich dann auch gern mal), zumal ich ja auch neugierig bin, ob der von mir inszenierte Abend auch mit einem Publikum kommunizieren kann, das sich nicht schon umfassend in den Stoff eingelesen hat. Außerdem, wo mach ich da die Grenze? Sollen Kritiker:innen auch vorher die Theaterstücke lesen? Gar bei Uraufführungen? Die Strichfassung in letzter Form? Mit oder ohne Regieanweisungen drin? Gott bewahre — bitte nicht. Als Filmkritiker:in lasse ich ja auch nicht vorher das Drehbuch vom Studio zuschicken.

Wichtig ist mir daher aus Sicht des Theaterschaffenden, dass jemand die Bereitschaft mitbringt, sich auf die Inszenierung einzulassen und sie anhand möglichst transparenter Kriterien zu diskutieren. Das heißt aber natürlich auch, dass man sich als Kritiker:in bis zu einem gewissen Punkt nackt und angreifbar machen muss. Eine Kritik (egal ob positiv oder negativ), der ich nicht widersprechen kann, ohne den Abend gesehen zu haben, ist in meinen Augen keine Kritik, sondern lediglich ein Richterspruch, ein reines Statement, das keinen Dialog will.

Unabhängig davon, wie ärgerlich und denkfaul manche Kritiken sein können, halte ich es übrigens für befremdlich, die Theaterkritik pauschal mit Fäkalsprache abzukanzeln. So wird schließlich auch kein Diskurs, kein Weiterdenken angestoßen, der aber ja das Ziel jeder Kritik (und Gegenkritik) und aber ja ebenfalls der Kunst sein sollte.
Kolumne Slevogt: Vorwissen
Najaa...in jedem Kunstbereich - egal, ob das moderne Kunst, moderne Musik, High Fashion, Design, Literatur oder auch Streetart betrifft, muss man eine Art Vorwissen besitzen, um etwas ausserhalb der leicht konsumierbaren Oberfläche zu verstehen, das bringt kulturelle Entwicklung so mit sich.. ansonsten verkommt es zu Schlager, Schenkelklopfern oder Seifenopern etc.. -
was aber stimmt, ist die mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Künstler, es sollten keine Aufklärungsworkshops für die Presse ( die das sowieso nicht schätzt) erfolgen, sondern regelmässig für das "Lauf"-Publikum, welches das bestimmt zu schätzen weiss..obwohl viele Dramaturgen das ( aus Faulheit?!) nicht glauben können..
Kolumne Slevogt: Relevanz
Esther Slevogt fragt klug, ob das Theater nicht mehr interessant genug sei. „Warum schaffen es die Bühnen nicht mehr, eine breitere Gesellschaft anzusprechen mit ihrem Angebot?“ Und schwuppdiwupp sind wir bei der „Relevanz“.
Ich glaube, für die Theater ist es sehr sinnvoll, die häufig vorherrschende Binnenperspektive mal endlich zu verlassen und einen gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel einzunehmen. Den fordert hier auch Esther Slevogt zu Recht. Ein Beispiel: Die Aufregung über die Beschlüsse des Bundes und der Länder, Kultureinrichtungen bei der Corona-Bekämpfung im Herbst 2020 als „Freizeit- und Veranstaltungsorte“ zu subsumieren, war groß. Verlässt man aber die institutionelle Blase, so ist es wohl im Alltag so, dass Theater, Volkshochschulen oder Museen von Teilen der Politik und Bevölkerung zunächst einmal wirklich nur als Freizeitangebote gesehen werden. Eine Differenzierung erfolgt häufig nicht. Die substanzielle Sicht hingegen entspricht der der Akteur*innen, die über die öffentliche Zuschreibung schnell in Larmoyanz verfallen könnten und sich abgewertet fühlen. Was heißt es aber, wenn diese öffentliche Zuschreibung besteht? Wenn es schwer ist, eine differenziertere Sicht zu vermitteln? Und wie müssen sich Kultureinrichtungen aufstellen, um hier nachsteuern zu können? Wir Theaterleute werden uns daher warm anziehen müssen, um kräftigst das Ruder rumzureißen. Aber das kann auch gut sein.
Kolumne Slevogt: Vorwissen
In einer Theaterkritik erwarte ich vom Autor/von der Autorin, das Gesehene so beschreiben zu können, dass ich einen Eindruck vom Abend bekomme, und ob die Interpretation durch die Regie nachvollziehbar wurde. Nicht ob er oder sie Roman oder Theaterstück gelesen haben. Ich habe die Vorlage vielleicht auch nicht gelesen und möchte den Abend aber trotzdem verstehen können. Und ich will auch nicht von der Theaterkritik eine Sehanweisung bekommen, um einen Abend zu verstehen. Dass mir persönlich über 40 Jahre Theaterzuschauerinnen-Erfahrung bei der Interpretation hilfreich sind, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch ich gehe trotzdem manchmal aus einem Abend heraus und frage mich: Was wollte Regie bzw. Autor/in mir damit sagen? Und dann kann ich mich ärgern, weiter drüber nachdenken oder den Abend einfach vergessen.
Wenn Theater Relevanz für die ganze diverse Gesellschaft erreichen will, muss es sich verständlich machen - und zwar dort, wo der Kern der ganzen Unternehmung stattfindet: auf der Bühne. Und endlich Zugangshürden abbauen - statt Kritiker/innen zu beschimpfen. Alles andere sind wenig hilfreiche Behauptungen aus dem Elfenbeinturm.
Kolumne Slevogt: Lösungsvorschlag
Das hier angesprochene Problem lässt sich sehr leicht lösen, indem man darauf verzichtet, Romane zu adaptieren, und stattdessen zu der Gattung zurückkehrt, die für das Theater bestimmt ist: zum Drama. Die Scheiße am Ärmel kann man dann, soweit es Romane betrifft, der Literaturkritik überlassen. Und hier auf nachtkritik.de sind wir dann aus'm Schneider. Ganz nebenbei könnte man auf diese Weise entdecken, dass es jede Menge Dramen gibt, alte und neue, ungespielte, die es verdienen, aufgeführt zu werden. Eigentlich eine Binsenweisheit, die aber offenbar mit der publizierten Kritik im Orkus verschwunden ist.
Kolumne Slevogt: Zustimmung pur ...
... obwohl von mir ja nicht die Rede ist; es geht ja nur um "die Kritikerin" ... Ironie aus. Aber "Scheiße am Ärmel" gefällt mir an sich ganz gut und ist eher angemessen für vieles, was als "Theaterkritik" durchgeht. Gibt's auf der Bühne allerdings auch und ähnlich oft, vor allem und erst recht bei "Roman-Dramatisierungen", die die Bühne an sich ja gar nicht braucht. Nebenbei: Schöne Beispiele für kreativen Umgang mit Romanen, die übrigens gemeinhin auch kaum jemand je wirklich ganz gelesen hat, sind (sehr oft) "Der Idiot" von Dostojewski, selten "Die 40 Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel und bislang nur einmal "Amazonas" von Alfred Döblin.
Kolumne Slevogt: Frage der Relevanz
Kann Thomas Rothschild nur zustimmen: das Schauspiel hat das Drama vergessen. Ob die Frage der Relevanz vielleicht damit zusammenhängt?
Kolumne Slevogt: nicht hilfreich
Seltsame Aussage von Karin Beier, aber als Schauspieler weiss ich: es gibt tatsächlich viele Kritiken, wo die Beschreibung gar nicht mal so falsch ist. Macht das alle Kulturjournalisten zu scheisseschmierern? Nein, im Gegenteil, eigentlich wollen wir alle nur eins: gute Kunst und gute Gespräche darüber (oder Besprechungen).

Aber der Weg dahin ist einfach weit. Wieviel Arbeit ich schon in zahlreiche wirklich fantastisch inszenierte Abende ich schon gesteckt habe. Wie oft habe ich hierfür einfach lieblose Kritiken bekommen, nur weil die Vorlage nicht 1:1 umgesetzt wurde... Es liest sich einfach viel zu oft sonnenklar raus, dass Kritiker ihre Erwartungen nicht erfüllt bekommen haben, und das Publikum und viele Kollegen finden das gesehene hinreissend. Oder aber: nachtkritik zb kommt gar nicht erst, weils halt nicht Stadttheater oder fett subventionierte "freie" Szene ist.

Ja, viele inszenierungen (oder abgefeierte Regisseure) sind nicht toll oder polarisieren, das seh ich ja auch. Ich gehe sehr sehr viel selber ins Theater. Aber dem Theater für schlechte Kritiken oder wenig Publikum nach der Pandemie die Relevanzfrage zu entgegnen, weil viele Kritiken wirklich lieblos und trist sind, ist vielleicht besserer Stil, aber auch nicht hilfreich.

Letztlich haben sowohl die darstellenden als auch die bildenden ein großes Problem: dass zu viel produziert wird ohne wirklichen ethos. wie man da aussteigt, weiss ich nicht. Ich verstehe aber sowohl Karin Beier als auch Esther Slevogt. Wenn man mit ethos arbeitet, beleidigen einen einfach bestimmte Aussagen und Arbeitshaltungen.
Kolumne Slevogt: keine Dogmen!
Lieber Herr Rothschild,

dann möchte ich aber auch nicht mehr "La traviata" auf der Bühne sehen, und auch den "Paten" nicht mehr im Kino, vom "Herrn der Ringe" ganz zu schweigen. Ich weiß nicht, warum immer wieder diese blöde Diskussion über die Romane aufkommt. Ich habe schon sehr schlechte Romanbearbeitungen auf der Bühne gesehen, aber ich habe auch schon sehr eindrückliche gesehen. Ich habe aber auch schon sehr schlechte Faust-Aufführungen gesehen und sehr eindrückliche. Schaut doch einfach auf die Bühne anstatt Dogmen zu verkünden.
Kolumne Slevogt: eigene Nase
Bothos Strauß sagt in einem seiner seltenen Interviews: "Eine Inszenierung ist gegenwärtig oft nur ein privatpsychopathisches Unternehmen, das maßgeblich von Illiteraten bestimmt wird, die überhaupt gar nichts lesen, nicht einmal das Stück, das sie gerade vor sich haben, die also keinen literarischen Assoziationsraum besitzen." Frau Beier als Vertreterin dieses hier angesprochenen Standes soll sich also an die eigene Nase fassen!
Kolumne Slevogt: 2 Seiten
Ich sehe das auch von 2 Seiten. Auf jeden Fall lesen muss ich weder als Schauspieler, noch als Kritiker. Sonst ginge es ja um das Buch.
Kolumne Slevogt: Beliebigkeit der Kunstbeurteilung
Man stelle sich vor, mit der Haltung der Frau Slevogt würde man sich den Erkenntnissen der Physik oder der Auswahl der Nobelpreisträger nähern: Einfach mal ein leeres Blatt sein, um die Astrophysik zu beurteilen. Oh, nein, das ist natürlich ein Buch mit Sieben Siegeln. Dem darf man sich nicht laienhaft nähern. Zur Kunst aber, hier dem Theater, darf man sich als reiner Tor ins Publikum setzen, um das zu beurteilen, was ein Profi künstlerisch verarbeitet hat. Frau Slevogt öffnet der Beliebigkeit der Kritik Tür und Tor und bestätigt hier nur in erschreckender Weise die tatsächliche Beliebigkeit einer parasitären Kritik, wie sie lange schon zelebriert wird: Der impotente Theaterkritiker träumt der Potenz nach, die er auf der Bühne zelebriert sieht. Mir fällt jetzt grad kein Pendant für die Theaterkritikerin ein.
Kolumne Slevogt: ohne Dramatik
#8 Herrn Feuchtner kann ich leider nur zustimmen, ich sehne mich wieder nach Dramen, nach Stoff, mit dem ich mich auseinandersetzen kann, an dem ich mich reiben kann, vielleicht auch meinen Standpunkt hinterfrage. Ich sehne mich nach Schauspieler*innen, die auf der Bühne leben dürfen... und nicht nur aufsagen müssen. Nach Bühnenbild und Licht, das mich verblüfft und / oder entzückt.

Meine jüngste Erfahrung in Dortmund (Der Platz): ein Stück, das keines ist, eine Inszenierung, die nicht stattfindet, Schauspieler*innen, die abwechselnd nur den Originaltext der Erzählung sprechen, ohne jede Dramatik oder Emotionen... und eine nachtkritik, die das alles auch noch schönreden kann. Sehr schade, diese "Theaterform" wird es - nach meinem zugegeben bürgerlichen Theaterverständnis - nicht schaffen, die Zuschauer wieder in die Häuser zu holen. Schade.
Kolumne Slevogt: zusammenfinden
@Opa Schowski

LA TRAVIATA und DER PATE sind doch eigentlich sehr schöne Beispiele, um Ihre Sicht/Argumentation gegen das bei Herrn Rothschild vermutete Dogma zu stützen, anstatt sie sarkastisch im Umkehrschluss als das (behauptete) Übel zu verdammen.
Der Jüngste der Alexandres dramatisierte seinen (autobiographisch grundierten) Roman immerhin selbst. Verdi kannte beides Roman und Drama - das Echo das in ihm entstand, verstärkt durch eigene, unmittelbare Erfahrungen, wurde zu einem neuen originären Bühnenwerk. Voilà, la réalité du débat que nous engageons ici, n’est pas?
Und Mario Puzo schrieb das Drehbuch zu Coppalos Film ebenfalls höchstselbst - und wurde dafür mit einem Oscar geehrt. So what ...? Congrats!

Ich gebe Ihnen Recht, die Diskussionen um Adaptionen anderer (nichtdramatischer) Literatur für die Bühne sind albern, faul und führen nirgendwohin ... denn wie Frau Slevogt und einige andere hier schreiben: Es zählt, ob die auf der Bühne und die im Publikum zusammenfinden, ob die bereit sind etwas mitzuteilen, etwas zu spielen und die bereit sind, es zu empfangen …

Randnotiz 1: Jüngst war ich bei der Präsentation von zehn während einer Schreibwerkstatt entstanden neuen dramatischen Texten. Sechs davon werden bis Ende 2022 inszeniert – komplett institutionell finanziert …

Randnotiz 2: Dafür, dass Frau Beier Kritiken lästig findet, wirbt das Schauspielhaus Hamburg auffällig viel mit Rezensionen für die eigenen Arbeiten ...
Kolumne Slevogt: Schluckauf
"Ich für meinen Teil beanspruche als Kritikerin, einen Theaterabend auch mit der Unschuld des Nichtwissens erfahren zu können…"

Ein ehrbarer Anspruch, doch wer, wenn nicht Sie, besitzt einen Fundus an Vorwissen? Nun setze sich doch mal jener Teil der Gesellschaft ins Theater, jene 95 Prozent, die nicht theaterwissenschaftlich vorbelastet, nicht vertraut mit aktuellen Diskursen und Moden sind, und man frage sie anschließend: Was haben Sie erfahren? Man befrage Sie auch zu zeitgenössischen Stücken, zu assoziativem Schluckauf, chorisch vorgetragen an der Rampe über die immergleichen Themen der linken Gesinnungsgemeinschaft. Und die Fragen werden sich alle auflösen, ein kurzer Schreck, und der Schluckauf ist verschwunden. (Glauben Sie mir, ich muss in der Kulturvermittlung beruflich danach fragen und mich mit dem Verdruss und der Verwunderung der Befragten herumschlagen…)
Kolumne Slevogt: nur noch für Dramaturgen
@altpils stimmt! und die theater zahlen dann den kritikern jeweils das honorar für eine gastdramaturgie, damit sie sich eigenständig auf den wissensstand von dramaturgie und regie hochbilden können. oder sogar noch weiter? der kritiker muss es ja schließlich im besten fall sogar noch besser wissen. danke auch für die weitergabe der erkenntnis, dass kunst eigentlich wissenschaft ist. wenn das geld nicht reicht, könnte man ja auch gleich einfach nur die jeweiligen dramaturgen als zuschauer zulassen. das rest des teams könnte ja schon eventuell die materialmappe heimlich nur überflogen haben. gewöhnliches publikum hat sowieso nix verloren im theater, oder hat zumindest das maul zu halten nachher und das einfach weder gut noch schlecht zu finden, weil für ne meinung brauchts ja wieder und so — nee sorry is mir echt zu simpel
Kolumne Slevogt: Schizophrenie
Ich finde die Sache deutlich komplexer. Ich versuche als Kritikerin, mir mindestens einen Eindruck vom Roman zu verschaffen. Und wenn ich dann im Theater sitze, versuche ich, alles wieder zu vergessen. Ich erziehe mich eigentlich zur Schizophrenie. Denn ich finde: Um den Zugriff des Regisseurs auf den Stoff zu verstehen, muss ich das Original kennen. Je mehr zertrümmert, umso mehr. Aber ich finde auch ganz bestimmt: Das Stück muss ohne grosse Vorkenntnisse für Zuschauer verständlich sein. Sie dürfen nicht den Roman kennen müssen, um die Inszenierung geniessen/mögen zu können. Am liebsten nehme ich jemanden mit, der gar nichts vom Stoff/Roman/der Vorlage weiss und frage den dann am Ende: Hast du es verstanden? Hat es dir gefallen?
Tja - und dann kommt dann noch der Aspekt der Bezahlung. Nein, niemand zahlt mir das Lesen des Romans. Und klar: Je weniger mir die Lektüre gefällt, umso weniger kann ich mich dazu animieren, ihn richtig zu lesen. Aber nur weil ich schlecht bezahlt werde, verliere ich ja nicht die Ansprüche, die ich selbst an mich stelle. Und auch klar: Da ist der Quell ewigen Unbehagens. Und die Diskussion um Romane oder nicht, verstehe ich eigentlich gar nicht. Entweder die Inszenierung ist gut oder schlecht. Was dem Ganzen zugrundliegt, ist mir Wurscht. Hauptsache, es macht was mit mir im Zuschauerraum.
Kolumne Slevogt: no way!
Der Text krankt an der illusorischen Grundannahme, Esther Slevogt könne als "reiner Tor" in einer Theateraufführung sitzen.
Sorry, Esther, no way.
Die Deformation professionelle schlägt da voll durch.
Sage ich nicht zuletzt als jemand, der seit 3 Jahren die Kolumne "Fotolot" für Gegenwartsfotografie im Perlentaucher leitet.

Ansonsten sollten Leute wie Karin Beier mit dem Fundament ihres Top-Festgehalts seit zwanzig Jahren ganz ruhig sein.
Die offenkundigen Probleme am Theater - steile Hierarchien, Vettern-/Cousinenwirtschaft, der existenzielle Graben zwischen Festangestellten und Freien, die generelle Überalterung des Formats als solches - haben mit der professionellen Theaterkritik so gut wie gar nichts zu tun. Im Gegenteil: KritikerInnen halten sich meiner Erfahrung nach in den Medien sogar bewusst zurück, um nicht gleich das ganze Format in Frage zu stellen, von dem sie nicht zuletzt selbst leben.
Kolumne Slevogt: Intendant:innen-Hybris
Das Problem ist nicht die Vorkenntnis der Kritiker/innen sondern die Weltsicht der Intendant/innen. Kritiker entziehen sich ihrem Einflussbereich. Aber in ihrem Staat müssen sich alle so verhalten, wie sie, die Intendant/innen es fordern. Falls das nicht geschieht, zeigen sich die Hybris dieser hochbezahlten, aus der Welt gefallen Spezies "Intendant/innen".
Wie gemein muss man sein, dass man über die Arbeit anderer als "Scheiße am Ärmel" spricht?
Kolumne Slevogt: Sozialchauvinismus
Ich finde Esther Slevogts Bild des „reinen Toren“ bzw. der professionellen Zuschauerin (in dem Sinne vielleicht, dass es ein vollumfänglich bewusstes Schauen ist) sehr anschaulich.

Diese seltsam beleidigte Anspruchshaltung, die Karin Beier formuliert, und die aus meiner Erfahrung viele künstlerische Leitungsmenschen teilen, ist ja nicht auf Kritiker*innen beschränkt. Karin Beier entlarvt sich dahingehend selbst, wenn sie (laut Interview) sich nur mit Menschen unterhalten möchte, die sich „ernsthaft und ausgiebig mit den Themen auseinandersetzen“. Bitte, was für eine sozialchauvinistische Haltung zum eigenen Publikum ist das denn? Da tritt doch die Erwartung deutlich zu Tage, dass es ihr darum geht, Theater für ein Publikum zu machen, dass den „intellektuellen“ Background und vor allem die Zeit(!) mitbringt, aus einem Theaterbesuch ein persönliches Proseminar mit Vor- und Nachbereitung des erlebten Abends zu machen.

Und da liegt meiner Meinung nach der Relevanzhase im Pfeffer. Dieser hochkulturelle Distinktionsfetisch, der innerhalb des Betriebs grassiert, ist es doch, der die mittlerweile viel diversere Gesellschaft aus den Häusern fern hält. Das zeigt sich auch daran, wie viele der hier Kommentierenden auf Theater blicken. „Zu der Gattung zurückkehren, die für das Theater bestimmt ist“. Das empfinde ich als künstlerisches Gatekeeping. Meines Wissens nach ist Theater aus rituellen Götterdiensten entstanden. Das Drama (bzw. das Theater der griechischen Antike) hier als Wiege vom allem zu tradieren, ist doch mindestens ein Eurozentrismus, von dem wir uns emanzipieren sollten. Dass wir 2021 immer noch ernsthaft darüber reden, welche Texte und Formen für das Theater™ richtig oder falsch sein sollen, ist doch absurd.

Aber daran krankt es aus meiner Sicht. „Hach, die Klassiker!“ „Pfui, das Mitmachtheater!“ „Hach, die empfinden!“ „Pfui, die performen!“ Alles was nicht dem Ideal einer patriarchal geprägten, weißen, bürgerlichen Sicht auf Theater entspricht – seien es die Stoffe, die Formen, die Menschen, die sie darstellen oder produzieren – ist für die Mehrheit der (eben patriarchal geprägten, weißen, bürgerlichen) Szene zunächst mal verdächtig.

Das sogar das Deutsche Stadttheater einem grundsätzlichen Wandel unterworfen sein könnte, sollten wir dringlichst nicht nur akzeptieren sondern umarmen.


PS: Wer Scheiße am Ärmel kleben hat, hat wohl ins Klo gegriffen.
Kolumne Slevogt: Bildungsblase
Also, ich hab mich drüber gefreut, dass Theater in der Pandemie als Unterhaltung anerkannt wurde. Systemrelevante Bildungsblase für die happy few mit Akademiker Background ist echt so richtig ... gähn!
Kolumne Slevogt: unerträglich
Verzeihung, aber die Konsumentenhaltung des Artikels ist mehr als unerträglich.
So viele der Kritiken sind nicht ansatzweise auf der Höhe der Inszenierungen, weil sie sich einem Gegenstand gegenüber sehen, welcher sich so sehr verwandelt, die Kritisierenden aber noch auf einem Niveau von 1970 sind , wo Video, Musik Fremdtexte usw nicht ansatzweise so eingearbeitet wurden , wie es heute der Fall ist. Der Gegenstand ist in seiner Komplexität der Kritik davongeeilt.
Und das Frau Slevogt das nicht zu erkennen vermag, macht sie nicht zu "wie ein Tor", sondern zu demselben ohne "wie".
Kolumne Slevogt: Entwertungsmechanismus
Esther Slevogt: " Nachtkritik macht alles, was mit Theater zu tun hat, was Nachtkritik nicht macht, findet nicht statt" Sagt Esther Slevogt in der Anzeige, wo Nachtkritik die LeserInnen um Unterstützung bittet. Nachtkritik ist wichtig, aber so eine Haltung spiegelt leider auch das Problem von Nachtkritik wieder, den unangemessenen Anspruch, eine Art Hoheit über "das" Theater der Gegenwart zu haben. Es findet soviel gutes Theater statt, das Nachtkritik nicht sieht, bespricht, wahrnimmt. Oder auch nicht sehen will, besprechen will, wahrnehmen will. Denn auch hier ist die Auswahl subjektiv. Das ist auch völlig ok, nur sollte man niemals das Nicht-Gesehene entwerten. Dieser Entwertungsmechanismus ist aber auch Teil von Nachtkritik, da durch das schnelle Schreiben die Kritiken leider viel zu oft von persönlichen Befindlichkeiten und Geschmack triefen, anstatt einen Überblick zu geben, worum es in dem Stück geht - auch wenn es der/der KritikerIn nicht gefallen hat. Ein/e gute KritikerIn muss das können, von Ihnen gibt es zum Glück einige bei Nachtkritik.
Kolumne Slevogt: das blitzende Auge
Lieber Lagotto Roman,
ich hatte es schon befürchtet, dass dieses geistig sich wendende Zeitalter allmählich auch den Sinn für Ironie verlieren würde. Also: sehen Sie das blitzende Auge von Esther Slevogt in dem kleinen Filmchen, hören Sie auf ihren Ton. Es gibt auf nachtkritik.de keinerlei Hinweis darauf, dass wir entwerten, was wir nicht besprechen KÖNNEN. Wir treffen eine Auswahl unter 250 Premieren im Monat, weil wir personell und ressourcenmäßig nicht mehr Premieren besprechen KÖNNEN. Nicht wir selbst, sondern die Theaterleute schreiben uns zu, dass ohne eine Nachtkritik eine Produktion gar nicht existiere=wahrgenommen werde. Natürlich ist das maßlos übertrieben, weil die Theaterbesucher:innen vor Ort nicht auf nachtkritik.de angewiesen sind, um das Theater zu besuchen oder eben nicht zu besuchen. Eigentlich geht es bei dem Satz von der Nicht-Existenz einer Inszenierung so sie nicht auf nachtkritik.de rezensiert werde, um die überregionale Öffentlichkeit. In der existiert eine Produktion tatsächlich nicht, wenn sie nicht in den Radiosendern oder großen Zeitungen oder gar im Fernsehen besprochen oder wenigstens erwähnt wird. Das Netz mit seiner zerstreuten Öffentlichkeit hilft da wenig. Trotz nachtkritik.de. Es ist dieses Problem der mangelnden Aufmerksamkeit für Theater in der Öffentlichkeit, gedacht als ein die Gesellschaft verbindender Raum, worauf Esther Slevogt ironisch anspielt. nachtkritik.de ist einmal angetreten, um das Konzert der Stimmen, die sich anlässlich einer Theater-Inszenierung erheben, hörbar zu machen und zu verstärken. Es gibt aus meiner Sicht keinen Anlass, an diesem Gründungs-Movens als fortgehendem Auftrag der Plattform zu zweifeln.
mit schönem Gruß
nikolaus merck
Kolumne Slevogt: traurig
Leute, ich habe das Video auch gesehen und fand den Spruch von Frau Slevogt etwas blöd, auch weil sie nicht zu unserer Premiere gekommen ist. Aber der Spruch ist für mich im Nachhinein mehr traurig als ironisch. Denn wahrscheinlich möchte Frau Slevogt und ihre Redaktion viel mehr Premieren besprechen, als jetze. Dann kommt sie auch zu unserer nächsten. Vielleicht.
Kolumne Slevogt: innigster Wunsch
Auf das blitzende Auge von Sprechenden sehen und auch auf deren Töne, Unter- und Obertöne hören - nicht nur in der Kommunikation mit und über nachtkritik.de: Ein eigentlich nur kleines Ding, aufs Innigste zu wünschen! - Gilt auch für das Lesen von nicht veröffentlichten Texten - zumal von Theatertexten...
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