Die rote Mühle - Badisches Staatstheater Karlsruhe
Der Teufel pflanzt Birkenwälder
29. September 2024. Wo würde der Teufel heute sein Unwesen betreiben? In einen Greenwashing-Konzern zwecks CO2-Ausgleich versetzt ihn Nis-Momme Stockmann in seiner Bearbeitung von Ferenc Molnárs "Die rote Mühle". Tom Kühnel hat das Stück zum Karlsruher Saisonstart eng entlang der Gut-Böse-Frontlinie inszeniert.
Von Steffen Becker
29. September 2024. Die Idylle ist schwarz-weiß. Sie hat Familienfotos an den Wänden und eine Hanfpflanze im Eck. Dass sie bedroht ist, bemerkt Noël Mori beim Besuch seiner Tante, der Bürgermeisterin. Meisterhaft desinteressiert hört sie sich seine Klagen über den vom Schattenwurf eines Werbeschilds gefährdeten Dreh seines Stop-Motion-Films über "Haselmänner" an – und ihr Mantel erstrahlt dabei in glühendem Rot. Es ist die Farbe der Firma ForNA.Tech, die aus unerfindlichen Gründen Noëls Heimatkaff als neuen Standort für Birkenwälder zum CO2-Ausgleich auserkoren hat. Die Firma will Noël aber nicht nur Licht und Aussicht nehmen, sondern auch die Seele.
Geschäft mit der Weltrettung
Vorbild für die Geschichte ist Ferenc Molnárs "Die rote Mühle". Nis-Momme Stockmann hat das Stück für das Badische Staatstheater überschrieben – und Molnárs Höllen-Maschine in einen hippen Greenwashing-Konzern verwandelt. Es treffen sich auch nicht mehr die Teufel, um zu beraten, wie man auch noch den aufrechtesten Mann verderben kann. Es kommt der Aufsichtsrat zusammen, um unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit ein Projekt zur Verschmelzung von Leben, Konsum und Arbeit zu beschließen, dessen Unwiderstehlichkeit am Exempel des Außenseiters Noël bewiesen werden soll. Regisseur Tom Kühnel lässt die Molnárs'schen Wurzeln des Werks aber noch effektvoll aufblitzen, indem er den Firmengründer in alemannischer Teufelstracht durchs Publikum grunzen und Unbehagen verbreiten lässt.
Auch wenn die Stockmannsche Überschreibung die Gut/Böse-Linien nicht ganz so eindeutig zieht wie das Original – die These, dass die Welt nur gerettet werden wird, wenn sich daraus ein Geschäft machen lässt, hat ja durchaus Befürworter – so wenig Raum für Zwischentöne lässt die Karlsruher Inszenierung. Um auf einen 2,5 Stunden Abend zu kommen, musste der Text um mehr als die Hälfte gekürzt werden. Und das merkt man.
Null Widerstand
Die "Rote Mühle" mahlt schnell und grobkörnig. Gerade weigert sich Noël noch standhaft, für den Konzern zu arbeiten. Ein paar Szenen später ist er korrumpierter Abteilungsleiter, der ein sadistisches Menschenexperiment überwacht - um zum Schluss in einer erneuten 180-Grad-Wende zum Widerstand gegen den Spätkapitalismus aufzurufen. Die Zeit, diese Entwicklung (glaubhaft) auszubuchstabieren, nimmt sich die Inszenierung nicht. Da kann Jannek Petri als Noël schauspielerisch wenig ausrichten, sondern nur runterreißen.
Die Darsteller der überzeichneten (Neben-)Figuren haben es da einfacher. Claudia Hübschmann ist als Noëls Schwester der Prototyp eines biestigen Mauerblümchens. Jannik Süselbeck flamboyiert sich augenzwinkernd als Aufsichtsrat im Negligé durch den Abend. Swana Rode manipuliert als Noëls Mentorin mit großen Fake-Gefühlen und sardonischer Attitüde.
Unter der Käseglocke
Allen gemein ist der Anspruch, ein Spektakel zu liefern. Das gelingt ihnen und ist konsistent zur Ausstattung: Roter Plüsch, ein kompletter Chor, eine Ballett-Choreo, eine aufwendige Bühne, die einen Kubus wie eine Käseglocke über die Protagonisten auf und niederlässt.
Zur Spielzeit-Eröffnung feuern die Theater-Gewerke aus allen Ohren. Das macht Laune, ist kurzweilig, laut und bunt – und kann doch den Eindruck nicht überdecken, dass die Opulenz der Form gewählt wurde, um die Plakativität der Stoffbearbeitung mitzulegitimieren.
Die rote Mühle
Von Nis-Momme Stockmann, frei nach Ferenc Molnár
Regie: Tom Kühnel, Bühne: Valentin Köhler, Kostüme: Ulrike Gutbrod, Musik: PC Nackt, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Jannek Petri, André Wagner, Claudia Hübschmann, Ute Baggeröhr, Jannik Süselbeck, Swana Rode, Nico Herzig, dem Fächerchor Karlsruhe e.V. und Tänzerinnen der Ballettschule Corpus.
Premiere am 28. September 2024
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater.karlsruhe.de
Kritikenrundschau
Nis-Momme Stockmanns Neufassung eines Stoffs von Ferenc Molnár "könnte eine entlarvende Farce oder eine beklemmende Gesellschaftsstudie ergeben," schreibt Andreas Jüttner in den Badischen Neuesten Nachrichten (29.9.2024). Leider buchstabiert der Text seine Kapitalismuskritik für den Geschmack des Kritikers "allzu überdeutlich aus." Verstörung sei freilich "wohl auch nicht das Ziel der Aufführung", so Jüttner weiter. "Schließlich handelt es sich um die Eröffnungspremiere der neuen Theaterleitung. In der Schauspielsparte, die nun der vom Deutschen Theater Berlin kommende Dramaturg Claus Caesar leitet, ist es gewissermaßen ein 'Neustart Light'. Denn nahezu das komplette Ensemble wurde übernommen."
"Der Dramatiker Stockmann kritisiert, dass wir versuchen, den Kapitalismus grün anzustreichen, um mit gutem Gewissen weiter den Planeten und Menschen im globalen Süden ausbeuten zu können," so Marie-Dominique Wetzel in der Sendung "Kultur heute" vom SWR (30.9.2024). "Recht hat er, aber in der Strichfassung und Inszenierung von Tom Kühnel gerät Stockmanns Parabel viel zu holzschnittartig und zu simpel."
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