Kolumne Straßentheater - Zur Umbenennung von Theatern
Die Sache mit der Freiheit
24. September 2024. Die Zeiten sind bewegt bis beunruhigend. Nun drohen manche Theater auch noch mit Namensänderung - aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen. Welche Blumentöpfe sind damit zu gewinnen? Was geht am Ende verloren?
Von Janis El-Bira
24. September 2024. Ein Name ist nichts Geringes. Das wusste schon Goethe über den Superfeldherrn Napoleon zu sagen – schließlich habe dieser kraft seines großen Namens "die halbe Welt in Stücke geschlagen". Zwar könnte man nun historisch spitzfindig werden und ein paar handfestere Gründe als den guten Namen für dessen Erfolge ins Feld führen, aber der Dichter lag trotzdem nicht falsch. Der Name macht’s nicht nur, es lässt sich vor allem einiges mit ihm machen.
Watsche vom Intendanten
Das dürfte sich auch Kay Voges gedacht haben, als der Intendant des Wiener Volkstheaters letzte Woche die Um- beziehungsweise vielmehr Rückbenennung seines Hauses in "Deutsches Volkstheater" ankündigte, sollte die FPÖ am kommenden Sonntag die Nationalratswahl gewinnen. Ein satirischer PR-Stunt, natürlich, inklusive schräger Instagram-Videos, in denen sich der Schauspieler Samouil Stoyanov von seinem Intendanten eine Watsche, Quatsch: eine Ohrfeige fängt, wenn er etwa statt gutdeutsch Abendbrot noch immer "Jausn" sagt. Kunstaktivismus anno 2004, moserte sogleich jemand in unseren Kommentaren. Eine gut gesetzte Pointe inmitten anhaltender Namensdebatten, könnte man dagegenhalten.
Deren schrillste ist seit Wochen die um die Namensrechte am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz und Zittau, die angesichts klammster Kassen an einen Sponsor verkauft werden sollen. "Ein Joke", hieß es auch dazu anfangs trocken auf unserer Redaktionskonferenz. Nicht ganz, muss man inzwischen sagen, wenn man Intendant Daniel Morgenroth im Theaterpodcast von nachtkritik.de und Deutschlandfunk Kultur zugehört hat. Fände sich der richtige Partner, wäre man in Görlitz und Zittau nämlich wohl tatsächlich offen dafür, den Namen des Nobelpreisträgers über die Klinge des guten Deals springen zu lassen. Jene, die sowieso regelmäßig den Untergang der abendländischen Kultur bevorstehen sehen, schlugen natürlich scharf an.
Pikiertes Naserümpfen
Dabei ist kaum ein Argument schwächer als jenes, dass ein solcher Sponsoringvertrag automatisch das Ende der Kunstfreiheit besiegeln würde. Oder spielen etwa die großen Sinfonieorchester in Los Angeles oder Pittsburgh ihre Konzerte weniger "frei", weil sie sie in der Walt Disney Concert Hall oder der Heinz Hall (tatsächlich: von Heinz-Ketchup) darbieten? Und gibt es nicht Verträge, damit sich Einmischungen in den künstlerischen Betrieb selbstverständlich verbieten?
Wahrscheinlich wird die Sache mit der Freiheit im Theater aber auch deshalb kritischer gesehen, weil es sich selbst noch immer gerne als "Reißzahn im Arsch der Mächtigen" stilisiert, wie Claus Peymann einst von seinem (bald eher lasch die Hintern pieksenden) Berliner Ensemble behauptete. Machen wir uns nichts vor: Das Maß der tatsächlichen Reißzahnhaftigkeit der meisten Theaterproduktionen steht zum pikierten Naserümpfen über privates Geld in einem erheblichen Missverhältnis.
Verkaufte Öffentlichkeit
Auf einem anderen Blatt steht, was man zu geben oder vielmehr: was man aufzugeben bereit ist. Will man die öffentliche Kultur, den öffentlichen Raum dem Branding und damit den Marktinteressen der Player aus der freien Wirtschaft überlassen? Es kommt ja nicht von ungefähr, dass ein Haus wie die Berliner Volksbühne Wert auf den Namenszusatz "am Rosa-Luxemburg-Platz" legt. Die Häuser und ihre Namen sind große Erinnerungsspeicher. Staatstheater, Stadttheater oder Volkstheater mag sich nicht mehr sonderlich sexy anhören – aber es gibt Schlimmeres.
Insofern sind die Performance von Kay Voges am Volkstheater und der Görlitz / Zittauer Namensausverkauf nur ansatzweise Teil derselben Debatte. Wo Voges den Stolz auf die eigene Theateridentität symbolisch zu Grabe tragen will, wenn die FPÖ gewinnt, da ist man am Gerhart-Hauptmann-Theater schon (fast) jenseits von Stolz. Hier geht’s längst um alles. Ausgerechnet damit aber noch so schillernd zu spielen, ist selbst ein ziemlich eindrückliches Stück Theater. Vielleicht reicht‘s sogar zum Überleben.
Kolumne: Straßentheater
Janis El-Bira
Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.
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