Sklaven im Überfluss

2. Mai 2023. Ein Theaterabend wird verrissen, alle machen sich über ihn her, die Kritik, Kommentator*innen, Kolleg*innen. Kunst kommt aufs Schaffott. Und nun das Leichentuch drauf? Ganz das Gegenteil. Über ein Stück künstlerischer Selbstentgrenzung, das weiter fesselt: "Sardanapal" von Fabian Hinrichs.

Von Esther Slevogt

2. Mai 2023. Ja, ich finde den Abend noch immer gut, auch wenn die Kritik ihn fast einhellig verrissen oder gar als Desaster beschrieben hat – und auch in den Kommentarspalten hier ziemlich darüber gestöhnt und geschimpft wird. Dabei kann ich viele Kritikpunkte sogar verstehen. Dass der Abend zerfasert, irgendwie von Genie-Kitsch durchzogen und ziemlich unausgegoren ist. Lord Byrons Literatur wie auch Byron selbst sind schließlich ein klassischer Fall von Männerkitsch – Byron, der sozusagen eine Art Benjamin von Stuckrad-Barre seiner Zeit gewesen ist. Nur dass Byron nicht in ranzigen Luxushotels in L.A. abhing und ödipale Society-Fantasien zu Papier brachte, sondern es richtig krachen ließ: ein verschwenderisches Leben auf dem eigenen Schloss, ein Kind mit der eigenen Schwester.

Und, wie es sich für einen ordentlichen Imperialisten seiner Klasse gehörte, reiste er mit viel Gefolge und Getöse per Schiff um die Welt und beschwerte sich auch schon mal bei den lokalen Autoritäten, wenn im Hafen zu seiner Ankunft nicht standesgemäß geböllert wurde. Dabei wäre er so gerne Revolutionär und Freiheitskämpfer gewesen. Er war, was man heute einen Extremsportler nennt, durchschwamm die Dardanellen, hungerte mit ungefähr zwanzig seinen kindlichen Wonneproppenbody auf griechisches Skulpturenmaß herunter und schrieb Verse, mit denen er die Sinne der Zeitgenoss*innen nachhaltig verwirrte. Denn so ungefiltert wie in Byrons Schriften kamen derartige Seeleneinblicke bis dahin noch kaum an die Frau oder den Mann.  Das Massendruckverfahren hatte gerade erst begonnen (mit Phänomenen wie "Werther“ von Goethe, dem "Sardanapal" gewidmet ist), das Buch als intimes soziales Medium zu etablieren.

Byron, der Stuckrad-Barre seiner Zeit

Byrons Verse waren immer wieder auch Selbstentblößungen von bis dahin ungekannter Dimension, selbst wenn sie im Format klassischer Literatur daherkamen. Auch sein Drama "Sardanapal" – in der Volksbühne nun Grundlage für den so krachend verrissenen Theaterabend von Fabian Hinrichs – ist ja ein ziemlich unverhohlenes Selbstporträt Byrons, der hier in die Rolle eines sagenhaften assyrischen Herrschers schlüpft, der einerseits des Herrschens müde, aber andererseits süchtig nach den damit verbundenen Privilegien ist. Er weiß, eigentlich geht das alles nicht mehr, so wie er lebt und liebt und herrscht – aber dann kann er doch nicht aus seiner Haut und geht am Ende unter. Darin gleicht er doch sogar uns noch ziemlich. Wie wir zum Beispiel so gerne das Klima retten würden, aber unseren Lebensstandard trotzdem nicht herunterschrauben.

So ein Sardanapal ist natürlich heute auch ein Graus für jedes politisch korrekte Denken. Der Typ hat Sklav*innen, lebt im Überfluss und ohne Rücksicht auf die Ressourcen. Ja, und ausgerechnet dieses Ego-Monster hat nun in seinem Theaterabend Fabian Hinrichs zur Symbolfigur für das Schrecklich-Schöne gemacht, das einmal die Kunst in jedem bürgerlichen Heldenleben war. Das bürgerliche Gefühl, die empfindsame Kunstanbetung, worum Menschen sogar von den Göttern beneidet wurden (zumindest bei Byrons preußischem Zeitgenossen Heinrich von Kleist), der göttliche Funke, den die Kunst in das Menschenherz pflanzte.

Das Leiden der Hedonisten

Es war ja schon eine Welt, aus der Gott sich zurückzuziehen begonnen hatte, in der sich die Kunst als Ersatzreligion und Medizin gegen alle Entfremdung einzurichten begann. Aber das ist jetzt auch längst perdu. Kapitalismus und Kommerz haben sich stattdessen in den Seelen der Menschen eingerichtet und machen es selbst der Sehnsucht schwer, noch irgendwo einen Weg in die Welt zu finden. Wohin sollen wir uns nun noch wenden? Wo findet Kunst überhaupt noch statt?

Diese ganze Widersprüchlichkeit samt aller Verwirrung darüber, was Kunst heute noch sein kann oder soll, fand ich in ganz wundersamer Weise in diesem sonderbaren Theaterabend verhandelt und von diesem verhuschten Wiedergänger des hedonistischen Ästheten Lord Byron alias Fabian Hinrichs zunächst noch im Konfirmandenanzug zelebriert. Und bald dann schon in der ausufernden Figur des Sardanapal. Um darin immer auch die ganze Aussichtslosigkeit dieser Unternehmung mitzuerzählen – das ganze Ungenügen daran, wie groß die Kunst und wie klein man selber ist. Sagen Sie jetzt ruhig, das ist ein Volksbühneglorifizierungsverblendungszusammenhang. Egal.

 

Mehr zum Thema:

Hier geht es zu Esther Slevogts Nachtkritik von "Sardanapal".

Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben

Esther Slevogt

Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

mehr Kolumnen

images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
Kommentare  
Kolumne Slevogt: Zustimmung
Danke. Ich kann dem nur zustimmen
Kolumne Slevogt: Was ist Kitsch?
Weil Esther Slevogt zwei Mal den Begriff verwendet, muss ich nachfragen: Was ist eigentlich Kitsch, wie definiert man Kitsch?
Der Begriff ist mir immer wieder in eigentlich ernst zu nehmenden und erst gemeinten Rezensionen untergekommen. Die Bedeutung des Begriffs hat sich mir daraus bis dato nicht erschlossen. Meistens wird er offenbar irgendwie pauschal abwertend verwendet, ohne dass die Gründe dafür dargelegt werden. Ich konnte mich da immer des Gefühls nicht erwehren, dass die Verwendung eher wenig differenziert erfolgt.
Monieren muss ich allerdings, dass Lord Byron mit einem deutschen und in Deutschland weltberühmten Pop-Journalisten-Autor auf eine Stufe gestellt wird. Das erinnert mich daran, dass auch einmal Til Schweiger als "deutscher Brad Pitt" bezeichnet wurde. Amüsant ist das natürlich durchaus!
Kolumne Slevogt: Fantastisch
Der Abend ist fantastisch. Hinrichs ist fantastisch.
Kolumne Slevogt: Hälfte, Hälfte
Und ganz stimmt es nicht. Die Hälfte der Kritik ist begeistert. Die Hälfte entsetzt
Kolumne Slevogt: Kitsch & Byron
@Luchino Visconti: Ich kann keine Quelle mehr angeben, aber habe mal gelesen, paraphrasiert: Kitsch ist die hergestelle Hülle von Gefühlen, aber ohne dass diese Gefühle inhaltlich untermauert sind. Hat mir seitdem oft geholfen, den Begriff so zu denken.

@Esther Slevogt: Danke für die historische Einordnung der Figur Byron, ich hätte mir dennoch gewünscht, dass Sie sie ausführlicher an dem Abend abgleichen. So bleibt übrig: Byron, sein Stück und das Vorhaben, es heute zu inszenieren, sind stimmig - aber das Resultat muss es deswegen nicht zwangsläufig auch sein.
Kolumne Slevogt: Außergewöhnliche Inszenierung
Liebe Frau Slevogt, danke für Ihr Anwaltschaft dieser auch für mich ganz aussergewöhnlichen Inszenierung. Was mich in Bezug auf die Lobeshymnen und Verrissorgien aufhorchen lässt- warum polarisiert diese Aufführung denn so, wie sie es tut? Und warum steht bei zwei Blättern "Hinrichs als Regisseur gescheitert"? Schliesslich wird Herr Hinrichs doch schon bei mehreren Produktionen in der Rubrik "Regie" genannt. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwischen der Erregung Einiger und der Grenzgängerschaft Hinrichs'? So wäre meine Vermutung. Denn was ich persönlich beobachtet habe, ist eine herrlich freie und doch präzise Arbeit mit ganz eigenem Rhythmus. Man kann das mögen oder nicht, ein Scheitern aber ist nun gar nicht ablesbar, wenn man nichts Böses im Sinn hat. Wäre denn nicht eher irgendeine dieser artigen konfektionierten, unmusikalischen, wohlfeilen Aufführungen (am BE beispielsweise) gescheitert? Warum also hier diese starke Entwertung? Und auf der anderen Seite hochfahrende Bewunderung? Ist doch sehr interessant. Und noch etwas: ich war am 27.April Zuschauer. Und es war ein nahezu entfesseltes Publikum zu erleben. Auch davon ist kaum etwas zu lesen, man bekommt ja bei einigen negativen Kritiken den Eindruck eines von äusserem Erfolg unbeeinträchtigten Abends.-). Dem ist anscheinend ganz und gar nicht so. Was sich also festhalten lässt: ein schillernder widersprüchlicher einprägender Abend. Was will man in der Kunst, im Theater denn mehr? Zumal an der Volksbühne! Komisch auch, dass ein Schauspieler so kurzfristig einfach aussteigen kann und anschliessend (medial) nicht kritisiert wird dafür. Das Ganze rührt doch sehr stark an Problemfelder unserer Zeit. Ich bin sehr gespannt auf die nächste Hinrichs- Inszenierung.
Kolumne Slevogt: Kitsch-Definition
Kitsch ist, wenn das Gefühl die Wirklichkeit nicht erreicht.
(Hab ich mal irgendwo gelesen und seitdem oft zitiert...)
Kolumne Slevogt: Kitsch nach Tucholsky
"Kitsch ist das Echo der Kunst", sagte Tucholsky....
Kolumne Slevogt: Schwammiger Begriff
Vielen Dank an X, Matthias und karfiol für die Kitsch-Definitionen! Die aus meiner Sicht zugleich belegen, dass dieser zugleich vorwurfsvoll-negative wie auch schwammig-unkonkrete Begriff in Rezensionen oder Texten über Kunst lieber nicht vorkommen möge, sofern er nicht von einer Erläuterung begleitet wird.
Kommentar schreiben