Altäre der Notdurft

14. März 2023. Es ist ein weites Feld und manchmal  auch ein schwieriges: das Thema Theatertoilette. Denn es bestimmt die Qualität des Aufenthalts in einem Theater ebenso wie die Darbietung auf der Bühne. To pee or not to pee, that is the question!

Von Janis El-Bira

14. März 2023. Zwei Fragen, heißt es, bewegen Theaterbesucher:innen beim Betreten einer Spielstätte vor allen anderen. Erstens: Wie lange dauert das hier heute? Zweitens: Wo sind die Toiletten? Aus leicht ersichtlichen Gründen sind beide Fragen eng miteinander verzahnt, gilt es doch, den Toilettengang in Abhängigkeit von Spieldauer und Blasenfüllstand gut zu planen. Weshalb die dritte Frage auch stets die nach Sein oder Nichtsein einer Pause ist. Aber davon ein anderes Mal.

Nicht gesichert ist, das sei hier gleich zugegeben, ob die stillen Örtchen der Theater zu ähnlichen Schlussfolgerungen berechtigen wie etwa die Toiletten von Restaurants. Von ihnen heißt es ja, man könne anhand ihres Zustands auf die Qualität des gesamten Etablissements schließen – insgesamt ein Vorurteil, widerlegt nicht zuletzt vom WC-Horror-Land Frankreich, wo man im Tausch gegen das gastronomische Glück schließlich gerne mit hochgekrempelten Hosenbeinen durch die Rinnsale übergelaufener Kloschüsseln watet.

Notorisch viel zu wenig, notorisch viel zu klein

Doch zurück zum Theater. Der bedeutende Fäkalphilosoph Slavoj Žižek hat einmal die Toilettenlandkarte in zweierlei WC-Verbreitungsräume unterteilt. Einerseits sind dort die Regionen, in denen Modelle vorherrschen, bei denen die Ausscheidungen sofort im Wasser landen, also möglichst unauffällig verschwinden. Andererseits – und inzwischen viel seltener – solche, die das Exkrement zunächst wie zur Inspektion auf einer Keramik-Landzunge präsentieren, bevor es weggespült wird. Mit der WC-Situation an den Theatern verhält es sich ähnlich. Es gibt jene, deren räumliche Gegebenheiten dem Toilettengang eine möglichst kleine Rolle zugestehen – und solche, die der Bedürfnisverrichtung einen kleinen Palast errichtet haben.

Unter den Schauspielhäusern ist die erste Gruppe bei weitem in der Überzahl. Dabei hat das Scheitern an der architektonischen Herausforderung namens WC-Unterbringung viele Gesichter. Im Haus der Berliner Festspiele zum Beispiel, dieser zeitlos schnieken Riesenbürgerstube der Nachkriegsmoderne, füllen sich die Saalreihen stets erst kurz vor Vorstellungsbeginn, weil die Menschen endlos vor den notorisch viel zu wenigen und viel zu klein dimensionierten Toiletten im Erdgeschoss anstehen.

Offene Schüsseln, starrende Abgründe

Das vor 60 Jahren als Theater der Freien Volksbühne errichtete Gebäude teilt WC-lagetechnisch zudem eine besonders nervige Entwurfsidee zahlloser Häuser: Die Toiletten für die zwei damals einzig ausgewiesenen Geschlechter wurden räumlich nämlich nicht etwa nah beieinander, sondern zielsicher an die weitestmöglich voneinander entfernten Enden des Foyers gelegt. "Treffen wir uns gleich hier in der Mitte wieder?", lautet deshalb der nervöse Standardsatz in den Rundgängen dieser Theater. Warum hat man das so gemacht? Wollte man den jeweiligen Geschlechtern beim Toilettengang ein maximales Unter-sich-Sein ermöglichen? Ich bitte um Aufklärung.

Apropos Geschlechter: Begrüßenswert ist ja die mittlerweile häufig anzutreffende Unisex- beziehungsweise All Gender-Toilette. Mit ihr kommt allerdings auch eine neue semantische Verfeinerung des Toilettenschild-Vokabulars ins Spiel. Durch eine Tür zu gehen, auf der "WC mit Pissoir" steht, finde ich seltsamerweise tatsächlich ein kleines bisschen unangenehm. Am Berliner HAU habe ich eine solche wohl auch deshalb neulich gemieden und folgte stattdessen einem Menschen in der festen Annahme, wir würden uns hinter der von ihm:ihr gewählten Tür gleich vor einer reichen Auswahl zur Verfügung stehender Kabinen wiederfinden. Stattdessen standen wir sofort in einer solchen. Zu zweit. Die offene Schüssel ein starrender Abgrund zwischen uns. Unter vielfachen Entschuldigungen ging ich rückwärts wieder hinaus.

Das Beste zum Schluß

Dennoch: Eine verwirrende Theater-Toilettensituation ist mir lieber als eine, die ich gar nicht erst vorfinde. Trotz vieler Besuche kann ich bis heute nicht sicher sagen, wo eigentlich im Wiener Burgtheater oder wo im Staatsschauspiel Dresden die betreffenden Örtlichkeiten sind. Nur zwei Beispiele unter vielen. Deshalb zum erbaulichen Schluss noch zwei Empfehlungen, wo man beim Toilettengang wirklich etwas fürs Eintrittsgeld bekommt: Im Düsseldorfer Schauspielhaus wähnt man sich auf dem WC eines Sternerestaurants, wenn Deckenspots die schwarz in schwarz gehaltene Sanitär-Keramik in bronzene Lichtkegel tauchen.

Und im Münchner Volkstheater sind die im Keller gelegenen Aborte so großzügig, clean und elegant funktional wie das ganze junge Haus. Hier hätte sich berechtigterweise abspielen können, was ich neulich andernorts mitanhörte. Ein Herr nämlich am Theatertoiletten-Urinal, kurz vor Beginn einer vielstündigen Vorstellung, der den dortigen Vorgang mit einem tief erleichterten Seufzer und diesem schönen, laut zu sich selbst gesprochenen Satz beschloss: So, jetzt kann’s losgehen.

Kolumne: Straßentheater

Janis El-Bira

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

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Kommentare  
Kolumne El-Bira: Für Frauen noch schlimmer
Für Frauen ist die Lage ernster als für Männer. Während Männer an den zahlreichen Urinalen schnell einen Platz finden, stehen Frauen manchmal die komplette Pause an. An Entspannung mit Getränk ist oft nicht zu denken. Nicht mal quasi-Neubauten wie die Elphi haben das ausreichend bedacht. Das BE war auch immer schwierig, im Neubau auf dem Hof gibt es möglicherweise mehr Toiletten als im großen Haus, in unisex-Qualität. Kabinen für alle, dahinter, durch eine Tür, geht's zum schnellen Geschäft an den Urinalen. Kampnagel hatte während eines Festivals die vorhandenen Toiletten umettiketiert. Statt Männer/Frauen gab es Schilder Stehen/Sitzen. War aber wohl nicht nachhaltig.

Besucher:innen erwarten mehr Service und Aufenthaltsqualität rund um den Theaterbesuch. Die meisten Toiletteninstallationen tragen nicht dazu bei.
Kolumne El-Bira: Kunst + Notdurft
... aß grad mein Frühstücksmüsli und musste schmunzeln. Dachte an die "Präsidentinnen" von Werner Schwab und aß weiter. Kunst und Notdurft müssen selbstverständlich Hand in Hand gehen (nach ein wenig Seife für die Griffel!). In Tübingen sind die Keramikabteilungen sauber und angenehm. Und es gibt ausreichend Platz. Manchmal kritisiert der Tübinger (tatsächlich nur Männer), dass bei den Waschbecken die Intervallschaltung für die Wasserhähne zu großzügig eingestellt sei. Das lässt sich regeln. Und dass unser Kürzel "LTT" nicht für Landestheater Tübingen steht, sondern für "Lauter tolle Toiletten" weiß auch jeder. Schönen Tag noch...
Kolumne El-Bira: Žižek
Vielen Dank für diese Kolumne. Es wurde tatsächlich Zeit, dass sich jemand* für nachtkritik dieses essentiellen Themas annimmt.

Allerdings wird hier der dritte der "WC-Verbreitungsräume" (nach Žižeks "Paradox of Toilets") ausgespart ... Ist es zu forsch, hier nach dem dritten Äquivalent für Theaterbesucher*innen-Toiletten zu fragen ...?


(Vielleicht wäre das Dritte - neben Enge und Palast - die agora-artige Weite der Schaubühnen-Etablissements ...)
Kolumne El-Bira: Nicht nur in Deutschland ...
... die NYT berichtete schon vor Jahren zum Thema...

Broadway’s Bathroom Problem: Have to Go? Hurry Up, or Hold It https://nyti.ms/2jZVgbN
Kolumne El-Bira: Existenzielle Hilfe
Ein Leben lang träumte ich davon, Thomas Bernhard zu begegnen. Bei Peymanns Abschied 1986 in Bochum war es dann soweit: Kurz vor der Uraufführung seines Dramoletts "Claus Peymann kauft sich eine Hose" kam Bernhard im Oberen Foyer des Schauspielhauses zielgerichtet mit tiefem Blick auf mich zu und fragte diskret in seinem unwiderstehlich österreichischen Zungenschlag: "Entschuldigung, wissen's, wo hier die Toiletten sind?" Ich kann sagen, ich habe ihm existenziell geholfen.
Kolumne El-Bira: Dresdner Notdurft-Altäre
Lieber Herr El-Bira,

gern lüften wir das Geheimnis um die Toiletten im Staatsschauspiel Dresden:
Im Schauspielhaus befinden sich die Toiletten für Damen auf der linken Seite auf drei Etagen und rechts jeweils die Herrentoiletten. Eine barrierefreie Toilette befindet sich gleich im Erdgeschoss rechts und eine weitere im 1. Rang links.
Im Kleinen Haus in der Neustadt, unserer 2. Spielstätte, befinden sich Damen- und Herrentoiletten im Keller, die barrierefreie Toilette am linken Eingang zum Saal. Zudem sind auch in der 3. Etage gleich beim Zugang zum Saal des Kleinen Haus 3 nochmals Damen und Herrentoiletten.
Uns ist bisher kein Fall bekannt, bei dem eine Zuschauerin oder ein Zuschauer es nicht rechtzeitig auf das „stille Örtchen“ geschafft hätte und überall im Haus gibt es freundliches Vorderhauspersonal, das sich nicht scheut, wichtige Frage zur Toilettensituation zu beantworten.
Kolumne El-Bira: Der Autor dankt
Liebe Frau Blech,

vielen Dank für die präzise Schilderung. Wahrscheinlich war ich meistens an der barrierefreien Toilette im EG hängen geblieben, die ich dann nicht unnötig belegen wollte. Aber ich hatte immer geahnt: Irgendwo muss es noch mehr geben. Jetzt weiß ich, wo.
Herzliche Grüße
Janis El-Bira
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